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dieser durchaus ungleichartig und auch ihre Funktion im Urteil ist doch eine ganz andersartige als in der Erscheinungswelt. Ihrer logischen Funktion nach stellt sich z. B. die Kategorie der Kausalität als ein Verhältnis von „Grund“ und „,Folge" oder als logische Abhängigkeit eines Urteils von einem anderen dar; in ihrer realen Anwendung aber bringt sie eine Gesetzmäßigkeit der Erscheinungsfolge in der Zeit hervor, welche sich als Zusammenhang von ,,Ursache" und,,Wirkung" darstellt. Es findet somit hier eine Transformation der logischen Kategorien statt und diese bedarf eines Zwischengliedes als Vermittlung. Als solches bietet sich die Zeit dar. Die Zeit ist einerseits vermöge ihrer Apriorität den logischen Kategorien verwandt und andererseits als Anschauungsform des inneren Sinnes allen Erscheinungen gemeinsam, was vom Raum nur in Hinsicht der äußeren Erscheinungen gelten würde. Die in die Zeit versenkte Kategorie nennt Kant ein,,transzendentales Schema". Es dient gleichsam als Dolmetsch zwischen dem Intellektuellen und Sinnlichen. Es gibt ebenso viele Schemata als es Kategorien gibt. So ist der logische Gehalt der Substanzkategorie das Verhältnis eines Merkmals zu einem Subjektsbegriff, von dem es als Prädikat ausgesagt wird; in der empirischen Realität wird es zum Verhältnis der wechselnden Eigenschaft an einem beharrenden Ding. Die Beharrlichkeit in der Zeit ist daher das Schema der Substanzialität. Das Schema der .,,Realität“ ist die erfüllte, das der,,Negation" die leere Zeit; das Schema der Wirklichkeit" ist das Dasein in einer bestimmten Zeit, das der ,,Notwendigkeit“ das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit usf. Durch diesen ,,Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" soll also gezeigt werden, wie die logischen Formen, ohne ihrem Wesen nach sich zu wandeln, durch ihr Eingehen in die Zeitform reale und gleichsam ontologische Bedeutung zu gewinnen vermögen 99.

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Die Schemata bilden die Vermittlung für die Umformung der Kategorien zu den ,,Grundsätzen des reinen Verstandes", als welche sie im Aufbau der Erscheinungswelt wirksam werden. Von dieser ihrer Leistung aus läßt sich die Bedeutung der einzelnen Kategorien erst recht verstehen. Die Grundsätze teilen sich in zwei,,mathematische", die sich direkt auf die Anschauung be

ziehen und unmittelbar evident sind, und in zwei,,dy namische", die auf das phänomenale Dasein überhaupt gehen und nur mittelbare Evidenz besitzen:

I. Quantität: ..Axiome der Anschauung". Ihr Prinzip ist: alle Anschauungen sind extensive Größen. Sie wiederholen im Grunde nur das, was bereits die ,,Ästhetik“ gezeigt hat: daß alle Erscheinungen an Raum und Zeit gebunden sind und daß daher die Synthesis der empirischen Elemente überall die,,reine" Synthesis der Raum- und Zeitelemente zur Voraussetzung hat. Daraus erklärt sich die Anwendung der reinen Mathematik auf das Empirische, das sich durchwegs als zählbar und meßbar erweist.

II. Qualität: ,,Antizipationen der Wahrnehmung". Sie besagen, daß in allen Erscheinungen das Reale, das ein Gegenstand der Empfindung ist, eine intensive Größe, d. i. einen Grad habe. Dieser Satz stellt entsprechend der Leibnizschen,,lex continuationis“ fest, daß die Empfindung einer gradweisen Abstufung fähig ist, die von einem Maximum bis zu einem Minimum kontinuierlich verläuft, ohne jemals in Null überzugehen. Ihr scheinbares Verschwinden kann immer als ein niederer Grad von Bewußtheit betrachtet werden, welcher nur von anderen stärkeren Empfindungen überwogen wird. Hier wird also etwas a priori gerade von dem,,antizipiert“, was seiner Natur nach das eigentlich Empirische in unserer Erkenntnis bedeutet.

