Page images
PDF
EPUB
[ocr errors]

Luft. Mochten einzelne metaphysische Gedanken Swedenborgs der geheimen Neigung zur Mystik in Kants Seelengrunde immerhin entgegenkommen und vielleicht sogar seinem eigenen metaphysischen Glauben früherer Zeit ziemlich nahestehen, so war doch Kant weit entfernt, seinen spiritistischen Phantasien Gehör zu geben. Der Gedanke eines die ganze Geisterwelt umschließenden metaphysischen Universums (mundus intelligibilis), dem auch der Mensch seiner intelligiblen Seite nach angehört, spielte in Kants persönlicher Glaubensüberzeugung wohl immer eine gewisse Rolle 20; aus ihm die Möglichkeit eines spiritistischen Verkehrs mit dieser Geisterwelt abzuleiten, schien ihm aber gänzlich verkehrt und eine Zuflucht der faulen Philosophie" zu sein. Ein Spielen mit solchen Gedanken lehnt er auf das entschiedenste ab; hier gibt es für ihn kein Zugeständnis. Den Hauptinhalt des Werkes bildet aber die Parallelisierung der Träume und Visionen Swedenborgs mit den Spekulationen einer vermeintlich wissenschaftlichen Metaphysik. Anknüpfend an Swedenborgs Ideen entwirft Kant selbst ein solches wohldurchdachtes,,Märchen aus dem Schlaraffenlande der Metaphysik", indem er an einem frei erfundenen Beispiele zeigt, wie leicht es ist, durch geschickte Benützung begrifflicher Möglichkeiten ein vermeintliches Wissen um das Übersinnliche vorzutäuschen. Er zeigt aber auch zugleich, wie luftig und haltlos solche Kunstgebäude des Denkens sind: ohne Widerspruch, aber auch ohne objektive Grundlage, eben bloße Denk-Möglichkeiten. Sind die Illusionen und Halluzinationen Swedenborgs Träume der Empfindung, so sind jene nichts anderes als Träume der Vernunft, welche nicht nur mit Wissen nichts zu tun haben, sondern auch nicht einmal den Rang von ernstzunehmenden Hypothesen beanspruchen können. Nur der Umstand, daß die,,Verstandeswage" nicht ganz unparteiisch ist und ein Arm derselben, der die Aufschrift führt: Hoffnung der Zukunft, einen mechanischen Vorteil besitzt, sichert ihnen gläubige Aufnahme. Daraus folgt nun, daß die Philosophie alle Ursache hat, sich von solchen windigen Spekulationen abzuwenden und nur solchen Prinzipien zu trauen, welche in der Erfahrung eine sichere Grundlage besitzen. Über das Metaphysische mit wissenschaftlicher Sicherheit etwas auszumachen, bleibt uns aber versagt. Im Gegensatz zu jenen, welche hier gar keine Schwierigkeiten erblicken, nennt er sich selbst einen „Lernbegierigen, vor dessen Augen... sich öfters Alpen erheben, wo Andere einen ebenen und gemächlichen

Fußsteig vor sich sehen". Welche Aufgabe bleibt aber dann eigentlich der Philosophie auf Grund einer solchen selbstbeschränkenden Einsicht? Nun, diese Einsicht, wenn sie auch eine gewisse Resignation in sich schließt, ist eben auch eine philosophische Erkenntnis, und zwar eine sehr wichtige: ein Begreifen der Natur und der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens selbst. Die neue so erwachsende Aufgabe der Metaphysik der Zukunft wird daher sein, den wahren Bereich unsrer Erkenntnisfähigkeit abzustecken, damit fürderhin jeder Zweifel ausgeschlossen bleibe, wo das Wissen aufhört und das Träumen anfängt. Oder kurz gesagt: Metaphysik ist „eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft". Es ist die kritische Aufgabe, die sich hier ankündigt.

