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sind, ist die Tatsache, daß es überhaupt,,Vorstellungen" gibt, oder die Tatsache des Bewußtseins. Sie muß daher an den Anfang jeder weiteren Untersuchung als schlechthin elementare Fundamentaltatsache gestellt werden. Die Tatsache des Bewußtseins erschöpft sich aber nicht im Auftreten bestimmter Vorstellungsinhalte schlechthin. Ihr Wesen besteht vielmehr in der eigentümlichen Bezogenheit der Vorstellungen einerseits auf ein Subjekt, andererseits auf ein Objekt des Vorstellens, von denen beiden wieder die Vorstellung als solche unterschieden wird. Ohne Vorstellung, ohne Subjekt und Objekt und ohne die Beziehung jener auf diese beiden gibt es kein Bewußtsein. Demgegenüber formuliert Reinhold seinen fundamentalen,,Satz des Bewußtseins":,,Die Vorstellung wird im Bewußtsein vom Vorgestellten und Vorstellenden unterschieden und auf beide bezogen 200." Reinhold sucht nun unter Aufnahme des Begriffspaares Stoff und Form nachzuweisen, daß sich alle Sätze der Transzendentalphilosophie aus der Durchführung dieses Grundsatzes als ebenso viele Arten, wie die Vorstellung mit Subjekt und Objekt in Verbindung gebracht wird, ableiten lassen. Das für die Folgezeit Wichtigste daran war, daß sich damit eine zwar eindeutigere, aber auch massivere Auffassung der Dinge an sich verband als bei Kant selbst. Sie werden hier als „Objekte" unseres Vorstellens und als stoffgebendes Prinzip zur ersten und unumgänglichen Voraussetzung der Transzendentalphilosophie. Als solche gelten sie, ihrer auch von Reinhold festgehaltenen Unerkennbarkeit ungeachtet, ihrer Existenz nach als be wiesen:,,Das Dasein der Gegenstände außer uns ist also ebenso gewiß wie das Dasein einer Vorstellung überhaupt 201," Im einzelnen versuchte Reinhold nicht ohne Glück manche Verbesserung der Kantischen Lehre - ihr Urheber fand sie,,hyperkritisch" so z. B. die Unterscheidung zwischen den apriorischen Formen, welche allen empirischen Vorstellungen als ihre transzendentale Bedingung vorhergehen, und der Vorstellung dieser Formen, welche uns erst durch innere Erfahrung gegeben wird. Auch für die Moralphilosophie versuchte Reinhold eine analoge Ableitung zu geben. Der Kantische Gegensatz von sinnlichem Trieb und Vernunftwillen wird als der eines Stoff- und eines Formtriebes gedeutet. Auf jenem beruht die Heteronomie des auf sinnliche Gegenstände ge

richteten Begehrens, auf diesem die Autonomie des sein eigenes Gesetz befolgenden Willens. Die Kantische Lehre war so in der Auffassung Reinholds in mancher Hinsicht scheinbar einfacher und durchsichtiger, aber auch um ebensoviel dogmatischer geworden, so daß sie in dieser veränderten Gestalt den Gegnern willkommene Angriffspunkte darbot.

3. GLAUBENSPHILOSOPHEN

Die Richtung der Glaubensphilosophie bedeutet eine schon vor Kant einsetzende Reaktion gegen die Aufklärung mit ihrer einseitigen Betonung des Verstandesmäßigen. Ihr gegenüber will sie die Rechte eines auf die Unmittelbarkeit des Gefühls gegründeten Glaubens an das Übersinnliche als einer jeder Reflexion vorhergehenden und ihr überlegenen Naturmacht zur Geltung bringen. Ihr Wesenszug ist also der Antirationalismus. Sie ist daher allem zu weit getriebenen Analysieren, jeder dualistischen Spaltung des menschlichen Geisteslebens, aber auch dem Streben nach allzu exakter Wissenschaftlichkeit in der Philosophie abhold. Die Männer dieser Richtung waren zumeist geneigt, sich allen Eingebungen ihres Gefühls kritiklos zu überlassen und in ihnen intuitive Ahnungen einer höheren Wahrheit zu sehen, als die ist, welche das diskursive Denken jemals zu erreichen vermöchte. Sie gingen vom unmittelbaren Erleben aus und wähnten, dessen Einheitlichkeit und,,Lebendigkeit" auch im Wissen wiederfinden zu können. Ihnen mußte daher die Vernunftkritik mit ihrer strengen Abgrenzung von Sinnlichkeit und Verstand, theoretischer und praktischer Vernunft, Wissen und Glauben ein Greuel sein und der kritisch denkende Kant als Gipfel der verhaßten Aufklärung gelten. Im Grunde war ihr Kampf gegen Kant aber ein Kampf gegen die Philosophie überhaupt und ihre naturgemäß intellektualistische Behandlung der metaphysischen Probleme. Die Hauptvertreter dieser Richtung waren Hamann, Herder und Jacobi; ihnen stand auch der Dichter Jean Paul in mancher Hinsicht nahe.

