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taigne und besonders Lichtenberg seine Lieblingsschriftsteller. Außerdem hat er sicher Haller, Pope, Wieland und Bürger gekannt und gelesen. Zu Goethe und Schiller kam er in kein inneres Verhältnis mehr. Den Namen Goethes suchen wir vergebens in seinen Schriften. Gleichwohl lag seine eigene Ästhetik ganz in der Richtung jener Erneuerung der deutschen Literatur, wie sie von Lessing, Bodmer und den Engländern ausgegangen war, und stand im schärfsten Gegensatze zum Wolffschen Rationalismus und der Nachahmungsästhetik eines Gottsched. Für Gemälde und Kupferstiche soll ihm, wie ein anderer Biograph (Borowski) berichtet, überhaupt jeder Sinn gefehlt haben. Nur ein Bildnis Rousseaus schmückte die kahlen Wände seines Zimmers. Am allerwenigsten aber hatte er für die Musik übrig. Hier fehlte ihm vor allem die persönliche Empfänglichkeit, daher er Konzerten äußerst selten beiwohnte und am ehesten noch Militärmusik leiden mochte. Aber auch aus prinzipiellen Gründen verhielt er sich ablehnend. Obgleich er ihre Kraft, das Gemüt lebhafter und inniglicher als alle anderen Künste zu bewegen, anerkannte, stellt er sie doch an die letzte Stelle unter den schönen Künsten,,,weil sie bloß mit Empfindungen spielt". Jener Umstand nämlich, daß sie eine ,,Sprache der Affekte" ist, begründet den allgemeinen Beifall, den sie findet. Als ,,regelmäßiges Spiel von Empfindungen des Gehörs" rechnet sie aber nur deshalb nicht zu den bloß angenehmen Künsten, weil sie geeignet ist, der Poesie zum,,Vehikel“ zu dienen. Auch meinte Kant, es gäbe unter den Poeten nicht so viele seichte Köpfe als unter den Tonkünstlern, weil jene doch auch zum Verstande, diese aber bloß zu den Sinnen zu reden pflegen. Selbst oft durch Musik in seiner Nachbarschaft im Denken gestört, meinte er nicht ganz mit Unrecht, es hänge ihr ein,,gewisser Mangel an Urbanität" an, indem sie ihren Einfluß weiter, als man ihn verlangt, ausbreitet und so sich gleichsam aufdrängt, mithin der Freiheit anderer, außer der musikalischen Gesellschaft, Abbruch tut". Er vergleicht sie in dieser Hinsicht mit einem parfümierten Taschentuche. Trotz mancher Eigenheiten erscheint jedoch Kants Ästhetik um so bewunderungswürdiger, als ihm selbst jede lebendige Berührung mit der Kunst fehlte und auch seine Naturanschauung sehr beschränkt war. Man hat wiederholt und mit Recht be

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merkt, daß Kant durch die genial-intuitive Art, mit der er trotzdem das Wesen des Ästhetischen in einer bis dahin ungeahnten Weise aufhellte, seinen eigenen Satz, daß das Genie auf die Kunst allein beschränkt sei und in der Wissenschaft kein Heimatrecht besitze, widerlegt habe175

XI. RELIGIONSPHILOSOPHIE.

1. DIE RELIGION ALS PROBLEM

Alle Philosophie ist ursprünglich Streben nach Weisheit. Nur im Dienste dieses Ideals wurde sie zur Wissenschaft. Nicht immer blieb sie jenes erhabenen Zieles eingedenk, sondern verfolgte vielfach ihre spekulativen Interessen, als wenn diese Selbstzweck wären, während sie doch nur in ihrer Beziehung auf jenen höheren Zweck ihre letzte Rechtfertigung finden. Höher als die rein wissenschaftliche Aufgabe der Philosophie steht daher ihre allgemein menschliche Bestimmung. Oder wie Kant dies ausdrückt: ihr ,,Schulbegriff" ist ihrem,,Weltbegriff" untergeordnet. Ihrem Schulbegriffe nach ist sie das logisch einheitliche System aller philosophischen Erkenntnisse. Ihrem Weltbegriffe nach aber ist sie die Wissenschaft von der Beziehung aller Erkenntnis auf die wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft. Erst dieser hohe Begriff gibt der Philosophie Würde und damit absoluten Wert. Der Philosoph in diesem Sinne ist nicht mehr bloßer,,Vernunftkünstler", sondern ein Lehrer im Ideal, der alles menschliche Denken und Forschen nur als Werkzeug benutzt, um die letzten Absichten der Vernunft zu fördern, und ihm erst dadurch die höchste Weihe und wahren Sinn verleiht. Seine vollendete Erscheinung wäre das Ideal des Weisen, welcher durch Lehre und Beispiel als Gesetzgeber der Menschheit wirkt, welchem nur in der Idee existierenden Urbilde zu gleichen sich aber niemand anmaßen darf. Jene wesentlichen Zwecke der menschlichen Vernunft lassen sich nun in Gestalt dreier Fragen darstellen:

