Page images
PDF
EPUB

aus ihr ist es zu erklären, daß sich überhaupt in den Mechanismus des Trieblebens ein kategorisches Vernunftgebot einschiebt und von allem, was in uns Natur ist, unbedingten Gehorsam heischt. Autonomie ist aber selbst eine Tat der Freiheit. Kant bezeichnet dieses Freiheitsprinzip der inneren Gesetzgebung daher auch als ,,Eleutheronomie". Sie ist ein Vermögen,,,die Motive des Wollens schlechthin selbst hervorzubringen" und beruht daher auf einem Aktus der Spontaneität des Willens. Hier ist der Wille sich selbst Gesetz:,,also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei." Nur aus einer Freiheit des Willens ist es also zu verstehen, daß es für ein Sinnenwesen überhaupt einen kategorischen Imperativ gibt. Nur aus der Wirksamkeit dieses Imperatives wieder ist die Möglichkeit einer praktischen Freiheit abzuleiten. Hier scheint ein,,geheimer Zirkel" vorzuliegen: die Autonomie ist Voraussetzung der Freiheit und Freiheit ist eine Voraussetzung der Autonomie. Dieser Einwand behebt sich durch die Besinnung, daß hier,,Freiheit" nicht in gleicher Bedeutung verstanden wird. Im ersten Falle ist von unserem Freiheitsbewußtsein in der Beherrschung sinnlicher Antriebe die Rede, im zweiten Falle von der transzendentalen Bedingung eines solchen Bewußtseins. Dort handelt es sich um die praktische Freiheit, hier um die im eigentlichen Sinne so zu nennende transzendentale Freiheit, welche wieder von der später zu besprechenden intelligiblen Freiheit zu unterscheiden ist. Die praktische Freiheit ist die ratio cognoscendi der transzendentalen Freiheit, diese aber die ratio essendi des moralischen Gesetzes. Damit ist die transzendentale Freiheit noch nicht erklärt. Denn aus der Natur des Menschen als eines empirischen Wesens läßt sich ihre Möglichkeit nicht verstehen. Die Tatsache eines kategorischen Imperatives läßt sich aus dem Naturzusammenhang so wenig ableiten, daß er innerhalb der Sinnenwelt vielmehr immer wie ein Fremdling anmuten muß. Hier hängt alles streng kausal-notwendig zusammen und für eine Freiheit im Sinne eines unbedingten Anfanges ist in ihr nirgends Platz. Einen solchen unbedingten Anfang bedeutet aber der Einbruch des Vernunftwillens in die Kette des naturbedingten Ablaufes unseres Seelenlebens. Hier soll wirklich eine Kausalreihe, nämlich das Fortwirken der sittlichen Motive, von vorne angefangen, ein

,,unbedingter" Imperativ allein kraft des Eigengesetzes der Vernunft erlassen werden. Mit Erwägungen psychologischer Art ist da nichts auszurichten. Psychologie bezieht sich zuletzt immer auf den inneren Sinn, der auf Rezeptivität beruht. In dem vorliegenden Falle handelt es sich aber gerade um die Spontaneität des Vernunftwillens: um die psychologisch schlechthin unverständliche Tatsache, daß sich in den seelischen Mechanismus ein fremder Faktor einschiebt. Diese Schwierigkeit erhöht sich noch dadurch, daß es durch kein empirisches Beispiel auszumachen ist, ob es überhaupt einen solchen Imperativ gibt und ob nicht in der Praxis des Lebens doch immer wieder hypothetische Imperative, wie Furcht vor Beschämung oder anderen Gefahren, den Willen insgeheim mitbestimmen. Das echte Sittengesetz besagt ja gar nichts darüber, wie Kant immer wieder, und zwar mit Recht, betont, was da oder dort geschieht, sondern fordert nur, was immer und überall geschehen soll. Die transzendentale Freiheit ist daher ein Problem und zwar ein Problem, das selbst transzendentaler Art ist. In ihm handelt es sich nicht, wie in der Frage der praktischen Freiheit, um die Bestimmung unserer Entschlüsse durch den Willen, sondern um die Selbstbestimmung des Willens durch sein eigenes Gesetz: nicht also um irgendwelche Vorgänge innerhalb unseres sittlichen Bewußtseins, sondern um die letzte Grundlage dieses Bewußtseins. Die Möglichkeit einer Normgebung in einer durchwegs naturgesetzlich bedingten Welt steht hier in Frage. Wenn die Frage: Wie ist Natur möglich? den höchsten Punkt der Transzendentalphilosophie bildete, so bedeutet die Frage: Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? den Höhepunkt der reinen Ethik 146.

