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physik, wo der sich selbst, aber oft per antiphrasin so nennende gesunde Verstand ganz und gar kein Urtheil hat.

Ich gestehe frei: die Erinnerung des DAVID HUME war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der speculativen Philosophie eine ganz andere Richtung gab. Ich war weit entfernt, ihm in Ansehung seiner Folgerungen Gehör zu geben, die blos daher rührten, weil er sich seine Aufgabe nicht im Ganzen vorstellte, sondern nur auf einen Theil derselben fiel, der, ohne das Ganze in Betracht zu ziehen, keine Auskunft geben kann. Wenn man von einem gegründeten, obzwar nicht ausgeführten Gedanken anfängt, den uns ein Anderer hinterlassen, so kann man wohl hoffen, es bei fortgesetztem Nachdenken weiter zu bringen, als der scharfsinnige Mann kam, dem man den ersten Funken dieses Lichts zu verdanken hatte.

Ich versuchte also zuerst, ob sich nicht HUME's Einwurf allgemein vorstellen liesse, und fand bald, dass der Begriff der Verknüpfung von Ursache und Wirkung bei weitem nicht der einzige sei, durch den der Verstand a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt, vielmehr, dass Metaphysik ganz und gar daraus bestehe. Ich suchte mich ihrer Zahl zu versichern, und da dieses mir nach Wunsch, nämlich aus einem einzigen Princip, gelungen war, so ging ich an die Deduction dieser Begriffe, von denen ich nunmehr versichert war, dass sie nicht, wie HUME besorgt hatte, von der Erfahrung abgeleitet, sondern aus dem reinen Verstande entsprungen seien. Diese Deduction, die meinem scharfsinnigen Vorgänger unmöglich schien, die Niemand ausser ihm sich auch nur hatte einfallen lassen, obgleich Jedermann sich der Begriffe getrost bediente, ohne zu fragen, worauf sich denn ihre objective Gültigkeit gründe, diese, sage ich, war das Schwerste, das jemals zum Behuf der Metaphysik unternommen werden konnte, und was noch das Schlimmste dabei ist, so konnte mir Metaphysik, so viel davon nur irgendwo vorhanden ist, hiebei auch nicht die mindeste Hülfe leisten, weil jene Deduction zuerst die Möglichkeit einer Metaphysik ausmachen soll. Da es mir nun mit der Auflösung des Hume'schen Problems nicht blos in einem besonderen Falle, sondern in Absicht auf das ganze Vermögen der reinen Vernunft gelungen war; so konnte ich sichere, obgleich immer nur langsame Schritte thun, um endlich den ganzen Umfang der reinen Vernunft, in seinen Grenzen sowohl, als seinem Inhalt, vollständig und nach allgemeinen Principien zu

bestimmen, welches denn dasjenige war, was Metaphysik bedarf, um ihr System nach einem sicheren Plan aufzuführen.

Ich besorge aber, dass es der Ausführung des Hume'schen Problems in seiner möglich grössten Erweiterung (nämlich der Kritik der reinen Vernunft) eben so gehen dürfte, als es dem Problem selbst erging, da es zuerst vorgestellt wurde. Man wird sie unrichtig beurtheilen, weil man sie nicht versteht; man wird sie nicht verstehen, weil man das Buch zwar durchblättern, aber nicht durchzudenken Lust hat; und man wird diese Bemühung darauf nicht verwenden wollen, weil das Werk trocken, weil es dunkel, weil es allen gewohnten Begriffen widerstreitend und überdem weitläuftig ist. Nun gestehe ich, dass es mir unerwartet sei, von einem Philosophen Klagen wegen Mangel an Popularität, Unterhaltung und Gemächlichkeit zu hören, wenn es um die Existenz einer gepriesenen und der Menschheit unentbehrlichen Erkenntniss selbst zu thun ist, die nicht anders, als nach den strengsten Regeln einer schulgerechten Pünktlichkeit ausgemacht werden kann, auf welche zwar mit der Zeit auch Popularität folgen, aber niemals den Anfang machen darf. Allein was eine gewisse Dunkelheit betrifft, die zum Theil von der Weitläuftigkeit des Plans-herrührt, bei welcher man die Hauptpunkte, auf die es bei der Untersuchung ankommt, nicht wohl übersehen kann, so ist die Beschwerde deshalb gerecht; und dieser werde ich durch gegenwärtige Prolegomena abhelfen.

