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und nur Unruhe erregende Angriffe auf bisher bestandene Lehrweisen, mit volliger Beibehaltung des Materialen derselben gar wohl geschehen kann.

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Dritter Abschnitt.

Bom gesehwidrigen Streit der oberen Facultåten mit

der unteren.

Gefezwidrig ist ein öffentlicher Streit der Meinungen, mithin ein gelehrter Streit entweder der Materie wegen; wenn es gar nicht erlaubt wäre, über einen öffentlichen Sag zu streiten, weil es gar nicht erlaubt ist, über ihn und seinen Gegensah öffent: lich zu urtheilen; oder blos der Form wegen; wenn die Art, wie er geführt wird, nicht in objectiven Gründen, die auf die Vernunft des Gegners gerichtet sind, sondern in subjectiven, sein Urtheil durch Neigung bestimmenden Bewegursachen besteht, um ihn durch List, (wozu auch Bestechung gehört,) oder Gewalt (Drohung) zur Einwilligung zu bringen.

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Nun wird der Streit der Facultaten um den Einfluß aufs Volk geführt, und diesen Einfluß können sie nur bekommen, sofern jede derselben das Volk glauben machen kann, daß sie das Heil desselben am Besten zu befördern verstehe, dabei aber doch in der Art, wie sie dieses auszurichten gedenken, einander gerade entgegen= gesezt sind.

Das Volk aber seßt sein Heil zu oberst nicht in der Freiheit, ondern in seinen patürlichen Zwecken, also in diesen drei Stücken: nach dem Tode selig, im Leben unter anderen - Mitmenschen des Seinen durch öffentliche Gesetze gesichert, endlich des physischen Genusses des Lebens an sich selbst (d. i. der Gesundheit und des langen Lebens) gewärtig zu sein.

Die philosophische Facultät aber, die sich auf alle diese Wünsche nur durch Vorschriften, die sie aus der Vernunft entlehnt, einlassen kann, mithin dem Princip der Freiheit anhänglich ist, hält sich nur

Kant s. B. I.

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an das, was der Mensch selbst hinzuthun kann und soll: rechtschaffen zu leben, Keinem Unrecht zu thun, sich mäßig im Genusse und duldend in Krankheiten, und dabei vornehmlich auf die Selbsthülfe der Natur rechnend zu verhalten; zu welchem Allem es freilich nicht eben großer Gelehrsamkeit bedarf, wobei man dieser aber auch größtentheils entbehren kann, wenn man nur seine-Neigungen bändigen und seiner Bernunft das Regiment anvertrauen wollte, was aber, als Selbstbemühung, dem Volk gar nicht gelegen ist.

Die drei oberen. Facultäten werden nun vom Volk, (das in obigen Lehren für seine Neigung zu genießen, und Abneigung sich darum zu bearbeiten schlechten Ernst findet,) aufgefordert, ihrerseits Propositionen zu thun, die annehmlicher sind; und da lauten die Ansprüche an die Gelehrten, wie folgt. Was ihr Philosophen da schwaet, wußte ich längst von selbst; ich will aber von euch als Gelehrten wissen: wie, wenn ich auch ruchlos gelebt hätte, ich dennoch kurz vor dem Thorschlusse mir ein Einlaßbillet ins Himmelreich verschaffen, wie, wenn ich auch Unrecht habe, ich doch meinen Proceß gewinnen, und wie, wenn ich auch meine körperlichen Kräfte nach Herzenslust benußt und mißbraucht hätte, ich doch gesund bleiben und lange leben könne. Dafür habt ihr ja studirt, daß ihr mehr wissen müßt, als unser einer, (von euch Idioten genannt,) der auf nichts weiter, als auf gesunden. Verstand Anspruch macht. Es ist aber hier, als ob das Volk zu dem Gelehrten, wie zum Wahrsager und Zauberer ginge, der mit übernatürlichen Dingen Bescheid weiß; denn der Ungelehrte macht sich von einem Gelehrten, dem er etwas zumuthet, gern übergroße Begriffe. Daher ist es natürlicher Weise vorauszusehen, daß, wenn sish Jemand für einen solchen Wundermann auszugeben nur dreift genug ist, ihm das Volk zufallen und die Seite der philosophischen. Facultät mit Berachtung verlassen werde.

