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er eben keine Luft, dieser Mangel ist aber noch nicht Unlust. Gebet ihm ein Arzneimittel von Wermuth. Diese Empfindung ist sehr positiv. Hier ist nicht ein bloser Mangel von Lust, sondern etwas, was ein wahrer Grund des Gefühls ist, welches man Unlust nennt.

Allein man kann aus der angeführten Erläuterung allenfalls nur erkennen, daß die Unluft nicht lediglich ein Mangel, sondern ́eine positive Empfindung sei; daß sie aber sowohl etwas Positives, als auch der Lust real entgegengeseht sei, erhellt am deutlichsten auf folgende Art. Man bringt einer Spartanischen Mutter die Nachricht, daß ihr Sohn im Treffen für das Vaterland heldenmüthig gefochten habe. Das angenehme Gefühl der Lust bemächtigt sich ihrer Seele. Es wird hinzugefügt, er habe hiebei einen rühmlichen Tod erlitten. Dieses vermindert gar sehr jene Lust und setzt fie auf einen geringeren Grad. Nennet die Grade der Luft aus dem ersten Grunde allein 4a und die Unlust sei blos eine Verneinung =0, so ist, nachdem beides zusammengenommen worden, der Werth des Vergnügens 4a + 0 = 48, und also wäre die Lust durch die Nachricht des Todes nicht vermindert worden, welches falsch ist. Es sei demnach die Lust aus seiner bewiesenen Tapferkeit =4a, und was da übrig bleibt, nachdem aus der anderen Ursache die Unlust mitgewirkt hat, 3a, so ist die Unlust = a und sie ist die Negative der Lust, nåmlich -a und daher 4 a-a3 a.

Die Schahung des ganzen Werths der gesammten Lust in einem vermischten Zustande würde auch sehr ungereimt sein, wenn Unluft eine blose Verneinung und dem Zero gleich wäre. Jemand hat ein Landgut gekauft, dessen Ertrag jährlich 2000 Rthlr. ist. Man drücke den Grad der Lust über diese Einnahme, in soferne fie rein ist, mit 2000 aus. Alles, was er aber von dieser Ein: nahme abgeben müß, ohne es zu genießen, ist ein Grund der Unluft. Grundzins 200 Rthlr., Gesindelohn 100 Rthlr., Reparatur 150 Rthlr. jährlich. Ist die Unlust eine blose Verneinung 0, so ist Alles in einander gerechnet die Lust, die er an seinem Kauf hat 2000+0+0+0= 2000, d. i. eben so groß, als wenn er den Ertrag ohne Abgaben genießen könnte. Nun ist aber offenbar,

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daß er sich nicht mehr über diese Einkünfte zu erfreuen hat, als in soferne ihm nach Abzug der Abgaben was übrig bleibt, und` es ist der Grad des Wohlgefallens 2000 200 100 150 =1550. Es ist demnach die Unlust nicht blos ein Mangel der Lust, sondern ein positiver Grund, diejenige Lust, die aus einem anderen Grunde Statt findet, ganz oder zum Theil aufzuheben, und ich nenne sie daher eine negative Lust. Der Mangel der Lust sowohl als der Unlust, in soferne er aus dem Mangel der Gründe hiezu herzuleiten ist, heißt Gleichgültigkeit (indifferentia). Der Mangel der Luft sowohl als Unlust, insofern er eine Folge aus der Realopposition gleicher Gründe abhängt, heißt das Gleichgewicht (aequilibrium); beides ist Zero, das erstere aber eine Verneinung schlechthin, das zweite eine Beraubung. Der Zustand des Gemüths, in wel chem, bei ungleicher entgegengesetzter Lust und Unlust, von einer dieser beiden Empfindungen etwas übrig bleibt, ist das Uebers gewicht der Luft oder Unlust (suprapondium voluptatis vel taedii). Nach dergleichen Begriffen suchte der Herr von Mauperé tuis in seinem Versuche der moralischen Weltweisheit die Summe der Glückseligkeit des menschlichen Lebens zu schäßen, und sie kann auch nicht anders geschäßt werden, nur daß diese Aufgabe für Menschen unauflöslich ist, weil nur gleichartige Empfindungen können in Summen gezogen werden, das Gefühl aber in dem sehr verwickelten Zustande des Lebens nach der Mannigfaltigkeit der Rührungen sehr verschieden scheint. Der Calcul gab diesem gelehrten Manne ein negatives Facit, worin ich ihm gleichwohl nicht beistimme."

