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höchste Gut auf Erden" pries und deren „,Kritik" doch eben wieder sein Lebenswerk ausmachte. Wir verstehen die Eigentümlichkeiten von Kants äußerer Lebensform so am besten, wenn wir sie auf den natürlichen Schutzinstinkt des genialen Menschen zurückführen, der im Gefühl des Großen, das ihm auferlegt ist, die inneren und äußeren Hemmungen seiner Schaffenskraft auf ein Minimum zu verringern bestrebt ist. Daraus erklärt sich die Unterordnung alles Emotionalen und Impulsiven unter das Rationale bei Kant, die selbstgewollte Einförmigkeit seines Lebenslaufs wie dessen pedantische Ordnung und Maximenhaftigkeit, vermöge der sich uns Kant als ein Mann der Grundsätze darstellt, dem es nicht genügt, in dem oder jenem Falle richtig zu handeln, sondern der auch sein Handeln jederzeit vom Bewußtsein seiner Richtigkeit begleitet sehen will. Eben daraus erklärt sich auch jener Zug von zwar recht zeitgemäßer, uns aber oft übertrieben erscheinender Vorsicht, ja Ängstlichkeit im Aussprechen neuer Wahrheiten, den wir manchmal an ihm beklagen müssen. Daraus erklärt sich endlich Kants so stark ausgeprägter Sinn für äußere Unabhängigkeit: seine Sparsamkeit in der Vermeidung unnützer Auslagen, seine Ehelosigkeit, seine Seßhaftigkeit, die ihn die weitere Umgebung seiner Vaterstadt nie verlassen ließ, seine rigorose Pünktlichkeit. Es ist die Ökonomie des Genies mit seiner Zeit und Kraft. Auch sein körperliches Wohlbefinden, das er einem schwächlichen Körperbau und einem Hange zur Hypochondrie gleichsam abtrotzen mußte, war vermöge eines Systems strengster Gesundheitsregeln, die er in der Schrift:,,Von der Macht des Gemüts durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu werden" (1798) niedergelegt hat, gewissermaßen sein eigenes Werk. Als der vollkommenste Mensch galt ihm der, welcher die vollständigste Herrschaft der Vernunft über seine Leidenschaften errungen, und einer seiner ersten Biographen, R. B. Jachmann, berichtet auch von ihm, „er habe eine unumschränkte Herrschaft über seine Neigungen und Triebe ausgeübt". Bildet so den Grundzug seines Wesens ein Zug von stillem Heroismus in der Hingabe der ganzen Persönlichkeit an eine große, früh erkannte Aufgabe, so war doch wiederum Kants Gebaren im gewöhnlichen Leben weit entfernt von jeder Pose, aber auch von jedem Wissensstolz, jeder Selbstgenügsamkeit oder gar Genialitätssucht. Strengste Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit waren vielmehr das hervorstechendste Kennzeichen seiner

sittlichen Persönlichkeit. Die wetterwendische und auf den Schein angelegte Gemütsart" war in der Tat, wie er selbst einmal sagt, dasjenige, worin zu geraten er niemals Gefahr lief. Im übrigen war Kant keineswegs eine ungesellige oder weltfremde Natur. Unausgesetzt bemüht, seine Welt- und Menschenkenntnis zu erweitern, wich er auch angenehmer Geselligkeit und dem Verkehr mit Menschen der verschiedensten Berufsklassen keineswegs aus. Neben großer Liebe zur Natur, die aus vielen feinen Bemerkungen in seinen Schriften hervorgeht, erfüllte ihn auch ein lebhafter Sinn für Freundschaft, wie ihn solche mit Hamann und Hippel, mit dem Kaufmanne Green, dem Bankdirektor Ruffmann und dem Oberförster Wobser verband. Es ist das Bild des echten Weisen, das uns in der Charaktergestalt des Königsberger Denkers vor Augen tritt: innere Größe bei äußerer Schlichtheit, Vorherrschaft der Reflexion, aber auf dem Grunde stärksten Erlebens, ein Heldentum der Vernunft, aber nicht bloß in der Theorie, sondern auch in der Durchdringung des ganzen Lebens mit erhabenster Reinheit und Hoheit der Gesinnung.

