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lich meist weit davon entfernt, dem natürlichen Streben nach Lust förderlich zu sein. Hätte es die Natur oder ein höchstes Wesen allein auf unsere Glückseligkeit abgesehen, so hätten sie nichts Zweckwidrigeres tun können, als uns neben der Selbstliebe auch noch das Bewußtsein moralischer Verpflichtungen einzupflanzen, das jener so oft im Wege steht. Die rationalistischen Ethiken wieder pflegen entweder eine Autoritätsmoral zu lehren oder die Vervollkommnung als Ziel zu setzen. Beruft sich jene auf den Willen Gottes, so kommt sie mit ihren metaphysischen Drohungen und Versprechungen zuletzt auf einen verfeinerten und versteckten Eudaimonismus hinaus. Beruft sie sich aber auf die Güte des göttlichen Willens, so wird die Frage nach der Grundlage der Moral nur aus der menschlichen in die göttliche Sphäre hinausgeschoben. Das gleiche gilt vom Perfektionismus, da wir doch schon wissen müßten, worin die wahre Vollkommenheit zu bestehen habe, wenn wir nach ihr streben sollen. Hierher würde endlich auch die Reflexethik (A. Smith) gehören, nach welcher das moralische Urteil der Gesamtheit als Stimme eines,,unparteiischen Zuschauers in unserer Brust" sich vernehmlich macht. Schopenhauer hat gelegentlich den Gegensatz der Kantischen Ethik zu dieser Reflexethik treffend hervorgehoben: Kant will:,,Handle so, wie du möchtest, daß alle handeln"; bei Smith hingegen heißt es: ,,Handle so, wie alle möchten, daß du handelst." Alle diese Arten von Moralbegründung sind heteronom, sofern bei ihnen das Prinzip des Sittlichen aus dem eigenen Willen in ein anderes hinausverlegt wird. Nicht der Wille zum Guten selbst, sondern ein irgendwie bedingtes Motiv wird hier zur Grundlage gemacht: ich soll etwas tun, weil ich etwas anderes will. Das Gute aber, das nicht rein um seiner selbst willen erstrebt wird, würde aufhören, ein Gutes im moralischen Sinne zu sein. Es wäre durch eine Verkehrung der Motive in seinem innerlichsten Wesen zerstört 139.

in

Heteronome Prinzipien würden Gesetze bedeuten, die der praktischen Vernunft von außen her gegeben wären und die daher von uns als eine fremde Macht empfunden werden müßten, welche blinden Gehorsam verlangt. Heteronomie wäre also gleichbedeutend mit Passivität der Willensbestimmung und der Unterordnung unter ein Fremdgebot. Wahr

haft,,kategorisch" vermag der moralische Imperativ aber nur dann zu gebieten, wenn er von jeder äußeren Bindung unabhängig ist: wenn also die praktische Vernunft sich in ihm selbst ihr Gesetz gibt. Die eigentümliche Natur des Sittengesetzes fordert somit die Autonomie der praktischen Vernunft: ihre Selbstbestimmung durch Selbstgesetzgebung. Sowie,,Autonomie" im Staatsleben das Recht bedeutet, sich selbstherrlich zu regieren, so bedeutet dieser Ausdruck im sittlichen Leben das Recht, sich keinem Gesetze zu unterwerfen außer dem selbstgegebenen. Autonomie bedeutet somit Unabhängigkeit und Abhängigkeit zugleich: Unabhängigkeit des sittlichen Wollens von allen äußeren Faktoren, Abhängigkeit von der Normgebung durch die eigene Vernunft. Sittlich gut wird also jener Wille sein, der das selbstgegebene Gesetz der Vernunft zu befolgen bestrebt ist. Sowie wir Gesetze nur deshalb aus der Natur herauslesen können, weil wir sie selbst (als theoretische Vernunft) in sie hineingelegt hatten, so finden wir auch nur deshalb ein von allen äußeren Zwecken und Mächten unabhängiges Sittengesetz in uns vor, weil wir selbst (als praktische Vernunft) es uns gegeben haben. Diese Autonomie läßt sich nicht weiter beweisen. Sie ist aber die Grundvoraussetzung der Reinheit sittlicher Verpflichtung und im Grunde nur ein anderer Ausdruck dafür, daß das Sittengesetz rein durch sich selbst gilt und von allen naturhaften Beimischungen frei ist. Diese Autonomie bedeutet weiter aber auch, daß dem ,,Sollen" des kategorischen Imperatives jener Zug drohenden Aufgezwungenseins fremd ist, der allen Fremdgeboten eigen sein würde. Denn es ist zuletzt das eigene Wollen eines vernünftigen Wesens, das aus ihm spricht. Ein Gesetz, das man sich selbst gibt, ist keine drohende Macht, die uns etwas gegen den eigenen Willen aufzwingen möchte, sondern ein Ausdruck des Grundwillens unseres eigenen Wesens.,,Denn das selbständige Gewissen ist Sonne deinem Sitten tag", mit diesen Worten hat Goethe- vielleicht in unmittelbarer

