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hatte, zwei Schriften der Untersuchung über Erdbeben, worin er in heute allgemein anerkannter Weise die weite Ausbreitung dieser Erderschütterung auf ihre Fortpflanzung im Meere zurückführte. Seine Promotionsschrift,,De igne" verteidigte die Auffassung der Wärme als Bewegungsvorgang, während er merkwürdigerweise in seinem Nachlaßwerk wieder der Annahme eines Wärmestoffes zuneigte. Eine Abhandlung über die „Theorie der Winde" (1756) enthält die Entdeckung des Drehungsgesetzes der Winde. Dieses naturwissenschaftliche Interesse blieb in Kant zeitlebens rege. Bis ins hohe Alter suchte er die Fortschritte der Naturwissenschaft zu verfolgen und beteiligte sich auch selbst an der Erörterung ihrer Probleme. Physikalische, geographische und biologische Fragen haben ihn immer beschäftigt. Kants Untersuchungen entbehren zwar der mathematischen Exaktheit im heutigen Sinne, stehen aber in ihrer begrifflichen Strenge durchwegs auf der Höhe ihrer Zeit. Sie haben vermöge ihres Ideenreichtums und ihres spekulativen Schwunges manchen Entdeckungen und Hypothesen der späteren Zeit den Weg bereitet.

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Weitaus an Bedeutung überragt alle anderen Schriften dieser Art Kants,,Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels", die 1755 anonym erschien und Friedrich II. gewidmet war, infolge des finanziellen Zusammenbruchs ihres Verlegers aber verspätet in den Buchhandel kam. Sie führt den Untertitel:,,Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonschen Grundsätzen abgehandelt" und enthält nicht weniger als die Begründung der modernen Kosmogonie. Vierzig Jahre später griff der Mathematiker und Astronom Simon Laplace in seiner Exposition du système du monde" (1796) wie es scheint ohne Kenntnis der lange unbeachtet gebliebenen Kantischen Abhandlung denselben Grundgedanken auf und gab ihm eine exaktere Grundlage. Man spricht daher nach dem Vorgange von Helmholtz zusammenfassend von einer „,Kant-Laplaceschen Hypothese" der Weltenbildung. Auf eine flüchtige Anregung hin 10 erfaßte Kant den Gedanken eines einheitlichen Bauplanes des ganzen Fixsternhimmels sogleich in seiner ganzen Tiefe und Tragweite und schöpfte aus ihm die Hoffnung, nun auch die Verfassung des Weltbaues aus dem einfachsten Zustande der Natur bloß durch mechanische Gesetze zu entwickeln", wobei ihm die Entstehung unseres Sonnensystems als Musterbeispiel dienen sollte. Kant knüpft hier unmittelbar

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an Newton an, dessen Gravitationstheorie gleichsam nach rückwärts ergänzend. Newton hatte zwar die Bewegungen der Himmelskörper mechanistisch erklärt, den ersten Anstoß dieser Bewegung aber für unbegreiflich gehalten und ihn demgemäß auf ein unmittelbares Eingreifen der „Hand Gottes" zurückgeführt. Ebenso hatte Newton die Größen- und Dichtigkeitsverhältnisse der Planeten und ihre ungefähre Anordnung in der Äquatorialfläche der Sonne nur in einer unerforschlichen ,,Wahl Gottes", also überhaupt nicht zu begründen gewußt. Kants Hypothese ist nun der großartige Versuch, die mechanistische Betrachtungsweise auch auf die erste Entstehung der Sonnensysteme und ihrer Bewegungsverhältnisse auszudehnen. „,Gebet mir Materie, ich will eine Welt daraus bauen! das ist: gebet mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Welt daraus entstehen soll11". Kants Hypothese, am Beispiel unseres Sonnensystems erläutert, ist in Kürze folgende: Als fiktiven Anfangszustand des Weltalls den einfachsten,,,der auf das Nichts folgen kann" nimmt Kant den einer chaotischen Zerstreuung der Materie an; also eine vollkommene Disgregation des Stoffes in kosmischen Staub. Vorausgesetzt werden nur gewisse Dichtigkeitsunterschiede in der Verteilung der Materie gemäß der Verschiedenheit der Elemente, in die sie aufgelöst gedacht wird, und die Wirksamkeit zweier Kräfte: der Attraktion (Gravitationskraft) und der Repulsion (wie sie in den Erscheinungen der Elastizität und der Ausbreitung der Gase zu beobachten ist). In jenem ursprünglichen Gasball von der ungefähren Größe des heutigen Sonnensystems bewirkt nun die Anziehungskraft Ballungen der Materie um Stellen größerer Dichte. Die Abstoßungskraft hingegen bewirkt, daß die dorthin stürzenden Stoffteile vermöge gegenseitiger Störung von der geraden Fallinie abgelenkt werden. Durch diesen Antagonismus der beiden Kräfte werden so die vertikalen Bewegungen in drehende und wirbelnde verwandelt. Es entstehen große Wirbel um dichtere Kerne als ihren Mittelpunkt. Dieser Kern wird dadurch zu einem Zentralkörper, der durch die Wirbelbewegung in Rotation und durch die beständig einstürzenden Massen in Gluthitze versetzt wird. Innerhalb jener Rotationssphären wiederholt sich der gleiche Vorgang: es bilden sich Gravitationszentren zweiter Ordnung, die dann als Planeten unter Beibehaltung der ursprünglichen Umdrehungsrichtung den Zentralkörper, und Monde, welche wieder die Planeten

