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Diese Prolegomena sind nicht zum Gebrauch für Lehrlinge, sondern für künftige Lehrer, und sollen auch diesen nicht etwa dienen, um den Vortrag einer schon vorhandenen Wissenschaft anzuordnen, sondern um diese Wissenschaft selbst allererst zu erfinden.

Es gibt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl, als neuen) selbst ihre Philosophie ist; für diese sind gegenwärtige Prolegomena nicht geschrieben. Sie müssen warten, bis diejenigen, die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemüht sind, ihre Sache werden ausgemacht haben, und alsdenn wird an ihnen die Reihe sein, von dem Geschehenen der Welt Nachricht zu geben. Widrigenfalls kann nichts gesagt werden, was ihrer Meinung nach nicht schon sonst gesagt worden ist, und in der That mag dieses auch als eine untrügliche Vorhersagung für alles Künftige gelten; denn da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherlei Weise geschwärmt hat, so kann es nicht leicht fehlen, dass nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Aehnlichkeit hätte.

Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es werth finden, sich mit Metaphysik zu beschäftigen, zu überzeugen: dass es unumgänglich nothwendig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher Geschehene als ungeschehen anzusehen und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen,,ob auch so etwas, als Metaphysik, überall nur möglich sei?"

Ist sie Wissenschaft, wie kommt es, dass sie sich nicht, wie andere Wissenschaften, in allgemeinen und daurenden Beifall setzen kann? Ist sie keine, wie geht es zu, dass sie doch unter dem Scheine einer Wissenschaft unaufhörlich gross thut und den menschlichen Verstand mit niemals erlöschenden, aber nie erfüllten Hoffnungen hinhält? Man mag also entweder sein Wissen oder Nicht wissen demonstriren, so muss doch einmal über die Natur dieser angemassten Wissenschaft etwas Sicheres ausgemacht werden; denn auf demselben Fusse kann es mit ihr unmöglich

länger bleiben. Es scheint beinahe belachenswerth, indessen dass jede andere Wissenschaft unaufhörlich fortrückt, sich in dieser, die doch die Weisheit selbst sein will, deren Orakel jeder Mensch befrägt, beständig auf derselben Stelle herumzudrehen, ohne einen Schritt weiter zu kommen. Auch haben sich ihre Anhänger gar sehr verloren, und man sieht nicht, dass diejenigen, die sich stark genug fühlen, in anderen Wissenschaften zu glänzen, ihren Ruhm in dieser wagen wollen, wo Jedermann, der sonst in allen übrigen Dingen unwissend ist, sich ein entscheidendes Urtheil anmasst, weil in diesem Lande in der That noch kein sicheres Maass und Gewicht vorhanden ist, um Gründlichkeit von seichtem Geschwätze zu unterscheiden.

Es ist aber eben nicht so was Unerhörtes, dass, nach langer Bearbeitung einer Wissenschaft, wenn man Wunder denkt, wie weit man schon darin gekommen sei, endlich sich Jemand die Frage einfallen lässt: ob und wie überhaupt eine solche Wissenschaft möglich sei? Denn die menschliche Vernunft ist so baulustig, dass sie mehrmalen schon den Thurm aufgeführt, hernach aber wieder abgetragen hat, um zu sehen, wie das Fundament desselben wohl beschaffen sein möchte. Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwe ́rer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.

Zu fragen: ob eine Wissenschaft auch wohl möglich sei, setzt voraus, dass man an der Wirklichkeit derselben zweifle. Ein solcher Zweifel aber beleidigt Jedermann, dessen ganze Habseligkeit vielleicht in diesem vermeinten Kleinode bestehen möchte; und daher mag sich der, so sich diesen Zweifel entfallen lässt, nur immer auf Widerstand von allen Seiten gefasst machen. Einige werden in stolzem Bewusstsein ihres alten und eben daher für rechtmässig gehaltenen Besitzes, mit ihren metaphysischen Compendien in der Hand, auf ihn mit Verachtung herabsehen; Andere, die nirgend etwas sehen, als was mít dem einerlei ist, was sie schon sonst irgendwo gesehen haben, werden ihn nicht verstehen, und alles wird einige Zeit hindurch so bleiben, als ob gar nichts vorgefallen wäre, was eine nahe Veränderung besorgen oder hoffen liesse.

