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beschaffen sein müsse, welches doch hier der Fall mit Raum und Zeit ist. Dieses ist aber ganz begreiflich, sobald beide für nichts weiter, als formale Bedingungen unserer Sinnlichkeit, die Gegenstände aber blos für Erscheinungen gelten; denn alsdenn kann die Form der Erscheinung d. i. die reine Anschauung allerdings aus uns selbst d. i. a priori vorgestellt werden.

§. 12.

Um etwas zur Erläuterung und Bestätigung beizufügen, darf man nur das gewöhnliche und unumgänglich nothwendige Verfahren der Geometer ansehen. Alle Beweise von durchgängiger Gleichheit zweier gegebenen Figuren, (da eine in allen Stücken an die Stelle der andern gesetzt werden kann), laufen zuletzt darauf hinaus, dass sie einander decken; welches offenbar nichts Anderes, als ein auf der unmittelbaren Anschauung beruhender synthetischer Satz ist, und diese Anschauung muss rein und a priori gegeben werden, denn sonst könnte jener Satz nicht für apodiktisch gewiss gelten, sondern hätte nur empirische Gewissheit. Es würde nur heissen: man bemerkt es jederzeit so, und er gilt nur so weit, als unsere Wahrnehmung bis dahin sich erstreckt hat. Dass der vollständige Raum, (der selbst keine Grenze eines anderen Raumes mehr ist), drei Abmessungen habe, und Raum überhaupt auch nicht mehr derselben haben könne, wird auf den Satz gebaut, dass sich in einem Punkte nicht mehr, als drei Linien rechtwinklicht schneiden können; dieser Satz aber kann gar nicht aus Begriffen dargethan werden, sondern beruht unmittelbar auf Anschauung, und zwar reiner a priori, weil er apodiktisch gewiss ist; dass man verlangen kann, eine Linie solle ins Unendliche gezogen (in indefinitum), oder eine Reihe Veränderungen (z. B. durch Bewegung zurückgelegte Räume) solle ins Unendliche fortgesetzt werden, setzt doch eine Vorstellung des Raumes und der Zeit voraus, die blos an der Anschauung hängen kann, nämlich sofern sie an sich durch nichts begrenzt ist; denn aus Begriffen könnte sie nie geschlossen werden. Also liegen doch wirklich der Mathematik reine Anschauungen a priori zum Grunde, welche ihre synthetischen und apodiktisch geltenden Sätze möglich machen, und daher erklärt unsere transscendentale Deduction der Begriffe im Raum und Zeit zugleich die Möglichkeit einer reinen Mathematik, die ohne eine solche Deduction, und ohne dass wir annehmen: ,, alles, was unseren Sinnen gegeben werden mag, (den äusseren im Raume, dem inneren in der Zeit), werde von uns nur angeschaut, wie es uns erscheint, nicht wie

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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es an sich selbst ist,“ zwar eingeräumt, aber keinesweges eingesehen werden könnte.

§. 13.

Diejenigen, welche noch nicht von dem Begriffe loskommen können, als ob Raum und Zeit wirkliche Beschaffenheiten wären, die den Dingen an sich selbst anhingen, können ihre Scharfsinnigkeit an folgendem Paradoxon üben, und wenn sie dessen Auflösung vergebens versucht haben, wenigstens auf einige Augenblicke von Vorurtheilen frei, vermuthen, dass doch vielleicht die Abwürdigung des Raumes und der Zeit zu blosen Formen unserer sinnlichen Anschauung Grund haben möge.

Wenn zwei Dinge in allen Stücken, die an jedem für sich nur immer können erkannt werden, (in allen zur Grösse und Qualität gehörigen Bestimmungen) völlig einerlei sind, so muss doch folgen, dass eins in allen Fällen und Beziehungen an die Stelle des andern könne gesetzt werden, ohne dass diese Vertauschung den mindesten kenntlichen Unterschied verursachen würde. In der That verhält sich dies auch so mit ebenen Figuren in der Geometrie; allein verschiedene sphärische zeigen, ohnerachtet jener völligen inneren Uebereinstimmung, doch eine solche im äusseren Verhältniss, dass sich eine an die Stelle der andern gar nicht setzen lässt, z. B. zwei sphärische Triangel von beiden Hemisphären, die einen Bogen des Aequators zur gemeinschaftlichen Basis haben, können völlig gleich sein, in Ansehung der Seiten sowohl, als Winkel, so dass an keinem, wenn er allein und zugleich vollständig beschrieben wird, nichts angetroffen wird, was nicht zugleich in der Beschreibung des andern läge, und dennoch kann einer nicht an die Stelle des andern (nämlich auf dem entgegengesetzten Hemisphär) gesetzt werden; und hier ist denn doch eine innere Verschiedenheit beider Triangel, die kein Verstand als innerlich angeben kann, und die sich nur durch das äussere Verhältniss im Raume offenbart. Allein ich will gewöhnlichere Fälle anführen, die aus dem gemeinen Leben genommen werden können.

