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nehmen können, dass Metaphysik als Wissenscharft wirklich sei, wir doch mit Zuversicht sagen können, dass gewisse reine synthetische Erkenntnisse a priori wirklich und gegeben seien, nämlich reine Mathematik und reine Naturwissenschaft; denn beide enthalten Sätze, die theils apodiktisch gewiss durch blose Vernunft, theils durch die allgemeine Einstimmung aus der Erfahrung, und dennoch als von Erfahrung unabhängig durchgängig anerkannt werden. Wir haben also einige, wenigstens un bestrittene synthetische Erkenntniss a priori, und dürfen nicht fragen, ob sie möglich sei, (denn sie ist wirklich,) sondern nur: wie sie möglich sei, um aus dem Princip der Möglichkeit der gegebenen auch die Möglichkeit aller übrigen ableiten zu können.

Prolegomena.

Allgemeine Frage:

Wie ist Erkenntniss aus reiner Vernunft möglich?

§. 5.

Wir haben oben den mächtigen Unterschied der analytischen und synthetischen Urtheile gesehen. Die Möglichkeit analytischer Sätze konnte sehr leicht begriffen werden; denn sie gründet sich lediglich auf dem Satze des Widerspruchs. Die Möglichkeit synthetischer Sätze a prosteriori, d. i. solcher, welche aus der Erfahrung geschöpft werden, bedarf auch keiner besonderen Erklärung; denn Erfahrung ist selbst nichts Anderes, als eine continuirliche Zusammenfügung (Synthesis) der Wahrnehmungen. Es bleiben uns also nur synthetische Sätze a priori übrig, deren Möglichkeit gesucht oder untersucht werden muss, weil sie auf anderen Principien, als dem Satze des Widerspruchs beruhen muss.

Wir dürfen aber die Möglichkeit solcher Sätze hier nicht zuerst suchen, d. i. fragen, ob sie möglich seien. Denn es sind deren genug, und zwar mit unstreitiger Gewissheit wirklich gegeben, und da die Methode, die wir jetzt befolgen, analytisch sein soll, so werden wir davon anfangen, dass dergleichen synthetische, aber reine Vernunfterkenntniss wirklich sei; aber alsdenn müssen wir den Grund dieser Möglichkeit dennoch untersuchen und fragen: wie diese Erkenntniss möglich sei, damit wir aus den Principien ihrer Möglichkeit die Bedingungen ihres Gebrauchs, den Umfang und die Grenzen desselben zu bestimmen in Stand gesetzt

werden. Die eigentliche mit schulgerechter Präcision ausgedrückte Aufgabe, auf die alles ankommt, ist also:

Wie sind synthetische Sätze a priori möglich?

Ich habe sie oben, der Popularität zu Gefallen, etwas anders, nämlich als eine Frage nach dem Erkenntniss aus reiner Vernunft, ausgedrückt, welches ich diesesmal ohne Nachtheil der gesuchten Einsicht wohl thun konnte, weil, da es hier doch lediglich um die Metaphysik und deren Quellen zu thun ist, man nach den vorher gemachten Erinnerungen, sich, wie ich hoffe, jederzeit erinnern wird, dass, wenn wir hier von Erkenntniss aus reiner Vernunft reden, niemals von der analytischen, sondern lediglich der synthetischen die Rede sei.*

Auf die Auflösung dieser Aufgabe nun kommt das Stehen oder Fallen der Metaphysik, und also ihre Existenz gänzlich an. Es mag Jemand seine Behauptungen in derselben mit noch so grossem Schein vortragen, Schlüsse auf Schlüsse bis zum Erdrücken aufhäufen, wenn er nicht vorher jene Frage hat gnugthuend beantworten können, so habe ich Recht zu sagen: es ist alles eitele grundlose Philosophie und falsche Weisheit. Du sprichst durch reine Vernunft, und massest dir an, a priori Erkenntnisse gleichsam zu erschaffen, indem du nicht blos gegebene Begriffe zergliederst, sondern neue Verknüpfungen vorgibst, die nicht auf dem Satze des Widerspruchs beruhen, und die du doch so ganz unabhängig von aller Erfahrung einzusehen vermeinest; wie kommst du nun hiezu, und wie willst du dich wegen solcher Anmassungen rechtfertigen? Dich auf Beistimmung der allgemeinen Menschenvernunft zu berufen, kann dir nicht

