Page images
PDF
EPUB

Zeichen vertauschte, sondern das allgemeine muß in abstracto erwogen werden.

§. 3.

In der Mathematik sind nur wenig unauflösliche Begriffe und unerweisliche Sähe, in der Philosophie, aber uns

[ocr errors][merged small]

Der Begriff der Größe überhaupt, der Einheit, der Menge, des Raums u. f. w. sind zum mindesten in der Mathematik unauflöslich, nämlich ihre Zerglies derung und Erklärung gehört gar nicht für diese Wissenschaft. Ich weiß wohl, daß manche Meßkünstler die Gränzen der Wissenschaften vermengen, und in der Gröffenlehre bisweilen philosophiren wollen, weswegen fie dergleichen Begriffe noch zu erklären suchen, obgleich die Definition in solchem Falle gar keine mathematische Folge hat. Allein es ist gewiß, daß ein jeder Begriff in Ansehung einer Disciplin unauflöslich ist, der, er mag sonsten können erklärt werden oder nicht, es in dieser Wissenschaft wenigstens nicht bedarf. Und ich habe gesagt, daß deren in der Mathematik nur wenige wåren. Ich gehe aber noch weiter und bes haupte, daß eigentlich gar keine in ihr vorkommen können, nämlich in dem Verstande: daß ihre Erklärung durch Zergliederung der Begriffe zur mathematischen Erkenntniß gehöret; gefeßt, daß sie auch selbst möglich wåre. Denn die Mathematik erklärt niemals durch Zergliederung einen gegebenen Begriff, sondern durch willkührliche Verbindung, ein Object, deffen Gedanke eben dadurch zuerst möglich wird.

Vergleicht man hiemit die Weltweisheit, welcher Unterschied leuchtet da in die Augen? In allen ihren Disciplinen, vornämlich in der Metaphysik, ist eine jede Zergliederung, die geschehen kann, auch nöthig, denn sowohl die Deutlichkeit der Erkenntniß als die Möglichkeit sicherer Folgerungen hångt davon ab, Allein man sieht gleich zum voraus, daß es unvermeide lich sey, in der Zergliederung auf unauflösliche Ver griffe zu kommen, die es entweder an und für sich selbst oder für uns seyn werden, und daß es deren ungemein viel geben werde, nachdem es unmöglich ist, daß allgemeine Erkenntnisse von so großer Mannigfaltigkeit, nur aus wenigen Grundbegriffen zusammengesett seyn sollten. Daher viele beinahe gar nicht aufgelöset wers den können, z. E. der Begriff einer Vorstellung, das neben einander oder nach einander seyn, andere nur zum Theil, wie der Begriff vom Raume, von der Zeit, von dem mancherlei Gefühle der menschlichen Seele, dem Gefühl des Erhabenen, des Schönen, des Ekelhaften u. f. w. ohne deren genaue Kenntniß und Auflösung die Triebfedern unserer Natur nicht genug bekannt sind, und wo gleichs wohl ein sorgfältiger Aufmerker gewahr wird, daß die Zergliederung bei weitem nicht zulänglich sey. Ich gestehe, daß die Erklärungen von der Lust und Unluft, der Begierde und dem Abscheu und dergleichen unzählige, niemals durch hinreichende Auflös sungen sind geliefert worden, und ich wundere mich über diese Unaufldslichkeit nicht. Denn bei Begriffen von so verschiedener Art müssen wohl unterschiedliche

[ocr errors]

Elementarbegriffe zum Grunde liegen. Der Fehler, den einige begangen haben, alle dergleichen Erkennt nisse als solche zu behandeln, die in einige wenige eins fache Begriffe insgesamt sich zerlegen ließen, ist dems jenigen ähnlich, darin die alten Naturlehrer fielen: daß alle Materie der Natur aus den sogenannten vier Elementen bestehe, welcher Gedanke durch bessere Be obachtung ist aufgehoben worden.

Ferner liegen in der Mathematik nur wenig uner weisliche Säße zum Grunde, welche, wenn sie gleich anderwärts noch eines Beweises fähig wåren, dennoch in dieser Wissenschaft als unmittelbar gewiß angesehen werden. Das Ganze ft allen Theilen zusams men genommen gleich; zwischen zwei Punf ten kann nur eine gerade Linie seyn u. s. m. Dergleichen Grundsäße sind die Mathematiker gewohnt im Anfange ihrer Disciplinen aufzustellen, damit man gewahr werde, daß keine andere als so augenscheinliche Såge geradezu als wahr vorausgeseht werden, alles übrige aber strenge bewiesen werde.