Beziehung auf Kant diesem Gedanken Ausdruck gegeben 140

Dieser Ursprung des moralischen Gesetzes in der Autonomie der praktischen Vernunft verleiht ihm eine einzigartige Würde.,,Würde" besitzt im Reiche der Zwecke

nur das, was seinen Zweck in sich hat und daher Selbstzweck ist. Alles hingegen, was seinen Zweck außerhalb seiner hat, so daß an seine Stelle auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden kann, hat nur einen Preis. Was den allgemeinen Lebensbedingungen und Bedürfnissen dient, hat einen Marktpreis, was, ohne eigentliches Bedürfnis zu sein, unser Wohlgefallen anreizt, besitzt einen Affektionspreis. Nach den eudaimonistischen Ethiken hätte auch die Tugend ihren Preis, nämlich die Lustgefühle, um deren wegen sie geübt wird. Jede heteronome Begründung würde daher dem Moralgesetze seine Würde nehmen. Nur das autonome Moralgesetz hat nicht bloß relativen Wert oder einen Preis und läßt sich durch kein Äquivalent ersetzen oder erkaufen: es ist der Wert an sich und daher Selbstzweck. Würde kommt so im strengen Sinne nur dem Sittengesetze selbst zu. Indem aber der Mensch als Vernunftwesen sich selbst dieses Gesetz gibt und sich ihm freiwillig unterordnet, strahlt die Würde des Gesetzes auch auf seinen Träger über. Auch er wird insofern Selbstzweck und kann nicht mehr bloß als Mittel für etwas anderes angesehen werden. Er wird damit aus einer Sache zur Person.,,Persönlichkeit" bedeutet,,die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur". Als Naturwesen steht auch der Mensch innerhalb dieses Mechanismus; als Vernunftwesen steht er aber über ihm, weil das Gesetz des Sollens allen Gesetzen des Müssens entgegengesetzt, aber auch übergeordnet ist. Nur auf dieser vernünftigen, das spezifische Wesen des Menschlichen ausmachenden Seite liegt daher der Akzent der Würde:,,Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein." Daraus ergibt sich nun auch eine konkretere und inhaltlich bestimmtere Fassung des kategorischen Imperatives, die sich aber unmittelbar aus der Natur des Sittengesetzes selbst ableitet. Dieser Inhalt ist die Wahrung der Menschenwürde in uns und anderen:,,Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst." Wer sich selbst tötet, behandelt seine eigene Person nur als Mittel zur Erhaltung eines erträglichen Zustandes bis zu Ende seines Lebens. Wer