3. KANT ALS SCHRIFTSTELLER

Denselben Charakter wie sein Leben tragen auch Kants Schriften: sie enthalten tiefsten und reichsten Inhalt in enger, oft pedantischer Form. So wie das Programm seiner Vorlesungen zeigen auch sie eine staunenswerte Weite des geistigen Horizontes und eine Universalität des Wissens, das sich ebensowohl auf mathematisches, physikalisches, geographisches und biologisches Gebiet erstreckte wie auf theologisches und juridisches. Hingegen lag, dem unhistorischen Sinn der Aufklärungszeit entsprechend, die Geschichte weniger in seinem Gesichtskreis und selbst die Lehren früherer Philosophen beliebt er oft in recht freier Fassung wiederzugeben und sie gelegentlich dem gerade vorliegenden Interesse gemäß zurechtzubiegen. Obwohl Kants Denken nicht weniger wie z. B. das Schopenhauers in lebendiger Anschauung wurzelt, kommt dies in seinen Werken nicht recht zum Ausdruck, weil sein,,herrischer a-priori-Verstand 6" es vorzieht, seine Themen möglichst begrifflich zu fassen und ihre Darstellung einem einmal gewählten Konstruktionsschema oft gewaltsam genug anzupassen. Besonders im vorgerückteren Alter - schon beim Erscheinen der „,Kritik der reinen Vernunft" zählte Kant siebenundfünfzig Jahre kommt diese Eigenart oft in störender

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und ermüdender Weise zur Geltung. In grotesker Vergrößerung treten diese Fehler in den Fragmenten von Kants hinterlassenem Alterswerk zutage. Zwar zeigen die kleineren und besonders die früheren Schriften Kants, daß ihm auch ein anmutigerer Stil, gewürzt durch Humor und feine Ironie, zu Gebote stand, allein der wissenschaftliche Ernst und seine Gewissenhaftigkeit auch als Denker schienen ihm bei der Tiefe und Schwere der Probleme eine „unvermeidliche Trockenheit und scholastische Pünktlichkeit" zu erfordern. Daher die strenge Form des ,,Systems"; denn nur das Systematische schien Kant eine Bürgschaft des Gründlichen zu sein. Dieser Hang zu einer systemisierenden Architektonik um jeden Preis, in Verbindung mit seiner Neigung zu möglichst weit getriebenen Begriffsdistinktionen und dem Bestreben, jeden Gedanken mit erschöpfender Vollständigkeit auszudrücken, verleihen seiner Darstellung oft jenen Charakter überscholastischer Schwerfälligkeit und Unübersichtlichkeit, der ihr Verständnis dem Anfänger so sehr zu erschweren pflegt. Kant selbst mußte zugeben, daß seine Werke der Durchsichtigkeit ermangeln und dadurch unrichtige Auffassungen begünstigen: „Manches Buch wäre viel deutlicher geworden, wenn es nicht gar so deutlich hätte werden sollen"". Schopenhauer vergleicht die eigentümliche Architektur Kantischer Systematik einmal mit der „gotischen Baukunst". Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß allem guten Willen des Verfassers und dem äußeren Anschein zum Trotz gerade die kritischen Hauptwerke doch eine gewisse Unfertigkeit und Unausgereiftheit der Gedanken selbst verraten, was sie zur Quelle von manchen Unklarheiten und Widersprüchen macht und von Anfang an eine weitgehende Vielspältigkeit der Ausdeutung begünstigte. Die übergroße Fülle der neuen Ideen vermochte sich eben in einem Geiste, und wäre es der größte gewesen, nicht mit einem Male auszuleben. Zudem hat Kant nach seinem eigenen Geständnis auf die stilistische Ausarbeitung seiner Werke weniger Sorgfalt und Aufmerksamkeit verwendet als auf ihren Inhalt, was wohl auch damit zusammenhängt, daß ihm die gewaltige Gedankenarbeit in Verbindung mit seinen vielen Amtspflichten wenig Zeit dafür übrig ließ. Besonders der mehrdeutige Gebrauch wichtiger Begriffsnamen (wie z. B. Metaphysik, Erscheinung, Gegenstand usw.) bald in alter und bald in der von ihm selbst gegebenen neuen Bedeutung wirkt in dieser Hinsicht auffallend und störend. Gleichwohl entbehrt auch

Kants Stil für den, der sich einmal in ihn eingelesen, nicht einer eigentümlichen spröden, aber majestätischen Schönheit und die strenge, jeden Schmuck verschmähende Sachlichkeit der Darstellung wird selten zwar, dann aber um so eindrucksvoller von Stellen pathetischen Schwungs und ergreifender Enthüllung des im Innern lodernden Feuers durchbrochen. In Kants Gedankengänge einzudringen, bedarf eines ernsten Willens, dem dafür aber reichster Lohn winkt.