Vergleicht man hiemit die Weltweisheit, und namentlich die Metaphysik, so möchte ich nur gerne eine Tafel von den unerweislichen Sätzen, die in diesen Wissenschaften durch ihre ganze Strecke zum Grunde liegen, aufgezeichnet sehen. Sie würde gewiß einen Plan ausmachen, der unermeßlich wåre; allein in der Aufsuchung dieser unerweislichen Grundwahrheiten bes steht das wichtigste Geschäft der höheren Philosophie,

[ocr errors]

und diese Entdeckungen werden niemals ein Ende nehmen, so lange sich eine solche Art der Erkenntniß erz weitern wird. Denn welches Object es auch sey, so find diejenigen Merkmale, welche der Verstand an ihm zuerst und unmittelbar wahrnimmt, die data zu eben so viel unerweislichen Sågen, welche denn auch die Grundlage ausmachen, woraus die Definitionen können ers funden werden. Ehe ich mich noch anschicke zu ers klären, was der Raum sey, so sehe ich deutlich ein, daß, da mir dieser Begriff gegeben ist, ich zuvorderst durch Zergliederung diejenigen Merkmale, welche zuerst und unmittelbar hierin gedacht werden, aufsuchen müsse. Ich bemerke demnach, daß darin vieles aussers halb einander sey, daß dieses Viele nicht Substanzen seyn, denn ich will nicht die Dinge im Raume, sondern den Raum selber erkennen, daß der Raum nur drei Abmessungen haben könne u. s. w. Dergleichen Såge lassen sich wohl erläutern, indem man sie in concreto betrachtet, um sie auschauend zu erkennen; allein sie lassen sich niemals beweisen. Denn woraus sollte dieses auch geschehen können, da sie die ersten und einfachsten Gedanken ausmachen, die ich von meinem Objecte nur haben kann, wenn ich ihn anfange zu gedenken. In der Mathematik sind die Definitionen der erste Gedanke, den ich von dem erklärten Dinge haben kann, darum, weil mein Begriff des Objects durch die Erklärung allererst entspringt, und da ist es schlechterdings ungereimt, sie als erweislich anzusehen. In der Weltweiss heit, wo mir der Begriff der Sache, die ich erklären foll, gegeben ist, muß dasjenige, was unmittelbar und

zuerst in ihm wahrgenommen wird, zu eiuem unerweiss lichen Grundurtheile dienen. Denn da ich den ganzen deutlichen Begriff der Sache noch nicht habe, sondern allererst suche, so kann er aus diesem Begriffe sogar nicht bewiesen werden, daß er vielmehr dazu dient, diese deutliche Erkenntniß und Definition dadurch zu erz zeugen. Also werde ich erste Grundurtheile vor aller philosophischen Erklärung der Sachen haben müssen, und es kann hiebei nur der Fehler vorgehen, daß ich dasjenige für ein uranfängliches Merkmal ansehe, was noch ein abgeleitetes ist. In der folgenden Betrach tung werden Dinge vorkommen, die dieses auffer Zweis fel segen werden.

§. 4.

Das Object der Mathematik ist leicht und einfach, das der Philosophie aber schwer und verwickelt.

Da die Größe den Gegenstand der Mathematik ausmacht, und in Betrachtung derselben nur darauf gesehen wird, wie vielmahl etwas gesezt sey, so leuch tet deutlich in die Augen, daß diese Erkenntniß auf wes nigen und sehr klaren Grundlehren der allgemeinen Größenlehre (welches eigentlich die allgemeine Arithmetik ist) beruhen müsse. Man sieht auch daselbst die Vermehrung und Verminderung der Größen, ihre Zerfållung in gleiche Factoren bei der Lehre von den Wurzeln, aus einfachen und wenigen Grundbegriffen ents springen. Einige wenige Fundamentalbegriffe vom Raume vermitteln die Anwendung dieser allgemeinen

Größen,

« PreviousContinue »