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Der transscendentalen Hauptfrage

zweiter Theil.

Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?

§. 14.

Natur ist das Dasein der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist. Sollte Natur das Dasein der Dinge an sich selbst bedeuten, so würden wir sie niemals, weder a priori noch a posteriori, erkennen können. Nicht a priori, denn wie wollen wir wissen, was den Dingen an sich selbst zukomme, da dieses niemals durch Zergliederung unserer Begriffe (analytische Sätze) geschehen kann, weil ich nicht wissen will, was in meinem Begriffe von einem Dinge enthalten sei, (denn das gehört zu seinem logischen Wesen,) sondern was in der Wirklichkeit des Dinges zu diesem Begriff hinzukomme und wodurch das Ding selbst in seinem Dasein ausser meinem Begriffe bestimmt sei. Mein Verstand und die Bedingungen, unter denen er allein die Bestimmungen der Dinge in ihrem Dasein verknüpfen kann, schreibt den Dingen selbst keine Regel vor; diese richten sich nicht nach meinem Verstande, sondern mein Verstand müsste sich nach ihnen richten; sie müssten also mir vorher gegeben sein, um diese Bestimmungen von ihnen abzunehmen, alsdenn aber wären sie nicht a priori erkannt.

Auch a posteriori wäre eine solche Erkenntniss der Natur der Dinge an sich selbst unmöglich. Denn wenn mich Erfahrung Gesetze, unter denen das Dasein der Dinge steht, lehren soll, so müssten diese, sofern sie Dinge an sich selbst betreffen, auch ausser meiner Erfahrung ihnen nothwendig zukommen. Nun lehrt mich die Erfahrung zwar, was dasei, und wie es sei, niemals aber, dass es nothwendiger Weise so und nicht anders sein müsse. Also kann sie die Natur der Dinge an sich selbst niemals lehren.

Kung

§. 15.

Nun sind wir gleichwohl wirklich im Besitze einer reinen Naturwissenschaft, die a priori und mit aller derjenigen Nothwendigkeit, welche zu apodiktischen Sätzen erforderlich ist, Gesetze vorträgt, unter denen die Natur steht. Ich darf hier nur diejenige Propädeutik der Naturlehre, die unter dem Titel der allgemeinen Naturwissenschaft vor aller Physik, (die auf empirische Principien gegründet ist,) vorhergeht, zum Zeugen rufen. Darin findet man Mathematik, angewandt auf Erscheinungen, auch blos discursive Grundsätze (aus Begriffen), welche den philosophischen Theil der reinen Naturerkenntniss ausmachen. Allein es ist doch auch manches in ihr, was nicht ganz rein und von Erfahrungsquellen unabhängig ist: als der Begriff der Bewegung, der Undurchdringlichkeit, (worauf der empirische Begriff der Materie beruht,) der Trägheit u. a. m., welche es verhindern, dass sie nicht ganz reine Naturwissenschaft heissen kann; zudem geht sie nur auf die Gegenstände äusserer Sinne, also gibt sie kein Beispiel von einer allgemeinen Naturwissenschaft in strenger Bedeutung; denn die muss die Natur überhaupt, sie mag den Gegenstand äusserer Sinne oder den des inneren Sinnes, (den Gegenstand der Physik sowohl, als Psychologie,) betreffen, unter allgemeine Gesetze bringen. Es finden sich aber unter den Grundsätzen jener allgemeinen Physik etliche, die wirklich die Allgemeinheit haben, die wir verlangen, als der Satz: dass die Substanz bleibt und beharrt, dass alles, was geschieht, jederzeit durch eine Ursache nach beständigen Gesetzen vorher bestimmt sei u. s. w. Diese sind wirklich allgemeine Naturgesetze, die völlig a priori bestehen. Es gibt also in der That eine reine Naturwissenschaft, und nun ist die Frage: wie ist sie möglich?

§. 16.

