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Wärmestoff bald gleichgesetzt, bald von ihm unterschieden wird, wobei die Molekularkräfte nach Möglichkeit durch Ätherkonkussionen ersetzt werden sollen; über die Aggregatzustände der Materie und ihren Übergang ineinander; über die Ursachen der Tropfengestalt, den Glanz der Metalle und die Haarröhrchenphänomene. Dabei heißt es ausdrücklich von jenem,,radikalen Weltstoff", er sei,,kein hypothetischer, sondern a priori gegebener Stoff“. Ja, es wird sogar der Versuch gemacht, aus der Kategorientafel a priori die möglichen Arten von Empfindungen, bewegenden Kräften und Qualitäten körperlicher Gegenstände abzuleiten. Dazu kommen allgemeine Vermutungen über eine gemeinsame Grundlage von Wärme, Licht, Elektrizität und Magnetismus. Hier finden wir den gealterten Kant ganz auf den Wegen der spekulativen Naturphilosophie; ja, es ist wahrscheinlich, daß diese auf dem Umwege durch den von Schelling stark beeinflußten Physiker J. W. Ritter auf diesen Umschwung von Einfluß geworden war. Ein Satz wie der aus den allerletzten Aufzeichnungen stammende: daß die Transzendentalphilosophie eine Art Galvanismus sei, könnte ebensogut bei_Novalis stehen. Mag man auch diese und ähnliche, zum Teil schon stark senile und überdies noch nicht zum Druck bestimmte Äußerungen des Philosophen dem allmählichen Schwinden des kritischen Geistes zugute halten, so teilen doch auch die,,Metaphysischen Anfangsgründe" das Schicksal jeder Naturphilosophie, daß sie, an einer bestimmten Phase des Naturerkennens orientiert, mit dessen Fortschreiten rascher veraltert als andere Teile des Systems124.

2. DIE PHILOSOPHIE DES ORGANISCHEN

Die,,Transzendentale Analytik" und die ,,Metaphysischen Anfangsgründe" geben eine Grundlegung der mathematischphysikalischen Naturwissenschaft. Ihre Prinzipien lassen sich aber nicht ohne weiteres auf die Biologie übertragen, denn die organischen Naturformen setzen ihrer Auflösung in bloße Bewegungsgrößen einen unüberwindlichen Widerstand entgegen. In dieser Hinsicht hatte schon die,,Naturgeschichte und Theorie des Himmels" gelehrt, daß die Mechanik am Grashalm und der Raupe scheitere. Zwar bestehen die allgemeinen Gesetze der Natur als Bedingungen der Erfahrung überhaupt selbstverständlich auch für die

organische Welt zu Recht, aber sie reichen hier zur Erklärung nicht zu, sondern bedürfen der Ergänzung durch ein Hilfsprinzip. Ein solches bietet sich dar im Begriffe der realen (objektiven) oder Naturzweckmäßigkeit. Der ,,Zweck" ist keine Kategorie des Verstandes, denn er bildet keine Voraussetzung der Möglichkeit einer Erfahrung. Er ist vielmehr nur ein Prinzip der Beurteilung gewisser Naturverhältnisse und zwar ihrer bloß reflektierenden Beurteilung, welche zu einzelnen Fällen besonderer Art erst ein allgemeines Prinzip sucht, um sie aus ihm verstehen zu können. Der Zweckbegriff nun entspringt daher, daß wir in gewissen Fällen eine Erscheinung ebensogut als Ursache wie als Wirkung aufzufassen in der Lage sind. Das ist in vorbildlicher Weise bei den Erzeugnissen menschlicher Tätigkeit der Fall. Hier ist die antizipierende Vorstellung der Wirkung dieser Tätigkeit die Ursache oder das Motiv für das Einsetzen dieser Tätigkeit. Auf den Begriff einer Zweckmäßigkeit in der Natur wird daher die. Erfahrung unsere Urteilskraft dann leiten, wenn ein Kausalverhältnis von solcher Art zu beurteilen ist, daß wir es uns nur nach Analogie menschlicher Zweckhandlungen begreiflich machen können. Oder wie Kant sagt:,,wenn ein Verhältnis der Ursache zur Wirkung zu beurteilen ist, welches als gesetzlich einzusehen wir uns nur dadurch vermögend finden, daß wir die Idee der Wirkung der Kausalität der Ursache, als die dieser selbst zugrunde liegende Bedingung der Möglichkeit der ersteren unterlegen." Kurz gesagt: wenn wir das Verhältnis von Erscheinungen technisch denken müssen, um es uns begreiflich zu machen. Die Anwendung einer solchen technisch-teleologischen Betrachtungsweise wird uns besonders dort nahegelegt sein, wo wir aus irgendeinem Grunde an der Grenze unseres kausal-mechanistischen Begreifens stehen, wie das in Hinsicht der Organismen, aber auch in Hinsicht des Ganzen der Natur, das uns nur in der Idee aufgegeben ist, der Fall ist. Das Bedürfnis nach Heranziehung teleologischer Gesichtspunkte in der Naturbeurteilung macht es jedoch keineswegs notwendig, nun auch der Natur etwa nach menschlicher Art eine Absicht in der Hervorbringung gewisser Produkte zuzuschreiben; es genügt, ein analoges Verhältnis von Ursache und Wirkung zu denken, wie es bei Artefakten besteht: das, was ist,

