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abnötigt. Sie ist aber auch wieder ebensowenig Unlust, daß, wenn einmal der Einspruch des Eigendünkels überwunden ist,,,die Seele sich in dem Maße selbst zu erheben glaubt, als sie das heilige Gesetz über sich und ihre gebrechliche Natur erhaben sieht". Achtung hat also mit hedonistischen Wertungen gar nichts gemein. Sie ist daher das einzige Gefühl, das der ,,feierlichen Majestät" des Sittengesetzes angemessen ist, ja sie ist die Sittlichkeit selbst, subjektiv als,,Triebfeder" betrachtet. Achtung ist das einzige wahrhaft,,moralische Gefühl"142 ̧

Der Wille zur Pflicht aus Achtung vor dem Gesetz ist so der allein gute Wille und das einzige Kriterium moralischer Gesinnung und moralischen Wertes. Handlungen also, welche zwar dem Gesetze entsprechen, aber nicht aus dem Bewußtsein ihrer Pflichtmäßigkeit erfolgen, ermangeln dieses Wertes. Ein Kaufmann z. B., der seine Kunden ehrlich bedient, weil er sich sagt, daß dies dem Rufe seines Geschäftes vorteilhaft sein werde, handelt zwar pflichtgemäß, aber nicht aus Pflicht. Wer aus Mitfreude und natürlichem Wohlwollen anderen Gutes erweist, handelt ebenfalls pflichtgemäß; da es aber nicht aus dem Willen zur Pflicht geschieht, so mag seine Gesinnung zwar liebenswürdig erscheinen und Sympathie erwecken, aber auch sie hat keinen wahren sittlichen Wert. Anders bei dem, welcher wohltut, weil er dies für seine Pflicht hält, obwohl vielleicht eigener Gram ihn gegen fremdes Leid abgestumpft hat, also keine Neigung ihn dazu antreibt: dieser und nur dieser handelt wahrhaft ,,moralisch". Noch mehr und Kant schildert hier vielleicht zum Teil seine eigene Gemütsanlage :,,Wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht weil er, selbst gegen seine eigenen mit der besonderen Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke versehen, dergleichen bei jedem anderen auch voraussetzt oder gar fordert; wenn die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreunde gebildet hätte, würde er denn nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höheren Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperamentes sein mag? Allerdings, gerade da

hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht." Wer also aus Erwägungen über seinen Nutzen, aus Furcht vor Strafe oder vor der Meinung seiner Mitbürger äußerlich dem Sittengesetze gemäß handelt, der handelt zwar legal, aber nicht moralisch. Wer aus Ehrgefühl, Gutherzigkeit oder Mitleid pflichtgemäß handelt, der handelt zwar schön, aber gleichfalls nicht moralisch. Auf moralische Hochschätzung hat allein der Anspruch, welcher seine Pflicht erfüllt nur um der Pflicht willen, wer also ohne Rücksicht auf seinen Vorteil, aber auch ohne Rücksicht auf seine Neigungen und Stimmungen aus reiner Achtung vor dem Vernunftgesetze seinen Willen bestimmt. Diese Verdienstlichkeit wird am größten sein, wo sich das Pflichtbewußtsein im Kampfe gegen die Sinnlichkeit durchsetzen muß. Denn dort ist es am klarsten, daß nur der gute Wille am Werke ist und sonst nichts außer ihm. Oder kurz: der gute Wille bewährt sich nur in dem Kampfe gegen innere Widerstände! Daher ist Kants Ethik ihrem tiefsten Gehalte nach ein hohes Lied der Pflicht: ,,Pflicht! du erhabener großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüt erweckte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüte Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenngleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich insgeheim ihm entgegenwirken, welches ist der deiner würdige Ürsprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt, und von welcher Wurzel abzustammen die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Wertes ist, den sich Menschen allein selbst geben können?" Die ganze Kantsche Moralphilosophie ist im Grunde nur eine Antwort auf diese Frage143. Kant scheint so jedes Zusammenwirken von Pflicht und Neigung aus der moralischen Sphäre auszuschließen. Ja, es kann oft genug der Anschein entstehen, als wenn er nur das erzwungen-pflichtgemäße Tun als allein wertvoll gelten lassen wollte.,,Es ist sehr schön," heißt es einmal, ,,aus Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen

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ihnen Gutes zu tun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu sein, aber das ist noch nicht die echte moralische Maxime unseres Verhaltens Pflicht und Schuldigkeit sind die Benennungen, die wir allein unserem Verhältnisse zum moralischen Gesetze geben müssen." Als Kennzeichen des sittlichen Willens wird angegeben, daß er,,nicht bloß ohne Mitwirkung sinnlicher Antriebe, sondern selbst mit Abweisung aller derselben und mit Abbruch aller Neigungen, sofern sie jenem Gesetze zuwider sein könnten, bloß durchs Gesetz bestimmt werde". Nennt man mit Kant solche Ethiker, welche in moralischen Dingen, sei es in Handlungen, sei es in Charakteren, keine Mittellagen zulassen,,,Rigoristen", so ist auch Kants Moralphilosophie ein solcher Rigorismus. Er selbst empfand diesen Namen, mit dem gewöhnlich ein tadelnder Nebensinn verbunden zu werden pflegt, als Lob, weil bei einer solchen Doppelsinnigkeit, wie sie die,,Latitudinarier“ einräumen,,,alle Maximen Gefahr laufen, ihre Bestimmtheit und Festigkeit einzubüßen". Auch die Stoiker waren in diesem Sinne Rigoristen, weil sie zwischen Tugend und Laster, Weisen und Toren keine Mitteldinge anerkannten. Kant ist es, weil nach ihm jede Beimischung sinnlicher Motive, auch wenn sie das pflichtgemäße Handeln begünstigen, den moralischen Wert aufhebt. Wollte man Pflichtgefühl und Neigung zusammenschütteln,,,um sie vermischt, gleichsam als Arzneimittel, der kranken Seele zuzureichen, so scheiden sie sich doch alsbald von selbst, und tun sie es nicht, so wirkt das erstere gar nicht; wenn aber auch das physische Leben hierbei einige Kraft gewönne, so würde doch das moralische ohne Rettung dahinschwinden." Dieser Rigorismus der Kantischen Ethik hat auch alsbald bei Freunden und Feinden der kritischen Philosophie Anstoß erregt. Für Schiller wurde er ein Anreiz seiner eigenen Entwicklung. In dem Gedichte,,Die Philosophen" macht er sich über ihn lustig:

Gewissensskrupel

Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich es leider aus Neigung,

Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.

