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Und in ,,Anmut und Würde" (1793) hatte er gemeint: ,,In der Kantschen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davor zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finsteren und mönchischen Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen." Kant antwortete darauf in einer Anmerkung eines seiner späteren Werke, daß er allerdings dem Pflichtbegriffe um seiner Würde willen keine Anmut beigesellen könne, daß aber die aus reinen Motiven geübte Tugend sehr wohl die Begleitung der Grazien gestatte:,,Nur nach bezwungenen Ungeheuern wird Herkules Musaget, vor welcher Arbeit jene guten Schwestern zurückbeben." Schiller war über diese artige und zierliche Erwiderung des von ihm hochverehrten Philosophen sehr erfreut. In der Tat hatte Kant nur gelehrt, daß die Pflicht nicht aus Neigung geübt werden dürfe, aber niemals, daß sie ohne Neigung oder gar aus Abneigung geübt werden müsse, wie Schiller dies darstellte. In derselben Anmerkung wirft Kant die Frage auf, welcher Art,,die ästhetische Beschaffenheit, gleichsam das Temperament der Tugend" sei: mutig, mithin fröhlich, oder ängstlich-gebeugt und niedergeschlagen? und findet darauf

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kaum eine Antwort nötig:,,Die letztere sklavische Gemütsstimmung kann nie ohne einen verborgenen Haß des Gesetzes stattfinden, und das fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in Anerkennung derselben) ist ein Zeichen der Echtheit tugendhafter Gesinnung." Späterhin hat es Kant sogar als ,,Tugendpflicht" bezeichnet, im Umgange mit Menschen,,der Tugend die Grazien beizugesellen". Das Zusammentreffen von Pflicht und Neigung erschien so auch Kant als die menschlich höhere Lebensform. Nur daß sie ihm für die Herausstellung des spezifisch Moralischen zugleich als relativ zufällig erschien. Um jene allein ist es ihm aber zu tun. Was Kant mit seiner rigorosen Abgrenzung von Pflicht und Neigung eigentlich sagen will, ist daher nur, daß das Sittengesetz vollkommene Lauterkeit der Gesinnung verlange, und diese nur dort zweifellos vorhanden ist, wo allein die Vorstellung der Pflicht bestimmend wirkt. Was aus anderen Motiven geschieht, muß deshalb nicht wertlos sein: es ist

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nur moralisch indifferent.,,Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse" - dieses Wort Nietzsches hätte sich Kant ohne weiteres zu eigen machen können 144.

6. AUTONOMIE UND FREIHEIT

Der sittliche Fortschritt wird demnach darin bestehen, die natürlichen Neigungen immer mehr der praktischen Vernunft unterzuordnen. Das Moralgesetz verlangt zwar keineswegs eine Ausrottung der sinnlichen Antriebe; es verlangt aber kategorisch, daß ihre Alleinherrschaft in der Bestimmung des Willens gebrochen werde. Wenn wir durch moralische Selbstzucht gelernt haben, uns von der ,,ungestümen Zudringlichkeit der Neigungen" soweit loszumachen, daß keine von ihnen auf Willensentscheidungen, bei denen die Vernunft mitzusprechen hat, von bestimmendem Einflusse ist, wenn also die vom Sittengesetz geforderte Rangordnung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft in uns habituell geworden ist, dann haben wir uns aus der natürlichen Knechtschaft der Triebe und Leidenschaften zur inneren Freiheit oder zur,,Freiheit im praktischen Verstande" emporgerungen, welche nichts anderes bedeutet als,,die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit". Eine Willkür (Kant versteht darunter die Handlungsfreiheit), welche nur pathologisch“, d. i. durch sinnliche Neigungen begründet ist, wäre eine bloß tierische Willkür (arbitrium brutum). Sie wird zur wahrhaft freien Willkür (arbitrium liberum) erst dadurch, daß die Vernunft auf unsere Entschließungen entscheidenden Einfluß gewinnt. Diese innere oder praktische_Freiheit ist somit ein Ziel, dem uns durch strenge Selbsterziehung immer mehr zu nähern wir verpflichtet sind, wenn es auch in ganz vollkommener Weise innerhalb unserer irdischen Existenz niemals erreichbar ist. Sie zu verwirklichen, ist die einzige wahre Bestimmung des Menschen. Erst in dem Maße, als er sie in sich zu realisieren vermag, wird er zu einer Persönlichkeit, die nichts anderes bedeutet, als die,,Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur"145.