wird beurteilt und gemessen an dem, was es sein soll. Da nun die Erfahrung immer nur lehrt, was die Dinge sind, aber niemals, was sie sein sollen, so ist klar, daß es sich hier um Einführung eines empirisch nicht begründbaren Prinzipes der Beurteilung handelt, welche ihre Berechtigung und deren Grenzen vor dem Forum des Kritizismus wird ausweisen müssen. Dieses Problem ist in der „Kritik der Urteilskraft“ (1790) und zwar in deren zweitem Teile:,,Kritik der teleologischen Urteilskraft" gestellt und in einer wohl für alle Zeiten gültigen Weise gelöst. Ferner kommen dafür in Betracht der Entwurf einer Einleitung zu diesem Werke, der unter dem Titel:,,Über Philosophie überhaupt" (1794) veröffentlicht wurde, und ein Aufsatz:,,Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie", der 1788 im,,Teutschen Merkur“ erschienen war125.

Von Naturzweckmäßigkeit kann nun im allgemeinen in zweifacher Hinsicht gesprochen werden. Eine äußere oder bloß relative Zweckmäßigkeit liegt dort vor, wo eine gegebene Wirkung als Mittel zur Verwirklichung von Zwecken, die außerhalb seiner liegen, angesehen wird. In diesem Sinne ist von der ,,Nutzbarkeit" gewisser Naturprodukte für den Menschen oder ihrer ,,Zuträglichkeit“ für andere Geschöpfe die Rede. So könnte man fragen, ob nicht die uralte Absetzung von Sandschichten bei allmählichem Zurücktreten des Meeres ein Zweck der Natur war, um das Entstehen von Fichtenwäldern, die gerade auf solchem Boden am besten gedeihen, zu begünstigen oder ob nicht das Vorkommen von Gräsern im Hinblick auf die Existenzmöglichkeit grasfressender Tiere und das Dasein dieser wieder in Rücksicht auf die Nahrung der Raubtiere als zweckmäßig beurteilt werden müsse. Das gleiche gilt in Hinsicht der Lebensbedingungen des Menschen. Es ist aber leicht einzusehen, daß teleologische Betrachtungen dieser Art, mit denen die Popularphilosophie zu Zeiten Kants reichlichen Mißbrauch trieb, nur dann sinnvoll sein würden, wenn sie zuletzt auf einen absoluten Zweck bezogen werden könnten, wenn also die Existenz dessen, wofür etwas Mittel sein soll, ein Selbstzweck der Natur sein würde. Da aber die Naturbetrachtung keinerlei Anhaltspunkt dafür gibt, daß etwa die physische Existenz des Menschengeschlechtes ein solcher absoluter Naturzweck wäre,

