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tuum in corpora corporumque in spiritus" entgegengestellt und in der zweiten die Monadologie wieder der Alomistik angenähert. Dogmatisch war aber damals auch noch sein Vertrauen in die Newtonische Physik und in die Selbstverständlichkeit ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen. Jenes blieb für Kant zeitlebens aufrecht; die Erschütterung des Vertrauens. in die letztere wurde späterhin aber für ihn der Hauptanlaß der Wendung zum Kritizismus.

3. DIE EMPIRISTISCHE PERIODE

Eine vorläufige, aber gründliche Abwendung vom Rationalismus sollte sich jedoch schon am Anfang der sechziger Jahre vollziehen. Sie war in dem Augenblicke entschieden, als Kant sich die Kern- und Lebensfrage alles Rationalismus zu deutlichem Bewußtsein brachte: Wie weit und in welchem Sinne ist logische Notwendigkeit identisch mit realer Wirklichkeit? Das dogmatische Vorurteil des Rationalismus war ja, daß das sich selbst überlassene, am Leitfaden der Logik sich forttastende Denken ganz von selbst zu seiner Übereinstimmung mit dem Sein führen müsse. Hier setzte Kants Zweifel ein. Er legte sich die Frage vor: Worauf gründet sich dieser Anspruch des menschlichen Denkens, inwiefern verbürgt der immanente Zwang der Logik die Realität des Gedachten? Mit dem Aufwerfen dieser Frage ist schon die Grundlage des Rationalismus untergraben. Es findet sich eben kein Rechtsgrund, der diese Zusammenstimmung von reinem Denken und realem Sein verbürgen könnte. Logische Denkoperationen vermögen zwar einen gegebenen Erkenntnisinhalt zu formen, nicht aber ihm etwas inhaltlich Neues hinzuzufügen. Nur von Anschauung und Erfahrung ist daher eine wirkliche Erweiterung unseres Wissens zu erwarten. „Denken“ und „,Erkennen" ist nicht dasselbe. Jenes bedarf der empirischen Grundlage, um zu Erkenntnis zu werden. Damit ist die Absage an den Rationalismus vollzogen. Seine auf bloße Syllogistik sich stützenden Systeme nennt er nun einen „Koloß, der sein Haupt in den Wolken des Altertums verbirgt und dessen Füße von Thon sind". Ihn zu stürzen ist nun sein Vorhaben 17.

Aus dieser grundstürzenden Einsicht ergab sich dann weiterhin die wichtige Unterscheidung von logischem Grund (ratio) und Realgrund (causa). Ihre Gleichsetzung war ein Hauptstützpunkt der rationalistischen Systeme gewesen, denn sie gestattete, aus logischen Abhängigkeitsverhältnissen auf die

Beschaffenheit der metaphysischen Wirklichkeit zu schließen. So wenig aber, wendet Kant nun ein, der logische Widerspruch zwischen zwei entgegengesetzten Behauptungen dasselbe ist wie der reale Gegensatz zwischen positiven und negativen Größen (z. B. zweier gleich rascher Bewegungen in entgegengesetzter Richtung), ebensowenig fallen logische Folgerungen und reale Kausalbeziehungen notwendig zusammen. Daraus ergibt sich aber, daß der Vorgang realer Kausation rein logisch überhaupt nicht einzusehen ist: „Wie soll ich es verstehen, daß, weil Etwas ist, etwas Anderes sei18 ? Nur die Erfahrung, nicht die begriffliche Analyse kann uns daher belehren, welche Vorgänge mit einander kausal verbunden sind. Kant nähert sich in diesem Punkte Hume insofern an, als auch die er den logischen Charakter der Kausalurteile bestritten hatte; er unterscheidet sich aber von ihm dadurch, daß er an dem realen Bestand einer Naturkausalität festhält und nur ihr Wesen vorläufig für unbegreiflich erklärt, während Hume deren Annahme überhaupt für eine unvermeidliche Täuschung der Einbildungskraft gehalten hatte. Die dritte wichtige Einsicht jener Zeit war die in den Unterschied von Mathematik und Philosophie ihrer Aufgabe und Methode nach. Die Mathematik geht von Definitionen aus und gelangt zu ihren Begriffen synthetisch, indem sie diese nach Anweisung jener Definitionen selbst konstruiert. Ihre Begriffe sind demnach selbstgeschaffene Gebilde des Verstandes, über die wir nur aussagen können, was wir ursprünglich in sie hineingelegt hatten. Darin kann es ihr die Philosophie aber nicht gleichtun. Die Definition des Kreises und die aus ihr abgeleiteten Sätze gelten, auch wenn es nirgends in der Natur einen vollkommenen Kreis gäbe. Die Philosophie hingegen kann ihre Gegenstände nicht selbst hervorbringen in welchem Falle

