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a priori in unserer Vernunft liegenden praktischen Grundsätze zu erforschen, sondern weil die Sitten selber allerlei Verderbniss unterworfen bleiben, so lange jener Leitfaden und oberste Norm ihrer richtigen Beurtheilung fehlt Denn bei dem, was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, dass es dem sittlichen Gesetze gemäss sei, sondern es muss auch um desselben willen geschehen; widrigenfalls ist jene Gemässheit nur sehr zufällig und misslich, weil der unsittliche Grund zwar dann und wann gesetzmässige, mehrmalen aber gesetzwidrige Handlungen hervorbringen wird. Nun ist aber das sittliche Gesetz, in seiner Reinigkeit und Aechtheit, (woran eben im Praktischen am meisten gelegen ist,) nirgend anders, als in einer reinen Philosophie zu suchen, also muss diese (Metaphysik) vorangehen, und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie geben; selbst verdient diejenige, welche jene reinen Principien unter die empirischen mischt, den Namen einer Philosophie nicht, (denn dadurch unterscheidet diese sich eben von der gemeinen Vernunfterkenntniss, dass sie, was diese nur vermengt begreift, in abgesonderter Wissenschaft vorträgt,) viel weniger einer Moralphilosophie, weil sie eben durch diese Vermengung sogar der Reinigkeit der Sitten selbst Abbruch thut und ihrem eigenen Zwecke zuwider verfährt.

Man denke doch ja nicht, dass man das, was hier gefordert wird, schon an der Propädeutik des berühmten WOLF vor seiner Moralphilosophie, nämlich der von ihm so genannten allgemeinen praktischen Weltweisheit, habe, und hier also nicht eben ein ganz neues Feld einzuschlagen sei. Eben darum, weil sie eine allgemeine praktische Weltweisheit sein sollte, hat sie keinen Willen von irgend einer besondern Art, etwa einen solchen, der ohne alle empirische Bewegungsgründe, völlig aus Principien a priori, bestimmt werde und den man einen reinen Willen nennen könnte, sondern das Wollen überhaupt in Betrachtung gezogen, mit allen Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung zukommen, und dadurch unterscheidet sie sich von einer Metaphysik der Sitten, ebenso wie die allgemeine Logik von der Transscendentalphilosophie, von denen die erstere die Handlungen und Regeln des Denkens überhaupt, diese aber blos die besondern Handlungen und Regeln des reinen Denkens d. i. desjenigen, wodurch Gegenstände völlig a priori erkannt werden, vorträgt. Denn die Metaphysik der Sitten soll die Idee und die Principien eines möglichen reinen Willens untersuchen, und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche grösstentheils aus der Psycho

logie geschöpft werden. Dass in der allgemeinen praktischen Weltweisheit, (wiewohl wider alle Befugniss,) auch von moralischen Gesetzen und Pflicht geredet wird, macht keinen Einwurf wider meine Behauptung aus. Denn die Verfasser jener Wissenschaft bleiben ihrer Idee von derselben auch hierin treu; sie unterscheiden nicht die Bewegungsgründe, die, als solche, völlig a priori blos durch Vernunft vorgestellt werden und eigentlich moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand blos durch Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt, sondern betrachten sie, ohne auf den Unterschied ihrer Quellen zu achten, nur nach der grösseren oder kleineren Summe derselben, (indem sie alle als gleichartig angesehen werden,) und machen sich dadurch ihren Begriff von Verbindlichkeit, der freilich nichts weniger, als moralisch, aber doch so beschaffen ist, als es in einer Philosophie, die über den Ursprung aller möglichen praktischen Begriffe, ob sie auch a priori oder blos a posteriori stattfinden, gar nicht urtheilt, nur verlangt werden kann.

Im Vorsatze nun, eine Metaphysik der Sitten dereinst zu liefern, lasse ich diese Grundlegung vorangehen. Zwar gibt es eigentlich keine andere Grundlage derselben, als die Kritik einer reinen praktischen Vernunft, so wie zur Metaphysik die schon gelieferte Kritik der reinen speculativen Vernunft. Allein theils ist jene nicht von so äusserster Nothwendigkeit, als diese, weil die menschliche Vernunft im Moralischen, selbst beim gemeinsten Verstande, leicht zu grosser Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden kann, da sie hingegen im theoretischen, aber reinen Gebrauch ganz und gar dialektisch ist; theils erfordere ich zur Kritik einer reinen praktischen Vernunft, dass, wenn sie vollendet sein soll, ihre Einheit mit der speculativen in einem gemeinschaftlichen Princip zugleich müsse dargestellt werden können, weil es doch am Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die blos in der Anwendung unterschieden sein muss. Zu einer solchen Vollständigkeit konnte ich es aber hier noch nicht bringen, ohne Betrachtungen von ganz anderer Art herbeizuziehen und den Leser zu verwirren. Um deswillen habe ich mich, statt der Benennung einer Kritik der reinen praktischen Vernunft, der von einer Grundlegung zur Metaphysik der Sitten bedient.

