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das von Claudius so genannte,,Spinozabüchlein“, in dem er Lessings Bekenntnis zum Spinozismus gegen Mendelssohn verficht. In den Schriften: ,,David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus" (1787) und,,Abhandlung über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen" (1802) sucht er zu zeigen, daß der folgerichtig zu Ende gedachte transzendentale Idealismus unvermeidlich zu einem absoluten Idealismus, ja zum reinsten Illusionismus führe. Jacobi tritt an Kant dabei mit der Voraussetzung heran, daß nur die Erfassung einer vom Bewußtsein unabhängigen Wirklichkeit unseren Erkenntniswillen wahrhaft zu befriedigen vermag. Kants Erfahrungstheorie gipfle aber gerade darin, daß wir niemals in diesem Sinne etwas zu ,,erfahren" vermögen: wir verlassen ihr zufolge nirgends den Kreis unseres Bewußtseins und kommen an keinem einzigen Punkte mit einer transzendenten Realität in Berührung. Kant mochte diese gefährliche Wendung zu einem erkenntnistheoretischen Nihilismus bemerkt haben und ließ deshalb das Ding an sich als realistischen Rest in seinem Systeme bestehen. Dieser Begriff ist aber mit der Beschränkung der Kategorien auf das Phänomenale unvereinbar'. Daher hört die Kritik durch die Lehre von dem doch unerkennbar bleibenden Dinge an sich nicht auf, nihilistisch zu sein, sie wird dadurch nur zweideutig und widerspruchsvoll. Ohne die realistische Voraussetzung von Dingen an sich kann man in Kants Lehre nicht hineinkommen, mit ihr nicht darin bleiben. Der transzendentale Idealist wird daher den Mut haben müssen, diesen Begriff gänzlich fallen zu lassen. Was dann aber zurückbleibt, ist der stärkste Idealismus, der je behauptet worden ist: die ganze Welt wird zu einem bloßen Traume des Denkenden. In einem zweifachen Hexenkessel, Raum und Zeit, spuken Erscheinungen, in denen nichts erscheint, denn die wirklichen Dinge sind unfaßbar, die Erscheinungen aber sind nichts Wirkliches, sondern „Gespenster durch und durch". Die Kantische ,,Vernunft" nimmt nur sich selbst wahr, wie ein Auge, das nur sich selbst sehen, oder ein Ohr, das nur sich selbst hören würde. Die Seele stellt vor, aber nicht, was sie selbst und andere Dinge sind, sondern gerade, was weder sie noch die anderen Dinge sind. So schwebt das sogenannte,,Erkennen" bei Kant zwischen einem problematischen X von Subjekt und einem

ebenso problematischen Y von Objekt hilflos in der Mitte. Der Idealist, der so keine anderen Objekte mehr kennt als seine eigenen Vorstellungen, muß notwendig in einen träumenden, dem Somnambulismus ähnlichen Zustand verfallen. Jacobi, der so mit Unrecht die Aussagen der Transzendentalphilosophie in den Standpunkt des empirischen Bewußtseins hineinverlegt, kommt daher zu dem Schlusse, daß Kants Kritizismus nichts anderes sei als ein verschleierter Skeptizismus, der, folgerichtig zu Ende gedacht, in einen absoluten Nihilismus auslaufe. Gleichwohl ist er überzeugt, daß Kants Lehre nach Beseitigung der Dinge an sich einen unangreifbaren und unwiderleglichen Standpunkt darstelle. Das gleiche gilt aber auch von dem Naturalismus Spinozas, sofern man ihm seine Voraussetzungen zugibt. Hebt jedoch der Idealismus die Realität der Dinge auf, so der Naturalismus die Realität Gottes und der menschlichen Freiheit. Wenn aber die sich selbst überlassene Verstandesphilosophie zu so unerträglichen Ergebnissen führt, welche allen Bedürfnissen unseres Gemütes ebenso widerstreiten wie dem unmittelbaren Gefühle, so kann sie nicht der richtige Weg zur Wahrheit sein. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Der wahre Sinn alles Erkennens ist doch:,,Dasein enthüllen oder offenbaren". Da sich der Weg der Reflexion dafür als ungeeignet erwiesen hat, bleibt nur der des gefühlsmäßigen, instinktiven Fürwahrhaltens, der uns eine unmittelbare Offenbarung der sinnlichen wie der übersinnlichen Welt verspricht. In Hinsicht der Körperwelt begleitet uns im Leben ein biologisch notwendiger Glaube (Humes,,belief"), der uns mit instinktiver Sicherheit der Realität unserer Wahrnehmungen gewiß macht und ohne den wir weder,,zu Tisch noch zu Bett" gehen könnten. In diesem gefühlsmäßigen Vertrauen in unsere Sinne befinden wir uns, wie seine Erprobung in der Erfahrung zeigt, der Wahrheit näher, als wenn wir verstandesmäßig philosophieren. Kant hatte daher ganz recht in der Beschneidung der Verstandeserkenntnis, unrecht aber in Hinsicht der Sinnlichkeit. Und wie sich in den Sinnen unmittelbar die transzendente Realität der Dinge kundtut, so in der Vernunft die Gewißheit einer übersinnlichen Welt. „,Vernunft" kommt, wie Jacobi entdeckt, von,,vernehmen" und ist also ein im Gefühl sich offenbarendes Vermögen un