Die eigentümliche Schwierigkeit dieses Problems liegt darin, daß der praktischen Vernunft das Vermögen zugeschrieben werden soll, von selbst (sponte)" eine Ursache (den kategorischen Imperativ) zu setzen, die dann ihrerseits innerhalb der phänomenalen Welt fortzuwirken bestimmt ist, während sie selbst nicht als naturbedingt gedacht werden darf, wenn nicht der kategorische Charakter des Sittengesetzes verlorengehen soll. Unter dem Gesichtspunkte der Autonomie stellt sich dieses Verhältnis so dar, daß wir selbst als Vernunftwesen uns selbst als

Sinnenwesen das Gesetz geben. Würden wir uns nun auch als Vernunftwesen der phänomenalen Welt eingeordnet denken, so müßte die beanspruchte Ausnahmestellung gegenüber der Naturgesetzlichkeit schlechthin unbegreiflich bleiben. Weisen wir aber diesen Anspruch als unverträglich mit den Gesetzen unseres Verstandes von vornherein zurück, so wird wieder die Tatsache des kategorischen Imperatives unbegreiflich. Der einzige Ausweg, der sich hier bietet, liegt in der Richtung, daß wir als Vernunftwesen einer anderen Ordnung der Dinge angehören, als jene ist, in der wir als Sinnenwesen stehen. Für diese Denkmöglichkeit bietet die dritte,,Antinomie" eine theoretische Grundlage. Sie hat nämlich gezeigt, daß Freiheit (im Sinne einer Emanzipation vom Naturgesetz) innerhalb der Erscheinungswelt unmöglich ist, daß sie aber ohne Widerspruch in Hinsicht einer noumenalen Welt gedacht werden kann. Die Antithese von Freiheit und Notwendigkeit, die sich dort in bezug auf den Menschen zeigt, wird sich daher nur so aufheben lassen, daß wir die vernünftige Seite seines Wesens der noumenalen, dessen sinnliche Seite aber, wie sich von selbst versteht, der phänomenalen Welt zuordnen. In demselben Sinne und eben demselben Verhältnisse ein Subjekt frei und unfrei denken, schließt einen Widerspruch in sich; daß aber,,ein Ding in der Erscheinung gewissen Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe, als Ding oder Wesen an sich selbst, unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch". So gesehen nimmt der Gedanke der Autonomie die Gestalt an, daß wir selbst als Dinge an sich uns selbst als Erscheinungen das Gesetz geben. Wir sind so gleichsam Bürger zweier Welten: als Glieder der noumenalen oder intelligiblen Welt sind wir frei, weil für diese die Verstandesgesetze nicht gelten, als Glieder der Sinnenwelt sind wir dem Naturmechanismus unterworfen. Die,,himmlische Stimme" des kategorischen Imperatives erscheint so gleichsam als ein Widerhall aus einer jenseitigen Welt. Was in dieser ursprünglich ein freies Wollen bedeutet, muß in der Sinnenwelt notwendig den Charakter eines Sollens annehmen, denn ein aus dem Übersinnlichen stammender, aus ganz anderem Boden geborener Wille muß mit den sinnlichen Neigungen unvermeidlich in Gegensatz treten.

Es ergibt sich so, daß im sittlichen Bewußtsein zwei verschiedene Gesetzmäßigkeiten sich kreuzen: das Sittengesetz, das nur für die intelligible, und das Naturgesetz, das nur für die phänomenale Welt gilt. Dort gibt es nur ein freies Wollen, mit dem mangels eines Widerstandes die Ausführung unmittelbar gegeben wäre; hier gibt es nur ein Müssen; wenn beide sich begegnen, entsteht das Sollen. Als homo noumenon ragt so der Mensch in eine höhere Welt hinauf, als homo phaenomenon ist er fest verwurzelt in der Notwendigkeit seiner Natur. Daher die Zwiespältigkeit seines Wesens, auf dessen Schauplatz zwei Gewalten um die Herrschaft ringen: die Vernunft sucht ihn emporzuziehen, die Sinnlichkeit ihn festzuhalten. Sein eigentliches Selbst die,,bessere Person" in ihm ist aber doch die Vernunft, ja diese ist selbst der homo noumenon. Durch sie gehört er dem Übersinnlichen an, jenem,,herrlichen Ideal eines allgemeinen Reichs der Zwecke an sich selbst (vernünftiger Wesen)",