so erweist sich diese Art Teleologie als bloß hypothetisch und in philosophischem Sinne bedeutungslos. Hingegen liegt in der Organisation belebter Naturprodukte tatsächlich ein Problem vor, das, weil mechanistisch nicht restlos zu lösen, eine echte Zweckbetrachtung herausfordert. Hier ist es nämlich im Gegensatze zu anorganischen Körpern nicht möglich, die Entstehung und Form des Ganzen aus dem Zusammenwirken mechanischer Kräfte abzuleiten. Bei unbelebten Naturkörpern sind die Teile früher da als das Ganze, das sich aus ihnen aufbaut. Ihre Existenz und Struktur wird durch den mechanischen Prozeß ihres Zusammenschlusses gar nicht berührt, so daß dieser für sie relativ zufällig bleibt. Das Ganze wiederum ist als die Wirkung der bewegenden Kräfte aller seiner Teile restlos zu verstehen. Anders bei Organismen: ihr Lebenszusammenhang ist bedingt durch die Struktur und Funktion ihrer Teile; diese Teile selbst aber wieder sind ihrer Gestalt und Tätigkeitsform nach bedingt durch den organischen Zusammenhang, in dem sie stehen. Ein Baum kann nicht gedeihen ohne Wurzeln und Blätter, sich nicht fortpflanzen ohne Früchte; aber Wurzeln, Blätter und Früchte können ebensowenig für sich bestehen, sondern nur im organischen Zusammenhang des ganzen Baumes. So wenig wie das Ganze ohne die Teile sind auch die Teile ohne das Ganze in ihrer Existenz und Eigenart zu begreifen. Eines ist hier um des andern willen da und hat seine Daseinsberechtigung wieder nur als ,,Organ" oder Werkzeug des Ganzen. Das ist nun bis zu gewissem Grade auch bei Maschinen der Fall. Gleichwohl reicht dort auch die bloß technische Vorstellungsweise nicht zu. In einer Uhr ist zwar jeder Teil das Werkzeug für die Bewegung aller anderen, aber ein Rad ist nicht die hervorbringende Ursache anderer Räder und noch weniger eine Uhr die Erzeugerin einer anderen Uhr. Dieses Verhältnis besteht aber bei den Organismen, welche sich selbst erhalten und fortpflanzen. In diesem Sinne hatte schon die Königin Christine von Schweden gegen den Vergleich der Tiere mit Automaten oder aufgezogenen Uhrwerken durch Descartes dem Philosophen eingewendet, daß bei Uhren die Fortpflanzung doch etwas Unerhörtes sei. Eine solche Wechselbedingtheit zwischen einem Ganzen und seinen Teilen bedeutet nun für die mechanistische Naturerklärung, welche überall auf die Ver

folgung einsinnig verlaufender Kausalreihen angewiesen bleibt, ein unauflösliches Rätsel. Ein intuitiver Verstand, der imstande wäre, alles mit einem Blicke zu übersehen, könnte es vielleicht verstehen, daß und wie die Teile im ganzen begründet und bedingt sein können. Unser diskursiver Verstand, der immer nur von einzelnem zu einzelnem fortschreitet und die Erscheinungen,,buchstabieren“ muß, um sie als Erfahrung lesen zu können, ist nicht in dieser glücklichen Lage. Hier hilft uns nur Betrachtung nach Analogie menschlicher Zwecktätigkeit. Wir vermögen jenes eigentümliche Verhältnis nur so zu verstehen, daß wir die Idee des Ganzen als bestimmenden Grund für die Beschaffenheit der Teile und die Art ihres Zusammenwirkens ansehen, diese also so betrachten, als ob die Möglichkeit der Existenz des ganzen Organismus der besonderen Bildung seiner Teile als Endzweck vorangesetzt wäre. Da umgekehrt die Teile offenkundig als Mittel zur Erhaltung des Ganzen dienen, so besteht hier ein Verhältnis gegenseitiger Zweckbedingtheit und wir können ,,ein organisiertes Produkt der Natur" geradezu als das definieren,,,in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist." In gleichem Sinne kann man auch sagen, daß ein Organismus in Hinsicht seiner Erzeugung im Verhältnis zur Gattung zugleich Ursache und Wirkung sei. Hier ist nicht mehr von einer äußeren Zweckmäßigkeit die Rede, sondern von einer inneren: von einer Zweckmäßigkeit ohne (äußeren) Zweck. Der Bestand des Organismus selbst gilt hier als Endzweck, dem alles untergeordnet ist und der alles zu seiner Selbsterhaltung organisiert. Damit ist nicht gesagt, daß die Existenz dieses Organismus oder der organischen Welt überhaupt ein Zweck der Natur sei, geschweige denn, daß der Natur eine bewußte Absicht nach dieser Richtung hin angedichtet werden dürfte. Jene Zweckbetrachtung gründet sich vielmehr einzig und allein auf die Form des Zusammenwirkens der Teile zum Ganzen eines Organismus. Nur in formaler, nicht in materialer Hinsicht kann daher dieser als objektiver „Naturzweck“ angesehen werden126.

Das Leben" ist somit ein Grenzbegriff der kausal-mechanistischen Naturerklärung. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß die letztere vor den

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