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innerer Bewegtheit ebenso charakteristisch wie für das Schöne die ruhige Haltung der Kontemplation. Tritt uns jenes in Gestalt einer überragenden Größe entgegen, so nennt es Kant das ,,Mathematisch-Erhabene". Beispiele dieser Art sind die Weite des Ozeans oder einer Wüste, die Mächtigkeit eines Gebirges oder der gestirnte Himmel. Eine Größe, welche unsere Anschauungsfähigkeit übersteigt und unserer Einbildungskraft spottet, setzt uns vorerst in Bestürzung. Dieser niederschlagende Eindruck erscheint vom ästhetischen Standpunkt aus zunächst etwas Zweckwidriges, Erdrückendes, Gewaltsames zu haben. Alsbald stellt sich aber auch hier eine lustvolle Reaktion ein. Das Gefühl der Unzulänglichkeit unserer Sinnlichkeit ruft nämlich die Vernunftidee des Unbedingten und Unendlichen in uns auf. Im Verhältnis zu dieser sinkt aber nun auch das Gewaltigste, was uns die Sinnenwelt zu bieten vermag, seinerseits zur Kleinheit und Unangemessenheit herab. Je kleiner wir uns früher als Sinnenwesen fühlten, desto erhebender ist jetzt für uns das Bewußtsein unserer Überlegenheit als Vernunftwesen. Die anfängliche Erschütterung weicht der Achtung vor der Macht der Vernunft, deren wir uns gerade durch ihren Sieg über den scheinbar vernichtenden Eindruck anschaulicher Größe so recht bewußt geworden sind. Erhaben in mathematischer Art heißt also das, was auch nur denken zu können, ein Vermögen des Gemütes beweist, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft". Ist hier der Widerstreit zwischen Einbildungskraft und Vernunft die Quelle ästhetischer Erhebung, so entspringt sie im ,,Dynamisch-Erhabenen" einem Triumphe der Vernunft über das sinnliche Begehrungsvermögen. Hier knüpft sich das ästhetische Phänomen an den Eindruck einer unsere Selbsterhaltung bedrohenden übergewaltigen Macht. Kühne überragende Felsen, ein sich entladendes Gewitter, verheerende Orkane, ein mächtig brausender Wasserfall lassen das Gefühl unserer Widerstandsfähigkeit den Naturgewalten gegenüber zu nichts zusammenschrumpfen. Aber auch hier folgt dem seelischen Druck die Erhebung. Der Eindruck physischer Ohnmacht erweckt nämlich das Bewußtsein der Erhabenheit unserer Bestimmung als moralischer Wesen, als welche wir der Natur und ihrer Macht nicht unterworfen sind. Sie kann vielleicht unser Leben vernichten, nicht aber unsere Würde

als Vernunftwesen. Dieses sichere Gefühl läßt uns nun das, wofür wir besorgt sind, wieder als klein und ohnmächtig erscheinen, weil wir wissen, daß wir uns um aller Güter der Welt willen nicht zu beugen hätten, wenn es auf die Behauptung unserer höchsten Grundsätze ankäme. So klingt auch hier die anfängliche Erschütterung des Gemütes in ein Gefühl der Freudigkeit aus. Noch deutlicher als beim Schönen zeigt es sich beim Erhabenen, daß die ästhetischen Werte keine Eigenschaften der Dinge sind, sondern Gemütsverfassungen des Subjekts. So ist das Erhabene seinem Wesen nach ein,,Geistesgefühl". Nur in sehr übertragenem Sinne können auch seine Gelegenheitsursachen,,erhaben" heißen. „,In jenem seligen Augenblicke, ich fühlte mich so klein, so groß", ist die Stimmung. welche Kant hier beschreibt169.

Daneben finden sich gelegentliche Bemerkungen auch über andere ästhetische Wirkungsarten. So heißt es über das Komische oder ,,Launige", daß das Lachen „ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts" sei, wobei natürlich vorauszusetzen ist, daß es sich bloß um ein Spiel der Vorstellungen handelt. Das Naive wird erklärt als die unerwartete Enthüllung der,,unverdorbenen schuldlosen Natur", die wir wegen ihrer Einfalt belachen, während wir uns zugleich ihrer freuen 170.

