Page images
PDF
EPUB

Zustandsänderung feststellen zu können glauben. Wenn ich z. B. meine Blicke über ein Haus vor mir schweifen lasse, so folgen seine Teilwahrnehmungen in meinem Bewußtsein aufeinander. Wenn ich dann ein Schiff den Strom hinabtreiben sehe, so folgen die Teilwahrnehmungen auch in diesem Falle nacheinander. Trotzdem bin ich keinen Augenblick im Zweifel, daß die Teile des Hauses simultan existieren, während im zweiten Falle objektive Bewegung vorliegt. Für diese Unterscheidung gibt mir schon die Wahrnehmung selbst einen Fingerzeig. Im Falle des Hauses kann ich die Betrachtung beim Keller beginnen und am Dache beenden, oder oben beginnen und unten enden, den Blick von rechts nach links oder von links nach rechts schweifen lassen, ohne daß sich inhaltlich an meinen Wahrnehmungen inzwischen etwas änderte. Im Beispiele des Schiffes steht es aber nicht in meinem Belieben, es einmal eine Stelle weiter oben und dann wieder weiter unten zu sehen. Dort konnte ich meine Wahrnehmung beliebig umkehren, während ich mich hier in dieser Hinsicht einem fühlbaren Zwange unterworfen finde. Die Umkehrbarkeit und Nichtumkehrbarkeit der Wahrnehmungsfolge ist also das empirische Kriterium für Gleichzeitigkeit und objektive Sukzessivität. Es kommt uns dabei deutlich zu Bewußtsein, daß die Erscheinungen einer von unserer subjektiven Wahrnehmungsfolge unabhängigen Zeitordnung gehorchen. Wie ist das aber möglich, da wir es doch in allen Fällen nur mit unseren eigenen Vorstellungen zu tun haben? Offenbar nur so, wenn es ein Gesetz gibt, das, in der Konstitution unseres eigenen Geistes wurzelnd, ihnen unabhängig von ihrer Zuordnung zum inneren Sinn ihre Stelle in der Zeit zwangsweise bestimmt. Dieses Gesetz ist das Kausalgesetz. Eine Ursache muß immer ihrer Wirkung in der Zeit vorhergehen. Wenn daher alle Erscheinungen in einen lückenlosen Zusammenhang von Ursache und Wirkung eingespannt sind, ist auch jeder von ihnen ihre Stelle in der Zeit eindeutig bestimmt. Stehen aber zwei Erscheinungen im Verhältnisse der Wechselwirkung, so hebt sich ihre gegenseitige Zeitbestimmung gleichsam auf und sie bestimmen sich wechselweise ihre Plätze in derselben Zeit: sie sind gleichzeitig. Ohne eine solche transzendentale Synthesis nach den Kategorien

der Kausalität und Wechselwirkung wäre eine geordnete Erfahrung unmöglich; ergo ist ihre Annahme notwendig. Daraus ergeben sich als zweite und dritte Analogie die beiden Sätze: 1.,,Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache und Wirkung." 2.,,Alle Substanzen, sofern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung103."

Die,,Analogien der Erfahrung" geben ein deutliches Beispiel der ,,transzendentalen" Beweisführung. Die Erfahrungsurteile nach den Kategorien der Relation sind für unsere Naturerkenntnis bei weitem die wichtigsten. Sie wären aber unmöglich, wenn nicht schon die primäre Erfahrung durch ihre unserem individuellen Belieben entzogene Regelmäßigkeit der Wahrnehmungsfolge beständig Beispiele ihrer Anwendbarkeit darbieten möchte. Diese Affinität der Erscheinungen unseren Denkbedürfnissen gegenüber wäre aber wieder unbegreiflich, wenn nicht ein den logischen Urteilskategorien der Relation analoges Gesetz innerhalb der Erscheinungswelt schon vor ihrer Beurteilung herrschend wäre. Die universelle Geltung dieses Gesetzes, das, da wir es doch nur mit unseren eigenen Vorstellungen zu tun haben, nur ein Gesetz unseres Verstandes sein kann, ist somit aus der Möglichkeit der Tatsache empirischer Erkenntnis bewiesen. Der logischen Funktion der Relationskategorien geht somit ihre reale oder transzendentale Funktion innerhalb der Wahrnehmungswelt notwendig voraus: ohne transzendentales Kausalgesetz keine objektive Zeitordnung der Erscheinungen, ohne zwangsweise Zeitbestimmung der Erscheinungen kein Erfahrungsurteil nach der zweiten und dritten Urteilsform der Relation. Aus den Kantischen Beispielen ist ferner sehr deutlich zu ersehen, daß nicht erst im Urteil die ordnende Form an die bisher chaotischen Wahrnehmungen herangebracht wird. In der Aussage über objektive Simultaneität und Sukzession werden ja gar nicht die unmittelbar einander folgenden Erscheinungen kausal verknüpft. Wir würden beide vermöge des psychologischen Kriteriums der Umkehrbarkeit der Wahrnehmungen auch hinreichend unterscheiden können, ohne kausal zu denken. Die Stelle des Schiffes weiter oben