umkreisen 12. In den Ringen des Saturn, als einem Reste der den Planeten umschwebenden Dunstmassen, erblickt Kant gleichsam ein Denkmal aus der Urgeschichte der Weltkörper überhaupt. Dem Gravitationsgesetze nach werden nun jene sekundären Ballungen umso näher an den Zentralkörper herangezogen werden, je mehr Masse sie enthalten. Daher kommt es, daß die Planeten an Dichtigkeit ab-, an Volumen aber in gleichem Maße zunehmen, je weiter sie von der Sonne entfernt sind. Ihre Dichtigkeit verhält sich also umgekehrt proportional zu ihrem Volumen und ihrer Entfernung von der Sonne. Was nun von unserem Sonnensystem gilt, das wird auch von allen Fixsternsystemen gelten und ebenso von der Milchstraße und den in unausdenkbarer Ferne beobachtbaren elliptischen Nebeln, welche Kant als perspektivisch wahrgenommene Fixsternsysteme auffaßt. Jeder Weltkörper ist so Glied eines Sonnensystems, das in ein System höherer Ordnung eingeschlossen ist, das sich wieder einer noch umfassenderen Einheit eingliedert. So eröffnet sich der erhabene Ausblick in eine wahre Unermeßlichkeit von Welten, deren jede wieder im Gedanken der Unendlichkeit des Universums zu einem verschwindenden Punkt zusammenschrumpft. Wie die einzelnen Welten in der Zeit entstanden sind, so werden sie einst auch wieder in der Zeit vergehen. Das Weltall selbst aber ist unvergänglich und erzeugt an anderen Orten immer wieder neue Bildungen. Es ist der wahre „Phönix der Natur, der sich nur darum verbrennt, um aus seiner Asche wiederum verjüngt aufzuleben 13". So erklärt sich auch jener chaotische Anfangszustand, mit dem Kant die Weltbildung beginnen läßt, als das Ergebnis des Zusammensturzes vorher bestandener Welten. Kosmos und Chaos lösen nach unveränderlichen Gesetzen beständig einander ab, so daß ein ewiger Kreislauf von Weltenbildung und Weltenzerstörung sich ergibt. Diese Kantische Nebularhypothese steht ungeachtet mancher Einschränkungen, Korrekturen und Versuche zu ihrer Umbildung, welche sie sich gefallen lassen mußte, auch heute noch ihrem Grundgedanken nach in Geltung. Wenn man auch Bedenken dagegen erhoben hat, daß die Kreisbewegung einer anfänglich ruhenden Masse allein durch den Antagonismus der beiden Urkräfte entstehen könne (daher Laplace schon den Urnebel um eine zentrale Achse rotieren ließ), so findet doch ihre Grundanschauung in der Spektralanalyse, welche das Vorkommen derselben Elemente im ganzen Himmelsraum nach

weist, in der übereinstimmenden Bewegungsrichtung der Planeten und der geringen Exzentrizität ihrer Bahnen ihre Bestätigung. Auch Kants Vermutungen über die Natur der Nebelilecke wurden durch die Beobachtungen F. W. Herschels glänzend bestätigt.