Die Voraussetzung einer freien sittlichen Selbstbestimmung ist aber die Autonomie der praktischen Vernunft. Nur

aus ihr ist es zu erklären, daß sich überhaupt in den Mechanismus des Trieblebens ein kategorisches Vernunftgebot einschiebt und von allem, was in uns Natur ist, unbedingten Gehorsam heischt. Autonomie ist aber selbst eine Tat der Freiheit. Kant bezeichnet dieses Freiheitsprinzip der inneren Gesetzgebung daher auch als ,,Eleutheronomie". Sie ist ein Vermögen,,,die Motive des Wollens schlechthin selbst hervorzubringen" und beruht daher auf einem Aktus der Spontaneität des Willens. Hier ist der Wille sich selbst Gesetz:,,also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei." Nur aus einer Freiheit des Willens ist es also zu verstehen, daß es für ein Sinnenwesen überhaupt einen kategorischen Imperativ gibt. Nur aus der Wirksamkeit dieses Imperatives wieder ist die Möglichkeit einer praktischen Freiheit abzuleiten. Hier scheint ein,,geheimer Zirkel“ vorzuliegen: die Autonomie ist Voraussetzung der Freiheit und Freiheit ist eine Voraussetzung der Autonomie. Dieser Einwand behebt sich durch die Besinnung, daß hier,,Freiheit" nicht in gleicher Bedeutung verstanden wird. Im ersten Falle ist von unserem Freiheitsbewußtsein in der Beherrschung sinnlicher Antriebe die Rede, im zweiten Falle von der transzendentalen Bedingung eines solchen Bewußtseins. Dort handelt es sich um die praktische Freiheit, hier um die im eigentlichen Sinne so zu nennende transzendentale Freiheit, welche wieder von der später zu besprechenden intelligiblen Freiheit zu unterscheiden ist. Die praktische Freiheit ist die ratio cognoscendi der transzendentalen Freiheit, diese aber die ratio essendi des moralischen Gesetzes. Damit ist die transzendentale Freiheit noch nicht erklärt. Denn aus der Natur des Menschen als eines empirischen Wesens läßt sich ihre Möglichkeit nicht verstehen. Die Tatsache eines kategorischen Imperatives läßt sich aus dem Naturzusammenhang so wenig ableiten, daß er innerhalb der Sinnenwelt vielmehr immer wie ein Fremdling anmuten muß. Hier hängt alles streng kausal-notwendig zusammen und für eine Freiheit im Sinne eines unbedingten Anfanges ist in ihr nirgends Platz. Einen solchen unbedingten Anfang bedeutet aber der Einbruch des Vernunftwillens in die Kette des naturbedingten Ablaufes unseres Seelenlebens. Hier soll wirklich eine Kausalreihe, nämlich das Fortwirken der sittlichen Motive, von vorne angefangen, ein

,,unbedingter" Imperativ allein kraft des Eigengesetzes der Vernunft erlassen werden. Mit Erwägungen psychologischer Art ist da nichts auszurichten. Psychologie bezieht sich zuletzt immer auf den inneren Sinn, der auf Rezeptivität beruht. In dem vorliegenden Falle handelt es sich aber gerade um die Spontaneität des Vernunftwillens: um die psychologisch schlechthin unverständliche Tatsache, daß sich in den seelischen Mechanismus ein fremder Faktor einschiebt. Diese Schwierigkeit erhöht sich noch dadurch, daß es durch kein empirisches Beispiel auszumachen ist, ob es überhaupt einen solchen Imperativ gibt und ob nicht in der Praxis des Lebens doch immer wieder hypothetische Imperative, wie Furcht vor Beschämung oder anderen Gefahren, den Willen insgeheim mitbestimmen. Das echte Sittengesetz besagt ja gar nichts darüber, wie Kant immer wieder, und zwar mit Recht, betont, was da oder dort geschieht, sondern fordert nur, was immer und überall geschehen soll. Die transzendentale Freiheit ist daher ein Problem und zwar ein Problem, das selbst transzendentaler Art ist. In ihm handelt es sich nicht, wie in der Frage der praktischen Freiheit, um die Bestimmung unserer Entschlüsse durch den Willen, sondern um die Selbstbestimmung des Willens durch sein eigenes Gesetz: nicht also um irgendwelche Vorgänge innerhalb unseres sittlichen Bewußtseins, sondern um die letzte Grundlage dieses Bewußtseins. Die Möglichkeit einer Normgebung in einer durchwegs naturgesetzlich bedingten Welt steht hier in Frage. Wenn die Frage: Wie ist Natur möglich? den höchsten Punkt der Transzendentalphilosophie bildete, so bedeutet die Frage: Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? den Höhepunkt der reinen Ethik 146.