Was kann wohl meiner Hand oder meinem Ohr ähnlicher, und in allen Stücken gleicher sein, als ihr Bild im Spiegel? Und dennoch kann ich eine solche Hand, als im Spiegel gesehen wird, nicht an die Stelle ihres Urbildes setzen; denn wenn dieses eine rechte Hand war, so ist jene im Spiegel eine linke, und das Bild des rechten Ohres ist ein linkes, das nimmermehr die Stelle des ersteren vertreten kann. Nun sind hier keine inneren Unterschiede, die irgend ein Verstand nur denken könnte; und

dennoch sind die Unterschiede innerlich, so weit die Sinne lehren, denn die linke Hand kann mit der rechten, ohnerachtet aller beiderseitigen Gleichheit und Aehnlichkeit, doch nicht zwischen denselben Grenzen eingeschlossen sein, (sie können nicht congruiren;) der Handschuh der einen Hand kann nicht auf der andern gebraucht werden. Was ist nun die Auflösung? Diese Gegenstände sind nicht etwa Vorstellungen der Dinge, wie sie an sich selbst sind und wie sie der pure Verstand erkennen würde, sondern es sind sinnliche Anschauungen, d. i. Erscheinungen, deren Möglichkeit auf dem Verhältnisse gewisser an sich unbekannten Dinge zu etwas Anderem, nämlich unserer Sinnlichkeit beruht. Von dieser ist nun der Raum die Form der äusseren Anschauung, und die innere Bestimmung eines jeden Raumes ist nur durch die Bestimmung des äusseren Verhältnisses zu dem ganzen Raume, davon jener ein Theil ist, (dem Verhältnisse zum äusseren Sinne), d. i. der Theil ist nur durchs Ganze möglich, welches bei Dingen an sich selbst, als Gegenständen des blosen Verstandes niemals, wohl aber bei blosen Erscheinungen stattfindet. Wir können daher auch den Unterschied ähnlicher und gleicher, aber doch incongruenter Dinge (z. B. widersinnig gewundener Schnecken) durch keinen einzigen Begriff verständlich machen, sondern nur durch das Verhältniss zur rechten und linken Hand, welches unmittelbar auf Anschauung geht.

Anmerkung I.

Die reine Mathematik, und namentlich die reine Geometrie kann nur unter der Bedingung allein objective Realität haben, dass sie blos auf Gegenstände der Sinne geht, in Ansehung deren aber der Grundsatz feststeht: dass unsere sinnliche Vorstellung keinesweges eine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art sei, wie sie uns erscheinen. Daraus folgt, dass die Sätze der Geometrie nicht etwa Bestimmungen eines blosen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie, und also nicht mit Zuverlässigkeit auf wirkliche Gegenstände könnten bezogen werden, sondern dass sie nothwendiger Weise vom Raume, und darum auch von allem, was im Raume angetroffen werden mag, gelten, weil der Raum nichts Anderes ist, als die Form aller äusseren Erscheinungen, unter der uns allein Gegenstände der Sinne gegeben werden können. Die Sinnlichkeit, deren Form die Geometrie zum Grunde legt, ist das, worauf die Möglichkeit äusserer Erscheinungen beruht; diese also können niemals etwas Anderes enthalten, als was die Geometrie ihnen vorschreibt. Ganz anders würde es sein, wenn die Sinne die Objecte vorstellen müssten, wie sie an