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Die Geschäftsleute der drei oberen Facultäten sind aber jederzeit folche Wundermánner, wenn der philosophischen nicht erlaubt wird, ihnen öffentlich entgegen zu arbeiten, nicht um ihre Lehren zu stürzen, sondern nur der magischen Kraft, die ihnen und den damit verbun

denen Observanzen daß Publicum, abergläubisch beilegt, zu widersprechen, als wenn sie bei einer paffiven Uebergebung an solche kunst: reiche Führer sich alles Selbsithuns überhoben, und mit großer Ge mächlichkeit durch sie zu Erreichung jener angelegenen Zwecke schon werde geleitet werden.

Wenn die oberen Facultäten solche Grundsätze annehmen, (wel ches freilich ihre Bestimmung nicht ist,); so sind und bleiben sie ewig im Streit mit der unteren; dieser Streit aber ist auch geset widrig, weil sie die Uebertretung der Gefeße nicht allein als kein Hinderniß, fondern wohl gar als erwünschte Veranlassung ansehen, ihre große Kunst und Geschicklichkeit zu zeigen, Alles wieder gut, ja noch besser zu machen, als es ohne dieselbe geschehen würde..

Das Volk will geleitet, d. i. in der Sprache der Demagogen) es will betrogen sein. Es will aber nicht von den Facultätsgelehrten, (denn deren Weisheit ist ihm zu hoch,) sondern von den Geschäftsmännern derselben, die das Machwerk (sçavoir faire) verstehen, von den Geistlichen, Justizbeamten; Aerzten geleitet sein, die, als Praktiker, die vortheilhafteste Vermuthung für sich haben; dadurch dann die Regierung, die nur durch sie aufs Bolk wirken kann, selbst verleitet wird, den Facultäten eine Theorie aufzudringen, die nicht aus der reinen Einsicht der Gelehrten ders selben entsprungen, sondern auf den Einflüß berechnet ist, den ihre Geschäftsmänner dadurch aufs Volk haben können, weil dieses natürlicher Weise demam Meisten anhängk; wobei es aṁ Wenigsten nöthig hat, sich selbst zu bemühen und sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen, und wo am Besten die Pflichten mit den Neigungen 'n Verträglichkeit gebracht werden können; z. B. im theologischen Fach daß buchstäblich glauben, ohne zu untersuchen, (selbst ohne einmal reht zu verstehen,) was geglaubt werden soll, für sich: heilbringend fei, und daß durch Begehung gewisser vorschriftmäßigen Formalien unmittelbar Verbrechen können abgewaschen werden z oder im juristischen, daß die Befolgung des Gesetzes nach den Buchstaben der Untersuchung des Sinnes des Gesetzgebers überhebe. notamme Hier ist nuns ein wesentlichet nie beizulegender geseßwidriger

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Streit zwischen den oberen und der unteren Facultät, weil das Princip der Gesetzgebung für die erstere, welches man der. Regierung, unterlegt, eine von ihr autorisirte Geseglosigkeit selbst sein würde. → Denn da Neigung und überhaupt das, was Jemand seiner. Pris vatabsicht zuträglich findet, sich schlechterdings nicht zu einem Gefeße qualificirt, mithin auch nicht, als ein solches, von den oberen Facultâten vorgetragen werden kann, so würde eine Regierung, welche dergleichen sanctionirte, indem sie wider die Vernunft selbst verstößt, jene oberen Facultäten mit der philosophischen in einen Streit versehen, der gar nicht geduldet werden kann, indem er diese gänzlich vernichtet, welches freilich das kürzeste, aber auch (nach dem Ausdruck der Aerzte) ein in Todesgefahr Gringendes heroifches Mittel ist, einen Streit zu Ende zu bringen.