Gleichwohl getraue ich mir vorauszusagen, dass der selbstdenkende Leser dieser Prolegomenen nicht blos an seiner bisherigen Wissenschaft zweifeln, sondern in der Folge gänzlich überzeugt sein werde, dass es dergleichen gar nicht geben könne, ohne dass die hier geäusserten Forderungen geleistet werden, auf welchen ihre Möglichkeit beruht, und da dieses noch niemals geschehen, dass es überall noch keine Metaphysik

gebe. Da sich indessen die Nachfrage nach ihr doch auch niemals verlieren kann*, weil das Interesse der allgemeinen Menschenvernunft mit ihr gar zu innigst verflochten ist, so wird er gestehen, dass eine völlige Reform,- oder vielmehr eine neue Geburt derselben, nach einem bisher ganz unbekannten Plane, unausbleiblich bevorstehe, man mag sich nun eine Zeitlang dagegen sträuben, wie man wolle.

Seit LOCKE's und LEIBNITZ's Versuchen, oder vielmehr seit dem Entstehen der Metaphysik, so weit die Geschichte derselben reicht, hat sich keine Begebenheit zugetragen, die in Ansehung des Schicksals dieser Wissenschaft hätte entscheidender werden können, als der Angriff, den DAVID HUME auf dieselbe machte. Er brachte kein Licht in diese Art von Erkenntniss, aber er schlug doch einen Funken, bei welchem man wohl ein Licht hätte anzünden können, wenn er einen empfänglichen Zunder getroffen hätte, dessen Glimmen sorgfältig wäre unterhalten und vergrössert worden.

HUME ging hauptsächlich von einem einzigen, aber wichtigen Begriffe der Metaphysik, nämlich dem der Verknüpfung der Ursache und Wirkung, (mithin auch dessen Folgebegriffe der Kraft und Handlung u. s. w.) aus, und forderte die Vernunft, die da vorgibt, ihn in ihrem Schoosse erzeugt zu haben, auf, ihm Rede und Antwort zu geben, mit welchem Rechte sie sich denkt: dass etwas so beschaffen sein könne, dass, wenn es gesetzt ist, dadurch auch etwas Anderes nothwendig gesetzt werden müsse; denn das, sagt der Begriff der Ursache. Er bewies unwidersprechlich, dass es der Vernunft gänzlich unmöglich sei, a priori und aus Begriffen eine solche Verbindung zu denken, denn diese enthält Nothwendigkeit; es ist aber gar nicht abzusehen, wie darum, weil Etwas ist, etwas Anderes nothwendiger Weise auch sein müsse, und wie sich also der Begriff von einer solchen Verknüpfung a priori einführen lasse. Hieraus schloss er, dass die Vernunft sich mit diesem Begriffe ganz und gar betrüge, dass sie ihn fälschlich für ihr eigen Kind halte, da er doch nichts Anderes, als ein Bastard der Einbildungskraft sei, die, durch Erfahrung beschwängert, gewisse Vorstellungen unter das Gesetz der Association gebracht hat und eine daraus entspringende subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, für eine objective aus Einsicht unterschiebt. Hieraus

* Rusticus exspectat, dum defluat amnis; at ille Labitur et labetur in omne volubilis aevum.

HORAT.

schloss er, die Vernunft habe gar kein Vermögen, solche Verknüpfungen, auch selbst nur im Allgemeinen, zu denken, weil ihre Begriffe alsdenn blose Erdichtungen sein würden, und alle ihre vorgeblich a priori bestehenden Erkenntnisse wären nichts, als falsch gestempelte gemeine Erfahrungen, welches eben so viel sagt, als es gebe überall keine Metaphysik und könne auch keine geben.*

So übereilt und unrichtig auch seine Folgerung war, so war sie doch wenigstens auf Untersuchung gegründet, und diese Untersuchung war es wohl werth, dass sich die guten Köpfe seiner Zeit vereinigt hätten, die Aufgabe, in dem Sinne, wie er sie vortrug, wo möglich glücklicher aufzulösen, woraus denn bald eine gänzliche Reform der Wissenschaft hätte entspringen müssen.

Allein das der Metaphysik von jeher ungünstige Schicksal wollte, dass er von Keinem verstanden würde. Man kann es, ohne eine gewisse Pein zu empfinden, nicht ansehen, wie so ganz und gar seine Gegner, REID, OSWALD, BEATTIE und zuletzt noch PRIESTLEY den Punkt seiner Aufgabe verfehlten, und indem sie immer das als zugestanden annahmen, was er eben bezweifelte, dagegen aber mit Heftigkeit und mehrentheils mit grosser Unbescheidenheit dasjenige bewiesen, was ihm niemals zu bezweifeln in den Sinn gekommen war, seinen Wink zur Verbesserung so verkannten, dass alles in dem alten Zustande blieb, als ob nichts geschehen wäre. Es war nicht die Frage, ob der Begriff der Ursache richtig, brauchbar und in Ansehung der ganzen Naturerkenntniss unentbehrlich sei, denn dieses hatte HUME niemals in Zweifel gezogen; sondern ob er durch die Vernunft a priori gedacht werde und, auf solche Weise, eine von aller Erfahrung unabhängige innere Wahrheit, und daher auch wohl weiter ausgedehnte Brauchbarkeit habe, die nicht blos auf Gegenstände der Erfahrung eingeschränkt sei, hierüber erwartete HUME Eröffnung.

