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Leipzig bei G. J. GOESCHEN. Versuch über den Grundsatz des Naturrechts - nebst einem Anhange, von GOTTLIEB HUFELAND, der Weltweisheit und beider Rechte Doctor.

1785.

In Wissenschaften, deren Gegenstand durch lauter Vernunftbegriffe gedacht werden muss, wie die es sind, welche die praktische Weltweisheit ausmachen, nicht blos zu den ersten Grundbegriffen und Grundsätzen zurückgehen, sondern, weil es diesen leicht an Zulässigkeit und objectiver Realität fehlen könnte, die selbst durch ihre Zulänglichkeit für einzelne - vorkommende Fälle noch nicht hinreichend bewiesen ist, ihre Quellen in dem Vernunftvermögen selbst aufsuchen, ist ein rühmliches Unternehmen, welchem sich Herr HUFELAND hier in Ansehung des Naturrechts unterzogen hat. Er stellt in zehn Abschnitten den Gegenstand des Naturrechts, die Entwickelung des Begriffs vom Recht, die nothwendigen Eigenschaften des Grundsatzes desselben, dann die verschiedenen Systeme hierüber und die Prüfung derselben, jene mit historischer Ausführlichkeit, diese mit kritischer Genauigkeit dar, wo man die Grundsätze eines Grotius, Hobbes, Pufendorf, Thomasius, Heinrich und Sam. von Cocceji, Wolf, Gundling, Beyer, Treuer, Köhler, Claproth, Schmauss, Achenwall, Sulzer, Feder, Eberhard, Platner, Mendelssohn, Garve, Höpfner, Ulrich, Zöllner, Hamann, Selle, Flatt, Schlettwein antrifft, und nicht leicht einen vermissen wird; welches dem, welcher gerne das Ganze alles bisher in diesem Fache Geschehenen übersehen und die allgemeine Musterung desselben anstellen möchte, eine angenehme Erleichterung ist. Er sucht die Ursachen dieser Verschiedenheit in Grundsätzen auf; setzt darauf die formalen Bedingungen des Naturrechts fest, leitet den Grundsatz desselben in einer von ihm selbst ausgedachten Theorie ab, bestimmt die Verbindlichkeit im Naturrecht näher, und vollendet dieses Werk durch die daraus gezogenen Folgerungen; denn im Anhange noch einige besondere Anwendungen jener Begriffe und Grundsätze beigefügt sind.

In einer so grossen Mannigfaltigkeit der Materien über einzelne Punkte Anmerkungen zu machen, würde ebenso weitschweifig, als unzweckmässig sein. Es mag also genug sein, den Grundsatz der Errichtung eines eigenen Systems, der dieses Werk charakterisirt, vom achten Abschnitte an auszuheben, und seine Quelle sowohl, als die Bestimmung anzuzeigen. Der Verfasser hält nämlich Principien, die blos die Form des freien Willens, unangesehen alles Objects, bestimmen, nicht für hinreichend zum praktischen Gesetze, und also, um Verbindlichkeit davon abzuleiten. Daher sucht er zu jenen formalen Regeln eine Materie, d. i. ein Object, welches, als der höchste Zweck eines vernünftigen Wesens, den ihm die Natur der Dinge vorschreibt, als ein Postulat angenommen werden könne, und setzt es in der Vervollkommnung desselben. Daher der oberste praktische Grundsatz: befördere die Vollkommenheit aller empfindenden, vorzüglich der vernünftigen Wesen, also auch deine eigene; woraus denn der Satz: verhindere die Verminderung derselben an Andern, vorzüglich an dir selbst, (sofern Andere davon die Ursache sein möchten,) welches Letztere einen Widerstand, mithin einen Zwang offenbar in sich schliesst.

Das Eigenthümliche des Systems unseres Verfassers besteht nun darin, dass er den Grund alles Naturrechts und aller Befugniss in einer vorhergehenden natürlichen Verbindlichkeit setzt, und dass der Mensch darum befugt sei, Andere zu zwingen, weil er hiezu (nach dem letzten Theile des Grundsatzes) verbunden ist; anders, glaubt er, könne die Befugniss zum Zwange nicht erklärt werden. Ob er nun gleich die ganze Wissenschaft natürlicher Rechte auf Verbindlichkeiten gründet, so warnt er doch, darunter nicht die Verbindlichkeit Anderer, unserem Rechte eine Genüge zu leisten, zu verstehen; (HOBBES merkt schon an, dass, wo der Zwang unsere Ansprüche begleitet, keine Verbindlichkeit Anderer, sich diesem Zwange zu unterwerfen, mehr gedacht werden könne.) Hieraus schliesst er, dass die Lehre von den Verbindlichkeiten im Naturrecht überflüssig sei und oft missleiten könne. Hierin tritt Recensent dem Verfasser gerne bei. Denn die Frage ist hier nur, unter welchen Bedingungen ich den Zwang ausüben könne, ohne den allgemeinen Grundsätzen des Rechts zu widerstreiten; ob der Andere nach ebendenselben Grundsätzen sich passiv verhalten oder reagiren dürfe, ist seine Sache zu untersuchen, so lange nämlich alles im Naturzustande betrachtet wird; denn im bürgerlichen ist dem Richterspruche, der das Recht dem einen Theile zuerkennt, jederzeit eine Verbindlichkeit des Gegners correspondirend.