mittelbarer Wahrnehmung des Übersinnlichen. Auf diesem ,,Geistesgefühl beruht der intuitive und darum unerschütterliche Glaube an das Metaphysische. Kant war ganz im Recht, daß das Dasein Gottes nicht,,bewiesen" werden könne, aber jene innere Stimme enthält eine höhere Weisheit als alles beweisbare Wissen. Gott lebt in unserem Herzen, nicht in unserem Verstande! Daher nennt sich auch Jacobi einen,,Heiden mit dem Verstande" und einen „Christen mit dem Gemüte“. Damit war unter einem anderen Namen wieder alles gerettet, was Kants Kritik zu zerstören schien, und viele, die sich mit der wissenschaftlichen Strenge Kants nicht zu befreunden vermochten, schlossen sich mit Begeisterung an Jacobi an und erblickten in seiner Lehre einen Freibrief für jede Gefühlsschwärmerei. Kant hat in einer eigenen Schrift: „,Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie" (1796) gegen diesen Einbruch eines unkontrollierbaren Glaubensprinzipes in die Philosophie protestiert. Auch Goethe wollte von diesem ,,Kopfüber aus der Philosophie in den Glauben" nichts wissen. Als dann gar Jacobi in der Schrift:,,Von den göttlichen Dingen" (1811) Schelling in denunziatorischer Absicht des heuchlerischen Gebrauches theistischer und christlicher Ausdrücke in pantheistischem Sinne beschuldigte, hob er die Freundschaft mit ihm auf.

Dieser Richtung steht der schon einer späteren Zeit angehörende Jakob Friedrich Fries (1773-1843) insofern nahe, als auch er,,Ahndungen" im Sinne einer,,Überzeugung nur aus Gefühlen ohne bestimmten Begriff" annimmt. Sie sollen zwischen dem nur auf die Erscheinungen beschränkten Wissen und dem Glauben an die metaphysischen Ideen vermitteln, indem sie uns im Endlichen gefühlsmäßig das Unendliche wiederfinden lassen. Ihre Funktion ist also wesentlich ästhetisch-symbolischer Art. An Selbständigkeit des Denkens und philosophischer Kraft steht übrigens Fries hoch über den früher genannten Männern. Er hat, wenn auch in geänderter Form, die Kantische Lehre am treuesten bewahrt. Seine Einwände gegen Kant sind wesentlich methodologischer Natur. Bei Kant vermißt Fries nicht mit Unrecht eine Erörterung der erkenntnistheoretischen Grundlage der Vernunftkritik selbst. Ist, so fragt er sich, jene Selbsterkenntnis der Vernunft,