Entscheidung

Da ist kein anderer Rat! Du mußt suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut.

Und in,,Anmut und Würde" (1793) hatte er gemeint: ,,In der Kantschen Moralphilosophie ist die Idee der Pflicht mit einer Härte vorgetragen, die alle Grazien davor zurückschreckt und einen schwachen Verstand leicht versuchen könnte, auf dem Wege einer finsteren und mönchischen Asketik die moralische Vollkommenheit zu suchen." Kant antwortete darauf in einer Anmerkung eines seiner späteren Werke, daß er allerdings dem Pflichtbegriffe um seiner Würde willen keine Anmut beigesellen könne, daß aber die aus reinen Motiven geübte Tugend sehr wohl die Begleitung der Grazien gestatte:,,Nur nach bezwungenen Ungeheuern wird Herkules Musaget, vor welcher Arbeit jene guten Schwestern zurückbeben." Schiller war über diese artige und zierliche Erwiderung des von ihm hochverehrten Philosophen sehr erfreut. In der Tat hatte Kant nur gelehrt, daß die Pflicht nicht aus Neigung geübt werden dürfe, aber niemals, daß sie ohne Neigung oder gar aus Abneigung geübt werden müsse, wie Schiller dies darstellte. In derselben Anmerkung wirft Kant die Frage auf, welcher Art,,die ästhetische Beschaffenheit, gleichsam das Temperament der Tugend" sei: mutig, mithin fröhlich, oder ängstlich-gebeugt und niedergeschlagen? und findet darauf kaum eine Antwort nötig:,,Die letztere sklavische Gemütsstimmung kann nie ohne einen verborgenen Haß des Gesetzes stattfinden, und das fröhliche Herz in Befolgung seiner Pflicht (nicht die Behaglichkeit in Anerkennung derselben) ist ein Zeichen der Echtheit tugendhafter Gesinnung." Späterhin hat es Kant sogar als ,,Tugendpflicht“ bezeichnet, im Umgange mit Menschen,,der Tugend die Grazien beizugesellen". Das Zusammentreffen von Pflicht und Neigung erschien so auch Kant als die menschlich höhere Lebensform. Nur daß sie ihm für die Herausstellung des spezifisch Moralischen zugleich als relativ zufällig erschien. Um jene allein ist es ihm aber zu tun. Was Kant mit seiner rigorosen Abgrenzung von Pflicht und Neigung eigentlich sagen will, ist daher nur, daß das Sittengesetz vollkommene Lauterkeit der Gesinnung verlange, und diese nur dort zweifellos vorhanden ist, wo allein die Vorstellung der Pflicht bestimmend wirkt. Was aus anderen Motiven geschieht, muß deshalb nicht wertlos sein: es ist

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nur moralisch indifferent. ,,Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse" - dieses Wort Nietzsches hätte sich Kant ohne weiteres zu eigen machen können 144.

6. AUTONOMIE UND FREIHEIT

Der sittliche Fortschritt wird demnach darin bestehen, die natürlichen Neigungen immer mehr der praktischen Vernunft unterzuordnen. Das Moralgesetz verlangt zwar keineswegs eine Ausrottung der sinnlichen Antriebe; es verlangt aber kategorisch, daß ihre Alleinherrschaft in der Bestimmung des Willens gebrochen werde. Wenn wir durch moralische Selbstzucht gelernt haben, uns von der ,,ungestümen Zudringlichkeit der Neigungen" soweit loszumachen, daß keine von ihnen auf Willensentscheidungen, bei denen die Vernunft mitzusprechen hat, von bestimmendem Einflusse ist, wenn also die vom Sittengesetz geforderte Rangordnung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft in uns habituell geworden ist, dann haben wir uns aus der natürlichen Knechtschaft der Triebe und Leidenschaften zur inneren Freiheit oder zur,,Freiheit im praktischen Verstande" emporgerungen, welche nichts anderes bedeutet als,,die Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit". Eine Willkür (Kant versteht darunter die Handlungsfreiheit), welche nur pathologisch", d. i. durch sinnliche Neigungen begründet ist, wäre eine bloß tierische Willkür (arbitrium brutum). Sie wird zur wahrhaft freien Willkür (arbitrium liberum) erst dadurch, daß die Vernunft auf unsere Entschließungen entscheidenden Einfluß gewinnt. Diese innere oder praktische Freiheit ist somit ein Ziel, dem uns durch strenge Selbsterziehung immer mehr zu nähern wir verpflichtet sind, wenn es auch in ganz vollkommener Weise innerhalb unserer irdischen Existenz niemals erreichbar ist. Sie zu verwirklichen, ist die einzige wahre Bestimmung des Menschen. Erst in dem Maße, als er sie in sich zu realisieren vermag, wird er zu einer Persönlichkeit, die nichts anderes bedeutet, als die,,Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur“ 145.

Die Voraussetzung einer freien sittlichen Selbstbestimmung ist aber die Autonomie der praktischen Vernunft. Nur

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