Auch die Freude an den ästhetischen Werten findet, gleich der Naturteleologie, ihren höchsten Ausklang im Ethischen und empfängt erst dadurch ihre letzte Weihe. Im Erhabenen ist diese Beziehung unmittelbar gegeben. Sein Wesen besteht ja gerade darin, daß es die Erhabenheit der Vernunft und unserer moralischen Bestimmung gefühlsmäßig zu deutlichem Bewußtsein bringt. Dasselbe gilt bis zu gewissem Grade aber auch vom Schönen. Denn wenn die Stimmung für das Erhabene eine Empfänglichkeit für Ideen erfordert, so hat dafür die Lust am Schönen eine gewisse Liberalität der Denkungsart, d. i. Unabhängigkeit des Wohlgefallens vom bloßen Sinnengenusse" zur Voraussetzung, aber auch wieder zur Wirkung. So ist insbesondere ein lebhafter Sinn für die Schönheit der Natur jederzeit das Kennzeichen einer guten Seele. Die Unmittelbarkeit des Wohlgefallens, die Interesselosigkeit, die Einstimmigkeit der Freiheit unserer Einbildungskraft mit

den Gesetzen des Verstandes im harmonischen Zusammenspiel beider erweisen sich bei aller sonstigen Verschiedenheit doch in mancher Hinsicht den Verhältnissen des sittlichen Lebens analog. Ein Gefühl für diese Analogie zeigt schon die gewöhnliche Ausdrucksweise, wenn sie auf schöne Gegenstände Prädikate anzuwenden liebt, welche eigentlich der moralischen Sphäre entstammen. So nennen wir Gebäude oder Bäume majestätisch und prächtig, Gefilde lachend und fröhlich, Farben unschuldig, bescheiden oder zärtlich. Nennt man die sinnlich-anschauliche Darstellung eines unanschaulichen Begriffes nach dem Gesichtspunkte der Analogie ein,,Symbol" dieses Begriffes, so kann das Schöne ein Symbol des Sittlich guten heißen und eben darin wird auch der tiefere Grund seines Anspruches auf allgemeinen Beifall zu suchen sein. So gesehen, ist auch der Geschmack nichts anderes als „,ein Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen" und es wird kein besseres Mittel zu seiner Kultur geben als die Kultur des moralischen Gefühles 171.

3. DAS GENIE UND DIE KUNST

Kant stellt zu höchst die Naturschönheit. Während nun die schöne Natur so aussieht, als wäre sie schöne Kunst, d. h. auf unseren ästhetischen Genuß berechnet, so soll die schöne Kunst den Eindruck machen, als wäre sie schöne Natur, d. h. sie darf keine Absichtlichkeit der Hervorbringung verraten. Obwohl also selbst ein Werk der Freiheit, muß ein Produkt der schönen Kunst von allem Zwange willkürlicher Regeln frei erscheinen, geradeso, als ob es die Natur selbst hervorgebracht hätte. Das wird dann in besonderem Maße der Fall sein, wenn der Künstler die Regel, nach der er schafft, selbst in sich trägt. Ein schöpferisches Talent dieser Art heißt Genie. Es ist die,,angeborene Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt". Das Genie ist sich selbst Gesetz und darum originell; es wirkt aber, ohne sich dieser selbst gegebenen Regel bewußt zu sein, und darum instinktiv. Es schafft,,exemplarische" Werke, welche bloße Talente zur Nachahmung, kommende Genies zur Nachfolge anreizen. Was aber ein Genie hervorbringt, ist schlechterdings nicht nachahmbar oder erlernbar, weil es eben auf einer angeborenen Naturanlage beruht. Nur in der Kunst

gibt es Genies. In der Wissenschaft unterscheiden sich die großen Geister nur dem Grade, nicht der Art nach von den Lehrlingen und Nachahmern. Was ein Newton in seinen ,,Prinzipien der Naturphilosophie" vorgetragen hat, kann man, so groß seine Leistung war, durch Lernen sich aneignen. Niemand kann aber, auch nach der besten Vorschrift, geistreich dichten lernen. Der Grund dafür liegt darin, daß Newton alle Schritte, die zu seinem unsterblicben Werke führten, anderen anschaulich vorzuführen vermag. Ein Homer oder ein Wieland vermöchten es nicht, weil sie ja selbst nicht wissen, wie die phantasiereichen Ideen in ihren Köpfen sich zusammenfanden. Vergebens ist es daher, wenn seichte Geister sich zu Genies dadurch aufzublähen suchen, daß sie alle Regeln verachten und glauben,,,man paradiere besser auf einem kollrigen Pferde als auf einem Schulpferde". Noch weniger hatte Kant für das Genialitätsgebaren in der Wissenschaft übrig. Man wisse nicht, meint er, ob man mehr über den Gaukler dieser Art selbst lachen solle oder über das Publikum, welches sich treuherzig einbilde, daß sein Unvermögen zu verstehen von der ihm zugeworfenen Gedankenfülle herrühre. Der Gedanke, daß im genialen Künstler eine schöpferische Naturkraft wirke, welcher wieder den weiteren Gedanken nahelegt, daß auch umgekehrt im Leben und Weben der Natur ein unbewußt künstlerisches Schaffen am Werke sei, hat in Goethe stärksten Widerhall gefunden und hat besonders auf Schellings Denken befruchtend eingewirkt172.

