Page images
PDF
EPUB

brauchbar hauptsächlich für Deutschlands kritische Philosophen" (1800) Kant vorwirft, er habe die Vernunft als subjektives Tun der Intelligenz psychologisiert. Seiner eigenen Lehre nach ist das substanzlose Denken, also eine unpersönliche Weltlogik, das eigentliche Wesen der Dinge, welches in den Naturgesetzen in die Erscheinung tritt. Dieses das Weltall durchdringende Denken wird im Menschen subjektiv und kommt dadurch zum Bewußtsein seiner selbst. Das Inhaltliche und Stoffliche dieses subjektiven Denkens seine,,Materiatur“ - stammt aus dem ,,animalischen Bewußtsein", aus einem dunklen Lebensgrunde, der das Irrationale für Bardili darstellt. Es,,ist" aber als solches nicht, sondern muß vorerst im Denken,,zernichtet" werden, um Existenz zu gewinnen. Wenn Beck mit seiner Lehre vom,,ursprünglichen Vorstellen" als ein Vorläufer Fichtes angesehen werden kann, so weist Bardilis „,rationaler Realismus“ bereits ganz in die Richtung auf Hegel. Im ganzen läßt sich sagen, daß von diesen Männern eine sehr anerkennenswerte Denkarbeit geleistet worden ist, welche durch die blendendere Erscheinung Fichtes mit Unrecht bald in Vergessenheit geriet, während doch Fichte selbst ohne sie gar nicht zu verstehen wäre 210.

5. SCHILLER UND GOETHE

Schiller war ein von Natur aus philosophisch veranlagter Geist, der lange schon um eine ihm adäquate Weltanschauung gerungen hatte, als er endlich in der Philosophie Kants die ihm gemäße Erfüllung fand. Schon auf der Karlsschule in Stuttgart wurde er mit Rousseaus Ideen bekannt, dessen Begeisterung für die Freiheit und Würde des ursprünglichen Menschen in die,,Räuber“ überstrahlte. Ebenso lernte er frühzeitig Shaftesbury kennen, dessen ästhetisierende Moralphilosophie nicht ohne Einfluß auf die spätere Gestaltung seiner ethischen Grundanschauung blieb. Durch seinen Lehrer, den Eklektiker Jakob Friedrich Abel, wurde er außerdem in die Leibniz-Wolffische Philosophie eingeführt, in deren Gedankenkreis sich auch die Popularphilosophen Sulzer, Mendelssohn und Garve bewegten, mit denen sich Schiller aus eigenem Antriebe beschäftigte. Das Studium der Medizin führte ihn zunächst auf das Problem der Beziehung des Seelischen und Leiblichen. Ihm ist Schillers erste literarische Veröffentlichung

gewidmet:,,Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit der geistigen" (1780), in welcher er im Sinne der prästabilierten Harmonie eine Art psychophysischen Parallelismus vertritt:,,Die Tätigkeiten des Körpers entsprechen den Tätigkeiten des Geistes." Das bedeutendste philosophische Dokument der vorkantischen Zeit sind aber die ,,Philosophischen Briefe" (Thalia 1786) mit der in ihnen enthaltenen,,Theosophie des Julius". Der Briefwechsel zweier Freunde, Julius und Raphael, spiegelt den Kampf zweier Weltanschauungen wider, welchen Schiller selbst als Rückwirkung seines Medizinstudiums in sich erlebt haben mochte. Hinter Julius, dem Vertreter des Idealismus und Optimismus, verbirgt sich der jugendliche Schiller, hinter dem Decknamen Raphael sein Freund Gottfried Körner in Leipzig, der Vater des Dichters Theodor Körner. Der unmittelbare Anteil des letzteren, der hier als Anwalt des Materialismus und Atheismus auftritt, ist im einzelnen nicht sicher; nur der letzte Brief stammt zweifellos in seiner Gänze von ihm. Die Grundanschauung der ,,Briefe" ist ein Pantheismus von anziehender Liebenswürdigkeit und sinniger Gedankentiefe. Wie der Künstler in seinem Werke, so offenbart sich die Gottheit im Ganzen der Dinge:,,das Universum ist ein Gedanke Gottes". Daher erkennen wir auch Gott in der Schönheit und Harmonie des Alls, wie wir die Seele des Künstlers in dem von ihm geschaffenen Bildnisse Apolls erkennen, und jeder Fortschritt der Naturerkenntnis (das Gesetz der Gravitation, die Entdeckung des Blutkreislaufes, das System Linnés) enträtselt uns wieder einige jener Hieroglyphen, in denen das Buch der Schöpfung geschrieben ist. Die Natur ist somit nicht tote, unbeseelte Materie, sondern ein Widerschein des Geistes; sie ist selbst Seele, Leben, Gott, eine große Theophanie. Die Natur ist aber auch ein ,,unendlich geteilter Gott", eine Spaltung und Vervielfältigung des ewig Einen. Für die Rückkehr der Wesen zur göttlichen Ureinheit gibt uns die Natur selbst einen Fingerzeig, indem sie uns zeigt, daß die Einheit der körperlichen Gestalt ein Werk der Anziehung der Elemente ist. Es gibt aber auch eine Anziehung der Geister und diese heißt Liebe. Die Liebe ist so nichts anderes als ein Widerschein der alles durchwaltenden kosmisch-göttlichen Urkraft in den einzelnen Seelen. Unendlich vervielfältigt gedacht, müßte dieser

