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XIV.

Einige Bemerkungen

zu

Ludwig Heinrich Jakob's

PRÜFUNG

der Mendelssohn'schen Morgenstunden.

1786.

,,Als ich dem Herrn Professor KANT meinen Entschluss, die Prüfung der Mendelssohn'schen Morgenstunden herauszugeben, meldete, und ich in meinem Briefe unter anderen der Stelle in den Morgenstunden S. 116 erwähnte, hatte Herr Professor KANT sogleich die Güte, mir eine Berichtigung dieser Stelle zu meinem Buche zu versprechen, welche er mir nachher in diesem Aufsatz, worin noch weit mehr enthalten ist, zusendete; wofür ich ihm hier öffentlich meinen verbindlichen Dank abstatte."

LUDW. HEINR. JAKOB, Prüfung der Mendelssohn'schen Morgenstunden u. s. w. Leipzig 1786. 8. (S. XLIX.)

Wenn man die letzte Mendelssohn'sche, von ihm herausgegebene Schrift liest, und das nicht im mindesten geschwächte Vertrauen dieses versuchten Philosophen auf die demonstrative Beweisart des wichtigsten aller Sätze der reinen Vernunft darin wahrnimmt, so geräth man in Versuchung, die engen Grenzen, welche scrupulöse Kritik diesem Erkenntnissvermögen setzt, wohl für ungegründete Bedenklichkeit zu halten und durch die That alle Einwürfe gegen die Möglichkeit einer solchen Unternehmung für widerlegt anzusehen. Nun scheint es zwar einer guten und der menschlichen Vernunft unentbehrlichen Sache zum wenigsten nicht nachtheilig zu sein, dass sie allenfalls auf Vermuthungen gegründet werde, die Einer oder der Andere für förmliche Beweise halten mag; denn man muss am Ende doch auf denselben Satz, es sei durch welchen Weg es wolle, kommen, weil Vernunft ihr selbst ohne denselben niemals völlig Genüge leisten kann. Allein es tritt hier eine wichtige Bedenklichkeit in Ansehung des Weges ein, den man einschlägt. Denn räumt man der reinen Vernunft in ihrem speculativen Gebrauch einmal das Vermögen ein, sich über die Grenzen des Sinnlichen hinaus durch Einsichten zu erweitern, so ist es nicht mehr möglich, sich blos auf diesen Gegenstand einzuschränken; und nicht genug, dass sie alsdenn für alle Schwärmerei ein weites Feld geöffnet findet, so traut sie sich auch zu, selbst über die Möglichkeit eines höchsten Wesens (nach demjenigen Begriffe, den die Religion braucht,) durch Vernünfteleien zu entscheiden, wie wir davon an SPINOZA und selbst zu unserer Zeit Beispiele antreffen, und so durch angemassten Dogmatismus jenen Satz mit eben der Kühnheit zu stürzen, mit welcher man ihn errichten zu können sich gerühmt hat; statt dessen, wenn diesem in Ansehung des Uebersinnlichen durch strenge Kritik die Flügel beschnitten werden, jener Glaube in einer praktisch - wohlgegründeten, theoretisch aber unwiderleglichen Voraussetzung völlig gesichert sein kann. Daher ist eine Widerlegung jener Anmassungen, so gut sie auch gemeint sein mögen, der Sache selbst, weit gefehlt nachtheilig zu sein, vielmehr sehr beförderlich, ja unumgänglich nöthig.

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Diese hat nun der Herr Verfasser des gegenwärtigen Werks übernommen, und, nachdem er mir ein kleines Probestück- desselben mitgetheilt hat, welches von seinem Talent der Einsicht sowohl, als Popularität

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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zeugt, mache ich mir ein Vergnügen, diese Schrift mit einigen Betrachtungen, welche in diese Materie einschlagen, zu begleiten.

In den Morgenstunden bedient sich der scharfsinnige MENDELSSOHN, um dem beschwerlichen Geschäfte der Entscheidung des Streits der reinen Vernunft mit ihr selbst durch vollständige Kritik dieses ihres Vermögens überhoben zu sein, zweier Kunststücke, deren sich auch wohl sonst bequeme Richter zu bedienen pflegen, nämlich, den Streit entweder gütlich beizulegen, oder ihn, als für gar keinen Gerichtshof gehörig, abzuweisen.