* Gleichwohl nannte HUME eben diese zerstörende Philosophie selbst Metaphysik, und legte ihr einen hohen Werth bei. „Metaphysik und Moral, sagt er (Versuche 4. Theil, S. 214, deutsche Uebers.), sind die wichtigsten Zweige der Wissenschaft; Mathematik und Naturwissenschaft sind nicht halb so viel werth." Der scharfsinnige Mann sah aber hier blos auf den negativen Nutzen, den die Mässigung der übertriebenen Ansprüche der speculativen Vernunft haben würde, um so viel endlose und verfolgende Streitigkeiten, die das Menschengeschlecht verwirren, gänzlich aufzuheben; aber er verlor darüber den positiven Schaden aus den Augen, der daraus entspringt, wenn der Vernunft die wichtigsten Aussichten genommen werden, nach denen allein sie dem Willen das höchste Ziel aller seiner Bestrebungen ausstecken kann.

Es war ja nur die Rede von dem Ursprunge des Begriffs, nicht von der Unentbehrlichkeit desselben im Gebrauche; wäre jenes nur ausgemittelt, so würde es sich wegen der Bedingungen seines Gebrauches, und des Umfangs, in welchem er gültig sein kann, schon von selbst gegeben haben.

Die Gegner des berühmten Mannes hätten aber, um der Aufgabe ein Gnüge zu thun, sehr tief in die Natur der Vernunft, sofern sie blos mit reinem Denken beschäftigt ist, hineindringen müssen, welches ihnen ungelegen war. Sie erfanden daher ein bequemeres Mittel, ohne alle Einsicht trotzig zu thun, nämlich die Berufung auf den gemeinen Menschenverstand. In der That ist's eine grosse Gabe des Himmels, einen geraden (oder, wie man es neuerlich benannt hat, schlichten) Menschenverstand zu besitzen. Aber man muss ihn durch Thaten beweisen, durch das Ueberlegte und Vernünftige, was man denkt und sagt, nicht aber dadurch, dass, wenn man nichts Kluges zu seiner Rechtfertigung vorzubringen weiss, man sich auf ihn, als ein Orakel beruft. Wenn Einsicht und Wissenschaft auf die Neige gehen, alsdenn und nicht eher, sich auf den gemeinen Menschenverstand zu berufen, das ist eine von den subtilen Erfindungen neuerer Zeiten, dabei es der schaalste Schwätzer mit dem gründlichsten Kopfe getrost aufnehmen und es mit ihm aushalten kann. So lange aber noch ein kleiner Rest von Einsicht da ist, wird man sich wohl hüten, diese Nothhülfe zu ergreifen. Und beim Lichte besehen, ist diese Appellation nichts Anderes, als eine Berufung auf das Urtheil der Menge; ein Zuklatschen, über das der Philosoph erröthet, der populäre Witzling aber triumphirt und trotzig thut. Ich sollte aber doch denken, HUME habe auf einen gesunden Verstand eben so wohl Anspruch machen können, als BEATTIE, und noch überdem auf das, was dieser gewiss nicht besass, nämlich eine kritische Vernunft, die den gemeinen Verstand in Schranken hält, damit er sich nicht in Speculationen versteige, oder wenn blos von diesen die Rede ist, nichts zu entscheiden begehre, weil er sich über seine Grundsätze nicht zu rechtfertigen versteht; denn nur so allein wird er ein gesunder Verstand bleiben. Meissel und Schlägel können ganz wohl dazu dienen, ein Stück Zimmerholz zu bearbeiten, aber zum Kupferstechen muss man die Radirnadel brauchen. So sind gesunder Verstand sowohl, als speculativer, beide, aber jeder in seiner Art brauchbar; jener, wenn es auf Urtheile ankommt, die in der Erfahrung ihre unmittelbare Anwendung finden, dieser aber, wo im Allgemeinen, aus blosen Begriffen geurtheilt werden soll, z. B. in der Meta

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