,,Kunst" im allgemeinen kann nur eine Hervorbringung durch Freiheit heißen, also durch eine von Vernunft geleitete Willkür. Nur in übertragenem Sinne kann daher von einer Kunst der Tiere, z. B. der Bienen, die Rede sein. Sie ist mechanische Kunst, wenn sie bloß die Hervorbringung eines zweckmäßigen Gegenstandes für den Gebrauch bezweckt; sie ist ästhetische Kunst, wenn ihr um die Erregung von Lustgefühlen zu tun ist. Die letztere scheidet sich wieder in angenehme und in schöne Kunst, je nachdem sie bloß lustvolle Empfindungen zu erregen oder lustbetonte Beurteilungen zu veranlassen bestrebt ist. Beispiele der ersten Art sind die Kunst der geselligen Unterhaltung, Tafelschmuck, Spiele zum bloßen Zeitvertreib. Die schönen Künste teilt Kant nach den

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menschlichen Ausdrucksmitteln in solche des Wortes, der Gebärden und der Töne (der äußeren Sinneseindrücke überhaupt). Demnach gibt es drei Arten schöner Künste: redende (Beredsamkeit und Dichtkunst), bildende (Plastik, Malerei und schöne Gartenkunst) und solche des schönen Spiels der Empfindungen (reine Farbenkunst und Musik). Über die einzelnen Künste finden sich manche feine Bemerkungen, welche besonders durch die damit verknüpften Werturteile interessante Einblicke in das Gemüts- und Geistesleben des Philosophen eröffnen. Am stärksten war in Kant der Sinn für Naturschönheit entwickelt, so wenig Nahrung ihm auch die einförmige ostpreußische Landschaft zu geben vermochte. Seine einsamen Spaziergänge erlangten eine gewisse Berühmtheit. Und wenn er das Bergsteigen im ,,Eisgebirge" nur gelten lassen wollte, sofern es nicht aus bloßer,,Liebhaberei", sondern zu Forschungszwecken (wie bei Saussure) geschehe, so wird man das seiner Unbekanntschaft mit dessen Reizen hatte er doch niemals im Leben einen wirklichen Berg gesehen zugute halten müssen. Vieles mochte ihm seine bewunderungswürdige innere Anschauungs- und Vorstellungskraft ersetzen, von der sein Biograph Jachmann staunend berichtet. So gab er einmal in Gegenwart eines gebürtigen Londoners eine so genaue und zutreffende Schilderung der Westminsterbrücke, daß dieser ihn fragte, wie lange er in London geweilt und ob er sich besonders der Architektur gewidmet habe? Auch von der italienischen Landschaft soll er einmal in Gesellschaft mit gleichem Erfolge ein Bild von lebendigster Anschaulichkeit entworfen haben. Zur Kunst aber hat Kant vielleicht zum Teil aus Mangel an Anregung, vielleicht aber auch gerade wegen seiner lebhaften, der Nachhilfe wenig bedürftigen Phantasie niemals ein rechtes Verhältnis gefunden. Am meisten war er noch der Poesie geneigt. Seine mehr verstandesmäßige Naturanlage und die Schlichtheit seiner Lebensauffassung machten ihm manche Erzeugnisse der zeitge nössischen Literatur von vornherein verhaßt. Alles Weichliche, Sentimentale, Schwärmerische, empfindsame Romane und weinerliche Trauerspiele waren ihm in der Seele zuwider. Am meisten Geschmack fand er an humoristischen und satirischen Werken. Unter den Alten waren Horaz und Juvenal, unter den Neueren Cervantes, Swift, Mon

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