* Es ist unmöglich zu verhüten, dass, wenn die Erkenntniss nach und nach weiter fortrückt, nicht gewisse schon classisch gewordne Ausdrücke, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her sind, in der Folge sollten unzureichend und übel anpassend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem alten in einige Gefahr der Verwechselung gerathen sollte. Analytische Methode, sofern sie der synthetischen entgegengesetzt ist, ist ganz was Anderes, als ein Inbegriff analytischer Sätze; sie bedeutet nur, dass man von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich. In dieser Lehrart bedient man sich öfters lauter synthetischer Sätze, wie die mathematische Analysis davon ein Beispiel gibt, und sie könnte besser die regressive Lehrart, zum Unterschiede von der synthetischen oder progressiven, heissen. Noch kommt der Name Analytik auch als ein Haupttheil der Logik vor, und da ist es die Logik der Wahrheit, und wird der Dialektik entgegengesetzt, ohne eigentlich darauf zu sehen, ob die zu jener gehörigen Erkenntnisse analytisch oder synthetisch seien.

gestattet werden; denn das ist ein Zeuge, dessen Ansehen nur auf dem öffentlichen Gerüchte beruht.

Quodcunque ostendis mihi sic, incredulus odi.

HORAT.

So unentbehrlich aber die Beantwortung dieser Frage ist, so schwer ist sie doch zugleich, und obzwar die vornehmste Ursache, weswegen man sie nicht schon längst zu beantworten gesucht hat, darin liegt, dass man sich nicht einmal hat einfallen lassen, dass so etwas gefragt werden könne, so ist doch eine zweite Ursache diese, dass eine gnugthuende Beantwortung dieser einen Frage ein weit anhaltenderes, tieferes und mühsameres Nachdenken erfordert, als jemals das weitläuftigste Werk der Metaphysik, das bei der ersten Erscheinung seinem Verfasser Unsterblichkeit versprach. Auch muss ein jeder einsehende Leser, wenn er diese Aufgabe nach ihrer Forderung sorgfältig überdenkt, Anfangs durch ihre Schwierigkeit erschreckt, sie für unauflöslich, und gäbe es nicht wirklich dergleichen reine synthetische Erkenntnisse a priori, sie ganz und gar für unmöglich halten, welches dem DAVID HUME wirklich begegnete, ob er sich zwar die Frage bei weitem nicht in solcher Allgemeinheit vorstellte, als es hier geschieht und geschehen muss, wenn die Beantwortung für die ganze Metaphysik entscheidend werden soll. Denn wie ist es möglich, sagte der scharfsinnige Mann, dass, wenn mir ein Begriff gegeben ist, ich über denselben hinausgehen und einen anderen damit verknüpfen kann, der in jenem gar nicht enthalten ist, und zwar so, als wenn dieser nothwendig zu jenem gehöre? Nur Erfahrung kann uns solche Verknüpfungen an die Hand geben, (so schloss er aus jener Schwierigkeit, die er für Unmöglichkeit hielt,) und alle jene vermeintliche Nothwendigkeit, oder welches einerlei ist, dafür gehaltene Erkenntniss a priori ist nichts, als eine lange Gewohnheit, etwas wahr zu finden, und daher die subjective Nothwendigkeit für objectiv zu halten.

Wenn der Leser sich über Beschwerde und Mühe beklagt, die ich ihm durch die Auflösung dieser Aufgabe machen werde, so darf er nur den Versuch anstellen, sie auf leichtere Art selbst aufzulösen. Vielleicht wird er sich alsdenn demjenigen verbunden halten, der eine Arbeit von so tiefer Nachforschung für ihn übernommen hat, und wohl eher über die Leichtigkeit, die nach Beschaffenheit der Sache der Auflösung noch hat gegeben werden können, einige Verwunderung merken lassen; auch hat es Jahre lang Bemühung gekostet, um diese Aufgabe in ihrer ganzen Allgemeinheit (in dem Verstande, wie die Mathematiker dieses Wort nehmen,

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nämlich hinreichend für alle Fälle) aufzulösen und sie auch endlich in analytischer Gestalt, wie der Leser sie hier antreffen wird, darstellen zu können.

Alle Metaphysiker sind demnach von ihren Geschäften feierlich und gesetzmässig so lange suspendirt, bis sie die Frage: wie sind synthetische Erkenntnisse a priori möglich? gnugthuend werden beantwortet haben. Denn in dieser Beantwortung allein besteht das Creditiv, welches sie vorzeigen mussten, wenn sie im Namen der reinen Vernunft etwas bei uns anzubringen haben; in Ermangelung desselben aber können sie nichts anderes erwarten, als von Vernünftigen, die so oft schon hintergangen worden, ohne alle weitere Untersuchung ihres Anbringens, abgewiesen zu werden.

