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Verwandtschaft und der Entwicklung einer aus der anderen aufkommen. Alles das sind, vom Standpunkte der Verstandeseinsicht gesehen, nur glückliche Zufälligkeiten, welche aber unwillkürlich den Eindruck einer gewissen Planmäßigkeit des Ganzen hervorrufen. Das Rationale in der Natur hat sich als Werk unseres Verstandes herausgestellt. Es beschränkt sich aber auf ihre formale Seite, welche bedingt, daß die Erscheinungen überhaupt eine „Natur“, d. i. einen gesetzmäßigen Zusammenhang ausmachen. Das Irrationale an ihr, zu dem alle ihre besonderen inhaltlichen Bestimmtheiten gehören, bedeutet eine Grenze unseres verstandesmäßigen Begreifens129.

Dieses Irrationale und doch wieder wunderbar Harmonische in dem Zusammenwirken aller Besonderheiten der Natur läßt sich nun bloß nach teleologischen Gesichtspunkten dem Verstehen einigermaßen näher bringen. Angesichts seiner drängt sich nämlich der Gedanke auf, als wäre alles mit Plan und Absicht auf eine solche Harmonie abgestimmt, so zwar, daß jedes Einzelne die Bestimmung hätte, dem großen Zusammenklang des Ganzen zu dienen und dieses so den geheimnisvollen Endzweck aller seiner Teile bilden würde. Nun können wir uns aber eine solche Überordnung des Ganzen über seine Bestandteile auch im großen nicht anders begreiflich machen, als daß wir annehmen, daß die Idee des Ganzen seinen Teilen vorhergehe. Und das will wieder heißen: die Vorherrschaft eines Endzweckes setzt nach menschlicher Analogie voraus, daß dieser Endzweck in Form der Vorstellung antizipiert werde. Vorstellungen können wir aber nur einer Intelligenz zuschreiben. Daher nimmt jener Gedanke einer Weltharmonie unausbleiblich die Gestalt an, als ob die Natur und ihre Ordnung das Werk einer unendlich überlegenen Intelligenz wären. Sie müßte man sich als urbildlichen Verstand (,,intellectus archetypus") denken, der durch sein Denken selbst die Gegenstände hervorbrächte, die seinen Gedanken entsprechen, so daß die empirischen Dinge nichts anderes wären als die anschaulich gewordenen Gedanken jenes Weltgeistes. Wir müssen uns aber, wenn wir uns solchen Gedanken hingeben, wohl bewußt bleiben, daß es eben nur die eigentümliche Natur unseres eigenen nachbildenden, d. i. an gegebene Anschauungen gebundenen Verstandes (eines,,intellectus

ectypus") ist, welche uns hier zwingt, zu solchen Vorstellungsweisen Zuflucht zu nehmen. Daher beweist die Tatsache, daß wir hier auf teleologische Gesichtspunkte gedrängt werden, noch gar nichts dafür, daß ein intelligentes Wesen jener höchsten Art existiert, sondern eben immer nur, daß wir nicht umhin können, eine absichtlich wirkende Ursache zur Welt hinzuzudenken. Wenn wir daher in dieser Art über das Naturganze reflektieren, so ist das kein Schließen wie im physiko-theologischen Gottesbeweise, sondern nur eine subjektive Betrachtungsweise, ähnlich jener, die uns in Hinsicht der Organismen naheliegt: eine berechtigte Maxime unseres Nachdenkens über die Natur, aber keine objektive Erkenntnis oder theoretische Wahrheit. Oder kurz: diese Art Teleologie gehört in keiner Weise zur Theologie! Man soll, meint Kant einmal, den Namen Gottes nicht verschwenden; denn das, was die Menschen die Weisheit der Natur nennen, ist zumeist ihre eigene Weisheit oder in Wahrheit vielmehr nur der Mangel an verstandesmäßiger Einsicht. Daher bleibt jene Vorstellung einer höchsten Vernunft als dem Grunde der Weltharmonie gleich der Vorstellung von einer höchsten Welteinheit überhaupt nur eine Idee und ist keine Erkenntnis einer Realität. Mit diesem Vorbehalte kann man endlich auch dem Gedanken Ausdruck geben, daß in einem solchen intelligiblen Urgrunde der Natur Mechanismus und Teleologie an sich zusammenhingen, ja zuletzt identisch sein könnten, wenn sie auch für uns als Menschen immer Verschiedenes bedeuten und sich nicht vereinigen lassen wollen: denn es könnte wohl sein, daß aller Mechanismus nur dazu diente, einen zweckvollen Plan des Ganzen zu verwirklichen. An diesen von dem kritisch-besonnenen Kant nur behutsam geäußerten Gedanken eines schaffenden Weltgeistes hat späterhin Schelling in kühner Spekulation angeknüpft. Welches könnte denn nun aber jener Endzweck sein, dem alles dient und auf den alles abgestimmt ist? Offenbar nicht die Existenz der Natur selbst, in der alles und jedes wieder bedingt ist; aber auch ebensowenig der Mensch als Naturwesen. In letzterem Falle müßte die Erfahrung doch irgendwie zu erkennen geben, daß die Natur gegen ihn vorsorglicher verfahre als gegen andere Geschöpfe. Das ist aber in Hinsicht des höchsten

