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mittelbaren Erkenntniss des Gegenstandes, (denn diese ist unmöglich,) sondern blos von der Bedingung der Allgemeingültigkeit der empirischen Urtheile entlehnen, die, wie gesagt, niemals auf den empirischen, ja überhaupt sinnlichen Bedingungen, sondern auf einem reinen Verstandesbegriffe beruht. Das Object bleibt an sich selbst immer unbekannt; wenn aber durch den Verstandesbegriff die Verknüpfung der Vorstellungen, die unserer Sinnlichkeit von ihm gegeben sind, als allgemeingültig bestimmt wird, so wird der Gegenstand durch dieses Verhältniss bestimmt, und das Urtheil ist objectiv.

Wir wollen dieses erläutern: dass das Zimmer warm, der Zucker süss, der Wermuth widrig sei*, sind blos subjectiv gültige Urtheile. Ich verlange gar nicht, dass ich es jederzeit, oder jeder Andere es ebenso, wie ich finden soll; sie drücken nur eine Beziehung zweener Empfindungen auf dasselbe Subject, nämlich mich selbst, und auch nur in meinem diesmaligen Zustande der Wahrnehmung aus, und sollen daher auch nicht vom Objecte gelten; dergleichen nenne ich Wahrnehmungsurtheile. Eine ganz andere Bewandniss hat es mit dem Erfahrungsurtheile. Was die Erfahrung unter gewissen Umständen mich lehrt, muss sie mich jederzeit und auch Jedermann lehren, und die Gültigkeit derselben schränkt sich nicht auf das Subject oder seinen damaligen Zustand ein. Daher spreche ich alle dergleichen Urtheile als objectiv gültige aus, als z. B. wenn ich sage: die Luft ist elastisch, so ist dieses Urtheil zunächst nur ein Wahrnehmungsurtheil, ich beziehe zwei Empfindungen in meinen Sinnen nur auf einander. Will ich, es soll Erfahrungsurtheil heissen, so verlange ich, dass diese Verknüpfung unter einer Bedingung stehe, welche sie allgemeingültig macht. Ich will also, dass ich jederzeit und auch Jedermann dieselbe Wahrnehmung unter denselben Umständen nothwendig verbinden müsse.

*Ich gestehe gern, dass diese Beispiele nicht solche Wahrnehmungsurtheile vorstellen, die jemals Erfahrungsurtheile werden könnten, wenn man auch einen Verstandesbegriff hinzu thäte, weil sie sich blos aufs Gefühl, welches Jedermann als blos subjectiv erkennt und welches also niemals dem Object beigelegt werden darf, beziehen und also auch niemals objectiv werden können; ich wollte nur vor der Hand ein Beispiel von dem Urtheile geben, was blos subjectiv gültig ist, und in sich keinen Grund zur nothwendigen Allgemeingültigkeit und dadurch zu einer Beziehung aufs Object enthält. Ein Beispiel der Wahrnehmungsurtheile, die durch hinzugesetzten Verstandesbegriff Erfahrungsurtheile werden, folgt in der nächsten Anmerkung.

§. 20.

Wir werden daher Erfahrung überhaupt zergliedern müssen, um zu sehen, was in diesem Product der Sinne und des Verstandes enthalten, und wie das Erfahrungsurtheil selbst möglich sei. Zum Grunde liegt die Anschauung, deren ich mir bewusst bin, d. i. Wahrnehmung (perceptio), die blos den Sinnen angehört. Aber zweitens gehört auch dazu das Urtheilen, (das blos dem Verstande zukömmt.) Dieses Urtheilen kann nun zwiefach sein: erstlich, indem ich blos die Wahrnehmungen vergleiche und in einem Bewusstsein meines Zustandes, oder zweitens, da ich sie in einem Bewusstsein überhaupt verbinde. Das erstere Urtheil ist blos ein Wahrnehmungsurtheil, und hat sofern nur subjective Gültigkeit, es ist blos Verknüpfung der Wahrnehmungen in meinem Gemüthszustande, ohne Beziehung auf den Gegenstand. Daher ist es nicht, wie man gemeiniglich sich einbildet, zur Erfahrung genug, Wahrnehmungen zu vergleichen und in einem Bewusstsein vermittelst des Urtheilens zu verknüpfen; dadurch entspringt keine Allgemeingültigkeit und Nothwendigkeit des Urtheils, um deren willen es allein objectiv gültig und Erfahrung sein kann.

Es geht also noch ein ganz anderes Urtheil voraus, ehe aus Wahrnehmung Erfahrung werden kann. Die gegebene Anschauung muss unter einem Begriff subsumirt werden, der die Form des Urtheilens überhaupt in Ansehung der Anschauung bestimmt, das empirische Bewusstsein der letzteren in einem Bewusstsein überhaupt verknüpft und dadurch den empirischen Urtheilen Allgemeingültigkeit verschafft; dergleichen Begriff ist ein reiner Verstandesbegriff a priori, welcher nichts thut, als blos einer Anschauung die Art überhauptzu bestimmen, wie sie zu Urtheilen dienen kann. Es sei ein solcher Begriff der Begriff der Ursache, so bestimmt er die Anschauung, die unter ihm subsumirt ist, z. B. die der Luft, in Ansehung des Urtheilens überhaupt, nämlich dass der Begriff der Luft in Ansehung der Ausspannung in dem Verhältniss des Antecedens zum Consequens in einem hypothetischen Urtheile diene. Der Begriff der Ursache ist also ein reiner Verstandesbegriff, der von aller möglichen Wahrnehmung gänzlich unterschieden ist und nur dazu dient, diejenige Vorstellung, die unter ihm enthalten ist, in Ansehung des Urtheilens überhaupt zu bestimmen, mithin ein allgemeingültiges Urtheil möglich zu machen.

