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den man zu diesem Behufe voraussetzt. Wenn so nun auch innerhalb der Sinnenwelt jede Einschiebung eines hyperphysischen Gliedes in die Reihe der empirischen Bedingungen sich verbietet und somit die Behauptungen der Thesen in ihr nichts zu suchen haben, so wird damit doch wieder andererseits nicht ausgeschlossen, daß diese für eine andere Welt, als es die unsere ist, Bedeutung haben könnten. Die Sinnenwelt ist ja durch den transzendentalen Idealismus als eine Wirklichkeit eigener Art charakterisiert, die sich als solche von dem Hintergrunde anderer denkbarer, wenn auch nicht erkennbarer Seinsmöglichkeiten abhebt. würde es durchaus keinen Widerspruch in sich schließen, daß die Thesen, welche im Reiche der Erscheinungen kein Heimatrecht besitzen, doch für eine noumenale oder intelligible Welt Geltung haben könnten. Es wäre so denkbar, daß der Mensch als Glied der Sinnenwelt dem Kausalgesetze unterworfen wäre, seinem Wesen als Ding an sich nach aber einer übersinnlichen Welt angehörte, für welche dieses Gesetz keine Gültigkeit besitzt. Es wäre auch denkbar, daß, obzwar der Verstand unter Erscheinungen keine Bedingung erlaubt, die nicht selbst wieder empirisch bedingt wäre, doch das Ganze dieser Bedingungen von einer selbst unbedingten Ursache abhinge. Dadurch würde die ausnahmslose Geltung des Kausalgesetzes in der phänomenalen Sphäre gar nicht berührt und daher auch nicht verletzt. Es wäre somit ganz wohl möglich, daß, während bei den mathematischen Antinomien sowohl Thesis wie Antithesis falsch waren, hier bei den dynamischen beide wahr sein könnten, sofern man sich nur bewußt bleibt, daß sie sich auf ganz verschiedene Welten verteilen. Vom Standpunkte der Transzendental philosophie aus müssen wir hier bei bloßen Denkmöglichkeiten stehenbleiben. Aber dieser in ihr rein problematische Gedanke könnte doch in anderem Zusammenhange Bedeutung gewinnen. Es ist hier wie in der rationalen Psychologie mit dem Unsterblichkeitsgedanken: dort wo transzendente Verhältnisse in Betracht kommen, muß sich die kritische Vernunft jeder positiven, aber auch jeder negativen Aussage enthalten. Wenn wir daher Anlaß finden sollten, aus praktisch-moralischen Gründen an eine Kausalität durch Freiheit und an die Existenz eines Absoluten zu glauben, so hat dieser Glaube von der theoretischen Philosophie eben

sowenig eine Bestätigung zu erhoffen als eine Widerlegung zu befürchten118

6. DIE RATIONALE THEOLOGIE

Das Thema der rationalen Theologie ist die Vernunftidee eines unbedingten Zusammenhanges aller Erscheinungen überhaupt. Ihrer rechtmäßigen transzendentalen Funktion nach würde diese Idee nur die allgemeine Forderung bedeuten, alle unsere Erkenntnisse insgesamt zu einer systematischen Einheit zu bringen. Diese Forderung ist, so wichtige Leitgesichtspunkte der Forschung sie auch in sich schließen mag, tatsächlich nur im Sinne einer ins Unendliche hinaufrückenden Aufgabe erfüllbar. Wird jene Idee aber nun im transzendenten Sinne mißverstanden, so verdichtet sich dieses Ideal der reinen Vernunft zu der Vorstellung eines möglichen Objektes der Erkenntnis, in welchem jene höchste Einheit als von Ewigkeit her bestehend gedacht wird. Die Vorstellung des Ideals wird so zuerst realisiert, d. i. zum Objekt gemacht, dann weiterhin hypostasiert und endlich gar personifiziert und so zuerst,,in concreto", zuletzt aber gar,,in individuo" gedacht. So entsteht der Gedanke eines,,allerrealsten Wesens" als des Inbegriffs aller Realität überhaupt, der dann als Urbild (prototypon) aller Dinge gilt, von welchem diese nur unzulängliche Nachbilder (ectypa) darstellen. Ein solches ens realissimum nennen wir aber Gott. Die Idee des absolut Unbedingten transfiguriert sich so zur Vorstellung eines persönlichen Wesens. Gott als Gegenstand möglicher Vernunfterkenntnis bildet daher das höchste Thema der dogmatischen Metaphysik. Da aber in diesem Falle das Erdichtete und ,,Idealische" einer solchen Denkschöpfung immerhin nicht ganz übersehen werden konnte, bemüht sich die Metaphysik, die Existenz eines höchsten Wesens durch bündige Beweise darzutun. Diese lassen sich auf drei Typen zurückführen: den ontologischen, den kosmologischen und den teleologischen Gottesbeweis. Ihre Kritik bildet daher auch den Hauptinhalt dieses Teiles der Dialektik.