wird auch niemand für die Ursache" seiner späteren Stelle weiter unterhalb halten. Die Analogien behaupten daher auch nur, daß in dem,,,was überhaupt vor einer Begebenheit vorhergeht", die Ursache für diese Begebenheit liegen müsse. Sie lehren also, daß unserem Verstandesgesetz des zureichenden Grundes ein Naturgesetz korrespondieren müsse, das in dem weder durch unseren Willen noch durch unser Denken mehr abzuändernden, sondern sich uns zwangsweise aufdrängenden primären Wahrnehmungsablauf zum Ausdrucke kommt. Innerhalb seiner, und nicht bloß im Urteil, muß daher auch die ursprüngliche kategoriale Synthese wirksam sein. Was die Transzendentalphilosophie zu der (auch von Hume anerkannten) tatsächlichen Regelmäßigkeit der Erscheinungsfolge hinzufügt, ist nur, daß sie nicht bei ihr als einer vielleicht nur zufälligen Tatsächlichkeit stehenbleibt, sondern sie als Ausdruck des Gesetzes unseres Verstandes in seiner transzendentalen Funktion deutet und damit als ,,notwendig" erklärt: durch dieses Merkmal der Notwendigkeit wird eben die,,Regel" zum_,,Gesetz". Umgekehrt wieder entspringt der Begriff des,,Gesetzes" dadurch, daß Kant die Kategorie der Kausalität mit jener der Notwendigkeit verbindet. Auch diese letztere zeigt in dem vorliegenden Zusammenhange eine logische und eine reale Seite: notwendig im logischen Sinne ist die Annahme der Allgemeingültigkeit des Kausalgesetzes, als notwendig im realen Sinne gilt die Verknüpfung, welche dieses Gesetz zwischen den Erscheinungen schafft. Durch die Einsicht, daß isolierte, zusammenhanglose Erscheinungen für uns überhaupt nicht Gegenstand der Erfahrung sein könnten, wird der Kausalsatz aus einem Grundpostulat der Naturerkenntnis zu einem Grundgesetze der Natur selbst. Während empirische Feststellungen niemals die Möglichkeit von Ausnahmen ausschließen (daher auch Hume die Möglichkeit von Wundern nur als sehr unwahrscheinlich hinstellen konnte), bedingt die Apriorität des Kantischen Satzes seine ausnahmslose Geltung für alle Naturerscheinungen, die uns jemals vorkommen können. Denn schon die Tatsache, daß wir überhaupt geordnete Erfahrungen machen, beweist die Richtigkeit der apriorischen Voraussetzung, die er enthält104.

