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Es gibt keinen rein theoretischen Gottesbeweis, der sich nicht auf eine der drei behandelten Typen zurückführen ließe. Mit ihrer kritischen Abweisung ist daher jede Hoffnung vernichtet, das Dasein Gottes aus bloßen Vernunftgründen unwiderleglich darzutun. Spekulative Theologie als Wissenschaft ist somit unmöglich. Sie kann aber gleich den beiden anderen rationalen Disziplinen von einem gewissen negativen Werte insofern sein, als sie hinreicht, einen an und für sich fehlerfreien, wenn auch bloß denkmöglichen Begriff eines höchsten Urwesens aufzustellen und dadurch einem Mißbrauche der Gottesidee von anderer Seite einen Riegel vorzuschieben. Denn so wenig sich die theistische Theologie der spekulativen Metaphysik theoretisch beweisen läßt, ebensowenig läßt sich auch ein dogmatischer Atheismus oder Naturalismus wissenschaftlich rechtfertigen. Die Kritik der rationalen Theologie vermag daher immerhin einem gereinigten Gottesglauben, sofern er sich auf andere als reine Vernunftgründe stützt, den Boden zu bereiten119.

7. DAS ERGEBNIS

Die Idee des Unbedingten ist ein natürliches Produkt unserer Vernunft. Es ist daher von vornherein zu vermuten, daß es nur der Abstellung ihres mißverständlichen Gebrauches bedarf, um sie für wirkliche Erkenntnis fruchtbar zu machen. Ihr Mißbrauch nun besteht, wie sich gezeigt hat, in ihrer Einstellung auf das Transzendente, woraus das Blendwerk einer Metaphysik des Übersinnlichen entspringt. Ihr richtiger Gebrauch wird daher ein im manenter sein müssen. Die ,,Vernunft" verhält sich ja zum,,Verstande" nicht anders, als sich dieser zur „,Sinnlichkeit" verhält: wenn die Verstandeskategorien sich auf Anschauungen beziehen und nur durch diese Beziehung reale Bedeutung gewinnen, so beziehen sich die Ideen der Vernunft auf die Urteile des Verstandes und ihr wahrer Erkenntniswert wird daher auch nur in dem bestehen, was sie in diesem immanenten Bereiche zu leisten vermögen. Und dies ist nicht wenig. Zwar dient die Idee des Unbedingten in ihren verschiedenen Gestalten nicht wie die Kategorien (ohne deren transzendentale Funktion Erfahrung überhaupt unmöglich sein würde) dazu, bestimmte Erkenntnisse zu begründen, wohl aber dazu, unser Er

kenntnisstreben nach gewissen Zielen zu richten und unseren Verstand in seinem Tun zu leiten. Anders ausgedrückt: die Vernunftideen sind zwar nicht konstitutive, wohl aber regulative (richtunggebende) Prinzipien. So hat es sich als regulativer Gebrauch der psychologischen Idee herausgestellt, daß sie die Richtung der wissenschaftlichen Seelenlehre dahin bestimmt, weder in Spiritualismus noch in Materialismus auszuschlagen, sondern sich an die Erforschung der psychischen Phänomene zu halten. Die kosmologische Idee wieder leitet uns an, bei keiner jemals erreichten Stufe empirischer Erkenntnis stehenzubleiben, sondern unermüdlich von Einsicht zu Einsicht, von Bedingung zu Bedingung weiterzuschreiten. Das vollständige Ganze auch der phänomenalen Welt ist uns SO zwar niemals als Gegenstand der Erfahrung gegeben, wohl aber aufgegeben: eine nie vollendbare, aber darum nicht weniger Erfolg versprechende Aufgabe. Die theologische Idee endlich erfüllt eine regulative Funktion höchsten Ranges, indem sie uns antreibt, alle Erkenntnisse zu systematischer Einheit zu bringen und jedes einzelne Wissen nur als Glied eines, wenn auch nie zu vollendenden Zusammenhangs in einem alles umfassenden Erkenntnissysteme zu betrachten. Und so wenig theologische Erklärungen in der empirischen Wissenschaft zu suchen haben, kann es doch, wie sich noch zeigen wird, unter Umständen von Vorteil sein, die Dinge so zu betrachten, als ob sie alle von einer göttlichen Intelligenz herstammten, denn damit wird die teleologische Betrachtungsweise fruchtbar gemacht, ohne mit der kausal-mechanistischen in Widerstreit zu kommen. Die Idee des Unbedingten wirkt so wie ein imaginärer Brennpunkt (,,focus imaginarius"), dem alle einzelnen Erkenntnisse zustreben, ohne in ihm zwar jemals zu reeller Vereinigung zu gelangen, der aber dennoch dazu dient, ihnen ,,die größte Einheit neben der größten Ausbreitung" zu verschaffen. Er ist gleichsam ein Symbol der Einheitstendenz alles Denkens und Forschens: der Forderung, grundsätzlich einer einheitlichen Vollendung des Verstandesgebrauches nachzustreben.