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Auch hat diese Bemerkung im Naturrecht ihren grossen Nutzen, um den eigentlichen Rechtsgrund nicht durch Einmengung ethischer Fragen zu verwirren. Allein, dass die Befugniss zu zwingen sogar eine Verbindlichkeit dazu, welche uns von der Natur selbst auferlegt sei, durchaus zum Grunde haben müsse, das scheint Recensenten nicht klar zu sein vornehmlich weil der Grund mehr enthält, als zu jener Folge nöthig ist. Denn daraus scheint zu folgen, dass man von seinem Rechte nichts nachlassen könne, wozu uns ein Zwang erlaubt ist, weil diese Erlaubniss auf einer innern Verbindlichkeit beruht, sich durchaus, und mithin allenfalls mit Gewalt, die uns gestrittene Vollkommenheit zu erringen. Es scheint auch, dass, nach dem angenommenen Richtmaasse der Befugniss, die Beurtheilung dessen, wozu ich ein Recht habe, selbst in den gemeinsten Fällen des Lebens so künstlich ausfallen müsse, dass selbst der geübteste Verstand sich in continuirlicher Verlegenheit, wo nicht gar in der Unmöglichkeit befinden würde, mit Gewissheit auszumachen, wie weit sich sein Recht erstrecke. Von dem Rechte zum Ersatz behauptet der Verfasser, dass es im blosen Naturstande als Zwangsrecht nicht stattfinde; doch gesteht er, dass er es blos darum aufgebe, weil er es nicht beweisen zu können glaubt. In ebendemselben Zustande räumt er auch keine Zurechnung ein, weil da kein Richter angetroffen wird. Einige Fingerzeige zur Anwendung gibt der Herr Verfasser im Anhange: wo er von der ersten Erwerbung, von der durch Verträge, vom Staats- und Völkerrechte handelt, und zuletzt eine neue nothwendige Wissenschaft vorschlägt, welche die Lücke zwischen dem Natur- und possitiven Rechte ausfüllen könne. Man kann nicht in Abrede ziehen, dass in diesem Werke viel Neues, Tiefgedachtes und zugleich Wahres, enthalten sei, überall aber etwas, das zur Entdeckung des Kriterii der Wahrheit in Sätzen des Naturrechts und der Grenzbestimmung des eigenthümlichen Bodens desselben vorbereitet und Anleitung gibt. Doch rechnet Recensent noch sehr auf den fortgesetzten Gebrauch, den der Verfasser noch künftig in seinen Lehrstunden von seinem Grundsatze machen wird. Denn diese Art von Experiment ist in keiner Art von Erkenntniss aus blosen Begriffen nöthiger, und dabei doch so thunlich, als in Fragen über das Recht, das auf bloser Vernunft beruht; Niemand aber kann dergleichen Versuch mannigfaltiger und ausführlicher anstellen, als der, welcher sein angenommenes Princip an so viel Folgerungen, als ihm das ganze System, das er öfters durchgehen muss, darbietet, zu prüfen Gelegenheit hat. Es wäre unschicklich, Einwürfe wider eine Schrift aufzustellen, die sich auf

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das besondere System gründen, das sich der Recensent über ebendenselben Gegenstand gemacht hat; seine Befugniss erstreckt sich nicht weiter, als nur auf die Prüfung der Zusammenstimmung der vorgetragenen Sätze untereinander, oder mit solchen Wahrheiten, die er als vom Verfasser zugestanden annehmen kann. Daher können wir nichts weiter hinzufügen, als dass gegenwärtige Schrift den lebhaften und forschenden Geist des Verfassers, von welchem sich in der Folge viel erwarten lässt, beweise, und eine ähnliche Bearbeitung, in dieser sowohl, als in andern Vernunft wissenschaften, die Principien sorgfältig zu berichtigen, dem Geschmacke und vielleicht auch dem Berufe dieses Zeitalters angemessen und daher allgemein anzupreisen sei.

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