[ocr errors]

dem er aber doch wieder nur soweit wahren Anteil hat, als er das Sittengesetz im Kampfe mit seiner sinnlichen Natur schon im Leben zu behaupten weiß. Es ist Platons Geist, der hier aus dem kritischen Philosophen spricht.

Kant weiß aber gleichwohl seine kritische Haltung zu wahren, indem er Gedanken dieser Art ihren richtigen erkenntnistheoretischen Ort anweist. Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß nur die ,,Natur" ein Verstandesbegriff ist, der seine Realität an Beispielen der Erfahrung jederzeit zu beweisen vermag, daß aber die transzendentale Freiheit und alles, was mit ihr zusammenhängt, keine Erfahrungsgrundlage besitzt und daher nur als Idee der Vernunft gewertet werden darf, deren objektive Realität durchaus problematisch bleiben muß. Daher ist auch jene dualistische Spaltung des menschlichen Wesens nur ein,,Standpunkt", den einzunehmen wir uns genötigt fühlen, wenn wir uns die Tatsache autonomer Selbstgesetzgebung denkbar und verständlich machen wollen: eine ,,notwendige Voraussetzung der Vernunft", aber doch nur ein,,negativer Gedanke" als Grenzabsteckung gegenüber der Sinnenwelt und ihres Einflusses auf unseren Willen. Wir haben es in erkenntnistheoretischer Bewertung in gleichem Sinne mit einer Konstruktion der Ethik zu tun wie in der Lehre von der transzendentalen Synthesis

[ocr errors]

mit einer Konstruktion der theoretischen Philosophie. Hier wie dort soll damit eine Tatsache in ihrer Möglichkeit begriffen werden: dort die Tatsache empirischer Erkenntnis, hier die Tatsache eines autonomen sittlichen Bewußtseins. Die Frage, wie ein kategorischer Imperativ möglich sei, ist damit aber auch bis zu ihrer äußersten Grenze geführt. Sie weist zuletzt in das Transzendente hinüber, wo alles Wissen und Begreifen ein Ende hat. Damit sind noch lange nicht alle Probleme erledigt, welche sich in Hinsicht des sittlichen Lebens aufdrängen. Unbeantwortet ist vor allem die wichtigste und naheliegendste Frage, wie reine Vernunft praktisch sein könne", oder anders ausgedrückt: wie denn nun ein Sollen in einem Reich des Müssens überhaupt zur Geltung kommen könne und, wenn sich dies als unausdenkbar herausstellen sollte, worauf denn dann unser Verantwortlichkeitsgefühl, die strenge Stimme des Gewissens und die moralische Zurechnung eigentlich beruhen? Zu ihrer Beantwortung reicht unser verstandesmäßiges Begreifen nicht mehr aus und wenn Kant gleichwohl in wiederholtem Bemühen darauf eine Antwort zu geben versucht hat, so verliert sich diese doch in eine Region der Unbegreiflichkeit, indem nur mehr ein subjektiver Glaube religiöser Art Überzeugungen schaffen kann. Vom Standpunkte der Ethik aus ist die Erörterung des Freiheitsproblems abgeschlossen:,,Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Notwendigkeit des moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit, welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Prinzipien strebt, gefordert werden kann 147."

IX. ANGEWANDTE ETHIK

1. TUGENDLEHRE

Die reine Ethik sagt uns in ihrer formalen Strenge nicht, was wir tun sollen, sondern nur, wie wir handeln sollen; welche Gesinnung also die unumgängliche Voraussetzung moralischen Wertes ist. Der kategorische Imperativ erwartet so seine Anwendung und Erfüllung in einem bestimmten Falle vom moralischen Bewußtsein jedes Ein

« PreviousContinue »