7. DAS ERGEBNIS

Die Grundfrage der transzendentalen Analytik: Wie ist Erfahrung (als empirische Erkenntnis) möglich? hat sich nunmehr dahin beantwortet, daß es die Eigengesetzlichkeit unseres Geistes ist, welche jene Bindungen schafft, die nötig sind, um eine objektive Sphäre der Erkenntnis von der des subjektiven individuellen Erlebens abzulösen. Sie macht sich im Erfahrungsurteil geltend, insofern sie uns an bestimmte Formen logischer Synthese der empirischen Vorstellungen bindet, sie ist aber auch innerhalb der primären Erfahrungsinhalte wirksam, insofern sie diese, uns noch unbewußt, von vornherein gemäß denselben Formen in einer transzendentalen Synthesis zu gegenständlichen Erscheinungen aufbaut und die letzteren dann wieder in der Zeit ordnet. Die von Kant in der eingangs erwähnten klassischen Briefstelle gesuchte,,Beziehung unserer Vorstellungen auf den Gegenstand" läßt daher zwei Auslegungen zu. Der Gegenstand unserer Urteile ist der bereits in der sinnlichen Erfahrung sich bekundende objektiv-reale Zusammenhang der Erscheinungen. Ihn aufzufinden und herauszustellen, ist die Aufgabe der empirischen Forschung. Mit ihm übereinzustimmen, ist das Kriterium ihrer Wahrheit. Hingegen haben unsere Wahrnehmungen keinen Gegenstand mehr, auf den sie sich beziehen könnten, denn sie sind selbst das,,Wirkliche im Raum" und nicht Abbilder eines Wirklichen außerhalb der Erfahrung. Nur in dem eingeschränkten Sinne könnte allenfalls auch von einem ,,Gegenstande der Wahrnehmung" die Rede sein, als die einzelne Teilwahrnehmung in Gegensatz gebracht wird zu dem in Raum und Zeit bereits geordnet vorliegenden Gesamtkomplex, welchem sie zugehört. Für das empirische Erkenntnissubjekt besteht auch gar kein Anlaß, hinter den als objektiv-real vorliegenden Zusammenhang der Erscheinungen zurückzugehen. Dieser Anlaß ergibt sich erst für den transzendentalen Idealisten, der sich bewußt ist, es auch hier immer und überall nur mit seinen eigenen Vorstellungen zu tun zu haben. Für ihn ist die Beziehung des Urteils auf einen phänomenalen Sachverhalt keine befriedigende Antwort, weil sie die Frage nur zurückschiebt. Er richtet den Blick auf das Ganze der Erfahrung überhaupt und legt sich nun die Frage vor, worauf sich denn

die im Erfahrungsurteil gemeinte Objektivität letzten Grundes eigentlich stütze? Diese Frage kann sich angesichts der Unmöglichkeit jeder transzendenten Gegenstandsbeziehung von vornherein nur auf den Grund jener eigentümlichen Bindung richten, welche in der Beurteilung der Erscheinungen unserer Subjektivität oder gar Willkür eine feste Grenze setzt. Da hat sich denn gezeigt, daß diese Bindung ein Werk der Eigengesetzlichkeit unseres Bewußtseins ist, das durch seine vor-empirischen Synthesen für das Erfahrungsurteil bereits eine gegebene und nicht mehr abzuändernde, sondern nur noch begrifflich zu erfassende Sachlage schafft. Die Gesetze unseres eigenen Bewußtseins sind also letzten Grundes das, was wie Kant sagt ,,d a wider" ist, daß unser denkendes Erkennen ,,aufs Geratewohl oder beliebig" herumschweife. Die Affinität der Erscheinungen ist somit nichts anderes als ein Widerschein der Struktur unseres eigenen Geistes. Es ist daher auch in der empirischen Erkenntnis zuletzt ebenso wie in der reinen Logik, wo ja gleichfalls die Gesetze unserer eigenen Vernunft uns binden und unser Denken zwangsläufig bestimmen. Wenn daher Kant von einem,,Gegenstande der Erfahrung" im allgemeinen oder von einem,,Gegenstande unserer Vorstellungen" überhaupt spricht, so ist das nur im Sinne einer konventionellen Formel zu verstehen, welche aus der dogmatischen Philosophie beibehalten wird, im Kritizismus aber ihren Sinn gänzlich geändert hat. Für diesen gibt es kein Objekt der Gesamterfahrung, sondern nur ein Objekt in der Erfahrung oder noch genauer: einen Umkreis des Objektiven innerhalb der Subjektivität des inneren Sinnes. ,,Objektivität" bedeutet hier nichts anderes als notwendige und darum überindividuelle Subjektivität, welche ihren Charakter darin bewährt, daß sie allen Erkenntnissubjektem gemeinsam ist. In erkenntnistheoretischer Hinsicht nimmt diese objektive Erfahrungswelt allerdings eine Art Mittelstellung zwischen Ding an sich und rein sinnlicher Erscheinung ein; metaphysisch genommen, liegt sie aber durchaus innerhalb des Phänomenalen und die Beziehung der elementaren Empfindungen auf Dinge an sich bleibt nach wie vor ein bloß problematischer Gedanke. Der,,Gegenstand", von dem hier die Rede sein kann, ist immer nur ein,,transzendentales", niemals ein transzendentes Ob

« PreviousContinue »