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nur allzu deutlich an sich. Denn, wenn nun auch die einzelnen Staatsbürger unter sich in einem erträglich friedlichen Zustande leben, so besteht doch zwischen den Staaten untereinander der gesetzlose Urzustand weiter. Seine Folge sind die beständigen Kriege, welche nicht nur durch sich selbst, sondern auch durch die beständige Vorbereitung, welche sie erfordern, die Kräfte der Völker erschöpfen und wirkliche Kulturarbeit hindern. Das Völkerrecht, welches die Beziehungen der Staaten in und nach dem Kriege regeln soll, kann zwar verlangen, daß jeder Krieg nach solchen Grundsätzen geführt werde, daß immer ein Friede möglich bleibe, der nicht wieder den Keim zu neuen Kriegen enthält. Da über ihm aber keine souveräne Gewalt steht, welche seine Bestimmungen erzwingen könnte, so muß es gewalttätigen Staaten gegenüber notwendig machtlos bleiben. Derselbe Vorgang, welcher die Menschen allmählich aus Herdentieren zu Staatsbürgern machte, ist aber auch hier am Werke. Die Unerträglichkeit des beständigen Kriegszustandes muß endlich die Vernunft zu einer Abhilfe zwingen. Insofern also der Krieg selbst der Anlaß wird, daß die Staaten auch unter sich einem,,bürgerlichen" Zustande zustreben, kann auch er als ein,,Maschinenwesen der Vorsehung" gelten. Ein solcher Zustand kann aber nur in einem Staatenvereine oder allgemeinen Völkerbunde seine Verwirklichung finden. Sein Ideal wäre ein allgemeiner Völkerstaat, der zuletzt alle Völker der Erde in gleicher Weise unter Gesetzen zu vereinigen berufen wäre wie der Einzelstaat alle seine Bürger. Da seine Verwirklichung aber bis auf weiteres ja doch an dem Souveränitätsdünkel der Einzelstaaten scheitern würde, so müßte wenigstens in einem immer mehr sich ausbreitenden Friedensbunde ein Ersatz für ihn geschaffen werden. Möglich ist ein solcher nur unter Voraussetzung einer republikanischen Verfassung der Staaten. Denn nur dort, wo die Völker über ihr eigenes Wohl und Wehe mitzubeschließen haben, besteht wie Kant wenigstens meinte eine Gewähr dafür, daß Angriffs- und Präventivkriege ein für allemal unterbleiben, während in despotischen Staatsformen, wo sich das Oberhaupt gleichsam als Staatseigentümer fühlt, die Fürsten den Krieg,,wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen und der Anständig

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keit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen“ können. Unter dieser Voraussetzung wäre dann auch die Idee eines ewigen Friedens keine bloße Utopie mehr. Mag sie in Anbetracht der gegenwärtigen Weltlage auf den ersten Blick auch überschwenglich erscheinen, so ist sie doch eine notwendige Idee der Vernunft und ihr nachzustreben daher unsere Pflicht: Wir müssen so handeln, als ob das Ding (der ewige Friede) sei, was vielleicht nicht ist, auf Begründung desselben und diejenige Konstitution, die uns dazu die tauglichste scheint (vielleicht den Republikanismus aller Staaten samt und sonders), hinwirken, um ihn herbeizuführen und dem heillosen Kriegführen, worauf, als den Hauptzweck, bisher alle Staaten ohne Ausnahme ihre inneren Anstalten gerichtet_haben, ein Ende zu machen." Von der republikanischen Denkart in Verbindung mit der Ausbreitung des Handels und Verkehrs unter den Völkern erwartet Kant auch ein allmähliches Emporkommen einer wahrhaft weltbürgerlichen Gesinnung, während das sogenannte Weltbürgerrecht nicht mehr als ungehinderte Freizügigkeit in allen Staaten verlangen kann. Der Weg zur Lösung dieser großen Aufgabe kann nicht plötzlich und auf einmal gefunden werden. Sie ist ein Ideal, welches uns die Vernunft vorsteckt, dem wir uns aber nur in dem Maße zu nähern vermögen, als wir in uns selbst die Bedingungen seiner Verwirklichung schaffen. Höher als Kultivierung und Zivilisierung der Menschheit steht daher ihre allmähliche Moralisierung. Alle äußeren Verbesserungen vermögen nur die Legalität des Tuns allmählich zu steigern, moralisieren kann jeder nur sich selbst. Jeder einzelne ist daher berufen, an jenem Endziele mitzuwirken, indem er das Sittengesetz immer mehr in sich zur Geltung bringt. Denn in einer Menschheit, deren Gesamtwille auf die Realisierung des Guten eingestellt ist, haben Zwietracht und Krieg von selbst den Boden verloren 159.