Das ontologische Argument, das auf den Frühscholastiker Anselmus, Erzbischof von Canterbury im 11. Jahrhundert, zurückgeht, von Albert und Thomas abgelehnt, von Descartes aber im 17. Jahrhundert erneuert worden war,

schließt aus dem bloßen Begriffe Gottes auf dessen Existenz. Kants Darstellung lehnt sich dabei an jene Fassung an, welche der Beweis in der Leibniz-Wolffischen Philosophie gefunden hatte. Versteht man unter Gott das ens realissimum et perfectissimum, so muß Gott als Inbegriff aller Möglichkeiten auch wirklich sein. Denn: zu aller Realität gehört auch das Dasein; würde man daher jenen Begriff denken wollen, ohne das Dasein Gottes mitzudenken, so würde man sich eines Verstoßes gegen den Satz des Widerspruches schuldig machen. Nach dieser Auffassung wäre somit der Satz:,,Gott existiert" ein analytisches Urteil. Kant bestreitet nun, daß,,Existenz" ein reales Prädikat sei, das, zu anderen realen Prädikaten hinzutretend, die Summe der ,,Realität" vermehren würde. Andernfalls würde gar nicht dasselbe, sondern mehr existieren, als ich in dem Begriffe gedacht hatte, und ich hätte dann nicht einmal das Recht zu sagen, daß gerade der Gegenstand meines Begriffes existiere. In der Tat enthalten aber hundert wirkliche Taler begrifflich nicht um einen Pfennig mehr als hundert bloß gedachte Taler. Um hier Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit zu unterscheiden, muß ich über den bloßen Begriff hinausgehen und der Existenz einer Sache durch Wahrnehmung oder im Zusammenhang mit Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen_gewiß werden, wie das die,,Postulate des empirischen Denkens" unwiderleglich dargetan haben. Die Voraussetzung einer Existenz außerhalb des Feldes möglicher Erfahrung läßt sich daher in keiner Weise begründen, mag sie auch als denkmöglich anerkannt werden. Existenzialurteile sind daher durchwegs synthetischer Natur: „Existenz" ist die Setzung eines Objektes mit allen seinen Prädikaten. Durch sie wird an dem Begriffe des Objekts selbst nichts geändert, sondern dieses nur der Kategorie der Wirklichkeit" nach bestimmt. Hebe ich das Objekt samt seinen Prädikaten auf, so schwindet jeder Widerspruch, weil dann eben nichts mehr da ist, dem widersprochen werden könnte. Das ganze ontologische Argument kommt daher schließlich auf die Tautologie hinaus, daß, wenn Gott existiert (als seiend gesetzt wird), er auch als existierend gedacht werden muß. Durch Schließen aus bloBen Begriffen möchte so ein Mensch,,ebensowenig an Einsichten reicher werden als ein Kaufmann an Vermögen,

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wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestande einige Nullen anhängen wollte."

Der kosmologische Gottesbeweis, den Leibniz den Beweis a contingentia mundi genannt hatte, schließt aus der Tatsache irgendwelcher Existenz auf die Existenz eines absolut notwendigen Wesens. Es ist das im wesentlichen jener Gedankengang, den schon die vierte Antinomie analysiert hatte. Auf seinen kürzesten Ausdruck gebracht, bedeutet er den Schluß aus einem Gegebenen auf seine Ursache: hier also von der Existenz der Welt auf ihren Urheber. Ein solcher Schluß ist aber unzulässig. Das Kausalgesetz herrscht zwar unumschränkt im Reiche der Erscheinungen; es darüber hinaus ins Metaphysische zu erstrecken, fehlt jede Rechtsgrundlage, weil hier auch die empirische Anschauung fehlt, welche allein imstande ist, einen reinen Verstandesbegriff zu realisieren. Allein auch selbst wenn man jenen Schluß zugeben wollte, so wäre damit das eigentliche Beweisziel noch nicht erreicht. Ein,,notwendiges" Wesen muß noch keineswegs das allervollkommenste Wesen sein. Eine Behauptung dieser Art würde implizite voraussetzen, daß nur der letztere Begriff dem Begriffe eines notwendigen Wesens Genüge tue. Damit finden wir uns aber nach allerlei Umschweifen wieder in den alten Bahnen, aber auch auf den alten Irrwegen des ontologischen Beweisganges: ich schließe aus dem Begriffe Gottes, daß nur er der Forderung absolut notwendigen Daseins adäquat sei. Der kosmologische Beweis führt so besten Falles auf eine erste Ursache (causa sui) schlechthin, aber nicht auf einen persönlichen Gott.