Die eigentümliche Schwierigkeit dieses Problems liegt darin, daß der praktischen Vernunft das Vermögen zugeschrieben werden soll, „von selbst (sponte)" eine Ursache (den kategorischen Imperativ) zu setzen, die dann ihrerseits innerhalb der phänomenalen Welt fortzuwirken bestimmt ist, während sie selbst nicht als naturbedingt gedacht werden darf, wenn nicht der kategorische Charakter des Sittengesetzes verlorengehen soll. Unter dem Gesichtspunkte der Autonomie stellt sich dieses Verhältnis so dar, daß wir selbst als Vernunftwesen uns selbst als

Sinnenwesen das Gesetz geben. Würden wir uns nun auch als Vernunftwesen der phänomenalen Welt eingeordnet denken, so müßte die beanspruchte Ausnahmestellung gegenüber der Naturgesetzlichkeit schlechthin unbegreiflich bleiben. Weisen wir aber diesen Anspruch als unverträglich mit den Gesetzen unseres Verstandes von vornherein zurück, so wird wieder die Tatsache des kategorischen Imperatives unbegreiflich. Der einzige Ausweg, der sich hier bietet, liegt in der Richtung, daß wir als Vernunftwesen einer anderen Ordnung der Dinge angehören, als jene ist, in der wir als Sinnenwesen stehen. Für diese Denkmöglichkeit bietet die dritte,,Antinomie" eine theoretische Grundlage. Sie hat nämlich gezeigt, daß Freiheit (im Sinne einer Emanzipation vom Naturgesetz) innerhalb der Erscheinungswelt unmöglich ist, daß sie aber ohne Widerspruch in Hinsicht einer noumenalen Welt gedacht werden kann. Die Antithese von Freiheit und Notwendigkeit, die sich dort in bezug auf den Menschen zeigt, wird sich daher nur so aufheben lassen, daß wir die vernünftige Seite seines Wesens der noumenalen, dessen sinnliche Seite aber, wie sich von selbst versteht, der phänomenalen Welt zuordnen. In demselben Sinne und eben demselben Verhältnisse ein Subjekt frei und unfrei denken, schließt einen Widerspruch in sich; daß aber ,,ein Ding in der Erscheinung gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe, als Ding oder Wesen an sich selbst, unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch". So gesehen nimmt der Gedanke der Autonomie die Gestalt an, daß wir selbst als Dinge an sich uns selbst als Erscheinungen das Gesetz geben. Wir sind so gleichsam Bürger zweier Welten: als Glieder der noumenalen oder intelligiblen Welt sind wir frei, weil für diese die Verstandesgesetze nicht gelten, als Glieder der Sinnenwelt sind wir dem Naturmechanismus unterworfen. Die,,himmlische Stimme" des kategorischen Imperatives erscheint so gleichsam als ein Widerhall aus einer jenseitigen Welt. Was in dieser ursprünglich ein freies Wollen bedeutet, muß in der Sinnenwelt notwendig den Charakter eines Sollens annehmen, denn ein aus dem Übersinnlichen stammender, aus ganz anderem Boden geborener Wille muß mit den sinnlichen Neigungen unvermeidlich in Gegensatz treten.

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