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Aus diesen Gründen kann man die Verabscheuung einė negative Begierde, den Haß eine negative Liebe, die Hå ßlichkeit eine negative Schönheit, den Tadel einen negativen Ruhm 2c. nennen. Man könnte hiebei vielleicht denken, daß dieses Alles nur eine Krämerei mit Worten sei. Allein nur diejenigen werden so urtheilen, die nicht wissen, welcher Vortheil darin steckt, wenn die Ausdrücke zugleich das Verhältniß zu schon bekannten Begriffen anzeigen, wovon die mindeste Erfahrenheit in der Mathematik Jedermann leicht belehren kann. Der Fehler, darin

um dieser Vernachlässigung willen viele Philosophen verfallen sind, liegt am Tage. Man findet, daß sie mehrentheils die Uebel wie blose Verneinungen behandeln, ob es gleich nach unseren Erläuterungen offenbar ist, daß es Uebel des Mangels (mala defectus) und Uebel der Beraubung (mala privationis) gibt. Die ersteren find Verneinungen, zu deren entgegengesetzter Position kein Grund ist, die lekteren sehen positive Gründe voraus, dasjenige Gute aufzuheben, wozu wirklich ein anderer Grund ist, und sind ein negatives Gute. Dieses Lehtere ist ein viel größeres Uebel, als das Erstere. Nicht: Geben ist in Verhältniß auf den, der bedürftig ist, ein Uebel; aber Nehmen, Erpressen, Stehlen ist in Absicht auf ihn ein viel größeres, und Nehmen ist ein negatives Geben. Man könnte ein Aehnliches bei logischen Verhältnissen zeigen. Irr thümer sind negative Wahrheiten, (man vermenge dieses nicht mit der Wahrheit negativer. Sähe,) eine Widerlegung ist ein negativer Beweis; allein ich besorge, mich hiebei zu lange aufzuhalten. Es ist meine Absicht, nur diese Begriffe in den Gang zu bringen, der Nußen wird sich durch den Gebrauch finden, und ich werde davon im dritten Abschnitt einige Aussichten geben.

3.

Die Begriffe der realen Entgegensehung haben auch ihre nüßliche Anwendung in der praktischen Weltweisheit. Untugend (demeritüm) ist nicht lediglich eine Verneinung; sondern eine nega tive Tugend (meritum negativum). Denn Untugend kann nur Statt finden, insoferne als in einem Wesen ein inneres Geset ist, (entweder blos das. Gewissen oder auch das Bewußtsein eines pofitiven Gesezes,) welchem entgegengehandelt wird. Dieses innere Gesch ist ein positiver Grund einer guten Handlung, und die Folge kann blos darum Zero sein, weil diejenige, welche aus dem Bewußtsein des Gesetzes allein fließen würde, aufgehoben wird. Es ist also hier eine Beraubung, eine reale Entgegenseßung und nicht blos ein Mangel. Man bilde sich nicht ein, daß dieses lediglich auf die Begehungsfehler (demerita commissionis) und nicht zu