Noch nimmt das Wort Natur eine andere Bedeutung an, die nämlich das Object bestimmt, indessen dass in der obigen Bedeutung sie nur die Gesetzmässigkeit der Bestimmungen des Daseins der Dinge überhaupt andeutete. Natur also materialiter betrachtet ist der Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung. Mit dieser haben wir es hier nur zu thun, da ohnedem Dinge, die niemals Gegenstände einer Erfahrung werden können, wenn sie nach ihrer Natur erkannt werden sollten, uns zu Begriffen nöthigen würden, deren Bedeutung niemals in concreto (in irgend einem Beispiele einer möglichen Erfahrung) gegeben werden könnte, und von dessen Natur wir uns also lauter Begriffe machen müss

ten, deren Realität, d. i. ob sie wirklich sich auf Gegenstände beziehen oder blose Gedankendinge sind, gar nicht entschieden werden könnte. Was nicht ein Gegenstand der Erfahrung sein kann, dessen Erkenntniss wäre hyperphysisch, und mit dergleichen haben wir hier gar nicht zu thun, sondern mit der Naturerkenntniss, deren Realität durch Erfahrung bestätigt werden kann, ob sie gleich a priori möglich ist und vor aller Erfahrung vorhergeht.

§. 17.

Das Formale der Natur in dieser engeren Bedeutung ist also die Gesetzmässigkeit aller Gegenstände der Erfahrung, und sofern sie a priori erkannt wird, die nothwendige Gesetzmässigkeit derselben. Es ist aber eben dargethan, dass die Gesetze der Natur an Gegenständen, sofern sie nicht in Beziehung auf mögliche Erfahrung, sondern als Dinge an sich selbst betrachtet werden, niemals a priori können erkannt werden. Wir haben es aber hier auch nicht mit Dingen an sich selbst, (dieser ihre Eigenschaften lassen wir dahin gestellt sein,) sondern blos mit Dingen, als Gegenständen einer möglichen Erfahrung zu thun, und der Inbegriff derselben ist es eigentlich, was wir hier Natur nennen. Und nun frage ich, ob, wenn von der Möglichkeit einer Naturerkenntniss a priori die Rede ist, es besser sei, die Aufgabe so einzurichten: wie ist die nothwendige Gesetzmässigkeit der Dinge als Gegenstände der Erfahrung, oder: wie ist die nothwendige Gesetzmässigkeit der Erfahrung selbst in Ansehung aller ihrer Gegenstände überhaupt a priori zu erkennen möglich?

Beim Lichte besehen, wird die Auflösung der Frage, sie mag auf die eine oder die andere Art vorgestellt sein, in Ansehung der reinen Naturerkenntniss, (die eigentlich den Punkt der Quästion ausmacht,) ganz und gar auf einerlei hinauslaufen. Denn die subjectiven Gesetze, unter denen allein eine Erfahrungserkenntniss von Dingen möglich ist, gelten auch von diesen Dingen, als Gegenständen einer möglichen Erfahrung, (freilich aber nicht von ihnen als Dingen an sich selbst, dergleichen aber hier auch in keine Betrachtung kommen.) Es ist gänzlich einerlei, ob ich sage: ohne das Gesetz, dass, wenn eine Begebenheit wahrgenommen wird, sie jederzeit auf etwas, was vorhergeht, bezogen werde, worauf sie nach einer allgemeinen Regel folgt, kann niemals ein Wahrnehmungsurtheil für Erfahrung gelten; oder ob ich mich so ausdrücke: alles, wovon die Erfahrung lehrt, dass es geschieht, muss eine Ursache haben.

Es ist indessen doch schicklicher, die erstere Formel zu wählen.

Denn da wir wohl a priori und vor allen gegebenen Gegenständen eine Erkenntniss derjenigen Bedingungen haben können, unter denen allein eine Erfahrung in Ansehung ihrer möglich ist, niemals aber, welchen Gesetzen sie, ohne Beziehung auf mögliche Erfahrung, an sich selbst unterworfen sein mögen, so werden wir die Natur der Dinge a priori nicht anders studiren können, als dass wir die Bedingungen und allgemeinen (obgleich subjectiven) Gesetze erforschen, unter denen allein ein solches Erkenntniss, als Erfahrung (der blosen Form nach) möglich ist, und darnach die Möglichkeit der Dinge als Gegenstände der Erfahrung bestimmen; denn würde ich die zweite Art des Ausdrucks wählen, und die Bedingungen a priori suchen, unter denen Natur als Gegenstand der Erfahrung möglich ist, so würde ich leichtlich in Missverstand gerathen können, und mir einbilden, ich hätte von der Natur als einem Dinge an sich selbst zu reden, und da würde ich fruchtlos in endlosen Bemühungen herumgetrieben werden, für Dinge, von denen mir nichts gegeben ist, Gesetze zu suchen.