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III. Relation: „Analogien der Erfahrung" Ihr Prinzip ist: Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich. Sie unterscheiden sich von den früheren Grundsätzen dadurch, daß sie nicht die Erzeugung der Erscheinungen, sondern ihre Anordnung in der Zeit zum Gegenstande haben. Entsprechend den Kategorien der Substanzialität, Kausalität und Wechselwirkung gliedern sie sich in drei Grundsätze, welche der Reihe nach auf die Vorstellung der Zeit selbst, auf die objektive Zeitfolge der Erscheinungen und auf deren objektive Gleichzeitigkeit sich beziehen.

IV. Modalität: „Postulate des empirischen Denkens überhaupt". Sie drücken nicht ein Verhältnis der Erscheinungen untereinander, sondern nur in

ihrer Beziehung zum Erkenntnisvermögen aus. In diesem Sinne besagen sie, daß als möglich dasjenige bestimmt werden kann, was mit den formalen Bedingungen des Anschauens und Denkens übereinstimmt; daß aber nur dasjenige wirklich ist, was auf Empfindung beruht; daß endlich notwendig das heißen kann, was mit dem Wirklichen nach allgemeinen Gesetzen zusammenhängt. Die Postulate bedeuten vor allem eine Auseinandersetzung mit dem rationalistischen Ontologismus, der aus der bloßen Denkbarkeit einer Sache auf deren Möglichkeit, ja auf ihre Wirklichkeit oder gar Notwendigkeit schließen zu können glaubte. Demgegenüber betont Kant seinen in dieser Hinsicht empiristischen Standpunkt, daß nämlich das einzige Kriterium der phänomenalen Wirklichkeit die sinnliche Wahrnehmung ist, daher für uns als real nur das gelten kann, was entweder unmittelbar auf Empfindung beruht oder mit ihr mittelbar zusammenhängt. Begriffliche Konstruktionen ohne diesen empirischen Hintergrund hängen in der Luft und bedeuten keine Erweiterung unserer Realerkenntnis. Es ist der Standpunkt der „Träume“, der hier seine systematische Stelle und kritische Begründung findet 100

Von diesen Grundsätzen sind die Analogien der Erfahrung bei weitem die wichtigsten. In ihnen tritt uns der Geist der Kantischen Transzendentalphilosophie am eindrucksvollsten entgegen. Ihr Problem ist die Möglichkeit objektiver Zeitbestimmung der Erscheinungen trotz ihrer ausnahmslosen Zuordnung zum inneren Sinn. Die Anschauungsform des inneren Sinnes ist die Zeit. Daher werden wir uns aller Wahrnehmungen nur sukzessiv bewußt und zwar in einer Reihung, welche nur psychologisch durch den Zusammenhang unseres subjektiv-individuellen Bewußtseins bestimmt ist. Daher konnte Kant sagen, daß die Apprehension des Mannigfaltigen der Erscheinung jederzeit sukzessiv und also immer wechselnd sei und daß in der Erfahrung die Wahrnehmungen nur zufälligerweise“ zueinander kämen. Setzt sich doch wie schon Hume erkannt hatte 101 sogar die scheinbar ununterbrochen andauernde Wahrnehmung,,desselben" Dinges aus einer überaus raschen Folge real verschiedener, wenn auch inhaltlich sehr ähnlicher Bilder zusammen. Gleichwohl unterscheiden

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wir mit hinreichender Sicherheit die objektive Zeitordnung der Erscheinungen von der subjektiven ihres Auftretens im Bewußtsein und innerhalb jener wieder objektive Gleichzeitigkeit von objektiver Zeitfolge. Wie ist das möglich, wenn uns doch alle Erscheinungen stets in gleicher Weise sukzessiv gegeben sind? Auch hier kann die Antwort nur dahin lauten, daß schon innerhalb der aus den Empfindungselementen aufgebauten Erscheinungen eine transzendentale Synthesis wirksam ist, welche jeder von ihnen ihre Stelle in der Zeit mit Notwendigkeit bestimmt. Nun sind die drei Modi der Zeit Beharrlichkeit, Folge und Zugleichsein. Auf jeden derselben bezieht sich je eine,,Analogie der Erfahrung".