welche die Transzendental philosophie ausmacht, selbst wieder ein Wissen a priori oder a posteriori, metaphysischer oder psychologischer Art? Von den Anschauungs- und Denkformen, von den Urteilsprozessen, Ideen und dem ganzen Rüstzeug der Vernunftkritik würden wir aber gar nichts wissen, wenn uns nicht die innere Erfahrung und Selbstbeobachtung darüber belehren würde. Erst auf Grund dieser empirischen Kenntnisnahme ist es möglich, auf dem Wege der Reflexion und Abstraktion die letzten Bedingungen der Erkenntnis überhaupt abzuleiten. Kurz: „Die Kritik der reinen Vernunft ist eine auf Selbstbeobachtung ruhende Erfahrungswissenschaft 203." Das ist nicht so zu verstehen, als wenn die Vernunftkritik durch eine Erkenntnispsychologie ersetzt werden sollte, denn auch Fries ist der Ansicht, daß es widersinnig sein würde, die Geltung der Verstandesgesetze auf Regeln der empirischen Psychologie zu gründen. Gemeint ist nur, daß die Vernunftkritik eines psychologischen Unterbaues bedarf und ihr daher eine Anthropologie der Erkenntniskräfte vorauszugehen habe. Da auch Kant gelehrt hatte, daß alle Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, steht Fries auch darin zu ihm in keinem prinzipiellen Gegensatze. Fries hat seine Lehre in der ,,Neuen Kritik der Vernunft" (1807) und zahlreichen anderen Schriften niedergelegt. Er nahm, zuerst als Professor in Heidelberg und dann in Jena wirkend, auch lebhaften Anteil an der studentischen Bewegung seiner Zeit und an dem Kampfe gegen die nach den Freiheitskriegen in Deutschland einsetzende Reaktion.

4. GEGNER UND FORTBILDNER KANTS

Der scharfsinnigste unter den ersten Gegnern Kants und zugleich jener, der am tiefsten in das Verständnis seines Werkes eingedrungen war, ist ohne Zweifel Gottlob Ernst Schulze (1761-1833), Professor zuerst an der Universität in Helmstedt und nach deren Aufhebung in Göttingen. Hier wurde er der einflußreichste Lehrer Schopenhauers, den er zuerst auf Kant hinwies. Denn bei aller Rückhaltslosigkeit der Kritik war Schulze doch ein aufrichtiger Schätzer und Bewunderer Kants, was auch in der streng sachlichen und stets vornehmen Art seiner Polemik zum Ausdruck kommt. Sein kritisches Hauptwerk führt

den Titel:,,Aenesidemus oder über die Fundamente der von Herrn Professor Reinhold gelieferten Elementarphilosophie nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik“ (1792, Neudruck 1911). Da es anonym erschien, bürgerte sich schon frühzeitig der Gebrauch ein, den Verfasser kurzweg als „,Aenesidemus" zu bezeichnen. Eine Darlegung seiner eigenen Lehre gibt die ,,Kritik der theoretischen Philosophie" (1801), welche gleichfalls im ersten Bande eine Darstellung und im zweiten eine Kritik des Kantischen Systems enthält. Der Leitgedanke Schulzes ist, daß der Gebrauch, den die Transzendentalphilosophie vom Begriffe der Kausalität macht, in Widerspruch steht mit ihrer eigenen Auffassung der Kausalität als eines immanenten Prinzipes und daß sie sich somit selbst aufhebt. Seine Angriffe lassen sich in drei Punkte zusammenfassen. Erstens: Kant will aus der Tatsache der Erkenntnis auf ihre Bedingungen schließen. Er setzt also voraus, daß sie solche Bedingungen habe, daß somit der Satz der Kausalität gelte. Er nimmt somit als selbstverständlich an, was die Kritik erst untersuchen soll. Höchstens ließe sich sagen, daß wir solche Bedingungen denken müssen. Kant schließt aber aus dieser Notwendigkeit des Gedachtwerdens auf die reale Existenz jener Bedingungen. Genau so hatte auch die dogmatische Metaphysik geschlossen: aus der Notwendigkeit des Denkens auf die Notwendigkeit des Seins. Daher steht hier Kant, der Kritiker des Ontologismus, selbst im Banne eines ontologischen Vorurteils und somit nicht nur mit Hume, sondern auch mit sich selbst im Widerspruch. Zweitens: Die Dinge an sich gelten als die Ursache der transzendentalen Affektion. Gleichzeitig wird aber gelehrt, daß die Kategorien nur immanente Bedeutung besitzen. Daher dürfte man von Dingen an sich weder sagen, daß sie wirklich sind (Kategorie des Seins und der Realität), noch daß sie wirken (Kategorie der Kausalität). Sagt man aber, die Dinge an sich wären ein bloßer Gedanke, so gesellt sich zur ersten Ungereimtheit noch die zweite, daß nun einem bloß,,logischen Ding" oder gleichsam der bloßen,,Kategorie der Rezeptivität“ reale Wirkungen zugeschrieben werden müßten. Kurz: durch die ganze Lehre von den Dingen an sich widerspricht die Transzendental

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