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mögen, sich seines Verstandes ohne fremde Leitung zu bedienen. Selbstverschuldet ist sie, wenn der Grund dafür nicht in mangelnder Intelligenz liegt, sondern in einem Mangel moralischen Mutes, auf eigene Verantwortung von ihr Gebrauch zu machen.,,Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ Daß jene Unmündigkeit so weit verbreitet ist, hat seine Ursache in zwei Grundfehlern des menschlichen Geschlechts: in Faulheit und Feigheit. Es ist natürlich viel bequemer, andere für sich denken zu lassen als selbst zu denken, zumal es die in den Sattel gesetzten Vormünder überdies nicht an Einschüchterungsversuchen fehlen lassen. In Anbetracht dieser inneren und äußeren Widerstände wird sich die Aufklärung überall nur langsam Bahn brechen können. Äußere Umwälzungen nützen dafür nichts:,,Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.“ Nur in einem an bürgerliche Freiheit im Rahmen der Gesetze gewöhnten Volke kann die Aufklärung langsam, aber stetig Fortschritte machen. Dazu ist aber vor allem nötig, daß es den berufenen Führern, den Gelehrten und besonders den Philosophen nicht verwehrt ist, die Stimme der Vernunft öffentlich laut werden zu lassen. Ein Geistlicher z. B. ist allerdings vor seiner Gemeinde an die Vorschriften seines Kults gebunden; als Gelehrten, der durch seine Schriften zur Welt spricht, muß ihm uneingeschränkte Freiheit gewährleistet sein. Ist diese Freiheit ungehinderter Meinungsäußerung gegeben, so wird das Licht der Aufklärung ganz von selbst immer weiter dringen, zuletzt sogar bis zu den Thronen hinauf, und um so wohltätiger wirken, als der aufgeklärte Mensch vermöge seines besseren Urteils auch unvermeidlich einen gewissen Herzensanteil am Guten zu nehmen geneigt ist. Die Zuversicht, daß die Aufklärung auf diesem Wege allmählich sogar Einfluß auf die Regierungsgrundsätze nehmen werde, rechtfertigt auch allein die chiliastischen Hoffnungen auf den in weiter Ferne winkenden allgemeinen Völkerfrieden. Nicht das zwar kann der Philosoph verlangen, daß man ihm einen unmittelbaren

Einfluß auf die Regierungsgeschäfte einräume, wohl aber, daß man ihn höre und sein freies Wort nicht unterbinde.,,Daß Könige philosophieren oder Philosophen Könige würden" so hatte es Plato verlangt

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nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen, weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Könige oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgesetzen beherrschende) Völker die Klasse der Philosophen nicht schwinden oder verstummen, sondern öffentlich sprechen lassen, ist beiden zur Beleuchtung ihres Geschäftes unentbehrlich." Es ist der erschütterliche Glaube an die Macht der Vernunft, welcher unseren Philosophen vom bloßen Verkünden der Wahrheit auch ihren endlichen Sieg erhoffen läßt 160.

4. PÄDAGOGIK

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Auch an pädagogischen Fragen hat Kants vielseitiger Geist von Anfang an lebhaften Anteil genommen. Als ihm Rousseaus,,Emile" in die Hände fiel, machte dieses Buch auf ihn einen so außerordentlichen Eindruck, daß er seinetwegen die streng geregelte Tagesordnung durchbrach. Mit Begeisterung begrüßte er die Gründung des ,,Philanthropins" durch Basedow in Dessau und empfahl es öffentlich in einem Artikel der Königsberger Zeitung. Weil wir tierischen Geschöpfe, heißt es dort, nur durch Ausbildung zu Menschen gemacht werden, würden,,wir in kurzem ganz andere Menschen um uns sehen, wenn diejenige Erziehungsmethode allgemein in Schwang käme, die weislich aus der Natur selbst gezogen und nicht von der alten Gewohnheit roher und unerfahrener Zeitalter sklavisch nachgeahmt worden". Sein Amt verpflichtete überdies den Philosophen, von Zeit zu Zeit Vorlesungen über Pädagogik zu halten. So findet sich im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1776/77 die Ankündigung: „Praktische Anweisung Kinder zu erziehen, erteilet Herr Professor Kant öffentlich." Die Entwürfe für diese Vorlesungen hat Th. Rink unter dem Titel: „I. Kant über Pädagogik" 1803 herausgegeben.