Johann Georg Hamann (1730-1788), Packhofverwalter in Königsberg und mit Herder, Kant, Jacobi und Hippel befreundet, war ein stark mystisch veranlagter, aber recht unklarer Geist, der wegen der gesucht dunklen Sprache seiner Schriften der,,Magus des Nordens" genannt

zu werden pflegt. Jacobi nannte ihn den,,Pan aller Widersprüche". Gleich nach Erscheinen der Vernunftkritik verfaßte er eine Gegenschrift gegen den,,kleinen Magister" (später nannte er ihn auch,,unseren Plato"):,,Metakritik über den Purismus der reinen Vernunft", die aber aus Rücksicht auf den befreundeten Philosophen zunächst unveröffentlicht blieb und erst nach dem Tode des Verfassers (1788) im Druck erschien. Hamann ist ein Gegner aller Abstraktionen, denen er die lebendige Wirklichkeit des unmittelbaren Erlebens, der Offenbarung, der Sprache und Tradition entgegenstellt. In das tiefe Mysterium, das uns allüberall umgibt, vermag nicht der immer nur an der Oberfläche der Dinge herumtastende Verstand, sondern allein Gefühl und Phantasie einzudringen, deren Organ der lebendige Glaube ist. Was man wahrhaft glaubt, braucht nicht bewiesen zu werden und ein Satz, der unumstößlich bewiesen wurde, braucht deshalb noch nicht geglaubt zu werden. Dieser aus dem eigenen Innern quellende,,Glaube“ vermischt sich ihm aber beständig mit dem Offenbarungsglauben des Christentums, dessen Mysterien (,,Pudenda“) er wieder zur Geltung bringen will. Daher galt er auch den Frommen als ein Prophet des Glaubens gegenüber der Aufklärung, und viele berauschten sich an seinen pathetisch vorgetragenen Orakelsprüchen voll mystischen Tiefsinns und unverständlicher Paradoxien. Kein Wunder, daß Kants Kritizismus nicht nach seinem Geschmacke war. Kants methodische Absicht miẞverstehend, bekämpft er vor allem die Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand, Stoff und Form: wozu die gewaltsame und eigensinnige Trennung dessen, was die Natur zusammenfügte? In Wahrheit finde ein beständiger Kreislauf statt, indem Anschauungen unablässig in die Vernunft emporsteigen und Begriffe wieder in die Sinnlichkeit hinabsinken. Die bloße Tatsache der Sprache widerlege Kants Theorie, denn in ihr gewinne die Vernunft sinnliche Existenz. Kurz: die ganze analytische Tendenz des Kantischen Philosophierens verstoße gegen die lebendige Wirklichkeit.

Johann Gottfried Herders (1744-1803) Weltanschauung wurzelt so wie die Hamanns in der gläubigen Frömmigkeit des Pietismus. In seiner Jugend ein Hörer Kants, geriet er bald unter den seiner Natur homogeneren Einfluß von Hamann und Rousseau, in dessen Gedanken