1. Was kann ich wissen?

2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?

Auf die erste Frage antwortet die Transzendentalphilosophie und die Metaphysik der Natur in der neuen Bedeutung des Wortes; auf die zweite die Moralphilosophie oder die Metaphysik der Sitten; eine Antwort auf die dritte verspricht uns die Religion. Eine allfällige vierte Frage: ,,Was ist der Mensch ?" fällt der Anthropologie anheim. Von ihnen ist die zweite die bei weitem wichtigste. Denn der höchste unter jenen wesentlichen Zwecken ist die Bestimmung des Menschen, worüber uns nur die Moral aufzuklären vermag. Versteht man unter einem „Primat" den Vorzug eines Interesses über alle anderen, so besitzt darum die praktische Vernunft den Primat über die theoretische, weil unser höchstes Interesse ein praktisches ist, dem gegenüber mit Rücksicht auf die Frage nach der letzten Bestimmung des Menschen alle spekulativen Interessen untergeordnet erscheinen174.

Kant hat es daher seit den ,,Träumen" immer wiederholt und mit gleichem Nachdrucke eingeschärft, daß unsere Pflichten ganz unabhängig sind von unseren Hoffnungen auf ein jenseitiges Leben und daß daher auch die Moral ganz unabhängig ist von der Religion. Die moralischen Gesetze gebieten schlechthin und ,,alle Menschen könnten hieran auch genug haben, wenn sie (wie sie sollten) sich bloß an die Vorschrift der reinen Vernunft im Gesetze hielten. Was brauchen sie den Ausgang ihres moralischen Tuns und Lassens zu wissen, den der Weltlauf herbeiführen wird? Für sie ist's genug, daß sie ihre Pflicht tun; es mag nun auch mit dem irdischen Leben alles aus sein und wohl gar in diesem Glückseligkeit und Würdigkeit niemals zusammentreffen". Obzwar so die Moral an und für sich keinerlei Zweckvorstellung als Bestimmungsgrundes bedarf, so wohnt dem Menschen dennoch ein von der Vernunft selbst gestütztes Bedürfnis inne, nach dem Erfolge seines pflichtgemäßen Tuns zu fragen und sich so einen Endzweck seines moralischen Strebens zu erdenken. Seine emotionale Verstärkung findet dieser Finalgedanke dann insbesondere durch das Glückseligkeitsstreben des Menschen, das ihm als Sinnenwesen von Natur aus innewohnt und das, so wenig es in der Entscheidung sittlicher Fragen mitzureden hat, sich um so vernehmlicher zum Worte meldet, wo es sich um den Enderfolg eines im Dienste der Pflicht verbrachten Lebens handelt. Daher pflegt das moralische

