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Anschauung zum Quell des Wissens machende Identitätss lehre, Hegel's Dialektik, Herbart's auf den Begriff des Sein als der absoluten Position und der Anerkennung des Gegebenen gegründete Monadologie erinnern unbeschar det der Eigenthümlichkeit aller dieser Denker an Gedanken, Fragen und Probleme, welche Kant entweder der philosos phischen Betrachtung erst recht deutlich ins Licht gerückt, oder, ohne ihnen für das menschliche Denken die mindeste Anwendbarkeit zuzugestehen, als für andere Intelligenzen mögliche Erkenntnißquellen bezeichnet, oder endlich als wesentliche und nothwendige Berichtigungen tiefeingewurzelter Irrthüs mer geltend gemacht hatte; und während er in der Würde und dem Ernste seiner sittlichen Gesinnung, deren Uners schütterlichkeit ihm hinlänglichen Ersah für die von ihm bez hauptete Ohnmacht aller theoretischen Speculation gab, außerhalb des Streites der Schulen steht, bildet er für die divergirenden Radien der späteren Systeme den gemeins schaftlichen Mittelpunct, welchem man in dieser Hinsicht eine, wenn auch nicht nach allen Seiten hin gleichmäßig ausftrahlende Kraft beizulegen sich versucht fühlt. Möge also immerhin die Wissenschaft, für die es keine unfehlbaren Auctoritas, ten gibt, sich ihre freie Selbstständigkeit durch den Rückblick auf frühere Denker nicht beschränken lassen wollen; das Studium ihrer Geschichte wird sich immer von allen Seiten auf Kant zurückgewiesen finden..

Ihn nun gleichsam in der Behausung seines eigenen Gedankenkreises kennen zu lernen, bieten seine Werke in seltener Reichhaltigkeit die Gelegenheit. Selten nennen wir diese Reichhaltigkeit, theils weil nur wenige systematische Denker der Mitwelt eine so zahlreiche Menge größerer und Kleinerer Abhandlungen selbst übergeben haben, theils weil bei noch Wenigeren mit der Vielseitigkeit des Stoffes in gleichem Grade die Möglichkeit vorhanden ist, die allmåhlige Entwickelung ihrer wissenschaftlichen Ansicht so ge

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nau zu verfolgen, wie bei Kant. Wenn es wahr ist, daß, wo es Viel zu entwickeln gibt, da die Entwickelung langsam vorwärts schreitet, so verstattete ihm ein langes Leben gunftige Zeit, um ein weitschichtiges Unternehmen bedächtig zur Reife kommen zu lassen. Sein erstes großes Hauptwerk, die Kritik der reinen Bernunft, das, obwohl in seiner leßten Grundlage auf einem Theile des bisherigen Dogmatismus ruhend, die ganze Metaphysik vor ihm zu stürzen bestimmt war, gab er, sehr unähnlich vielen erfindungsreichen Köpfen der nächsten Folgezeit, in seinem siebenundfunfzigsten Lebensjahre, also zu einer Zeit heraus, wo Andere durch die rückgångige Bewegung ihrer geistigen Kraft der Natur ihren Tribut zu zahlen anfangen; und erst von dieser Zeit an treten die übrigen größeren Werke, die sorgfältig gepflegte Frucht vieljähriger Ueberlegungen in rascher Folge nacheinder hervor. Bis dahin sehen wir Kant's umsichtige Bemus hungen vielfältig auf die Auffassung des Gegebenen, bis auf einzelne Naturéreignisse herab, auf die Prüfung der vorhandenen, auf die Aufstellung neuer Theorien gerichtet, oder wir erblicken ihn, wie er in den engeren Kreisen der eigentlichen Philosophie einzelne Fragen hervorhebt und überlies ferte Methoden und Lehrmeinungen fichtet und sie ebenso freimüthig verwirft, als im Bewußtsein' ihrer Mangelhaftigkeit auf ihre Ergänzung hinarbeitet. Diese früheren kleineren Schriften tragen durchgängig das Gepräge eines jugendlich frischen, ohne Anmaßung der eigenen Kraft vertrauenden, raftlos forschenden, überall felbst prüfenden Geistes; und wenn Manches, worauf er aufmerksam macht, sich heut zu Tage von selbst versteht, Anderes selbst trivial und überflüssig erscheint, so muß man das Zeitalter und das Publicum im Auge behalten, an welches sich Kant zu wenden hatte, und nur selten, ja fast nie wird man den Mann verkennen können, der überall, wo er dafür Gründe hatte, den Gesichtskreis dieses Zeitalters zu überschreiten

und zu erweitern im Begriffe steht und ihn in vielen Dingen schon früher überschritten haben mußte, ehe er sich selbst da= von bestimmte Rechenschaft zu geben im Stande war. Und nicht blos als Vorläufer und Begleiter der größeren systemas tischen Werke sind die zahlreichen kleineren Abhandlungen von Wichtigkeit; sondern gleichsam losgelöst von den Fesseln einer streng systematischen Darstellung zeigen sie den Reichthum der Kenntnisse, die Vielseitigkeit der Erfahrung, die Schärfe der Beobachtung, den Muth und die Reinheit der Denkungsart in Verbindung mit einem leichtspielenden Wiße und einer heiteren Laune in einer bald anmuthigen, bald erhebenden Weise. Hier streift selbst die Sprache Kant's die Schwerfälligkeit eines oft nur allzulangathmenden Periodenbaues ab und die würdevolle Popularitåt, mit welcher der vielseitig und gründlich gebildete Geist bisweilen auch blose Meinungen und subjective Ansichten entwickelte, verstattet demohnerachtet dem Kundigen, die tiefer liegenden Gründe und Gesinnungen zu erblicken, auf welchen jene ruhen und aus welchen sie hervorgehen.