Jenes Werk, welches das reine Vernunftvermögen in seinem ganzen Umfange und Grenzen darstellt, bleibt dabei immer die Grundlage, worauf sich die Prolegomena nur als Vorübungen beziehen; denn jene Kritik muss, als Wissenschaft, systematisch und bis zu ihren kleinsten Theilen vollständig dastehen, ehe noch daran zu denken ist, Metaphysik auftreten zu lassen oder sich auch nur eine entfernte Hoffnung zu derselben zu machen.

Man ist es schon lange gewohnt, alte abgenutzte Erkenntnisse dadurch neu aufgestutzt zu sehen, dass man sie aus ihren vormaligen Verbindungen herausnimmt, ihnen ein systematisches Kleid nach eigenem beliebigen Schnitte, aber unter neuen Titeln anpasst; und nichts Anderes wird der grösste Theil der Leser auch von jener Kritik zum voraus erwarten. Allein diese Prolegomena werden ihn dahin bringen, einzusehen, dass es eine ganz neue Wissenschaft sei, von welcher Niemand auch nur den Gedanken vorher gefasst hatte, wovon selbst die blose Idee unbekannt war, und wozu von allem bisher Gegebenen nichts genutzt werden

konnte, als allein der Wink, den HUME'S Zweifel geben konnten, der gleichfalls nichts von einer dergleichen möglichen förmlichen Wissenschaft ahnete, sondern sein Schiff, um es in Sicherheit zu bringen, auf den Strand (den Skepticismus) setzte, da es denn liegen und verfaulen mag, statt dessen es bei mir darauf ankommt, ihm einen Piloten zu geben, der nach sicheren Principien der Steuermannskunst, die aus der Kenntniss des Globus gezogen sind, mit einer vollständigen Seekarte und einem Compass versehen, das Schiff sicher führen könne, wohin es ihm gut dünkt. Zu einer neuen Wissenschaft, die gänzlich isolirt und die einzige ihrer Art ist, mit dem Vorurtheil gehen, als könne man sie vermittelst seiner schon sonst erworbenen vermeinten Kenntnisse beurtheilen, obgleich die es eben sind, an deren Realität zuvor gänzlich gezweifelt werden muss, bringt nichts Anderes zuwege, als dass man allenthalben das zu sehen glaubt, was einem schon sonst bekannt war, weil etwa die Ausdrücke jenem ähnlich lauten, nur dass einem alles äusserst verunstaltet, widersinnisch und kauderwelsch vorkommen muss, weil man nicht die Gedanken des Verfassers, sondern immer nur seine eigene, durch lange Gewohnheit zur Natur gewordene Denkungsart dabei zum Grunde legt. Aber die Weitläuftigkeit des Werks, sofern sie in der Wissenschaft selbst, und nicht dem Vortrage gegründet ist, die dabei unvermeidliche Trockenheit und scholastische Pünktlichkeit sind Eigenschaften, die zwar der Sache selbst überaus vortheilhaft sein mögen, dem Buche selbst aber allerdings nachtheilig werden müssen.

Es ist zwar nicht Jedermann gegeben, so subtil und doch zugleich so anlockend zu schreiben, als DAVID HUME, oder so gründlich und dabei so elegant, als MOSES MENDELSSOHN; allein Popularität hätte ich meinem Vortragé, (wie ich mir schmeichele,) wohl geben können, wenn es mir nur darum zu thun gewesen wäre, einen Plan zu entwerfen und dessen Vollziehung Anderen anzupreisen, und mir nicht das Wohl der Wissenschaft, die mich so lange beschäftigt hielt, am Herzen gelegen hätte; denn übrigens gehörte viel Beharrlichkeit und auch selbst nicht wenig Selbstverleugnung dazu, die Anlockung einer früheren günstigen Aufnahme der Aussicht auf einen zwar späten, aber dauerhaften Beifall nachzusetzen.