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,,Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht." Diese echt rationalistische Voraussetzung verleiht natürlich der Erziehungslehre von vornherein die größte ethische Bedeutung und macht sie zu

einer höchst verantwortungsvollen Kunst. Ihre Aufgabe wird es sein, alle Keime von Naturanlagen, die im Menschen verborgen liegen, in richtigem Verhältnisse zur Entwicklung zu bringen und damit, wenn auch nicht auf einmal, so doch im Laufe der Generationen, zu bewirken, daß die Menschheit ihre Bestimmung erreiche und zugleich einer glücklicheren Zukunft entgegengehe. Erziehung im höchsten Verstande ist daher Menschheitserziehung, für welche das Individuum nur einen Durchgangspunkt bedeutet. Nur dadurch, daß jede Generation in einer durch Erfahrung und Nachdenken immer mehr vervollkommneten Erziehungskunst die folgende auf eine höhere Stufe hebt, ist jenes Endziel zu erreichen. Die Erziehung ist darum das größte und schwerste Problem, das überhaupt dem Menschen aufgegeben wurde, und eine Theorie richtiger Erziehung ist ein herrliches Ideal, dem nachzustreben jede Mühe lohnt. Gegen Locke und Rousseau hält Kant die öffentliche Erziehung für vorteilhafter als die private, weil jene charakterbildender wirkt und das Kind fehlerhaften Einflüssen der Häuslichkeit mehr entzieht. Vor der Einführung von Normalschulen, wie sie damals schon in Österreich bestanden, hält er es für notwendig, in ,,Experimentalschulen" zunächst die richtigen Erziehungs- und Unterrichtsmethoden zu erproben162.

Entsprechend der Menschheitserziehung im großen durch die Vorsehung der Natur hat auch die Einzelerziehung gewisse Stufen zu durchlaufen. Anzufangen hat sie mit der Zähmung natürlicher Wildheit oder der Disziplinierung, damit überhaupt der Boden für eine systematische Einwirkung geebnet werde. Auf sie folgt die Kultivierung, welche die Aufgabe hat, noch ohne Hinblick auf bestimmte Zwecke in dem Kinde durch Belehrung und Unterweisung die natürlichen Kräfte zu wecken und ihm allerlei unentbehrliche (wie Lesen und Schreiben) oder gesellschaftlich nützliche Geschicklichkeiten (wie Musik) beizubringen. Dann hat die Zivilisierung einzusetzen, welche den jungen Menschen für das Zusammenleben mit anderen geschickt machen soll. Dazu gehört auch die Anerziehung artiger Manieren und einer gewissen Lebensklugheit. Zu höchst steht aber die Moralisierung, deren Aufgabe es ist, im Lehrling die richtige Gesinnung zu erwecken. Sie nimmt auch in Kants