Bewußtsein in der Regel innigst mit dem religiösen verknüpft zu sein. Diese Wendung ins Religiöse vollzieht sich damit, daß die sittlichen Gesetze so gedacht werden, als wären sie von einem göttlichen Urheber aller Dinge erlassen. Religion in diesem Sinne ist somit nichts anderes als die,,Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote". Eben dadurch wird ihre Übertretung zur „Sünde". Schon wegen dieser engen Verbindung von Religion und Moral kann die kritische Philosophie nicht umhin, zum religiösen Problem Stellung zu nehmen. Ihre Aufgabe kann hier nur sein, eine Entscheidung darüber zu fällen, was vom Standpunkte der kritischen Vernunft über die religiösen Dinge sich behaupten läßt und wie solche Behauptungen möglich sind. Die religiösen Vorstellungsweisen bedeuten für sie zunächst nur eine historischpsychologische Tatsache, deren Vernunftgehalt es somit herauszustellen gilt. Das eine steht aber nach den prinzipiellen Ergebnissen der Kantischen Ethik bereits fest: daß die Moral ihre durchaus selbständige Geltung in sich hat und in keiner Weise von der Theologie abhängig gemacht werden darf. Die Moral bleibt unter allen Umständen das erste; ihre Auslegung in religiösem Sinne und die Perspektiven, welche sich an sie knüpfen mögen, sind das zweite und hängen in ihrer möglichen Geltung ganz davon ab, ob sie mit jener übereinstimmen und sie in ihrer Weise zu fördern vermögen. Kant vollzieht hier eine für seine Zeit nicht minder überraschende Wendung wie in der Transzendentalphilosophie, als er unsere Begriffe sich nicht nach den Gegenständen, sondern umgekehrt diese sich nach jenen richten ließ nicht die Moral gründet sich auf die Religion, sondern die unbestrittenen Tatsachen des sittlichen Bewußtseins bilden das einzig zuverlässige Fundament der Religion, Das Sittengesetz verpflichtet uns nicht deshalb, weil Gott es uns auferlegt hat, sondern weil es gilt, dürfen wir es so ansehen, als wäre es göttlichen Ursprungs. Das Sittengesetz hat also nicht erst seine Sanktion von der Religion zu erwarten, sondern diese wird erst ihrem Gehalt und ihrer Berechtigung nach durch die Moral sanktioniert. Jede Umkehrung dieses Verhältnisses müßte die Reinheit der sittlichen Motive trüben und ihnen ihren spezifischen Wert rauben. Man kann also sehr wohl ein ethisch hochstehen

der Mensch sein, ohne sich zu einer Religion zu bekennen, aber niemals ein im wahrhaften Sinne religiöser Mensch ohne aufrichtig pflichtgemäße Gesinnung. Religiöse Vorstellungen, welche moralisch unfruchtbar sind, schalten daher von vornherein für eine philosophische Religionslehre aus. Sie werden aber in dem Maße ihr Interesse erregen, als sie geeignet erscheinen, das sittliche Wollen in seinem Kampfe mit widerstrebenden Neigungen zu unterstützen. So vermag in der Tat ein richtig gefaßter Gottesbegriff durch die Idee eines allgegenwärtigen und unbestechlichen Zeugen und Richters auch unserer geheimsten Gesinnungen der Moralität wertvolle Dienste zu leisten. Darin liegt sein rein moralischer Wert. Die wahre Bedeutung der Religion wird daher zuletzt keine andere sein, als den Einfluß des Sittengesetzes durch den Gedanken an die Majestät eines göttlichen Gesetzgebers zu verstärken. Daher wird auch ihr sittlicher Wert den einzigen Maßstab ihrer philosophischen Beurteilung abzugeben haben175.

Eine Ergänzung der Tatsachen des moralischen Bewußtseins durch religiöse Vorstellungen wird sich dann als dringlich erweisen, wenn das Bedürfnis gefühlt wird, über ihre unmittelbare praktische Bedeutung hinaus die letzten Folgerungen zu erwägen, welche sich aus ihnen für unsere Totaleinstellung zum Leben ergeben, wenn wir also wünschen, sie dem Ganzen unserer Welt- und Lebensanschauung denkend einzuordnen. Der kategorische Imperativ mit seiner bedingungslosen Pflichtforderung ist ja vom rein theoretischen Standpunkte aus in einer naturgesetzlich geordneten Welt etwas ganz Unbegreifliches. Ein Wesen wie der Mensch aber, das bei begrenzter Erkenntniskraft doch den Trieb in sich fühlt, seine Bestimmung denkend zu verstehen und das zugleich, aller Reinheit der Gesinnung unerachtet, doch von Natur von einem starken Verlangen nach Glückseligkeit und damit nach einem Ausgleiche von Verdienst und Schuld beseelt ist, kann sich an einer solchen Unbegreiflichkeit nur schwer genügen lassen. Es ist nur natürlich, daß es Aufschluß darüber begehrt, welches Schicksal seiner nach dem Tode wartet und welche Folgen sich aus seinem moralischen Verhalten ergeben werden. Nun hat aber die Kritik der reinen Vernunft alle Hoffnungen des spekulierenden Menschengeistes, in ein Jenseits der Erfahrung vorzudringen, ein für allemal ver

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