Nun wird, ehe aus einem Wahrnehmungsurtheil ein Urtheil der Erfahrung werden kann, zuerst erfordert, dass die Wahrnehmung unter einem dergleichen Verstandesbegriffe subsumirt werde; z. B. die Luft ge

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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hört unter den Begriff der Ursachen, welcher das Urtheil über dieselbe in Ansehung der Ausdehnung als hypothetisch bestimmt. Dadurch wird nun nicht diese Ausdehnung, als blos zu meiner Wahrnehmung der Luft in meinem Zustande, oder in mehreren meiner Zustände, oder in dem Zustande der Wahrnehmung Anderer gehörig, sondern als dazu nothwendig gehörig vorgestellt, und dies Urtheil: die Luft ist elastisch, wird allgemeingültig, und dadurch allererst Erfahrungsurtheil, dass gewisse Urtheile vorhergehen, die die Anschauung der Luft unter den Begriff der Ursache und Wirkung subsumiren und dadurch die Wahrnehmungen nicht blos respective auf einander in meinem Subjecte, sondern in Ansehung der Form des Urtheilens überhaupt (hier der hypothetischen) bestimmen, und auf solche Art das empirische Urtheil allgemeingültig machen.

Zergliedert man alle seine synthetischen Urtheile, sofern sie objectiv gelten, so findet man, dass sie niemals aus blosen Anschauungen bestehen, die blos, wie man gemeiniglich dafür hält, durch Vergleichung in ein Urtheil verknüpft worden, sondern dass sie unmöglich sein würden, wäre nicht über die von der Anschauung abgezogenen Begriffe noch ein reiner Verstandesbegriff hinzugekommen, unter dem jene Begriffe subsumirt und so allererst in einem objectiv gültigen Urtheile verknüpft worden. Selbst die Urtheile der reinen Mathematik in ihren einfachsten Axiomen sind von dieser Bedingung nicht ausgenommen. Der Grundsatz: die gerade Linie ist die kürzeste zwischen zweien Punkten, setzt voraus, dass die Linie unter den Begriff der Grösse subsumirt werde, welcher gewiss keine blose Anschauung ist, sondern lediglich im Verstande seinen Sitz hat, und dazu dient, die Anschauung (der Linie) in Absicht auf die Urtheile, die von ihr gefällt werden mögen, in Ansehung der Quantität derselben, nämlich der Vielheit (als judicia plurativa**) zu bestimmen, indem unter ihnen verstan

*) Um ein leichter einzusehendes Beispiel zu haben, nehme man folgendes: wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urtheil ist ein bloses Wahrnehmungsurtheil und enthält keine Nothwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und Andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme nothwendig verknüpft, und das synthetische Urtheil wird nothwendig allgemeingültig, folglich objectiv und aus einer Wahrnehmung in Erfahrung verwandelt.

**So wollte ich lieber die Urtheile genannt wissen, die man in der Logik particularia nennt. Denn der letztere Ausdruck enthält schon den Gedanken, dass sie nicht

den wird, dass in einer gegebenen Anschauung vieles Gleichartige enthalten sei.

§. 21.

Um nun also die Möglichkeit der Erfahrung, sofern sie auf reinen Verstandesbegriffen a priori beruht, darzulegen, müssen wir zuvor das, was zum Urtheilen überhaupt gehört, und die verschiedenen Momente des Verstandes in denselben, in einer vollständigen Tafel vorstellen; denn die reinen Verstandesbegriffe, die nichts weiter sind, als Begriffe von Anschauungen überhaupt, sofern diese in Ansehung eines oder des anderen dieser Momente zu Urtheilen an sich selbst, mithin nothwendig und allgemeingültig bestimmt sind, werden ihnen ganz genau parallel ausfallen. Hiedurch werden auch die Grundsätze a priori der Möglichkeit aller Erfahrung, als einer objectiv gültigen empirischen Erkenntniss, ganz genau bestimmt werden. Denn sie sind nichts Anderes, als Sätze, welche alle Wahrnehmung (gemäss gewissen allgemeinen Bedingungen der Anschauung) unter jene reine Verstandesbegriffe subsumiren.

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allgemein sind. Wenn ich aber von der Einheit (in einzelnen Urtheilen) anhebe und so zur Allheit fortgehe, so kann ich noch keine Beziehung auf die Allheit beimischen; ich denke nur die Vielheit ohne Allheit, nicht die Ausnahme von derselben. Dieses ist nöthig, wenn die logischen Momente den reinen Verstandesbegriffen unterlegt werden sollen; im logischen Gebrauche kann man es beim Alten lassen.

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Um alles Bisherige in einen Begriff zusammenzufassen, ist zuvörderst nöthig, die Leser zu erinnern, dass hier nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt. Das Erstere gehört zur empirischen Psychologie, und würde selbst auch da, ohne das Zweite, welches zur Kritik der Erkenntniss und besonders des Verstandes gehört, niemals gehörig entwickelt werden können.

Erfahrung besteht aus Anschauungen, die der Sinnlichkeit angehören, und aus Urtheilen, die lediglich ein Geschäft des Verstandes sind. Die

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