das Leben oder Eigentum anderer angreift oder lügenhafte Versprechungen macht, behandelt seine Mitmenschen nur als Mittel, weil diese unmöglich den Zweck dieser Hand-. lungen auch zu dem ihrigen machen können. Nur dort also, wo eine freie Zustimmung des anderen vorhanden oder wenigstens möglich ist, darf man ihn als Mittel zu einem bestimmten Zwecke gebrauchen, weil er damit diesen Zweck gewissermaßen in seinen eigenen Willen aufgenommen hat. Nur dort, wo eine Absicht mit dem Gedanken der Menschheit als Selbstzweck zusammen bestehen kann, hat man ein Recht, Leben und Gesundheit seiner eigenen Person einzusetzen. Von diesem Standpunkte aus weiß Kant auch der christlichen Grundforderung der Gottes- und Nächstenliebe in seiner Art gerecht zu werden. Das Gebot:,,Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst", kann nicht eine,,pathologische Liebe" im Sinne einer Neigung von uns verlangen. Eine solche ist Gott gegenüber unmöglich, weil er kein Gegenstand der Sinne ist; den Menschen gegenüber ist sie zwar möglich, kann aber nicht geboten werden, weil Gefühle sich nicht befehlen lassen. Inhalt eines Imperatives kann nur die praktische Liebe sein und das will Gott gegenüber heißen, daß man seine Gebote gerne befolge, den Menschen gegenüber, daß man die Pflichten gegen sie gerne ausübe. Aber auch dieses,,gerne" kann nicht im strengen Sinne anbefohlen, sondern nur als ein Ideal vollendeter Heiligkeit aufgestellt werden. Daher bedeutet jenes Liebesgebot nur, daß es nicht unserer beliebigen Wahl überlassen bleibt, ob wir uns zur Erfüllung göttlicher Gebote und zur praktischen Hilfeleistung für unsere Mitmenschen entschließen wollen, sondern daß es Sache der Pflicht ist, beides zu tun. Eine auf Gefühle gegründete Liebesethik (wie etwa die Mitleidmoral Schopenhauers) findet in Kants Moralsystem keinen Platz 141.

5. PFLICHT UND NEIGUNG

Wenn unsere eigene Vernunft die Schöpferin des Sittengesetzes ist, wie kommt es dann, daß dieses in der Form eines Imperatives auftritt? Wären wir reine Vernunftwesen, so müßte in der Tat mit dem Bewußtsein eines Sollens auch schon seine Erfüllung gegeben sein. Die Form eines Gebotes wäre ganz überflüssig, weil keine Hemmungen

da wären, die ihm widerstrebten. Nun sind wir aber eben nicht reine Vernunftwesen, sondern Menschen, in denen neben der Vernunft die sinnliche Natur mächtig ist, deren Antriebe nur zu oft dem für recht und gut Gehaltenen entgegenwirken. Kant geht sogar noch weiter, indem er behauptet, der Wille des Menschen sei, soweit er auf sinnlichen Motiven beruht, von Natur aus böse. Dem Menschen sei ein Hang eigen, die sittliche Ordnung der Motive dahin umzukehren, daß er die Befriedigung der Selbstliebe zur Bedingung der Befolgung des Vernunftgesetzes zu machen geneigt sei. Der Mensch pflegt daher dem als gut Erkannten nur dann willig zu folgen, wenn es ihm auch Nutzen und Vergnügen verspricht. Diesen Zug zur Umkehrung der Motive nennt Kant das radikal Böse in der menschlichen Natur, weil es den Grund und die Wurzel aller subjektiven Maximen verderbe. Ist so der natürliche Hang von Natur aus böse, so wird sich das Sittengesetz auch nur im Kampfe mit der sinnlichen Natur durchsetzen können: daher das imperativische Sollen. Es hätte weder beim Tier, dem wir keine Vernunft, noch bei reinen Geistern, denen wir keine Sinnlichkeit zuschreiben, einen Sinn. Bei jenem gibt es nur ein naturgesetzliches Müssen, bei diesen könnte es mit dem vernünftigen Wollen sein Bewenden haben. Der Mensch ist aber ein gemischtes Wesen und daher nimmt der Vernunftwille für ihn als Sinnenwesen unvermeidlich den Charakter eines Befehles, das Befohlene den Charakter einer Pflicht an. allen auf Selbstliebe beruhenden Neigungen unterscheidet sich das Pflichtbewußtsein dadurch, daß es sich allein auf die Achtung vor dem Gesetze gründet. Achtung ist eine Art Doppelgefühl. Der sinnliche Mensch fühlt zunächst den Zwang des oft widerwilligen Unterworfenseins unter das Gesetz und zugleich die Selbstdemütigung, welche darin liegt, daß er sich immer wieder seiner Unangemessenheit an die Strenge des Geforderten bewußt wird. Sich aber doch zugleich auch wieder als Urheber eines so erhabenen Gesetzes zu wissen, läßt jene Gedrücktheit in ein Gefühl der Erhebung und der Selbstbilligung übergehen. Achtung ist so wenig ein Gefühl der Lust, daß man sich ihrer einem Menschen gegenüber immer nur mit einem gewissen natürlichen Widerstreben überläßt, wenn auch erprobte Rechtschaffenheit uns dieses Gefühl jedem Geistesstolz zu Trotz

Von

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