Anweisungen den breitesten Raum ein. Er weiß hier viel Vortreffliches zu sagen. Vor allem kommt es ihm natürlich darauf an, das Pflichtgefühl zu wecken, aber immer unter Berücksichtigung der kindlichen Natur. Der Wille des Kindes darf nicht gebrochen, sondern darf nur gelenkt, aber allerdings auch nicht durch unzeitiges Nachgeben (z. B. bei Schreien) zum Eigensinn erzogen werden. Der Anruf an das Ehrgefühl (,,Pfui, schäme dich!") sollte nur sparsam und nur bei moralischen Verfehlungen (z. B. Lügen) gebraucht werden. Erziehung zur Arbeit und geordneter Tageseinteilung sind die besten Mittel der Charakterbildung. Belohnungen taugen nichts, denn sie machen das Kind eigennützig; Strafen müssen mit Vorsicht und ohne unnötige Demütigung gegeben werden, damit das Kind nicht zur falschen Unterwürfigkeit erzogen werde. Der Kinderhimmel an sich schon eine Erfindung der Erwachsenen sollte nicht unnötig getrübt werden. Soviel als nur möglich sollten alle Kinder in Freiheit erzogen werden, denn,,das fröhliche Herz allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu empfinden". Jede Religionsübung, welche das Gemüt verdüstert - hier sprechen Kants eigene Jugenderfahrungen ist falsch. Gewisse Religionsvorstellungen den Kindern beizubringen, ist allerdings unvermeidlich, damit sie, wenn sie andere beten sehen, wissen, zu wem und warum es geschieht, und nicht abergläubische Vorstellungen sich festsetzen. Immer aber sollte man ihnen einschärfen, daß man dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden kann als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde168.

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Kants Bemerkungen, in unfertigem Zustande überliefert, beschränken sich im allgemeinen auf das Kindes- und früheste Jünglingsalter. Mag es da manchmal komisch berühren, den alten Junggesellen ausführliche Anweisungen für das richtige Säugen, Windeln, Gehenlehren u. dgl. der Kinder entwickeln zu hören, und mag auch einzelnes, wie z. B. die von Franklin übernommene sonderbare Anleitung zum Schwimmunterricht, praktisch unanwendbar sein, so muß man doch wieder staunen, wie weit der Scharfblick des Philosophen auch in diesen Dingen seiner Zeit vorausgeeilt war und vieles vorwegnahm, was uns heute als Errungenschaft modernster Hygiene erscheinen möchte.

14 Kant

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Es wäre nur zu wünschen, daß auch heute noch alle Eltern Kants Ausführungen lesen würden.

X. DIE PHILOSOPHIE DES SCHÖNEN UND ERHABENEN

1. DIE GESCHMACKSURTEILE

In der ,,Kritik der reinen Vernunft" hatte Kant noch die Hoffnung des vortrefflichen Analysten Baumgarten" (eines Schülers Wolffs), die Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen und sie damit zum Range einer Wissenschaft zu erheben, als verfehlt bezeichnet, weil die Subjektivität des ästhetischen Wohlgefallens nur eine empirische Behandlung dieses Themas zulasse. In diesem Sinne waren auch die,,Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" vom Jahre 1764 gehalten: als Aufzeichnung psychologisch feiner und interessanter Bemerkungen ohne systematische Absicht. Späterhin änderte Kant seine Ansicht. Der Umstand, daß auch jenes scheinbar ganz der Subjektivität anheimgegebene Spiel der Vorstellungskräfte, das wir angesichts des Schönen und Erhabenen erleben, sich in Urteilen ausdrückt und diese Urteile einen, wenn auch eingeschränkten, Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, schien ihm eine kritische Untersuchung ihres Prinzipes zu erfordern und zugleich Hoffnung zu geben, daß auch hier irgendwelche Regeln a priori zu entdecken wären. Versteht man unter Geschmack ein,,Vermögen der Beurteilung des Schönen“, so bilden also die Geschmacksurteile den Gegenstand der Untersuchung. Sie wird geleistet in der „Kritik der ästhetischen Urteilskraft", dem ersten Teile der ,,Kritik der Urteilskraft" (1790), für welchen ursprünglich der Titel „Kritik des Geschmackes" geplant war164.

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Von Erkenntnisurteilen unterscheiden sich die Geschmacksurteile sehr wesentlich dadurch, daß ihr Bestimmungsgrund ein subjektiver ist. Sie beziehen nämlich ihre Vorstellungen nicht auf ein Objekt, mit dem sie übereinzustimmen hätten, sondern vielmehr gerade auf das Subjektivste in uns, auf das Gefühl der Lust und Unlust, das niemals ein,,Erkenntnisstück" werden kann. Ihr Urteilscharakter trennt sie aber doch wiederum offensichtlich von rein subjektiven Aussagen über zuständliche Erlebnisse.

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