sie bloße Hirngespinste sein würden, sondern muß sie als gegeben hinnehmen und, so wie sie sind, zu erkennen suchen. Wenn daher für die Mathematik die Definitionen das erste sind, so sind sie für die Philosophie naturgemäß das letzte: nicht Grundlage, sondern Endergebnis ihrer Denkarbeit. Sie darf darum auch nicht wie es bisher aller Rationalismus getan hatte - die Methode der Mathematik nachzuahmen suchen. Der für sie allein Erfolg versprechende Weg, die „echte Methode der Metaphysik", wird vielmehr demjenigen gleichen, auf welchem Newton die Naturwissenschaft zur Höhe ihrer Triumphe geführt hat: Zergliederung der Erfahrung und Er

klärung der Erscheinungen aus den so gefundenen Regeln. Und was von der Philosophie im allgemeinen gilt, wird erst recht von der Metaphysik im besonderen gelten: sie hat bisher den Weg und darum auch das Ziel verfehlt. Ihre wahre Aufgabe ist,,,eine Philosophie über die ersten Gründe unserer Erkenntnis" zu sein, wie Kant schon hier in Vorwegnahme seiner kritischen Problemstellung lehrt. Und wie ein Programm seines künftigen Vorhabens klingt es, wenn er sagt: „Die Metaphysik ist ohne Zweifel die schwerste unter allen menschlichen Einsichten; allein es ist noch niemals eine geschrieben worden 19. Diese Wandlung seiner Ansichten gegen früher kommt besonders in den Schriften: „,Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren“, 1762, ,,Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen", 1763, und „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral", 1764, zum Ausdruck. Die letztere, deren Titel methodologische Untersuchungen über den Unterschied von Mathematik und Philosophie gar nicht erwarten läßt, war als Antwort auf eine Preisfrage der Berliner Akademie eingereicht worden, welche aber einer Abhandlung von M. Mendelssohn den Preis erteilte. Sie alle überragt aber an Bedeutung die 1766 anonym erschienene, ebenso humorvolle wie tiefsinnige Schrift: „Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik", in der Kant die Ergebnisse seiner bisherigen Untersuchungen in einem vernichtenden Endurteil über die Metaphysik seiner Zeit zusammenfaßt. Den unmittelbaren Anlaß zu ihrer Entstehung bot das Aufsehen, welches damals die Nachricht von den Visionen des Schweden Emanuel Swedenborg erregte und Kant wiederholte Anfragen über seine Meinung darüber zuzog. Swedenborg, früher als namhafter Naturforscher bekannt, rühmte sich in späterem Alter des Hellsehens und des Verkehrs mit der Geisterwelt und hatte 1743 auf Grund angeblicher Christusvisionen die,,Kirche des neuen Jerusalems" gegründet. Besonders einige verblüffende Voraussagen, wie des großen Brandes in Stockholm, den er in dem 400 km entfernten Gothenburg vor Augen gesehen haben wollte, setzten damals das gebildete Europa in Erstaunen. Kant kaufte sogar um teueres Geld Swedenborgs ,,Arcana caelestia", war aber über die ,,acht Quartbände voll Unsinn" nicht wenig enttäuscht und machte dem Ärger über ihren Autor, diesen ,,Schwärmer und Erzphantasten", in seiner Schrift entsprechend

