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IX.

Grundlegung

Zur

Metaphysik der Sitten.

1785.

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Die alte griechische Philosophie theilte sich in drei Wissenschaften ab: die Physik, die Ethik, und die Logik. Diese Eintheilung ist der Natur der Sache vollkommen angemessen, und man hat an ihr nichts zu verbessern, als etwa nur das Princip derselben hinzuzuthun, um sich auf solche Art theils ihrer Vollständigkeit zu versichern, theils die nothwendigen Unterabtheilungen richtig bestimmen zu können.

Alle Vernunfterkenntniss ist entweder material und betrachtet. irgend ein Object; oder formal und beschäftigt sich blos mit der Form?in's des Verstandes und der Vernunft selbst und den allgemeinen Regeln des Denkens überhaupt, ohne Unterschied der Objecte. Die formale Philosophie heist Logik, die materiale aber, welche es mit bestimmten Gegenständen und den Gesetzen zu thun hat, denen sie unterworfen sind, ist wiederum zwiefach. Denn diese Gesetze sind entweder Gesetze der Natur, oder der Freiheit. Die Wissenschaft von der ersten heisst Physik, die der andern ist Ethik; jene wird auch Naturlehre, diese Sittenlehre genannt.

Die Logik kann keinen empirischen Theil haben, d. i. einen solchen, da die allgemeinen und nothwendigen Gesetze des Denkens auf Gründen beruhten, die von der Erfahrung hergenommen wären; denn sonst wäre sie nicht Logik, d. i. ein Kanon für den Verstand oder die Vernunft, der bei allem Denken gilt und demonstrirt werden muss. Dagegen können sowohl die natürliche, als sittliche Weltweisheit, jede ihren empirischen Theil haben, weil jene der Natur als einem Gegenstande der Erfahrung, diese aber dem Willen des Menschen, sofern er durch die Natur afficirt wird, ihre Gesetze bestimmen muss, die ersteren zwar als Gesetze, nach denen alles geschieht, die zweiten als solche, nach denen alles geschehen

soll, aber doch auch mit Erwägung der Bedingungen, unter denen es öfters nicht geschieht.

Man kann alle Philosophie, sofern sie sich auf Gründe der Erfahrung fusst, empirische, die aber, so lediglich aus Principien a priori ihre Lehren vorträgt, reine Philosophie nennen. Die letztere, wenn sie blos formal ist, heisst Logik; ist sie aber auf bestimmte Gegenstände des Verstandes eingeschränkt, so heisst sie Metaphysik.

Auf solche Weise entspringt die Idee einer zwiefachen Metaphysik, einer Metaphysik der Natur und einer Metaphysik der Sitten. Die Physik wird also ihren empirischen, aber auch einen rationalen Theil haben; die Ethik gleichfalls; wiewohl hier der empirische Theil besonders praktische Anthropologie, der rationale aber eigentlich Moral heissen könnte.

Alle Gewerbe, Handwerke und Künste, haben durch die Vertheilung der Arbeiten gewonnen, da nämlich nicht Einer alles macht, sondern Jeder sich auf gewisse Arbeit, die sich ihrer Behandlungsweise nach von andern merklich unterscheidet, einschränkt, um sie in der grössten Vollkommenheit und mit mehrerer Leichtigkeit leisten zu können. Wo die Arbeiten so nicht unterschieden und vertheilt werden, wo Jeder ein Tausendkünstler ist, da liegen die Gewerbe noch in der grössten Barbarei. Aber ob dieses zwar für sich ein der Erwägung nicht unwürdiges Object wäre, zu fragen: ob die reine Philosophie in allen ihren Theilen nicht ihren besondern Mann erheische, und es um das Ganze des gelehrten Gewerbes nicht besser stehen würde, wenn die, so das Empirische mit dem Rationalen, dem Geschmacke des Publicums gemäss, nach allerlei ihnen selbst unbekannten Verhältnissen gemischt, zu verkaufen gewohnt sind, die sich Selbstdenker, Andere aber, die den blos rationalen Theil zubereiten, Grübler nennen, gewarnt würden, nicht zwei Geschäfte zugleich zu treiben, die in der Art, sie zu behandeln, gar sehr verschieden sind, zu deren jedem vielleicht ein besonderes Talent erfordert wird, und deren Verbindung in einer Person nur Stümper hervorbringt; so frage ich hier doch nur, ob nicht die Natur der Wissenschaft es erfordere, den empirischen von dem rationalen Theil jederzeit sorgfältig abzusondern, und vor der eigentlichen (empirischen) Physik eine Metaphysik der Natur, vor der praktischen Anthropologie aber eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müsste, um zu wissen, wie viel reine Vernunft in beiden Fällen leisten könne, und aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung a priori schöpfe,

es mag übrigens das letzterer Geschäft von allen Sittenlehrern, (deren Name Legion heisst,) oder nur von einigen, die Beruf dazu fühlen, ge trieben werden.

Da meine Absicht hier eigentlich auf die sittliche Weltweisheit gerichtet ist, so schränke ich die vorgelegte Frage nur darauf ein: ob man nicht meine, dass es von der äussersten Nothwendigkeit sei, einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig gesäubert wäre; denn dass es eine solche geben müsse, leuchtet von selbst aus der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein. Jedermann muss eingestehen, dass ein Gesetz, wenn es moralisch d. i. als Grund einer Verbindlichkeit gelten soll, absolute Nothwendigkeit bei sich führen müsse; dass das Gebot: du sollst nicht lügen, nicht etwa blos für Menschen gelte, andere vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten; und so alle übrige eigentliche Sittengesetze; dass mithin der Grund der Verbindlichkeit hier nicht in der Natur des Menschen oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist, gesucht werden müsse, sondern a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft, und dass jede andere Vorschrift, die sich auf Principien der blosen Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissem Betracht allgemeine Vorschrift, sofern sie sich dem mindesten Theile, vielleicht nur einem Bewegungsgrunde nach, auf empirische Gründe stützt, zwar eine praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heissen kann.

Also unterscheiden sich die moralischen Gesetze, sammt ihren Principien, unter allem praktischen Erhenntnisse von allem Uebrigen, darin irgend etwas Empirisches ist, nicht allein wesentlich, sondern alle Moralphilosophie beruht gänzlich auf ihrem reinen Theil, und, auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das Mindeste von der Kenntniss desselben (Anthropologie), sondern gibt ihm, als vernünftigem Wesen, Gesetze a priori, die freilich noch durch Erfahrung geschärfte Urtheilskraft erfordern, um theils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, theils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigungen afficirt, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel in concreto wirksam zu machen.

Eine Metaphysik der Sitten ist also unentbehrlich nothwendig, nicht blos aus einem Bewegungsgrunde der Speculation, um die Quelle der

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