Wollten sie dagegen ihr Geschäft nicht als Wissenschaft, sondern als eine Kunst heilsamer und dem allgemeinen Menschenverstande anpassender Ueberredungen treiben, so kann ihnen dieses Gewerbe nach Billigkeit nicht verwehrt werden. Sie werden alsdenn die bescheidene Sprache eines vernünftigen Glaubens führen, sie werden gestehen, dass es ihnen nicht erlaubt sei, über das, was jenseit der Grenzen aller möglichen Erfahrung hinaus liegt, auch nur einmal zu muthmassen, geschweige etwas zu wissen, sondern nur etwas (nicht zum speculativen Gebrauche, denn auf den müssen sie Verzicht thun, sondern lediglich zum praktischen) anzunehmen, was zur Leitung des Verstandes und Willens im Leben möglich und sogar unentbehrlich ist. So allein werden sie den Namen nützlicher und weiser Männer führen können, um desto mehr, je mehr sie auf den der Metaphysiker Verzicht thun; denn diese wollen speculative Philosophen sein, und da, wenn es um Urtheile a priori zu thun ist, man es auf schale Wahrscheinlichkeiten nicht aussetzen kann, (denn was dem Vorgeben nach a priori erkannt wird, wird eben dadurch als nothwendig angekündigt,) so kann es ihnen nicht erlaubt sein, mit Muthmassungen zu spielen, sondern ihre Behauptung muss Wissenschaft sein, oder sie ist überall gar nichts.

Man kann sagen, dass die ganze Transscendentalphilosophie, die vor aller Metaphysik nothwendig vorhergeht, selbst nichts Anderes, als blos die vollständige Auflösung der hier vorgelegten Frage sei, nur in systematischer Ordnung und Ausführlichkeit, und man habe also bis jetzt keine Transscendentalphilosophie. Denn was den Namen davon führt, ist eigentlich ein Theil der Metaphysik; jene Wissenschaft soll aber die Möglichkeit der letzteren zuerst ausmachen, und muss also vor aller Metaphysik

vorhergehen. Man darf sich also auch nicht wundern, da eine ganze und zwar aller Beihülfe aus anderen beraubte, mithin an sich ganz neue Wissenschaft nöthig ist, um nur eine einzige Frage hinreichend zu beantworten, wenn die Auflösung derselben mit Mühe und Schwierigkeit, ja sogar mit einiger Dunkelheit verbunden ist.

Indem wir jetzt zu dieser Auflösung schreiten, und zwar nach analytischer Methode, in welcher wir voraussetzen, dass solche Erkenntnisse aus reiner Vernunft wirklich seien, so können wir uns nur auf zwei Wissenschaften der theoretischen Erkenntniss, (als von der allein hier die Rede ist,) berufen, nämlich reine Mathematik und reine Naturwissenschaft, denn nur diese können uns die Gegenstände in der Anschauung darstellen, mithin, wenn etwa in ihnen eine Erkenntniss a priori vorkäme, die Wahrheit oder Uebereinstimmung derselben mit dem Objecte in concreto d. i. ihre Wirklichkeit zeigen, von der alsdenn zu dem Grunde ihrer Möglichkeit auf dem analytischen Wege fortgegangen werden könnte. Dies erleichtert das Geschäft sehr, in welchem die allgemeinen Betrachtungen nicht allein auf Facta angewandt werden, sondern sogar von ihnen ausgehen, anstatt dass sie in synthetischem Verfahren gänzlich in abstracto aus Begriffen abgeleitet werden müssen.

Um aber von diesen wirklichen und zugleich gegründeten reinen Erkenntnissen a priori zu einer möglichen, die wir suchen, nämlich einer Metaphysik als Wissenschaft, aufzusteigen, haben wir nöthig, das, was sie veranlasst, und als blos natürlich gegebene, obgleich wegen ihrer Wahrheit nicht unverdächtige Erkenntniss a priori jener zum Grunde liegt, deren Bearbeitung ohne alle kritische Untersuchung ihrer Möglichkeit gewöhnlicher Maassen schon Metaphysik genannt wird, mit einem Worte die Naturanlage zu einer solchen Wissenschaft unter unserer Hauptfrage mit zu begreifen, und so wird die transcendentale Hauptfrage in vier andere Fragen zertheilt nach und nach beantwortet werden.

1) Wie ist reine Mathematik möglich?

2) Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?

3) Wie ist Metaphysik überhaupt möglich?

4) Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Man sieht, dass, wenngleich die Auflösung dieser Aufgaben hauptsächlich den wesentlichen Inhalt der Kritik darstellen soll, sie dennoch auch etwas Eigenthümliches habe, welches auch für sich allein der Aufmerksamkeit würdig ist, nämlich zu gegebenen Wissenschaften die Quellen in der Vernunft selbst zu suchen, um dadurch dieser ihr Vermögen,

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