Die erste Maxime steht S. 214, erste Auflage: Sie wissen, wie sehr ich geneigt bin, alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für blose Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten; und dieser Maxime bedient er sich fast durch alle polemische Artikel des ganzen Werks. Ich bin hingegen einer ganz entgegengesetzten Meinung, und behaupte, dass in den Dingen, worüber man, vornehmlich in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, niemals eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen habe, sondern immer eine wahrhafte Streitigkeit über Sachen. Denn obgleich in jeder Sprache einige Worte in mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht werden, so kann es doch gar nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauche derselben Anfangs veruneinigt haben, den Missverstand bemerken, und sich an deren Statt anderer bedienen; dass es also am Ende eben so wenig wahre Homonyma, als Synonyma gibt. So suchte MENDELSSOHN den alten Streit über Freiheit und Naturnothwendigkeit in Bestimmungen des Willens (Berl. Monatsschr. Juli 1783) auf blosen Wortstreit zurückzuführen, weil das Wort Müssen in zweierlei verschiedener Bedeutung, (theils blos objectiver, theils subjectiver) gebraucht wird; aber es ist, (um mit HUME zu reden,) als ob er den Durchbruch des Oceans mit einem Strohwisch stopfen wollte. Denn schon längst haben Philosophen diesen leicht missbrauchten Ausdruck verlassen, und die Streitfrage auf die Formel gebracht, die jene allgemeiner ausdrückt: ob die Begebenheiten in der Welt, (worunter auch unsere willkührlichen Handlungen gehören,) in der Reihe der vorhergehenden wirkenden Ursachen bestimmt seien, oder nicht; und da ist es offenbar nicht mehr Wortstreit, sondern ein wichtiger, durch dogmatische Metaphysik niemals zu entscheidender Streit. Dieses Kunststücks bedient sich der subtile Mann nun fast allenthalben in seinen Morgen

stunden, wo es mit der Auflösung der Schwierigkeiten nicht recht fort will; es ist aber zu besorgen, dass, indem er künstelt allenthalben Logomachie zu ergrübeln, er selbst dagegen in Logodädalie verfalle, über welche der Philosophie nichts Nachtheiligeres widerfahren kann.

Die zweite Maxime geht darauf hinaus, die Nachforschung der reinen Vernunft auf einer gewissen Stufe, (die lange noch nicht die höchste ist,) dem Scheine nach gesetzmässig zu hemmen und dem Frager kurz und gut den Mund zu stopfen. In den Morgenstunden S. 116 heisst es: ,Wenn ich euch sage, was ein Ding wirkt oder leidet, so fragt nicht weiter, was es ist? Wenn ich euch sage, was ihr euch von einem Dinge für einen Begriff zu machen habt, so hat die fernere Frage: was dieses Ding an sich selbst sei? weiter keinen Verstand" etc. Wenn ich aber doch, (wie in den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften gezeigt worden,) einsehe, dass wir von der körperlichen Natur nichts anderes erkennen, als den Raum, (der noch gar nichts Existirendes, sondern blos die Bedingung zu den Oertern ausserhalb einander, mithin zu blosen äusseren. Verhältnissen ist,) das Ding im Raume ausserdem, dass auch Raum in ihm (d. i. es selbst ausgedehnt) ist, keine andere Wirkung, als Bewegung, (Veränderung des Orts, mithin bloser Verhältnisse,) folglich keine andere Kraft oder leidende Eigenschaft, als bewegende Kraft und Beweglichkeit (Veränderung äusserer Verhältnisse) zu erkennen gibt; so mag mir MENDELSSOHN, oder jeder Andere an seiner Stelle doch sagen, ob ich glauben könne, ein Ding nach dem, was es ist, zu erkennen, wenn ich weiter nichts von ihm weiss, als dass es etwas sei, das in äusseren Verhältnissen ist, in welchem selbst äussere Verhältnisse sind, dass jene an ihm, und durch dasselbe an anderen verändert - werden können, so dass der Grund dazu (bewegende Kraft) in demselben liegt; mit einem Worte, ob, da ich nichts, als Beziehungen von Etwas kenne, auf etwas Anderes, davon ich gleichfalls nur äussere Beziehungen wissen kann, ohne dass mir irgend etwas Inneres gegeben ist oder gegeben werden kann, ob ich da sagen könne: ich habe einen Begriff vom Dinge an sich, und ob nicht die Frage ganz rechtmässig sei: was denn das Ding, das in allen diesen Verhältnissen das Subject ist, an sich selbst sei? Eben dieses lässt sich auch gar wohl an dem Erfahrungsbegriff unserer Seele darthun, dass er blose Erscheinungen des inneren Sinnes enthalte und noch nicht den bestimmten Begriff des Subjectes selbst; allein es würde mich hier in zu grosse Weitläuftigkeit führen.

Freilich, wenn wir Wirkungen eines Dinges kennten, die in der

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