Zum Metaphysiker alten Stiles wird, wer den Wegweiser für das Ziel nimmt, die gestellte Aufgabe für ihre Lösung hält. Denn nur solche Wegweiser sind die Vernunft

ideen: für sich selbst genommen ohne Inhalt und ohne selbständigen Wert. „Vernunft" bedeutet somit nichts anderes als die Gesamtheit richtunggebender Denk- und Forschungsantriebe empirischer Erkenntnis. Durch sie soll die gesamte Verstandeserkenntnis aus einem bloßen Aggregat einzelner Erfahrungsurteile zu einem einheitlichen System des Erfahrungswissens gestaltet werden, das, unter Ausschaltung metaphysischer Deutungen, die Beweglichkeit und Geschmeidigkeit fortgesetzter Anpassung und unbegrenzten Fortschreitens sich bewahrt. Die Vernunft ist in diesem Sinne eine wohltätige Zauberin, die uns verlockende Ziele vor Augen stellt, denen unser Denken und Forschen immerfort nachstrebt, ohne sie jemals erreichen zu können denn das Unbedingte ist eben für ein bedingtes Denken niemals erreichbar, während sie auf dem Wege zu ihnen die größten und wertvollsten Schätze finden. Es ist wie in Bürgers Parabel,,Die Schatzgräber": der sterbende Winzer verspricht seinen Kindern einen im Weinberge verborgenen Schatz, endet aber sein Leben mit den Worten:,,Grabt nur danach!" Vergebens suchen die Söhne in harter Arbeit nach dem angeblichen Schatze, den sie nicht finden, weil er gar nicht vorhanden ist. Aber der Weinberg lohnt die Mühe mit dreifachem Ertrag.

Dieselbe Vernunft bewährt sich aber auch kritisch gegen sich selbst ihr Werk ist die „Kritik der reinen Vernunft", welche alle Erkenntnisansprüche, auch die eigenen, vor ihren ,,Gerichtshof“ ruft und sie unbarmherzig beschneidet. Denn: ,,Freilich fand es sich: daß, ob wir zwar einen Turm im Sinne hatten, der bis an den Himmel reichen sollte, der Vorrat der Materialien doch nur zu einem Wohnhause zureichte, welches zu unseren Geschäften auf der Ebene der Erfahrung gerade geräumig und hoch genug war, sie zu übersehen." Die Zerstörung dieser,,Träume der Vernunft" schien Kant wohl zunächst als die wichtigste Aufgabe. Sie erregte auch alsbald das größte Aufsehen in einer Zeit, deren Stolz und Hoffnung noch immer die dogmatische Metaphysik bildete. Auf diese seine Tat prägte Mendelssohn das Wort von dem,,alles zermalmenden Kant". War es auch vielleicht in gewissem Sinne voreilig von Kant, die Metaphysik seiner Zeit für eine „,Naturanlage" des menschlichen Geistes zu halten, so schmälert das nicht die un

geheure geschichtliche Bedeutung seiner Kritik und auch die Gegenwart hätte noch oft von ihr besonders von der Antinomienlehre zu lernen. Eine ganze Fülle von Scheinund Vexierproblemen ist durch sie abgetan; der,,dichtenden Vernunft" sind die Flügel beschnitten, aber dafür dem menschlichen Erkenntnistrieb ein unermeßlich weites Feld erfolgreicher und gegen jeden skeptischen Einwand gesicherter Betätigung eröffnet, ohne daß damit die letzten persönlichen Überzeugungen an die Schranken bloßer Wissenschaftlichkeit gebunden würden. Die Kritik richtet sich ja nur gegen die spekulative Metaphysik und Theologie, nicht gegen einen aus der Tiefe des menschlichen Gemütes quellenden Glauben, sofern er nur der Vernunft nicht widerstreitet. Die Wissenschaft wird vor Einbrüchen wilder Spekulation und jeder Beschränkung durch religiöse Dogmatik gesichert, aber auch der lebendige moralische Glaube vor skeptischen Angriffen der Wissenschaft. Denn mit dem positiven Dogmatismus überschwenglicher Behauptungen ist auch der negative Dogmatismus absoluter Verneinung gerichtet. So ist die ,,Metaphysik" unter Kants Händen in der Tat das geworden, was die,,Träume“ von ihr verlangt hatten: eine,,Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft" 120.

