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Wen das speculative Leben vergnügt, dem ist, unter mäßigen Wünschen, der Beifall eines aufgeklärten, gültigen Richters eine kräftige Aufmunterung zu Bemühungen, deren Nußen groß, obzwar entfernt ist, und daher von gemeinen Augen gänzlich verkannt wird.†)

Einem Solchen und dessen gnädigem Augenmerke widme ich nun diese Schrift und Seinem Schuße alle übrige Angelegenheit meiner literårischen Bestimmung und bin mit der tiefsten Verehrung

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+) Unm. Die Worte: ,,Wen das speculative Leben

verkannt wird"

Find in der Zucignung der 2ten Ausgabe, datirt pom 23. April 1787, so wie In den folgenden Ausgaben weggefallen. Dagegen lautet der Schlußsah so: ,,Demselben gnädigen Augenmerke, dessen Ew. Excellenz die erste Auflage dies ses Werkes gewürdigt haben, widme ich nun auch diese zweite und hiemit die ganze Angelegenheit" u. s. w.

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Vorrede

zur ersten Ausgabe vom Jahre 1781.

Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse, daß sie durch Fragen belästigt wird, die fie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

In diese Verlegenheit geråth sie ohne ihre Schuld. Sie fångt von Grundsägen an, deren Gebrauch im Laufe der Erfahrung unvermeidlich und zugleich durch diese hinreichend bewährt ist. Mit diesen steigt sie (wie es auch ihre Natur mit sich bringt) immer höher, zu entfernteren Bedingungen. Da sie aber gewahr wird, daß auf diese Art ihr Geschäft jederzeit unvollendet bleiben müsse, weil die Fragen niemals aufhören, so sieht sie sich genöthigt zu Grundsäßen ihre Zuflucht zu nehmen, die allen möglichen Erfahrungsgebrauch überschreiten und gleichwohl so unverdächtig scheinen, daß auch die gemeine Menschenvernunft damit im Einverständnisse stehet. Dadurch aber stürzt sie sich in Dunkelheit und Widersprüche, aus welchen sie zwar abnehmen kann, daß irgendwo verborgene Irrthümer zum Grunde liegen müssen, die sie aber nicht entdecken kann, weil die Grundsäge, deren sie sich bedient, da sie über die Grenze aller Erfahrung hinausgehen, keinen Probierstein der Erfahrung mehr anerkennen. Der Kampfplah dieser endlosen Streitigkeiten heißt nun Metaphysik.

Es war eine Zeit, in welcher sie die Königin aller Wissenschaften genannt wurde, und wenn man den Willen für die That nimmt, so verdiente sie wegen der vorzüglichen Wichtigkeit ihres Gegenstandes allerdings diesen Ehrennamen. Jest bringt es der Modeton

der Zeit so mit sich, ihr alle Verachtung zu beweisen und die Matrone flagt, verstoßen und verlassen, wie Hecuba: modo maxima rerum, tot generis natisque potens nunc trahor exul, inops Ovid. Metam.

Anfänglich war ihre Herrschaft, unter der Verwaltung der Dogmatiker, despotisch. Allein weil die Gesetzgebung noch die Spur der alten Barbarei an sich hatte, so artete sie durch innere Kriege nach und, nach in völlige Anarchie aus und die Skeptiker' eine Art Nomaden, die allen beständigen Anbau des Bodens verab scheuen, zertrenneten von Zeit zu Zeit die bürgerliche Vereinigung. Da ihrer aber zum Glück nur wenige waren, so konnten sie nicht hindern, daß jene sie nicht immer wieder aufs Neue, obgleich nach keinem unter sich einstimmigen Plane, wieder anzubauen versuchten. In neueren Zeiten schien es zwar einmal, als sollte allen diesen Strei tigkeiten durch eine gewisse Physiologie des menschlichen Verstandes (von dem berühmten Locke) ein Ende gemacht und die Rechtmäßigkeit jener Ansprüche völlig entschieden werden es fand sich aber, daß, obgleich die Geburt jener vorgegebenen Königin aus dem Pöbel der gemeinen Erfahrung abgeleitet wurde und dadurch ihre Anmaßung mit Recht hätte verdächtig werden müssen, dennoch, weil diese Genealogie ihr in der That fälschlich angedichtet war, sie ihre Ansprüche noch immer behauptete, wodurch Alles wiederum in dent veralteten wurmstichigen Dogmatismus und daraus in die Geringschäßung verfiel, daraus man die Wissenschäft hatte-ziehen wollen! Jest, nachdem alle Wege (wie man sich überredet) vergebe lich versucht sind, herrscht Ueberbruß und gänzlicher Indifferentismus, die Mutter des Chaos und der Nacht in Wissenschaften, aber doch zugleich der Ursprung, wenigstens das Vorspiel einer nahen Umschaffung und Aufklärung derselben, wenn sie durch übel 'angebrachten Fleiß dunkel, verwirrt und unbrauchbar geworden.