Das wirksamste Mittel, der Vernunft auch im öffentlichen Leben allmählich zum Durchbruche zu verhelfen, ist die Aufklärung der Menschheit. Aufklärung bedeutet nach Kants klassischer Definition den,,Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit". Unmündigkeit wird erklärt als das Unver

mögen, sich seines Verstandes ohne fremde Leitung zu bedienen. Selbstverschuldet ist sie, wenn der Grund dafür nicht in mangelnder Intelligenz liegt, sondern in einem Mangel moralischen Mutes, auf eigene Verantwortung von ihr Gebrauch zu machen.,,Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung." Daß jene Unmündigkeit so weit verbreitet ist, hat seine Ursache in zwei Grundfehlern des menschlichen Geschlechts: in Faulheit und Feigheit. Es ist natürlich viel bequemer, andere für sich denken zu lassen als selbst zu denken, zumal es die in den Sattel gesetzten Vormünder überdies nicht an Einschüchterungsversuchen fehlen lassen. In Anbetracht dieser inneren und äußeren Widerstände wird sich die Aufklärung überall nur langsam Bahn brechen können. Äußere Umwälzungen nützen dafür nichts:,,Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen." Nur in einem an bürgerliche Freiheit im Rahmen der Gesetze gewöhnten Volke kann die Aufklärung langsam, aber stetig Fortschritte machen. Dazu ist aber vor allem nötig, daß es den berufenen Führern, den Gelehrten und besonders den Philosophen nicht verwehrt ist, die Stimme der Vernunft öffentlich laut werden zu lassen. Ein Geistlicher z. B. ist allerdings vor seiner Gemeinde an die Vorschriften seines Kults gebunden; als Gelehrten, der durch seine Schriften zur Welt spricht, muß ihm uneingeschränkte Freiheit gewährleistet sein. Ist diese Freiheit ungehinderter Meinungsäußerung gegeben, so wird das Licht der Aufklärung ganz von selbst immer weiter dringen, zuletzt sogar bis zu den Thronen hinauf, und um so wohltätiger wirken, als der aufgeklärte Mensch vermöge seines besseren Urteils auch unvermeidlich einen gewissen Herzensanteil am Guten zu nehmen geneigt ist. Die Zuversicht, daß die Aufklärung auf diesem Wege allmählich sogar Einfluß auf die Regierungsgrundsätze nehmen werde, rechtfertigt auch allein die chiliastischen Hoffnungen auf den in weiter Ferne winkenden allgemeinen Völkerfrieden. Nicht das zwar kann der Philosoph verlangen, daß man ihm einen unmittelbaren

Einfluß auf die Regierungsgeschäfte einräume, wohl aber, daß man ihn höre und sein freies Wort nicht unterbinde. Daß Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden" so hatte es Plato verlangt ,,ist

nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen, weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich." Es ist der erschütterliche Glaube an die Macht der Vernunft, welcher unseren Philosophen vom bloßen Verkünden der Wahrheit auch ihren endlichen Sieg erhoffen läßt 160.