Weil aber drittens auch eine Metaphysik der Sitten, ungeachtet des abschreckenden Titels, dennoch eines grossen Grades der Popularität und Angemessenheit zum gemeinen Verstande fähig ist, so finde ich für nütz

lich, diese Vorarbeitung der Grundlage davon abzusondern, um das Subtile, was darin unvermeidlich ist, künftig nicht fasslicheren Lehren beifügen zu dürfen.

Gegenwärtige Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung des obersten Princips der Moralität, welche allein ein, in seiner Absicht, ganzes und von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäft ausmacht. Zwar würden meine Behauptungen über diese wichtige und bisher bei weitem noch nicht zur Genugthuung erörterte Hauptfrage durch Anwendung desselben Princips auf das ganze System viel Licht, und durch die Zulänglichheit, die es allenthalben blicken lässt, grosse Bestätigung erhalten; allein ich musste mich dieses Vortheils begeben, der auch im Grunde mehr eigenliebig, als gemeinnützig sein würde, weil die Leichtigkeit im Gebrauche und die scheinbare Zulänglichkeit eines Princips keinen ganz sicheren Beweis von der Richtigkeit desselben abgibt, vielmehr eine gewisse Parteilichkeit erweckt, es nicht für sich selbst, ohne alle Rücksicht auf die Folge, nach aller Strenge zu untersuchen und zu wägen.

Ich habe meine Methode in dieser Schrift so genommen, wie ich glaube, dass sie die schicklichste sei, wenn man vom gemeinen Erkenutnisse zur Bestimmung des obersten Princips desselben analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Princips und den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntniss, darin sein Gebrauch angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Eintheilung ist daher so ausgefallen:

1) Erster Abschnitt: Uebergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniss zur philosophischen.

2) Zweiter Abschnitt: Uebergang von der populären Moralphilosophie zur Metaphysik der Sitten.

3) Dritter Abschnitt: Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft.

Erster Abschnitt.

Uebergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntniss zur

philosophischen.

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch ausser derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz und Urtheilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heissen mögen, oder Muth, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatze, als Eigenschaften des Temperaments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswerth; aber sie können auch äusserst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigenthümliche Beschaffenheit darum Charakter heisst, nicht gut ist. Mit den Glücksgaben ist es ebenso bewandt. Macht, Reichthum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustande, unter dem Namen der Glückseligkeit, machen Muth und hiedurch öfters auch Uebermuth, wo nicht ein guter Wille da· ist, der den Einfluss derselben auf's Gemüth, und hiemit auch das ganze Princip zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmässig mache; ohne zu erwähnen, dass ein vernünftiger und unparteiischer Zuschauer sogar am Anblicke eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerlassliche Bedingung selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint.

Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen selbst beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber demungeachtet keinen innern unbedingten Werth, sondern setzen immer noch einen guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie trägt, einschränkt und es nicht erlaubt, sie für schlecht

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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hin gut zu halten. Mässigung in Affecten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Ueberlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Theil vom innern Werthe der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären, (so unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden.) Denn ohne Grundsätze eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unseren Augen noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten werden.

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. i. an sich gut, und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen, als alles, was durch ihn zu Gunsten irgend einer Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zu Stande gebracht werden könnte. Wenngleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner grössten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille, (freilich nicht etwa ein bloser Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind,) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Werth in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Werthe weder etwas zusetzen, noch abnehmen. -Sie würde gleichsam nur die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können, oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht genug Kenner sind, auf sich zu ziehen, nicht aber um ihn Kennern zu empfehlen und seinen Werth zu bestimmen.

Es liegt gleichwohl in dieser Idee von dem absoluten Werthe des blosen Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben in Anschlag zu bringen, etwas so Befremdliches, dass, unerachtet aller Einstimmung selbst der gemeinen Vernunft mit derselben, dennoch ein Verdacht entspringen muss, dass vielleicht blos hochfliegende Phantasterei ingeheim zum Grunde liege, und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserem Willen Vernunft zur Regiererin beigelegt habe, falsch verstanden sein möge. Daher wollen wir diese Idee aus diesem Gesichtspunkte auf die Prüfung stellen.

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