Wir werden es also hier blos mit der Erfahrung und den allgemeinen und a priori gegebenen Bedingungen ihrer Möglichkeit zu thun haben, und daraus die Natur, als den ganzen Gegenstand aller möglichen Erfahrung, bestimmen. Ich denke, man werde mich verstehen: dass ich hier nicht die Regeln der Beobachtung einer Natur, die schon gegeben ist, verstehe, die setzen schon Erfahrung voraus, wie wir (durch Erfahrung) der Natur die Gesetze ablernen können, denn diese wären alsdenn nicht Gesetze a priori und gäben keine reine Naturwissenschaft, sondern wie die Bedingungen a priori von der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Quellen sind, aus denen alle allgemeinen Naturgesetze hergeleitet werden

müssen.

§. 18.

Wir müssen denn also zuerst bemerken, dass, obgleich alle Erfahrungsurtheile empirisch sind, d. i. ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne haben, dennoch nicht umgekehrt alle empirische Urtheile darum Erfahrungsurtheile sind, sondern dass über das Empirische, und überhaupt über das der sinnlichen Anschauung Gegebene, noch besondere Begriffe hinzukommen müssen, die ihren Ursprung gänzlich a priori im reinen Verstande haben, unter die jede Wahrnehmung allererst subsumirt und dann vermittelst derselben in Erfahrung kann verwandelt werden.

Empirische Urtheile, sofern sie objective Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurtheile; die aber, so nur subjectiv gültig sind, nenne ich blose Wahrnehmungsurtheile. Die letzteren bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmung in einem denkenden Subject. Die ersteren aber erfordern jederzeit, über die Vorstellungen der sinnlichen Anschauung, noch besondere im Verstande ursprünglich erzeugte Begriffe, welche es eben machen, dass das Erfahrungsurtheil objectiv gültig ist.

Alle unsere Urtheile sind zuerst blose Wahrnehmungsurtheile; sie gelten blos für uns d. i. für unser Subject, und nur hintennach geben wir ihnen eine neue Beziehung, nämlich auf ein Object, und wollen, dass es auch für uns jederzeit und ebenso für Jedermann gültig sein solle; denn wenn ein Urtheil mit einem Gegenstande übereinstimmt, so müssen alle Urtheile über denselben Gegenstand auch unter einander übereinstimmen, und so bedeutet die objective Gültigkeit des Erfahrungsurtheils nichts Anderes, als die nothwendige Allgemeingültigkeit desselben. Aber auch umgekehrt, wenn wir Ursache finden, ein Urtheil für nothwendig allgemeingültig zu halten, (welches niemals auf der Wahrnehmung, sondern dem reinen Verstandesbegriffe beruht, unter dem die Wahrnehmung subsumirt ist,) so müssen wir es auch für objectiv halten, d. i. dass es nicht blos eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subject, sondern eine Beschaffenheit des Gegenstandes ausdrücke; denn es wäre kein Grund, warum Anderer Urtheile nothwendig mit dem meinigen übereinstimmen müssten, wenn es nicht die Einheit des Gegenstandes wäre, auf den sie sich alle beziehen, mit dem sie übereinstimmen, und daher auch alle unter einander zusammenstimmen müssen.

§. 19.

Es sind daher objective Gültigkeit und nothwendige Allgemeingültigkeit (für Jedermann) Wechselbegriffe, und ob wir gleich das Object an sich nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urtheil als gemeingültig und mithin nothwendig ansehen, eben darunter die objective Gültigkeit verstanden. Wir erkennen durch dieses Urtheil das Object, (wenn es auch sonst, wie es an sich selbst sein möchte, unbekannt bliebe,) durch die allgemeingültige und nothwendige Verknüpfung der gegebenen Wahrnehmungen, und da dieses der Fall von allen Gegenständen der Sinne ist, so werden Erfahrungsurtheile ihre objective Gültigkeit nicht von der un

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