Gutes eines bloßen Sinnenwesens, der Glückseligkeit, in keiner Weise der Fall. Selbstzweck und darum auch Endzweck alles anderen kann nur ein Wesen sein, das sich selbst unbedingte Zwecke zu setzen weiß. Ein Wesen dieser Art ist aber unseres Wissens nur der Mensch als moralische Persönlichkeit. Der sittlich gute Wille und die sittlich gute Gesinnung sind das einzige, das seinen Wert in sich trägt. In Hinsicht eines absoluten Sollens kann nicht mehr gefragt werden, wozu es da sei: es ist selbst der letzte Wert und darum der letzte Zweck. Und daher kann auch der höchste Naturzweck, den wir Menschen anzugeben wüßten, nur der sein, die Existenz eines moralischen Wesens und ein Reich solcher vernünfti

ger Wesen unter moralischen Gesetzen zu ermöglichen. Kants teleologische Naturbetrachtung mündet so zwar nicht in eine Physikotheologie, wohl aber in den Hinweis auf eine in der Selbstherrlichkeit des sittlichen Bewußtseins wurzelnde Ethikotheologie 180.

VIII. REINE ETHIK

1. DIE MORAL ALS PROBLEM

Der Mensch ist nicht bloß denkendes Wesen oder reines Erkenntnissubjekt. Als phänomenales Sinnenwesen gehört er mit seinen sinnlichen Trieben und Bedürfnissen dem allgemeinen Zusammenhange der Natur an und ist darauf angewiesen, im Lebenskampfe sein Dasein zu erhalten. Als soziales Wesen steht er überdies im Leben menschlicher Gemeinschaft, das fortgesetzt gewisse Ansprüche an ihn stellt und ihn zu praktischen Stellungnahmen zwingt. Als vernunftbegabtes Wesen hat er aber die Tendenz, sein Handeln nach klar erkannten Regeln und Maximen einzurichten, wodurch er sich von allen uns bekannten Wesen unterscheidet. Damit sieht sich der Kritizismus vor die

Frage gestellt, ob es auch auf diesem praktischen Gebiete eine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit gibt: Gesetze a priori des Wollens nach Art der Gesetze a priori des Erkennens. Oder, was dasselbe heißt: ob der,,Metaphysik der Natur" eine „Metaphysik der Sitten", dieses Wort im weitesten Sinne verstanden, an die Seite gestellt werden kann. Gesetze dieser Art können

sich naturgemäß nicht auf das sinnliche Triebleben des Menschen gründen, denn dieses ist als Naturvorgang selbst nur ein Sonderfall der allgemeinen Naturgesetzlichkeit. Wenn es solche Gesetze gibt, so können sie nur Gesetze der Vernunft sein, sofern diese auf das Wollen und Handeln des Menschen von Einfluß ist und mit Rücksicht darauf,,praktische Vernunft" heißen kann. Die Frage ist nun gibt es Gesetze a priori der praktischen Vernunft und worauf beruht ihr Geltungsanspruch auf Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit?