Plane machen ist mehrmalen eine üppige, prahlerische Geistesbeschäftigung, dadurch man sich ein Ansehen von schöpferischem Genie gibt, indem man fordert, was man selbst nicht leisten, tadelt, was man doch nicht besser machen kann, und vorschlägt, wovon man selbst nicht

weiss, wo es zu finden ist, wiewohl auch nur zum tüchtigen Plane einer allgemeinen Kritik der Vernunft schon etwas mehr gehört hätte, als man wohl vermuthen mag, wenn es nicht blos, wie gewöhnlich eine Declamation frommer Wünsche hätte werden sollen. Allein reine Vernunft ist eine so abgesonderte, in ihr selbst so durchgängig verknüpfte Sphäre, dass man keinen Theil derselben antasten kann, ohne alle übrige zu berühren, und nichts ausrichten kann, ohne vorher jedem seine Stelle und seinen Einfluss auf den andern bestimmt zu haben, weil, da nichts ausser derselben ist, was unser Urtheil innerhalb berichtigen könnte, jedes Theiles Gültigkeit und Gebrauch von dem Verhältnisse abhängt, darin er gegen die übrigen in der Vernunft selbst steht, und, wie bei dem Gliederbau eines organisirten Körpers, der Zweck jedes Gliedes nur aus dem vollständigen Begriff des Ganzen abgeleitet werden kann. Daher kann man von einer solchen Kritik sagen, dass sie niemals zuverlässig sei, wenn sie nicht ganz und bis auf die mindesten Elemente der reinen Vernunft vollendet ist, und dass man von der Sphäre dieses Vermögens entweder alles, oder nichts bestimmen und ausmachen müsse.

Ob aber gleich ein bloser Plan, der vor der Kritik der reinen Vernunft vorhergehen möchte, unverständlich, unzuverlässig und unnütz sein würde, so ist er dagegen um desto nützlicher, wenn er darauf folgt. Denn dadurch wird man in den Stand gesetzt, das Ganze zu übersehen, die Hauptpunkte, worauf es bei dieser Wissenschaft ankommt, stückweise zu prüfen, und manches dem Vortrage nach besser einzurichten, als es in der ersten Ausfertigung des Werks geschehen konnte.

Hier ist nun ein solcher Plan, nach vollendetem Werke, der nunmehr nach analytischer Methode angelegt sein darf, da das Werk selbst durchaus nach synthetischer Lehrart abgefasst sein musste, damit die Wissenschaft alle ihre Articulationen, als den Gliederbau eines ganzen besonderen Erkenntnissvermögens, in seiner natürlichen Verbindung vor Augen stelle. Wer diesen Plan, den ich als Prolegomena vor aller künftigen Metaphysik voranschicke, selbst wiederum dunkel findet, der mag bedenken, dass es eben nicht nöthig sei, dass Jedermann Metaphysik studire, dass es manches Talent gebe, welches in gründlichen und selbst tiefen Wissenschaften, die sich mehr der Anschauung nähern, ganz wohl fortkömmt, dem es aber mit Nachforschungen durch lauter abgezogene Begriffe nicht gelingen will, und dass man seine Geistesgaben in solchem Fall auf einen anderen Gegenstand verwenden müsse, dass aber derjenige, der Metaphysik zu beurtheilen, ja selbst eine abzufassen unter

nimmt, denen Forderungen, die hier gemacht werden, durchaus ein Gnüge thun müsse, es mag nun auf die Art geschehen, dass er meine Auflösung annimmt, oder sie auch gründlich widerlegt und eine andere an deren Stelle setzt, denn abweisen kann er sie nicht, und dass endlich die so beschrieene Dunkelheit (eine gewohnte Bemäntelung seiner eigenen Gemächlichkeit oder Blödsichtigkeit) auch ihren Nutzen habe: da Alle, die in Ansehung aller anderen Wissenschaften ein behutsames Stillschweigen beobachten, in Fragen der Metaphysik meisterhaft sprechen und dreist entscheiden, weil ihre Unwissenheit hier freilich nicht gegen Anderer Wissenschaft deutlich absticht, wohl aber gegen ächte kritische Grundsätze, von denen man also rühmen kann:

ignavum, fucos, pecus a praesepibus arcent.

VIRG.

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