Das erkenntnistheoretisch Bedeutsame an dem Kantischen Werke ist die strenge Durchführung der kausalen Betrachtungsweise unter Ausschluß aller metaphysischen Erklärungsversuche, wie sie damals noch gang und gäbe waren. Er wolle sich, sagt er,,,mit größter Behutsamkeit aller willkürlichen Erdichtungen entschlagen" und stand schon damals auf dem sechsundzwanzig Jahre später eingenommenen Standpunkte, daß die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Natur wiederum aus Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden müsse und daß hier selbst die,,wildesten Hypothesen", wenn sie nur physisch sind, erträglicher seien als eine Berufung auf das Hyperphysische 14. Aber allerdings zwei Grenzen der mechanistischen Erklärungsart müsse der besonnene Forscher anerkennen: die erste Entstehung der Urmaterie und der Weltordnung selbst und die Entstehung der Organismen. Beide enthalten nach Kant den unzweideutigen Hinweis auf einen allweisen Schöpfer der Dinge. Je vollkommener der Mechanismus der Natur gedacht wird, je weniger er einer göttlichen Nachhilfe bedürftig erscheint, umso gewisser ist er in seiner Gänze göttlichen Ursprungs. Ein Universum, das sich aus einem Chaos wirbelnder Gase von selbst zu einem herrlichen Kosmos entwickelt und erhält, beweist mehr als alles andere das Wirken einer zwecksetzenden Intelligenz. Mit Leibniz ist Kant so überzeugt, daß Kausalismus und Teleologie einander nicht ausschließen, sondern sich vielmehr notwendig ergänzen. Mag auch manches in den etwas salbungsvollen Worten der Vorrede nur einer klugen Vorsicht entsprungen sein, so ist doch kein Zweifel, daß Kant damals noch aufrichtig an die Tragfähigkeit des kosmologischen und teleologischen Gottesbeweises glaubte. Und ebenso müssen wir vor der Entstehung des Lebens mit der Mechanistik haltmachen. Die mechanistische Theorie, welche für Sonnen und Planeten ausreicht, scheitert am Grashalm und der Raupe: ,,Ist man im Stande, zu sagen: gebt mir Materie, ich will euch zeigen, wie eine Raupe erzeugt werden könne?" Noch fünfunddreißig Jahre später hält es Kant für ausgeschlossen, daß jemals ein,,Newton des Grashalms" auferstehen könne15. Aber

auch schon damals bezweifelt er nicht die Möglichkeit einer Entstehung der Organismen nach mechanischen Gesetzen, sondern nur die Möglichkeit ihrer mechanistischen Erklärung, für welche ihm der Zweckbegriff unentbehrlich scheint. Kant knüpft an seine Betrachtungen auch noch allerlei metaphysische Phantasien. Die kosmische Verwandtschaft der anderen Planeten läßt es als wahrscheinlich oder doch nicht als unmöglich erscheinen, daß auch sie von lebenden Wesen bewohnt seien. Je weiter aber ein Planet von der Sonne entfernt ist, desto feiner ist seine Materie. Es läßt sich aber voraussetzen, daß in gleichem Maße auch die Organisation der Planetenbewohner um so feiner und „,elastischer" beschaffen sein müßte und umgekehrt um so gröber und unvollkommener, je dichter der Stoff ihres Wohnkörpers ist. Die Deutlichkeit, Lebhaftigkeit und Raschheit ihres Denkens wie nicht minder die Trelflichkeit ihrer moralischen Eigenschaften müßten daher ihrem Abstande von der Sonne direkt proportional sein. Sollte nun die unsterbliche Seele des Menschen für ewig an diesen recht unvollkommenen Planeten gebunden sein? „Wer weiß, laufen nicht jene Trabanten um den Jupiter, um uns dereinst zu leuchten ? Es ist der kühne Gedanke einer kosmischen Seelenwanderung, in den Kants Hypothese hier ausklingt. Er nennt ihn erlaubt und anständig, fügt aber hinzu, niemand werde die Hoffnung des Künftigen auf so unsichere Bilder der Einbildungskraft gründen. Kant teilt die Vorliebe für ihn mit Lessing, Lichtenberg und Hume, ist sich aber des Unterschiedes zwischen solchen Mutmaßungen und wissenschaftlich begründbaren Annahmen wohl bewußt16.

Die philosophischen Schriften dieser Zeit, wie die,,Nova dilucidatio", 1755, und die „,Monadologia physica", 1756, stehen trotz gewisser Selbständigkeit ganz im Zeichen der LeibnizWolffischen Philosophie, als deren Anhänger Kant auch durch viele Jahre allgemein galt. Wenn 'nun auch Kant schon in seinem lebhaften naturwissenschaftlichen Interesse ein gewisses Gegengewicht gegen die einseitig metaphysische Richtung dieser Schule besaß, so war sein Denken in jener Zeit doch noch durchaus „,dogmatisch". Dogmatisch war die methodische Voraussetzung, daß die Methode logischer Begriffszergliederung hinreiche, um das Wesen der Dinge zu begreifen. Auf Grund ihrer hat Kant z. B. in der erstgenannten Schrift (wohl noch unter dem Einf usse seines Lehrers M. Knutzen) der prästabilierten Harmonie den Gedanken einer „,actio universalis spiri

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