Bierter Abschnitt...

Bom geschmäßigen Streit der oberen Facultäten mit der unteren.

Welcherlei Inhalts auch die Lehren immer sein mögen, deren öffentlichen Vortrag die Regierung durch ihre Sanction den oberen Facultaten aufzulegen befugt sein mag, so können sie doch nur als Statute, die von ihrer Willkühr ausgehen, und als menschliche Weißheit, die nicht unfehlbar ist, angenommen und verehrt werden. Weil indessen die Wahrheit derselben ihr durchaus nicht gleichgültig sein darf, in Ansehung welcher fie der Vernunft, (deren Interesse die philosophische Facultät zu besorgen hat,) unterworfen bleiben müsses, dieses aber nur durch Verstattung völliger Freiheit einer öffenlichen Prüfung derselben möglich ist, so wird, weil willkührliche, obzwar höchsten Orts sanctionirte Sagungen mit den durch die Vernunft als nothwendig behaupteten Lehren nicht so von selbst immer zusam menstimmen dürften, erstlich zwischen den oberen Facultäten und der unteren der Streit unvermeidlich, zweitens aber auch gesehmäßig sein, und dieses nicht blos als Befugniß, sondern auch als Pflicht

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der lehteren, wenngleich nicht die ganze Wahrheit öffentlich zu sagen, doch darauf bedacht zu sein, daß alles, was, so gesagt, als Grundsatz aufgestellt wird, wahr sei. COR

Wenn die Quelle gewisser sanctionirten Lehren historisch ist, so mógen diese auch noch so sehr als heilig dem unbedenklichen Ge horsam des Glaubens anempfohlen werden; die philosophische Facultät ist berechtigt, ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspüren. Ist sie rational, ob fie gleich im Lone einer historischen Erkenntniß (als Offenbarung) aufgestellt worden, so kann ihr (der unteren Facultät) nicht gewehrt werden, die Vernunftgründe der Gesetzgebung aus dem historischen Vortrage herauszusuchen, und überdem, ob sie, technisch oder moralisch - praktisch find, zu würdigen. Wáre endlich der Quell der sich als Ges seh ankündigenden Lehre gar nur ästhetisch, d. i. auf ein mit einer Lehre verbundenes Gefühl gegründet, (welches, da es kein objectives Princip abgibt, nur als subjectiv gültig, ein allgemeines Gesetz dars aus zu machen untauglich, etwa frommes Gefühl eines übernatúr lichen Einflusses sein würde,) so muß es der philofophischen Facultät frei stehen, den Ursprung und Gehalt eines solchen angeblichen Belehrungsgrundes, mit kalter Vernunft öffentlich zu prüfen und zu würdigen, ungeschreckt durch die Heiligkeit des Gegenstandes, den man zu fühlen vorgibt, und entschlossen dieses vermeinte Gefühl auf Begriff zu bringen. Folgendes enthält die formalen Grundsähe der Führung eines solchen Streits und die fich daraus ergebenden Folgen.

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1) Dieser Streit kann und soll nicht durch friedliche, Uebereins Funft (amicabilis compositio) beigelegt werden, sondern bedarf (als Proef) einer Sentenz, d. i. des rechtskräftigen Spruchs eines Richters (der Vernunft); denn es könnte nur durch Untauterkeit, Berheimlichung der Ursachen des Zwistes und Beredung geschehen, daß er beigelegt wurde, dergleichen Marime aber dem Geiste einer philofophischen Facultât, als der auf öffentliche Darstellung der Wahrheit geht, ganz zuwider ist.

2) Er kann nie aufhören, und die philosophische Facultät ist

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