II. DIE VORKRITISCHE ZEIT

1. KANTS PHILOSOPHISCHE ENTWICKLUNG

Kant hat den ihm eigentümlichen kritischen Standpunkt nicht in einem raschen Auf- chwunge kühner Genialität erobert, sondern erst in langer, mühevoller Gedankenarbeit sich zu ihm durchgerungen. Er mußte sich durch die vorgefundenen, in Ansehung und Geltung stehenden Richtungen erst hindurcharbeiten, bevor er das große Neue an ihre Stelle zu setzen vermochte. So ist seine philosophische Entwicklung nacheinander unter dem Zeichen Leibnizens, Wolffs, Newtons, Lockes, Humes und wieder Leibnizens gestanden und hat auch durch Crusius und Lambert gewisse Einflüsse erfahren. Kant hat im Geiste aller dieser Standpunkte auch selbst literarisch gearbeitet und sie, auch hierin den selbständigen Denker nicht verleugnend, in seiner Art gefördert. Man darf annehmen, daß diese Entwicklung nicht ohne starke innere Kämpfe vor sich gegangen ist. Denn Kant, der Sache nach der größte Neuerer, ja ein Geist von geradezu revolutionärer Kraft, war für seine Person von vorschneller Neuerungssucht weit entfernt. Dagegen spricht neben seiner Gewissenhaftigkeit als Denker, welche ihm gründliche Prüfung vor jeder Entscheidung zur Pflicht machte, auch die starke Entwicklung der Achtungsgefühle, welche zu Kants Eigenart gehört. In der Tat hat Kant die Spuren seines geistigen Werdeganges niemals ganz abgestreift, und die Folge davon ist, daß auch das ausgereifte Werk Züge derselben an sich trägt und nach Form und Inhalt manche Bürden der Vergangenheit mitschleppt. Kant selbst hat später über seine vorkritischen Schriften ziemlich geringschätzig geurteilt und wollte sie in die Sammlung seiner Werke nicht mehr aufgenommen wissen. Es gibt aber in der Tat keine bessere Einleitung in den Kritizismus als dessen Ent

wicklungsgeschichte im Geiste seines Urhebers. Denn das philosophisch Bedeutsame an dieser ist, daß sie gleichsam ontogenetisch dieselben Stufen durchläuft, welche die Philosophie selbst gleichsam phylogenetisch hatte durchlaufen müssen, um für ihre Neugestaltung durch den Kritizismus reif zu werden. In vollkommener Deutlichkeit scheidet sich mit dem Jahre 1769 die vorkritische Periode in Kants Denken von der kritischen. Innerhalb der ersteren kann man wieder eine Zeit unterscheiden, in der Kant etwa bis zu Anfang der sechziger Jahre — noch im Banne eines dogmatischen Rationalismus stand. Newtons Physik und die LeibnizWolffische Metaphysik boten hier die Richtlinien seines Forschens und Denkens. Dann aber machte sich ein Einfluß Lockes, Humes und Rousseaus geltend, der in einer kritischempiristischen Geisteshaltung dieser Zeit seinen Niederschlag fand. Ein nochmaliges Zurückgreifen auf Leibniz bei bald nachher einsetzender energischer Abwendung von Hume auf Grund eines tieferen Verständnisses der skeptischen Folgerungen des reinen Empirismus bereitet die Wendung zum Kritizismus vor. Hume hat so zweimal auf Kants Entwicklungsgang Einfluß genommen: einmal in positiver und das andermal in vorwiegend negativer Art. Auf die subtile Untersuchung dieser Einflüsse hat man viel Mühe verwendet. Sie wären aber alle zusammen bei einem Geiste von solcher Selbständigkeit kaum in dem Maße wirksam geworden, um wirkliche „Umkippungen" (Kants eigener Ausdruck) jener Art zu veranlassen, wenn ihnen nicht seine innere Gedankenentwicklung schon gleichsam entgegengekommen wäre. In der Tat trug jeder der früheren Standpunkte Kants, der sich ja nie sklavisch an das Vorgefundene band, durch die Eigenart seiner Stellungnahme schon den Keim seiner Überwindung in sich, so daß die einzelnen Perioden gewissermaßen von selbst ineinander überführen 9. Gänzlich abgerissen ist der Zusammenhang mit dem Früheren an keiner Stelle, auch nicht in seinen kritischen Hauptwerken.

2. DIE RATIONALISTISCHE PERIODE

Das Interesse des jungen Kant war, nachdem sein Lehrer M. Knutzen ihm diesen Weg gewiesen, vorwiegend auf die Naturwissenschaft gerichtet, ja es hatte den Anschein, als wollte seine Tätigkeit ganz darin aufgehen. So widmete er anläßlich der Katastrophe, welche 1755 die Stadt Lissabon heimgesucht

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