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Es ist nämlich umsonst, Gleichgültigkeit in Ansehung solcher Nachforschungen erkünfteln zu wollen, deren Gegenstand der menscht lichen Natur nicht gleichgültig sein kann. Auch fallen jene vorgebliche Indifferentisten, so sehr sie sich auch durch die Verdn

derung der Schulsprache in einem populáren Tone unkenntlich zu machen gedenken, wofern sie nur überall etwas denken, in metaphy sische Behauptungen unvermeidlich zurück, gegen die sie doch so viel Verachtung vorgaben. Indessen ist, diese Gleichgültigkeit, die sich mitten in dem Flor aller Wissenschaften ereignet und gerade diejenige trifft, auf deren Kenntnisse, wenn dergleichen zu haben wären, man unter allen am wenigsten Verzicht thun würde, doch ein Phänomen, das Aufmerksamkeit und Nachsinnen verdient. Sie ist offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinnes, sondern der gereiften Urtheilskraft*) des Zeitalters, welches sich nicht länger durch Scheinwissen hinhalten läßt und eine Aufforderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntniß aufs Neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusehen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlose Anmaßungen, nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen abfertigen könne und dieser ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst.

Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfah rung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung so

Man hört hin und wieder Klagen über Seichtigkeit der Denkungsart unserer Zeit und den Verfall gründlicher Wissenschaft. Allein ich sehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt ist, als Mathematik, Naturlehre `u. s. w. diefen Vorwürf im Mindesten verdienen, sondern vielmehr: den alten Ruhm der Gründlichkeit behaupten, in der lehteren aber sogar übertreffen. Eben derselbe Geist würde sich nun auch in anderen Arten von Erkenntniß wirksam beweisen, wåre nur allererst für die Berichtigung ihrer Principien gesorgt worden. In Ermangelung derselben find Gleichgültigkeit und Zweifel und endlich strenge Kritik vielmehr Beweise einer gründlichen Denkungsart. Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich Aues unterwerfen muß. Reli! gion, durch ihre Heiligkeit, und Geschgebung, durch ihre Majèst å t wollen fich gemeiniglich der derselben entziehen, Uber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich, und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch_machen, die die Vernunft-nür demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können,gonin tiba

wohl der Quellen, als des Umfanges und der Grenzen derselben Alles aber aus Principien.

Diesen Weg, den einzigen, der übrig gelassen war, bin ich nun eingeschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Abstellung aller Irrungen angetroffen zu haben, die bisher die Vernunft im erfahrungsfreien Gebrauche mit sich selbst entzweiet hatten. Ich bin ihren Fragen nicht dadurch etwa ausgewichen, daß ich mich mit dem Unvermögen der menschlichen Vernunft entschuldigte', sondern ich habe sie nach Principien vollständig specificirt und, nachdem ich den Punct des Mißverstandes der Vernunft mit ihr selbst entdeckt hatte, sie zu ihrer völligen Befriedigung aufgelöst. Zwar ist die Beantwortung jener Fragen gar nicht so ausgefallen, als dogmatisch schwärmende Wißbegierde erwarten mochte; denn die könnte nicht anders als durch Zauberkünfte, darauf ich mich nicht verstehe, befriedigt werden. Allein das war auch wohl nicht die Absicht der Naturbestimmung unserer Vernunft; und die Pflicht der Philosophie war, das Blendwerk, das aus Mißdeutung entsprang, aufzuheben, sollte auch noch so viel gépriefener und beliebter Wahn dabei zu nichte gehen. In dieser Beschäftigung habe ich Ausführlichkeit mein großes Augenmerk sein lassen und ich erkühne mich zu sagen, daß nicht eine einzige metaphysische Aufgabe sein müsse, die hier nicht aufgelöst oder zu deren Auflösung nicht wenigstens der Schlüffel dargereicht worden. In der That ist auch reine Vernunft eine so vollkommene Einheit, daß, wenn das Princip derselben auch nur zu einer einzigen aller der Fragen, die ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, unzureichend wäre, man dieses immerhin nur wegwerfen könnte, weil es alsdann auch keiner der übrigen, mit völliger Zuverlässigkeit gewachsen sein würde.

Ich glaube, indem ich dieses sage, in dem Gesichte des Lesers einen mit Verachtung vermischten Unwillen über, dem Anscheine nach, so ruhmredige und unbescheidene Ansprüche wahrzunehmen, und gleichwohl find sie ohne Vergleichung gemäßigter, als die eines jeden Verfassers des gemeinsten Programms, der darin etwa die einfache Natur der Seele oder die Nothwendigkeit eines ersten Weltanfanges zu beweisen vorgibt. Denn dieser macht sich anheischig, die menschliche

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