,,mächtige Magnet in der Geisterwelt" zuletzt wieder alle Wesen zusammenführen und ihre ursprüngliche Einheit im Göttlichen wiederherstellen. Der Sinn dieser Trennung und Wiederfindung ist aber, daß der große Weltenmeister“ nur in einer Vielheit bewußter Geister sein Wesen widerzuspiegeln vermag: nur ,,aus dem Kelch des ganzen Wesensreiches schäumt ihm die Unendlichkeit“.

Durch Körner wurde Schiller auch zuerst auf Kant aufmerksam gemacht. Die kleinen geschichtsphilosophischen Schriften hatte er schon 1787 aus der ,,Berliner Monatsschrift“ kennengelernt, seit 1791 begann er die Kantischen Hauptwerke zu studieren und zwar zuerst die „Kritik der Urteilskraft". In einem Briefe an Goethe von 1794 bekennt er sich offen zum „,Kantischen Glauben", den er ,,mit Freuden in sich aufgenommen hatte". Wie Reinhold und Fichte war auch Schiller vor allem von der ethischen Seite her für Kant gewonnen worden, welche bei den ersten Kantianern sonst merkwürdig wenig Beachtung gefunden hatte. Zwar ist er auch zu vollem Verständnisse der theoretischen Philosophie Kants vorgedrungen, er hat aber diese Seite selbst nicht weiter ausgebaut 211. Ein um so stärkeres Echo fand Kants Ethik in Schillers gleichgestimmter Seele. Er, dem Goethe nachsagte:,,Und hinter ihm in wesenlosem Scheine lag, was uns alle bändigt, das Gemeine", mußte in der Hoheit und Reinheit der Kantischen Moral einen Ausdruck seines eigenen Wesens wiederfinden. Und nicht zuletzt war es die Vereinbarkeit der sittlichen Autonomie mit der Naturgesetzlichkeit, die ihn anzog, weil sie ihm die Lösung seiner früheren Zweifel versprach. Es sei, so meint er, von einem Sterblichen kein größeres Wort noch gesprochen worden als dies Kantische:,,Bestimme dich selbst." Aber so freudigen Herzens er diese Kantischen Gedanken in sich aufnahm, so lag in ihnen doch etwas, das ihn als Menschen und Dichter nicht voll befriedigte und ihn nicht sowohl zu ihrer Abänderung als zu ihrer Ergänzung antrieb. Der moralische Mensch Kants stellt ja . in der Tat nicht das Ideal vollendeten Menschentums dar, sondern nur eine Stufe relativer Vollkommenheit: nicht die sieghafte, sondern die kämpfende Tugend. Vor allem aber waren es die Lehre vom Radikalbösen und gewisse unnötige Härten der,,Tugendlehre", welche ihn abstießen 212. „Es ist immer" so schreibt er darüber an Goethe ,,noch