gleich auf die Unterlassungsfehler (demerita omissionis) gehe. Ein unvernünftiges Thier verübt keine Zugend. Es ist diese Unterlassung aber nicht Untugend (demeritum). Denn es ist keinem inneren Geseze entgegengehandelt worden. Es ward nicht durch inneres moralisches Gefühl zu einer guten Handlung getrieben, und dadurch, daß es ihm widerstanden, oder vermittelst eines Gegengewichts wurde das Zero oder die Unterlassung als eine Folge nicht bestimmt. Sie ist hier eine Verneinung schlechthin, aus Mangel eines positiven Grundes, und keine Beraubung. Sehet dagegen einen Menschen, der demjenigen, deffen Noth er sieht und dem er leicht helfen kann, nicht hilft. Hier ist, wie in dem Herzen eines jeden Menschen, so auch bei ihm ein positives Gesetz der Nächstenliebe. Dieses muß überwogen werden. Es gehört hiezu eine wirkliche innere Handlung aus Bewegungsursachen, damit die Unterlassung möglich sei. Dieses Zero ist die Folge einer realen Entgegensehung. Es kostet auch wirklich einigen Menschen im Anfange merkliche Mühe, einiges Gute zu unterlassen, wozu sie die positiven Antriebe in sich bemerken; die Gewohnheit erleichtert Alles, und diese Handlung wird zuleht wenig mehr wahrgenommen. Es sind demnach die Begehungsfünden von den Unterlassungssünden moralisch nicht der Art, sondern der Größe nach nur unterschieden. Physisch, nämlich den äußeren Folgen nach, sind sie auch wohl der Art nach verschieden. Derjenige, der Nichts bekommt, leidet ein Uebel des Mangels, und, dem genommen wird, ein Uebel der Beraubung. Allein was den moralischen Zustand desjenigen, dem die Unterlassungsfünde zukommt, anlangt, so wird zur Begehungsfünde nur ein größerer Grad der Handlung erfordert. So wie das Gegengewicht am Hebel eine wahrhafte Kraft anwendet, um die Last blos in Ruhe zu erhalten, und nur einiger Vermehrung bedarf, um es auf die andere Seite wirklich zu bewegen; eben also, wer nicht bezahlt, was er schuldig ist, der wird in gewissen Umständen betrügen, um zu gewinnen, und wer nicht hilft, wenn er kann, der wird, sobald fich die Bewegursachen vergrößern, den Anderen verderben. Liebe und Nicht-Liebe sind eins das contradictorische Gegentheil vom anderen.

Nicht-Liebe ist eine wahrhafte Verneinung, aber in Ansehung dessen, wozu man sich einer Verbindlichkeit zu lieben bewußt ist, ist diese Verneinung nur durch reale Entgegensetzung und mithin nur als eine Beraubung möglich. Und in einem solchen Falle ist nicht zu lieben und zu hassen nur eine Verschiedenheit in Graden. Alle Unterlassungen, die zwar Mángel einer größeren moralischen Vollkommenheit sind, aber nicht. Unterlassungssúnden, find dagegen nichts, als Verneinungen schlechthin einer gewissen. Lugend und nicht Beraubungen oder Untugend. Von dieser Art find die Mängel der Heiligen und die Fehler edler Seelen. Es fehlt ein gewisser größerer Grund der Vollkommenheit und der Mangel äußert sich nicht um der Entgegenwirkung willen.

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Man könnte die Anwendung der angeführten Begriffe auf die Gegenstände der praktischrn Weltweisheit noch sehr erweitern. Berbote sind negative Gebote, Strafen negative Belohnungen u. s. w. Allein meine Absicht ist für jest erreicht, wenn nur der Gebrauch dieses Gedankens überhaupt verstanden wird. Ich be merke wohl, daß Lesern von aufgeklärter Einsicht die bisherige Erläuterung weitläuftiger vorkommen werde, als nöthig ist. Allein man wird mich entschuldigen, sobald man bedenkt, daß es sonsten noch ein sehr ungelehriges Geschlecht von Beurtheilern gebe, welche, indem sie ihr Leben nur mit einem einzigen Buche zubringen, nichts verstehen, als was darin enthalten ist, und in Ansehung deren die äußerste Beitläuftigkeit nicht überflüssig ist.

4.

Wir wollen noch ein Beispiel aus der Naturwissenschaft entlehnen. In der Natur gibt es viele Beraubungen aus dem Conflictus zweier wirkenden Ursachen, deren eine die Folge der anderen durch reale Entgegensehung aufhebt. Es ist aber oftmals ungewiß, ob es nicht vielleicht blos die Verneinung des Mangels sei, weil eine positive Ursache fehlt, oder ob es die Folge der Opposition wahrhafter Kräfte sei, so wie die Ruhe entweder der fehlenden Bewegursache, oder dem Streit zweier einander aufhaltenden Beweg

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