sich selbst sind. Denn da würde aus der Vorstellung vom Raume, die der Geometer a priori mit allerlei Eigenschaften desselben zum Grunde legt, noch gar nicht folgen, dass alles dieses sammt dem, was daraus gefolgert wird, sich gerade so in der Natur verhalten müsse. Man würde den Raum des Geometers für blose Erdichtung halten und ihm keine objective Gültigkeit zutrauen; weil man gar nicht einsieht, wie Dinge nothwendig mit dem Bilde, das wir uns von selbst und zum voraus von ihnen machen, übereinstimmen müssten. Wenn aber dieses Bild, oder vielmehr diese formale Anschauung die wesentliche Eigenschaft unserer cretion Sinnlichkeit ist, vermittelst deren uns allein Gegenstände gegeben werden, diese Sinnlichkett aber nicht Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen vorstellt, so ist ganz leicht zu begreifen und zugleich unwidersprechlich bewiesen: dass alle äussere Gegenstände unserer Sinnenwelt nothwendig mit den Sätzen der Geometrie nach aller Pünktlichkeit übereinstimmen müssen, weil die Sinnlichkeit durch ihre Form äusserer Anschauung (den Raum), womit sich der Geometer beschäftigt, jene Gegenstände als blose Erscheinungen selbst allererst möglich macht. Es wird allemal ein bemerkungswürdiges Phänomen in der Geschichte der Philosophie bleiben, dass es eine Zeit gegeben hat, da selbst Mathematiker, die zugleich Philosophen waren, zwar nicht an der Richtigkeit ihrer geometrischen Sätze, sofern sie blos den Raum beträfen, aber an der objectiven Gültigkeit und Anwendung dieses Begriffs selbst und aller geometrischen Bestimmungen desselben auf Natur zu zweifeln anfingen, da sie besorgten, eine Linie in der Natur möchte doch wohl aus physischen Punkten, mithin der wahre Raum im Objecte aus einfachen Theilen bestehen, obgleich der Raum, den der Geometer in Gedanken hat, daraus keineswegs bestehen kann. Sie erkannten nicht, dass dieser Raum in Gedanken den physischen d. i. die Ausdehnung der Materie selbst möglich mache; dass dieser gar keine Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, sondern nur eine Form unserer sinnlichen Vorstellungskraft sei; dass alle Gegenstände im Raume blose Erscheinungen, d. i. nicht Dinge an sich selbst, sondern Vorstellungen unserer sinnlichen Anschauung seien, und da der Raum, wie ihn sich der Geometer denkt, ganz genau die Form der sinnlichen Anschauung ist, die wir a priori in uns finden und die den Grund der Möglichkeit aller äusseren Erscheinungen (ihrer Form nach) enthält, diese nothwendig und auf das Präciseste mit den Sätzen des Geometers, die er aus keinem erdichteten Begriff, sondern aus der subjectiven Grundlage aller äusseren Erscheinungen, nämlich der

Auf solche und

Sinnlichkeit selbst zieht, zusammen stimmen müssen. keine andere Art kann der Geometer wider alle Chicanen einer seichten Metaphysik wegen der ungezweifelten objectiven Realität seiner Sätze gesichert werden, so befremdend sie auch dieser, weil sie nicht bis zu den Quellen ihrer Begriffe zurückgeht, scheinen müssen.

Anmerkung II.

Alles, was uns als Gegenstand gegeben werden soll, muss uns in der Anschauung gegeben werden. Alle unsere Anschauung geschieht aber nur vermittelst der Sinne; der Verstand schaut nichts an, sondern reflectirt nur. Da nun die Sinne nach dem jetzt Erwiesenen uns niemals und in keinem einzigen Stück die Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen zu erkennen geben, diese aber blose Vorstellungen der Sinnlichkeit sind,,,so müssen auch alle Körper mitsammt dem Raume, darin sie sich befinden, für nichts, als blose Vorstellungen in uns gehalten werden, und existiren nirgend anders, als blos in unseren Gedanken." Ist dieses nun nicht der offenbare Idealismus ?

Der Idealismus besteht in der Behauptung, dass es keine anderen, als denkende Wesen gebe; die übrigen Dinge, die wir in der Anschauung wahrzunehmen glauben, wären nur Vorstellungen in den denkenden Wesen, denen in der That kein ausserhalb diesen befindlicher Gegenstand correspondirte. Ich dagegen sage: es sind uns Dinge als ausser uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen d. i. die Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne afficiren. Demnach gestehe ich allerdings, dass es ausser uns Körper gebe, d. i. Dinge, die, obzwar nach dem, was sie an sich selbst sein. mögen, uns gänzlich unbekannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr Einfluss auf unsere Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben, welches Wort also blos die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet. Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Es ist ja gerade das Gegentheil davon.

Dass man, unbeschadet der wirklichen Existenz äusserer Dinge von einer Menge ihrer Prädicate sagen könne: sie gehörten nicht zu diesen Dingen an sich selbst, sondern nur zu ihren Erscheinungen, und hätten ausser unserer Vorstellung keine eigene Existenz, ist etwas, was schon lange vor LOCKE's Zeiten, am meisten aber nach diesem allgemein ange

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