Die Voraussetzung jeder objektiven Zeitbestimmung ist die Vorstellung der Zeit selbst. Die Zeit ist, für sich betrachtet, etwas Beharrendes und wechselt nicht, wohl aber alles in ihr. Wollte man die Zeit selbst fließen lassen, so müßte man wieder eine andere Zeit denken, in der diese Bewegung stattfindet. Nun kann die Zeit selbst nicht wahrgenommen werden. Es wäre aber auch die Vorstellung eines Wechsels der Dinge und seine Unterscheidung von ihrem Zugleichsein unmöglich ohne ein Beharrliches, an dem gemessen sie uns zu Bewußtsein kommen. Auch eine Uhr, an der sich nicht nur die Zeiger, sondern auch das Zifferblatt bewegten, wäre ja für die Zeitbestimmung unbrauchbar. Daher ist die Annahme eines Beharrenden in allem Wechsel der Erscheinungen notwendig. Diese stellvertretende Zeitvorstellung ist der Begriff der in allem Wechsel ihrer Akzidenzen beharrenden Substanz. Daher lautet die erste Analogie:,,Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert.“ Die Existenz eines Substanziellen ist die Grundlage aller Zeitbestimmung, daher ist sie eine denknotwendige Voraussetzung. So wie im Logischen, sagt Kant, kategorische Urteile allen anderen zugrunde liegen, so liegt innerhalb der Erscheinungswelt die Kategorie der Substanz allen,,wirklichen Dingen" ihrer Zeitbestimmung nach zugrunde. Die logische und die reale Funktion dieser Kategorie sind daher einander analog, wenn man mit Kant unter ,,Analogie" die Ähnlichkeit des Verhältnisses zwischen an und für sich unähnlichen Dingen versteht. Der Begriff der Substanz

hat keinen anderen Inhalt als den der „Beharrlichkeit". Der Satz, daß die Substanz beharre, ist daher, wie Kant selbst weiß, eine Tautologie. Er ist daher auch nicht notwendig identisch mit dem Gesetze von der Erhaltung der Materie oder der Energie. Daß Materie existiert, ist eine empirische Feststellung; daß aber überhaupt etwas beharrt, ist eine Grundlage der Erfahrung selbst. Wollte man dagegen einwenden, daß alle Menschen die Vorstellung des Zeitlaufes besitzen und nur wenige den Begriff einer Substanz, daß vielmehr für die meisten das Bewußtsein eines relativ Beharrenden (wie des Zifferblattes einer Uhr oder des Fixsternhimmels) genüge, so wird damit Kants Argumentation nicht getroffen: denn dann ist für sie eben das ,,Substanz“ (das Beharrende im Wechsel), was sie dafür halten, mag es auch vom Standpunkte der Physik als selbst wieder bewegt erkannt werden. Nur irgendein Beharrendes muß, wenigstens der Idee nach, von allen vorausgesetzt werden. In keinem Falle aber verlassen wir damit das Gebiet des Phänomenalen: ,,Diese Beharrlichkeit ist indes doch weiter nichts als die Art, uns das Dasein der Dinge (in der Erscheinung) vorzustellen102."

Die zweite und dritte Analogie betreffen die objektive Zeitordnung der Erscheinungen selbst. Sie wird erklärt durch die transzendentale Synthesis der Erscheinungen nach den Kategorien der Kausalität und der Wechselwirkung. Wir unterscheiden in unserer Erfahrungswelt sehr deutlich Erscheinungen, die aufeinander folgen, und solche, die zugleich sind. Nun sind aber unsere Wahrnehmungen jederzeit sukzessiv. Ich kann allerdings eine Vielheit von Einzeldingen auf einmal überblicken (z. B. eine Landschaft), aber dann erscheint sie mir eben als Einheit, nicht als eine Vielheit von Einzeldingen,,,denn als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals etwas anderes als absolute Einheit sein." Will ich sie mir in ihren Einzelheiten zu Bewußtsein bringen, so kann ich das nur, indem ich ihre Teile nacheinander auffasse. Damit löst sich aber auch das objektiv Gleichzeitige im unaufhörlich dahinströmenden Flusse inneren Erlebens in eine sukzessive Abfolge einzelner Teilwahrnehmungen auf. Das gleiche findet aber auch dort statt, wo wir tatsächlich eine objektive Bewegung oder

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