Das vorige Argument ist zwar von einer allgemeinen Erfahrungstatsache, nämlich der Existenz der Welt, ausgegangen, aber nur, um sogleich den Boden der Erfahrung wieder zu verlassen und sich im Transzendenten zu verlieren. Dem entgegen stützt sich der teleologische, auch physikotheologisch genannte Gottesbeweis auf ganz bestimmte Beobachtungen über die Beschaffenheit und Anordnung der gegenwärtigen Welt. Die Idee eines Urwesens aller Wesen ist aber so überschwenglich groß und erhaben, daß wir von vornherein annehmen dürften, daß keine Berufung auf Empirisches ihr jemals eine genügende Grundlage werde schaffen können. Dieser Beweis schließt nun aus der bewundernswerten Zweckmäßig

keit und weisen Anordnung der Dinge dieser Welt auf eine höchste Intelligenz als deren Urheber. Denn an und für sich ist diese Zweckmäßigkeit den irdischen Dingen völlig fremd und äußerlich und daher auch aus ihnen selbst nicht abzuleiten. Somit ist der Schluß auf eine außerhalb der Welt stehende, höchst weise und erhabene Ursache dieser ihrer Beschaffenheit unabweisbar. Auch dieser Schluß leistet nicht eigentlich das, was man von ihm erwartet. Er beruht letzten Grundes auf einer Analogie mit menschlichen Tätigkeiten: so wenig sich die Steine von selbst zu einem Gebäude, oder Räderchen und Schrauben von selbst zu einem Uhrwerke zusammenfügen, ebensowenig läßt sich die zweckvolle Gestaltung der Natur aus dem Wirken bloß mechanischer Kräfte erklären. Hier wie dort ist vielmehr das Walten eines von Verstand geleiteten Willens vorauszusetzen. Nun bringen aber der Architekt und der Uhrmacher ihre Werke nicht der Substanz nach hervor, sondern sie formen nur ein gegebenes Material. Daher führt auch jener analoge Schluß nicht auf einen Weltschöpfer, sondern nur auf einen Weltbaumeister, dessen Wirken durch die Tauglichkeit des zu verarbeitenden Stoffes immerhin gewisse Schranken gesetzt wären. Diesem Demiurgen dürfte dann aber auch weiterhin Weisheit und Macht nur im Verhältnisse zu der tatsächlich beobachtbaren Ordnung und Zweckmäßigkeit der Welt zugeschrieben werden. Unvermerkt unterschiebt sich dem aber in der üblichen Beweisführung der Begriff eines allmächtigen, allweisen und allgütigen Urhebers aller Dinge, also wieder der eines allervollkommensten Wesens. Das ist nur so möglich, daß der Schluß auf eine Ursache der Zweckmäßigkeit der Welt hinübergleitet in den auf ein notwendiges Wesen als Ursache ihrer,,Zufälligkeit“, also in den kosmologischen Beweisgang und dieser wieder in den ontologischen. Da diese beiden bereits als haltlos erkannt sind, bricht zuletzt auch das teleologische Argument in sich zusammen. Gleichwohl will Kant Reflexionen dieser Art, welche, wie die Teleologie überhaupt, zu seiner Zeit eine sehr große Rolle spielten, eine starke subjektive Überzeugungskraft nicht absprechen und daher den teleologischen Beweis nur mit gewisser Achtung genannt wissen, ja es ist wohl kein Zweifel, daß er in Kants eigenem religiösen Bewußtsein fortzuwirken niemals völlig aufgehört hat.

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