VII. NATURPHILOSOPHIE

1. DIE PHILOSOPHIE DER MATERIE

Alle wirkliche Erkenntnis ist auf den Bereich des Phänomenalen eingeschränkt. Innerhalb dieser Grenzen ist aber eine zweifache Art von Wissen möglich: eine auf Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen beruhende empirische Erkenntnis der besonderen Naturgesetze und ein Wissen a priori von den allgemeinsten Bedingungen der Natur und Naturerkenntnis überhaupt. Dieses letztere ist teils Mathematik als Wissenschaft von den anschaulichen Formen alles Erfahrbaren, teils Metaphysik in der neuen Bedeutung des Wortes, nämlich als System aller apriorischen Grundlagen unseres Wissens. Dieser,,reine" Teil geht dem empirischen an Rang voraus. Denn, wie Kant meint, kann „eigentliche Wissenschaft nur diejenige genannt werden, deren Gewißheit apodiktisch ist; Erkennt

nis, die bloß empirische Gewißheit enthalten kann, ist ein nur uneigentlich so genanntes Wissen“.

Der Rang einer Wissenschaft wird sich somit danach bestimmen, ob und in welchem Umfange apriorische Elemente in ihr enthalten sind. Nun setzt alle bestimmte Naturerkenntnis die Beziehung auf reine Anschauung voraus, weshalb sich über sie aus bloßen Begriffen nichts ausmachen läßt. Daher wird in Hinsicht jeder besonderen Naturlehre ihr Gehalt an Mathematik über ihren Wissensrang entscheiden. Sofern sich also Mathematik auf sie anwenden läßt, nimmt sie auch an deren Apodiktizität teil und „so wird Naturlehre nur soviel eigentliche Wissenschaft enthalten, als Mathematik in ihr angewandt werden kann". Sofern dies nicht oder noch nicht (wie in der Chemie jener Zeit) möglich ist, muß die betreffende Naturlehre sich bescheiden, bloße systematische Experimentierkunst zu bleiben und darf den Namen,,Wissenschaft" nicht für sich in Anspruch nehmen. Die Aufgabe einer Metaphysik der Natur ist hingegen eine viel allgemeinere: sie hat in den besonderen Naturlehren nichts zu suchen, sondern soll ihrerseits nur zeigen, in welchem Umfange sich Aussagen a priori über die Natur überhaupt abgeben lassen. In ihrem allgemeinsten Teil ist diese Aufgabe in den,,Grundsätzen des reinen Verstandes" bereits geleistet. Die Frage ist nun, ob sich darüber noch hinausgehen läßt. Ohne jede Anlehnung an die Empirie ist das nach den Prinzipien der Transzendentalphilosophie offenbar unmöglich. Denn nur die Form, nicht der Inhalt der Erfahrung läßt sich a priori erkennen. Es wird aber genügen, nur den allgemeinen Begriff jenes Etwas, das in diesen Formen gegeben wird, aufzunehmen und an ihm zu zeigen, was sich auf Grund der transzendentalen Prinzipien von der Natur a priori erwarten läßt. Wir nehmen also zum Zwecke einer solchen,,rationalen Physiologie" aus der Erfahrung nichts weiter, als was nötig ist, daß unseren Sinnen überhaupt ein Objekt gegeben werde. Dieses ist in Hinsicht der äußeren Erfahrung der Begriff der Materie, in Hinsicht der inneren der Begriff eines denkenden Wesens. Nun hat sich aber gezeigt, daß alle Folgerungen aus dem letzteren nur auf Paralogismen hinauslaufen, und da auch Mathematik auf die inneren Erscheinungen nicht anwendbar ist, gibt es auch keine Metaphysik der

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