Man darf es sogar wagen, Kant und seine Philosophie aus den geschichtlichen Umgebungen, in welchen er auftrat und für welche er den springenden Punct einer neuen wissenschaftlichen Regsamkeit bildete, herauszuheben; man kann ihn ganz isoliren und es bleibt dennoch, abgesehen von dem Inhalte seines Systems, abgesehen von den Folgen, die es gehabt und den Wirkungen, die es hervorgebracht hat, in dem Umfange und der Art, wie er die Philosophie repräsentirt, in dem ganzen großartigen Bilde seiner eigenen wissenschaftlichen Persönlichkeit immer noch ein ausgezeich= netes Muster eines der Wahrheit gewidmeten Lebens stehen. Wenn unbestechliche Redlichkeit der Untersuchung, innige, mit edler Freimüthigkeit ausgesprochene Geringschäßung alles falschen, wenn auch durch noch so künstliche Blendwerke hervorgebrachten Scheines, unermüdliche Thätigkeit

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für ein hohes selbstgestecktes Ziel, lauteres und warmempfundenes Interesse an dem Wohl und Wehe der Menschheit und eine unerschütterliche Festigkeit der sittlichen · Gesinnung ehrwürdig machen, so verdient Kant diesen Namen im vollen Sinne des Wortes. Was er selbst den Weltbegriff der Philosophie im Gegensahe zu dem Schulbegriffe derselben nannte, das bethätigt er in seinem eigenen Streben auf die würdigste, für jedes empfängliche Gemüth Achtung gebietende Weise; und die wahrhaft philosophische Ruhe, mit welcher ein so gewaltiger Kopf, dessen Kräfte zu den geistreichsten Fictionen hingereicht håtten, seiner Ueberzeugung gemäß auf das theoretische Wissen Verzicht leistet und sich mit dem bescheidenen Verdienste der Entdeckung begnügt, daß die Natur in dem, was Menschen ohne Unterschied angelegen ist, keiner par= teiischen Austheilung ihrer Gaben zu beschuldigen sei und die höchste Philosophie in Ansehung der wesentlichen Zwecke der menschlichen Natur es nicht weiter bringen könne, als die Leitung, welche sie auch dem gemeinsten Verstande hat angedeihen lassen," *) selbst diese, mehr, als einmal ernsthaft belächelte Resignation beurkundet eine innere Größe, die sich ohne Gefahr mit dem Ruhme der glånzendsten Erweiterung eines wirklichen Wissens messen darf.

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Mag man daher Kant ganz allgemein als ein vermittelndes Glied in der Geschichte menschlicher Cultur überhaupt, oder, was damit auf das Innigste zusammens hångt, in seiner besonderen Beziehung auf die Wissenschaft der Philosophie und ihren gegenwärtigen Zustand, oder endlich rein für sich als Repräsentant seiner eigenen Ueberzeugung betrachten, er ist und wird in jeder dieser Beziehungen ein würdiger Gegenstand eines ernsten und sorgfältigen Studiums bleiben. Ist das Verständniß des

*). Bb. 11. . 619.

Plato und Aristoteles seit zwei Jahrtausenden eine Aufgabe vielfältiger Bemühungen gewesen, so verdient Kant in nicht geringerem Grade eine gleiche Sorgfalt; und wie man auch über Princip, Methode, Aufgabe und Grenze der philosophischen Forschung jezt oder in Zukunft denken möge, er wird für alle Zeiten als ein Muster der Nacheiferung betrachtet werden müssen, welches, selbst wenn „eine Alles verschlingende Barbarei“ das Interesse an der Philosophie gänzlich vernichtete, wenigstens als eine ernste Mahnung an die höchsten Aufgaben menschlichen Denkens und Handelns übrig bleiben würde. Namentlich aber in unserer Zeit werden die Früchte nicht ausbleiben, wenn man, statt von dem Umrisse und den allgemeinen Resultaten seiner Philosophie sich nur durch historische Relationen belehren zu lassen, wieder zu dem vollständigen, ins Einzelne gehenden Studium seiner Schriften zurückkehrt und, immitten der Gedankenfülle, die er darbietet und anregt, von seiner besonnenen Vorsicht sich wieder zu der Ueberlegung veranlaßt findet, wie gar nichts es helfe, wenn man über dem Streben nach Erweiterung des Wissens dessen Begründung, über umfassenden Aussichten im Großen die freilich nur mühsam zu erreichende Genauig teit im Kleinen glaubt bei Seite sehen zu dürfen.

Diesen wenigen Worten, welche, ohne eine systema= tische Frage der Philosophie zu berühren und noch viel weniger mit dem Anspruch auf ein irgendwie erschöpfendes Urtheil, nur die Gesinnung andeuten sollen, in welcher der Unterzeichnete die Anordnung und Beaufsichtigung dieser Gesammtausgabe übernommen hat, muß sich eine kurze Darlegung des Verfahrens anschließen, welches bei der Anordnung und Einrichtung derselben beobachtet worden ist. Ihr Umfang umfaßt nächst sämmtlichen von

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