In dieser Absicht gilt es nun, jene Urteile und Selbstbeurteilungen zu untersuchen, welche ganz allgemein das Wollen und Handeln zum Gegenstande haben. Urteile dieser Art geben keine Erkenntnis im theoretischen Sinne, sondern sind Aussagen über das Verhältnis, in das sich der Urteilende selbst zu dem beurteilten Gegenstande, sei dieser nun ein Tun oder eine dem Handeln zugrunde liegende Gesinnung, setzt. Sie sind Werturteile über Willensverhältnisse. Zwischen ihnen bestehen aber wichtige Unterschiede. Ein sehr großer Teil von ihnen hat nur die Absicht, eine bestimmte Handlungsweise als klug oder unklug, nützlich oder schädlich in Hinsicht des Handelnden zu beurteilen. Werturteile dieser Art sind notwendig empirisch bedingt. Sie setzen nämlich die Beziehung auf gewisse Bedürfnisse oder naturhafte Zwecke des Handelnden voraus: auf seine sinnlichen Triebe und Instinkte oder auf sein überlegtes persönliches Interesse. Mäßigkeit wird in diesem Sinne gebilligt, weil sie das physische Wohlergehen fördert, Sparsamkeit, weil sie die Aussicht auf ein sorgenfreies Alter verspricht. Solcher Art bedingte Werturteile gelten nur soweit und solange, als die Zwecke gelten, auf welche sie Bezug nehmen. Auf sie lassen sich wohl subjektive Maximen des Handelns gründen, aber keine objektiv gültigen Gesetze. Anders steht es bei jenen Urteilen, welche Aussagen über „gut“ und „,böse“ enthalten: also den moralischen Urteilen. Beurteilungen dieser letzten Art treten stets mit dem Anspruche auf, nicht bloß jetzt und unter bestimmten Umständen und nicht bloß für diesen oder jenen, sondern unbedingt und schlechthin allgemein zu gelten. Es kennzeichnet sich dies dadurch, daß sie ihren Gegenstand zu irgendeinem ob

jektiven Prinzip in Beziehung setzen, welches, allgemein ausgedrückt, das Sittengesetz heißt. Dieses wird als allgemein verbindliche Norm für alle vernünftigen Wesen angesehen und unterscheidet sich dadurch wesentlich von allen subjektiven Grundsätzen, welche der einzelne auf Grund persönlicher Erwägungen für sich und sein Verhalten aufstellen mag. Wenn irgendwo, so werden sich also apriorische Gesetze nur im Bereich des sittlichen Bewußtseins auffinden lassen. Nun erhebt sich aber der enge Bezirk des Moralischen auf dem gewaltigen Hintergrunde universeller Naturgesetzlichkeit. Zwischen Naturgesetz und Sittengesetz (wie immer man dieses im übrigen fassen will) besteht aber ein tiefgreifender Gegensatz. Das Naturgesetz sagt uns, was unter gewissen Umständen geschehen muß und daher auch wirklich geschieht. Das Sittengesetz hingegen verlangt, was unter allen Umständen geschehen soll, wenn es auch nicht immer und vielleicht nie in absoluter Vollkommenheit geschieht. Beide sind daher ihrem Wesen nach verschieden: jenes spricht eine Tatsache aus, dieses eine Forderung; jenes bezieht sich auf ein Sein, dieses auf ein Sollen. Unvereinbar scheinen sich beide in einer Welt, deren unaufhebbaren Charakter die Herrschaft des Kausalgesetzes bildet und in welche ja auch der Mensch als Träger des sittlichen Bewußtseins eingeordnet ist, einander gegenüberzustehen. Daher ist der Bestand und die Geltung moralischer Gesetze keineswegs etwas Selbstverständliches. Die Grundfrage nach der Existenz und Geltung apriorischer Gesetze der praktischen Vernunft leitet sich daher ganz von selbst in die Frage nach dem Wesen und der Geltung eines Sittengesetzes und dessen Vereinbarkeit mit dem Naturmechanismus über. Dem Problem der theoretischen Philosophie: Was ist Erkenntnis und wie ist sie möglich? tritt als gleichberechtigt das Problem der praktischen Philosophie an die Seite: Was ist Moral und wie ist sie möglich? Es wird also zuerst der moralische Tatbestand und damit das Wesen des Sittlichen festzustellen und dann auf Grund dieser Feststellung die Frage nach der Möglichkeit und Berechtigung sittlicher Forderungen aufzuwerfen sein. Aus dem Ursprunge dieser ganzen Fragestellung erhellt ohne weiteres, daß die größten Schwierigkeiten die Vereinbarkeit eines Sittengesetzes mit dem Na

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