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4. PÄDAGOGIK

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Auch an pädagogischen Fragen hat Kants vielseitiger Geist von Anfang an lebhaften Anteil genommen. Als ihm Rousseaus ,Emile" in die Hände fiel, machte dieses Buch auf ihn einen so außerordentlichen Eindruck, daß er seinetwegen die streng geregelte Tagesordnung durchbrach. Mit Begeisterung begrüßte er die Gründung des ,,Philanthropins" durch Basedow in Dessau und empfahl es öffentlich in einem Artikel der Königsberger Zeitung. Weil wir tierischen Geschöpfe, heißt es dort, nur durch Ausbildung zu Menschen gemacht werden, würden,,wir in kurzem ganz andere Menschen um uns sehen, wenn diejenige Erziehungsmethode allgemein in Schwang käme, die weislich aus der Natur selbst gezogen und nicht von der alten Gewohnheit roher und unerfahrener Zeitalter sklavisch nachgeahmt worden". Sein Amt verpflichtete überdies den Philosophen, von Zeit zu Zeit Vorlesungen über Pädagogik zu halten. So findet sich im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1776/77 die Ankündigung:,,Praktische Anweisung Kinder zu erziehen, erteilet Herr Professor Kant öffentlich." Die Entwürfe für diese Vorlesungen hat Th. Rink unter dem Titel: „I. Kant über Pädagogik“ 1803 herausgegeben.

,,Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht." Diese echt rationalistische Voraussetzung verleiht natürlich der Erziehungslehre von vornherein die größte ethische Bedeutung und macht sie zu

einer höchst verantwortungsvollen Kunst. Ihre Aufgabe wird es sein, alle Keime von Naturanlagen, die im Menschen verborgen liegen, in richtigem Verhältnisse zur Entwicklung zu bringen und damit, wenn auch nicht auf einmal, so doch im Laufe der Generationen, zu bewirken, daß die Menschheit ihre Bestimmung erreiche und zugleich einer glücklicheren Zukunft entgegengehe. Erziehung im höchsten Verstande ist daher Menschheitserziehung, für welche das Individuum nur einen Durchgangspunkt bedeutet. Nur dadurch, daß jede Generation in einer durch Erfahrung und Nachdenken immer mehr vervollkommneten Erziehungskunst die folgende auf eine höhere Stufe hebt, ist jenes Endziel zu erreichen. Die Erziehung ist darum das größte und schwerste Problem, das überhaupt dem Menschen aufgegeben wurde, und eine Theorie richtiger Erziehung ist ein herrliches Ideal, dem nachzustreben jede Mühe lohnt. Gegen Locke und Rousseau hält Kant die öffentliche Erziehung für vorteilhafter als die private, weil jene charakterbildender wirkt und das Kind fehlerhaften Einflüssen der Häuslichkeit mehr entzieht. Vor der Einführung von Normalschulen, wie sie damals schon in Österreich bestanden, hält er es für notwendig, in ,,Experimentalschulen“ zunächst die richtigen Erziehungs- und Unterrichtsmethoden zu erproben162

Entsprechend der Menschheitserziehung im großen durch die Vorsehung der Natur hat auch die Einzelerziehung gewisse Stufen zu durchlaufen. Anzufangen hat sie mit der Zähmung natürlicher Wildheit oder der Disziplinierung, damit überhaupt der Boden für eine systematische Einwirkung geebnet werde. Auf sie folgt die Kultivierung, welche die Aufgabe hat, noch ohne Hinblick auf bestimmte Zwecke in dem Kinde durch Belehrung und Unterweisung die natürlichen Kräfte zu wecken und ihm allerlei unentbehrliche (wie Lesen und Schreiben) oder gesellschaftlich nützliche Geschicklichkeiten (wie Musik) beizubringen. Dann hat die Zivilisierung einzusetzen, welche den jungen Menschen für das Zusammenleben mit anderen geschickt machen soll. Dazu gehört auch die Anerziehung artiger Manieren und einer gewissen Lebensklugheit. Zu höchst steht aber die Moralisierung, deren Aufgabe es ist, im Lehrling die richtige Gesinnung zu erwecken. Sie nimmt auch in Kants

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