Parallel mit dieser Wandlung der theoretischen Ansichten vollzieht sich in Kant auch eine Abkehr von der Ethik des Rationalismus. In der Schrift von 1764: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" schließt sich Kant ganz der psychologischen Moralbegründung der Engländer an, besonders jener Form, welche ihr Fr. Hutcheson in Fortbildung der Lehre Shaftesburys durch Annahme eines angeborenen ,,moralischen Sinnes" gegeben hatte. Demgemäß begründet hier auch Kant die moralischen Phänomene auf ein „Gefühl von der Würde und Schönheit der menschlichen Natur". Viel nachhaltiger aber noch war der Einfluß, den zu dieser Zeit Kant durch Rousseau erfuhr, der im Gegensatz zum Intellektualismus und moralischen Sokratismus der Aufklärungszeit leidenschaftlich die Rechte des Gefühls verfochten hatte. In dem Handexemplar seiner oben genannten Schrift hat er die Umstimmung, welche er damals durch diesen radikalen Kritiker der Kultur und Bildung seiner Zeit erfahren hat, mit oft bemerkten Worten eingetragen: „Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen. Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles könnte die Ehre der Menschheit machen, und ich verachtete den Pöbel, der von nichts weiß. Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendete Vorzug verschwindet; ich lerne die Menschen ehren, und würde mich viel unnützer finden als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daß diese Betrachtung allen übrigen einen Wert geben könnte, die Rechte der Menschheit herzustellen." Dieser Vorrang des Moralischen vor dem bloß Intellektuellen bildete

von nun an einen festen Punkt in Kants Denken und kommt später in dem „Primat" der praktischen Vernunft vor der theoretischen zu systematischem Ausdruck.

Ebenso vollzieht sich während der empiristischen Entwicklungsphase selbst eine Wandlung in Hinsicht der Stellung Kants zu den üblichen Gottesbeweisen. An dem Glauben: „Es ist ein Gott" hat Kant wohl immerdar festgehalten. Aber während er in der „Naturgeschichte und Theorie des Himmels" noch am kosmologischen und teleologischen Gottesbeweis festhielt, beginnt er jetzt an ihrer Tragfähigkeit zu zweifeln. In der Schrift vom Jahre 1763: „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes" unternimmt er es zwar, an ihre Stelle einen rein dialektischen Beweis für die Existenz eines absolut_notwendigen Wesens zu setzen, fügt aber am Schlusse die Bemerkung hinzu: „Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht ebenso nötig, daß man es demonstriere." In den „Träumen“ steht er aber bereits ganz auf dem Standpunkte, daß nur ein ,,moralischer Glaube" uns den Zugang zum Übersinnlichen eröffne und daß es der menschlichen Natur und der Reinigkeit der Sitten gemäßer sei,,,die Erwartung der künftigen Welt auf die Empfindungen einer wohlgearteten Seele, als umgekehrt ihr Wohlverhalten auf die Hoffnung der anderen Welt zu gründen21". Auch in diesem Punkte hat Kant seine Ansicht nicht mehr geändert.

[ocr errors]

4. DIE WENDUNG ZUM KRITIZISMUS

[ocr errors]

Die,,Träume" bezeichnen einen Höhepunkt in Kants philosophischer Entwicklung, der auch den Hauptwerken gegenüber seinen selbständigen Wert bewahrt. Alle fruchtbare Erkenntnis das ist ihr Grundgedanke- beruht auf Erfahrung; dort, wo diese nicht mehr ausreicht wie in der Metaphysik —, ist entschlossener Verzicht besser als selbstgefälliges Spiel mit einem Scheinwissen. Kants Standpunkt ist somit in dieser Zeit ein erklärter Agnostizismus in Hinsicht jeder nicht empirisch begründbaren Erkenntnis. Darin sollte nun mit Ende der sechziger Jahre abermals eine Wandlung eintreten: „Das Jahr 69 gab mir großes Licht", heißt es in einem Nachlaßzettel des Philosophen. Dieses neue Licht bestand in der deutlichen Scheidung von Sinnenwelt und Verstandeswelt und der Annahme einer dementsprechend geteilten Struktur unseres Erkenntnisvermögens. Ohne Zweifel war

[ocr errors]