welt ihn Kant selbst eingeführt hatte. Durch Jacobi gewann er ein Verhältnis zu Spinoza, den er aber im Sinne seiner eigenen theistischen Grundanschauung sehr unklar und ganz unrichtig auslegte. Ihm ist der Gott Spinozas eine Urkraft oder Allkraft, welche sich in unendlichen Kraftwirkungen auf unendliche Weise offenbart, so daß ihre Lebendigkeit, Macht, Weisheit und Güte sich überall in der Lebendigkeit und Vollkommenheit des Universums spiegelt. Die Darlegung dieser Auffassung in,,Gott, Gespräche über Spinozas System" (1787) war auf Goethes Spinozismus von Einfluß. Herders philosophisches Hauptwerk sind die „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784-1791). Seine große Bedeutung liegt darin, daß hier, im Gegensatz zur Aufklärung, der historischen Betrachtung zum ersten Male ihr volles Recht gegeben wird, und in der Anwendung eines allerdings noch recht unklaren Entwicklungsgedankens auf die Menschheitsgeschichte. Der Grundgedanke ist, daß die Geschichte der Menschheit in Fortsetzung der Naturentwicklung von primitiven Anfängen allmählich zum Ideal vollendeter Humanität, d. i. der harmonischen Entfaltung aller Anlagen und Kräfte der menschlichen Natur hinaufführt. Im einzelnen finden sich manche feine Bemerkungen über den Zusammenhang der Vernunftentwicklung mit den natürlichen Lebensbedingungen des Menschen (Klima, Fauna, Flora, Gehirnbau, aufrechtem Gang, Besitz der Hände u. dgl.). Am wichtigsten ist, was Herder über die Sprache zu sagen weiß, welche unter Abweisung eines unmittelbar göttlichen Ursprungs als Produkt natürlicher Entwicklung und, wie von Hamann, als sinnliche Offenbarung der Vernunft aufgefaßt wird. Der gesunde Grundgedanke wird aber vielfach getrübt durch den theistisch-teleologischen Gesichtspunkt, daß Natur- und Menschheitsgeschichte durchwegs als das Werk eines allweisen und allgütigen Schöpfers aufzufassen seien, so daß die Entwicklung" eigentlich nichts anderes ist als die allmähliche Entfaltung jener Anlagen, welche Gott zu einem vorherbestimmten Zwecke von Anfang an in den Menschen, dieses vermittelnde Organ zwischen Erde und Himmel, gelegt hat. Sogar das Durchbrechen des Gesetzes der natürlichen Entwicklung durch ein nachträgliches Eingreifen Gottes wird nicht ausgeschlossen.

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Herders Denkweise gehört so noch ganz der vorkantischen Zeit an. Kant hatte die „Ideen" in der Allgemeinen Literaturzeitung" besprochen und gemeint, daß Herder sich oft mehr durch gemutmaßte als durch beobachtete Gesetze und mehr durch seine beflügelte Einbildungskraft als durch behutsam prüfende Vernunft leiten lasse. Herders empfindlichste Seite, seine Eitelkeit, wurde dadurch bis zur Erbitterung gereizt, die sich alsbald in zwei Kampfschriften gegen Kant Luft machte:,,Vernunft und Sprache, eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft" (1799) und,,Kalligone" (1800), die letztere gegen die Kritik der Urteilskraft gerichtet. Man kann an ihnen den hämisch ironisierenden Ton nur ebenso bedauern wie den gänzlichen Mangel eines Verständnisses für tiefere philosophische Probleme. Das relativ Beste daran, wie der Hinweis auf die Sprache als Band zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, ist von Hamann entlehnt. Die Region der reinen Vernunft wird einem,,Eishimmel" verglichen, die Kantischen Begriffe als ,,Letternphantasmen" bezeichnet, die Untersuchungen der Analytik als ,,öde Wüsten voll leerer Hirngeburten" und,,im anmaßendsten Wortnebel" vorgetragen. Es wird gefragt, wozu,,all das schwere Luftgewebe" eigentlich dienen soll, und vom transzendentalen Idealismus heißt es, daß wir von ihm ,,nichts erfahren als das Resultat der gemeinsten Erfahrung in der verworrensten Abstraktionssprache 202". Nicht weniger mißverständlich ist die Auffassung von Kants Ästhetik in der ,,Kalligone". Die Zweckmäßigkeit ohne Zweck wird als Zwecklosigkeit der Kunst, das harmonische Zusammenspiel der Erkenntniskräfte als ein „,kurz- oder langweiliges Spiel" im Gegensatz zum Ernst, das Wohlgefallen ohne Begriff als ein „Aburteilen ohne Grund und Ursache" gedeutet. Goethe wie Schiller haben für Kant und gegen Herder Partei ge

nommen.

Der philosophisch bedeutendste Vertreter dieser Richtung war Heinrich Jacobi (1743—1819), eine weiche, sentimentale Natur, aber nicht ohne Scharfsinn als Kritiker fremder Standpunkte. Aus dem Kaufmannsstande hervorgegangen, lebte er in wissenschaftlicher Muße auf dem Landgute Pempelfort bei Düsseldorf und später in München, wo ihn die 1807 neugegründete Akademie der Wissenschaften zu ihrem Präsidenten wählte. Von ihm stammt 18 Kant

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