etwas an ihm (Kant), was, wie bei Luther, an einen Mönch erinnert, der sich sein Kloster geöffnet hat, aber die Spuren desselben nicht ganz vertilgen konnte." Dieser Eindruck war die psychologische Ursache, daß sich ihm, wie bereits erwähnt, auch das Bild des Kantischen ,,Rigorismus“ zeitweise verschob, obwohl er hier grundsätzlich mit Kant durchaus einig war. Denn auch er war der Ansicht, daß eine ästhetische Gefühlsmoral die Sittlichkeit,,in ihren Quellen vergiften" müßte und daß auch das reine strenge Streben nach dem Schönen den Rigorismus im Moralischen mit sich führe. Kant wurde, wie er dem Sinne nach ganz richtig deutet, nur deshalb zum Drakon seiner Zeit, weil sie ihm eines Solons noch nicht wert und empfänglich schien. Was Schiller nicht will, ist nur, daß die methodisch gerechtfertigte Spannung zwischen Pflicht und Neigung, Moral und Natur als das schlechthin Höchste überhaupt angesehen und im Leben der Einzelseele sozusagen in Permanenz erklärt werde. In den Schriften des Jahres 1793: ,,Über Anmut und Würde" und ,,Vom Erhabenen" sucht er daher diese Zwiespältigkeit des sittlichen Bewußtseins auf gewisse unvermeidliche Ausnahmsfälle einzuschränken. Besteht die sittliche Würde in der Erhebung über die Natur, so müßte die sittliche Anmut den harmonischen Einklang beider bedeuten. Eine Seele, zu deren beständigem Wesen diese Harmonie gehörte, wäre eine „,schöne Seele": ,,Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen." Die schöne Seele der Begriff stammt von Platon, wurde aber auch von Shaftesbury übernommen und findet sich wieder bei Wieland hat so ihren Wert nicht in dem, was sie tut, sondern in dem, was sie ist. Nicht bloß ihre Handlungen sind sittlich, sondern ihr ganzes Wesen ist es. Ihr Ausdruck in der Erscheinung ist die Grazie. Anmut läßt sich nun allerdings nur in solchen Gemütslagen erwarten, welche innerhalb der Grenzen der menschlichen Natur liegen. Es können aber auch an den Menschen Entscheidungen herantreten, welche an die Grenze seines Könnens heranreichen: hier tritt in der Erhabenheit des Charakters die Würde an ihren Platz. Denn hier gilt

-

[ocr errors]

es nicht mehr schön, sondern groß zu handeln: „Die schöne Seele muß sich also im Affekt in eine erhabene verwandeln, und das ist der untrügliche Probierstein, wodurch man sie von dem guten Herzen oder der Temperamenttugend unterscheiden kann." Hier erhebt sich also der Mensch über das Natürliche zur ,,Geistesfreiheit“, indem er es durch moralische Kraft einer höheren Pflicht unterordnet. Welche von beiden, Anmut oder Würde, höher stehe, wagt Schiller nicht zu entscheiden. Sicher ist, daß ihm in Durchschnittsfällen die Anmut, in Grenzfällen die Würde als das Angemessene erscheint, ihre Vereinigung in derselben Person aber den Ausdruck vollendeter Menschheit bedeutet:,,Sie steht da, gerechtfertigt in der Geisterwelt und freigesprochen in der Erscheinung."

66

Freiheit in der Erscheinung ist aber gleichbedeutend mit Schönheit. Daher besteht zwischen Schönheit und sittlicher Freiheit ein Band innerer Verwandtschaft und die ästhetische Bildung müßte somit durch ihre Verfeinerung, Veredlung und Vergeistigung der Sinnlichkeit gar wohl geeignet sein, der höchsten Bestimmung des Menschen die Wege zu bereiten. Diesem Gedanken sind die Briefe,,Über die ästhetische Erziehung des Menschen" (Horen, 1793/94) gewidmet, welche ihren Ursprung einem tatsächlichen Briefwechsel mit dem Herzoge von Augustenburg verdanken, aber unvollendet geblieben sind. Sie verraten bereits den Einfluß Fichtes, an dessen ganzer Persönlichkeit ihm aber mehr der,,Gehalt" als die,,Form" zusagte. Der Grundgedanke ist, daß der Weg zur Freiheit durch die Schönheit führe. Die harmonische Bildung des Griechentums hat in unserer Zeit einem tiefen Zwiespalt von Geist und Natur, Vernunft und Sinnlichkeit, Reflexion und Instinkt Platz gemacht, dessen Ausdruck auch eine Moral ist, welche die Aufopferung der sinnlichen Natur zugunsten des sittlichen Charakters fordert. Der Fortschritt der Gattung mag dadurch befördert werden, der einzelne aber wird durch eine solche Dissonanz erdrückt und verstümmelt: er hört auf, ein ganzer Mensch zu sein. Die Wiederherstellung jener Einheit verspricht sich Schiller von einer ästhetischen Erziehung der Menschen: „,Wo du sie findest, umgib sie mit edlen, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die

« PreviousContinue »