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Luft. Mochten einzelne metaphysische Gedanken Swedenborgs der geheimen Neigung zur Mystik in Kants Seelengrunde immerhin entgegenkommen und vielleicht sogar seinem eigenen metaphysischen Glauben früherer Zeit ziemlich nahestehen, so war doch Kant weit entfernt, seinen spiritistischen Phantasien Gehör zu geben. Der Gedanke eines die ganze Geisterwelt umschließenden metaphysischen Universums (mundus intelligibilis), dem auch der Mensch seiner intelligiblen Seite nach angehört, spielte in Kants persönlicher Glaubensüberzeugung wohl immer eine gewisse Rolle 20; aus ihm die Möglichkeit eines spiritistischen Verkehrs mit dieser Geisterwelt abzuleiten, schien ihm aber gänzlich verkehrt und eine „Zuflucht der faulen Philosophie" zu sein. Ein Spielen mit solchen Gedanken lehnt er auf das entschiedenste ab; hier gibt es für ihn kein Zugeständnis. Den Hauptinhalt des Werkes bildet aber die Parallelisierung der Träume und Visionen Swedenborgs mit den Spekulationen einer vermeintlich wissenschaftlichen Metaphysik. Anknüpfend an Swedenborgs Ideen entwirft Kant selbst ein solches wohldurchdachtes „Märchen aus dem Schlaraffenlande der Metaphysik", indem er an einem frei erfundenen Beispiele zeigt, wie leicht es ist, durch geschickte Benützung begrifflicher Möglichkeiten ein vermeintliches Wissen um das Übersinnliche vorzutäuschen. Er zeigt aber auch zugleich, wie luftig und haltlos solche Kunstgebäude des Denkens sind: ohne Widerspruch, aber auch ohne objektive Grundlage, eben bloße Denk-Möglichkeiten. Sind die Illusionen und Halluzinationen Swedenborgs Träume der Empfindung, so sind jene nichts anderes als Träume der Vernunft, welche nicht nur mit Wissen nichts zu tun haben, sondern auch nicht einmal den Rang von ernstzunehmenden Hypothesen beanspruchen können. Nur der Umstand, daß die,,Verstandeswage" nicht ganz unparteiisch ist und ein Arm derselben, der die Aufschrift führt: Hoffnung der Zukunft, einen mechanischen Vorteil besitzt, sichert ihnen gläubige Aufnahme. Daraus folgt nun, daß die Philosophie alle Ursache hat, sich von solchen windigen Spekulationen abzuwenden und nur solchen Prinzipien zu trauen, welche in der Erfahrung eine sichere Grundlage besitzen. Über das Metaphysische mit wissenschaftlicher Sicherheit etwas auszumachen, bleibt uns aber versagt. Im Gegensatz zu jenen, welche hier gar keine Schwierigkeiten erblicken, nennt er sich selbst einen „Lernbegierigen, vor dessen Augen ... sich öfters. Alpen erheben, wo Andere einen ebenen und gemächlichen

Fußsteig vor sich sehen". Welche Aufgabe bleibt aber dann eigentlich der Philosophie auf Grund einer solchen selbstbeschränkenden Einsicht? Nun, diese Einsicht, wenn sie auch eine gewisse Resignation in sich schließt, ist eben auch eine philosophische Erkenntnis, und zwar eine sehr wichtige: ein Begreifen der Natur und der Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens selbst. Die neue so erwachsende Aufgabe der Metaphysik der Zukunft wird daher sein, den wahren Bereich unsrer Erkenntnisfähigkeit abzustecken, damit fürderhin jeder Zweifel ausgeschlossen bleibe, wo das Wissen aufhört und das Träumen anfängt. Oder kurz gesagt: Metaphysik ist „eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft". Es ist die kritische Aufgabe, die sich hier ankündigt.

Parallel mit dieser Wandlung der theoretischen Ansichten vollzieht sich in Kant auch eine Abkehr von der Ethik des Rationalismus. In der Schrift von 1764: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" schließt sich Kant ganz der psychologischen Moralbegründung der Engländer an, besonders jener Form, welche ihr Fr. Hutcheson in Fortbildung der Lehre Shaftesburys durch Annahme eines angeborenen ,,moralischen Sinnes" gegeben hatte. Demgemäß begründet hier auch Kant die moralischen Phänomene auf ein „Gefühl von der Würde und Schönheit der menschlichen Natur“. Viel nachhaltiger aber noch war der Einfluß, den zu dieser Zeit Kant durch Rousseau erfuhr, der im Gegensatz zum Intellektualismus und moralischen Sokratismus der Aufklärungszeit leidenschaftlich die Rechte des Gefühls verfochten hatte. In dem Handexemplar seiner oben genannten Schrift hat er die Umstimmung, welche er damals durch diesen radikalen Kritiker der Kultur und Bildung seiner Zeit erfahren hat, mit oft bemerkten Worten eingetragen: „Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen. Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses alles könnte die Ehre der Menschheit machen, und ich verachtete den Pöbel, der von nichts weiß. Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendete Vorzug verschwindet; ich lerne die Menschen ehren, und würde mich viel unnützer finden als die gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daß diese Betrachtung allen übrigen einen Wert geben könnte, die Rechte der Menschheit herzustellen." Dieser Vorrang des Moralischen vor dem bloß Intellektuellen bildete

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