hierin mittelbar der Einfluß wirksam, den Kant von dem erst damals posthum erschienenen erkenntnistheoretischen Hauptwerke Leibnizens: „Nouveaux essais sur l'entendement humain“, 1765, empfangen hatte, in welchem sich Leibniz von seinem rationalistischen Standpunkte aus mit dem Lockeschen Empirismus in gründlichster Weise auseinandersetzt. Im besonderen scheinen es Raum- und Zeitprobleme ähnlich jenen gewesen zu sein, welche später unter dem Namen „Antinomien“ wieder auftauchen, die Kant jene Lösung suchen ließen 22. Darauf weist auch hin, daß er ein Jahr vorher in der kleinen Schrift: „Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume", 1768, ausgehend von der Unmöglichkeit, symmetrische, aber inkongruente Raumgebilde (wie z. B. Spiegelschrift, rechte und linke Körperhälfte u. dergl.) begrifflich auseinanderzuhalten, im Sinne Newtons und gegen Leibniz die Annahme verteidigt hatte, „daß der absolute Raum unabhängig von dem Dasein aller Materie und selbst als der erste Grund der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung eine eigene Realität habe“. Im Zusammenhang damit scheint ihm aber nun das Anwendungsproblem der Mathematik in seiner ganzen Schwierigkeit zum ersten Male deutlich geworden zu sein: wenn der Raum wirklich eine absolute, von seiner Erfüllung ebenso wie von unserem Geiste unabhängige Realität ist, wie ist es dann zu verstehen, daß die Sätze der Geometrie, welche doch nicht der Erfahrung entspringen, von ihm und allem in ihm Befindlichen gelten sollen? Oder kurz: wie vereint sich die Unabhängigkeit der Mathematik von der Erfahrung mit ihrer Anwendbarkeit auf das Wirkliche? Die Antwort auf diese Fragen, welche Kant hier findet, blieb für ihn eine endgültige: Raum und Zeit sind zwar von der sie erfüllenden,,Materie" unabhängig, nicht aber vom erkennenden Geiste. Sie sind weder bloße Verhältnisvorstellungen (Leibniz) noch metaphysische Wesenheiten (Newton), sondern die Anschauungsformen unserer eigenen Sinnlichkeit, daher auch alles in ihnen Erscheinende den Gesetzen unseres Geistes gemäß sein muß. Daraus ergeben sich Folgerungen, welche im übrigen ganz in der Ebene der Leibnizischen Erkenntnistheorie liegen. Wenn Raum und Zeit nur allgemein menschliche Auffassungsformen des Wirklichen sind, so ist auch das in ihnen angeschaute Wirkliche nicht ein wahrhaft oder metaphysisch Wirkliches, sondern nur das phänomenale Gegenbild einer höchstens im reinen Denken zu erfassenden noumenalen Realität. So scheiden sich zwei

Welten entsprechend den beiden Zweigen unseres Erkenntnisvermögens: die Welt der Erscheinungen, entsprechend unserer Sinnlichkeit, und die Welt des wahren Seins, entsprechend unserem Verstande und unserer Vernunft.

Diese Gedanken sind niedergelegt in der 1770 erschienenen Inauguraldissertation, mit welcher Kant sein Amt als Professor antrat: „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis". Sie sucht durch klare Unterscheidungen zwischen Rationalismus und Empirismus zu vermitteln. Weder sind unsere Begriffe nur umgebildete Wahrnehmungen (wie der Sensualismus will), noch auch ist unser sinnliches Vorstellen bloß ein unklares und verworrenes Denken (wie der Rationalismus behauptet), sondern Sinnlichkeit und Verstand sind spezifisch und nicht bloß gradweise verschiedene Zweige unseres Erkenntnisvermögens. Die Sinnlichkeit als Organ der Erfahrung verhält sich ausschließlich passiv oder rezeptiv, der Verstand als Organ des Denkens verhält sich aktiv oder spontan. Damit durchkreuzt sich die (mit J. H. Lambert geteilte) Unterscheidung von Form und Stoff unserer Erkenntnis: Stoff der Sinnlichkeit sind die wechselnden Empfindungen, ihre Formen sind Zeit und Raum; Stoff der Verstandeserkenntnis sind die so geformten sinnlichen Vorstellungen, ihre eigenen Formen sind gewisse allgemeinste Begriffe (Kategorien), wie Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit, Substanz, Ursache u. dergl. samt ihren Korrelaten 23. Von Leibniz unterscheidet sich Kant hier vor allem darin, daß er diese Grundkategorien des Verstandes nicht als ,,angeborene Begriffe" (conceptus connati), sondern nur als in unserem Geiste ursprünglich angelegte Gesetze (leges menti insitae) gelten läßt, deren Kenntnis wir erwerben, indem wir den Handlungen unseres Geistes in seiner Bearbeitung des Erfahrungsstoffes aufmerksam folgen. Mit Leibniz aber verbindet ihn die platonisierende Scheidung der zwei Welten und die Voraussetzung, daß jenen Kategorien außer dem „,usus logicus" (in der Bearbeitung der Erfahrung) auch noch ein,,usus realis" zukomme, der gestatte, mit ihrer Hilfe in die Welt des wahrhaft Seienden einzudringen. So konnte Kant damals noch lehren, „daß die sinnlichen Vorstellungen die Dinge geben, wie sie erscheinen, die Verstandesbegriffe aber so, wie sie sind24" Die Dissertation von 1770 enthält so zwar bereits die neue Lehre von der Idealität des Raumes und der Zeit, welche zu einem wichtigen Bestandstück auch des kritischen Systems

« PreviousContinue »