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nur in der Metaphysik selbst, nicht aber ausser ihr, in den reinen Vernunftgesetzen überhaupt suchten, diese Eintheilung, die sich von selbst darzubieten scheint, vernachlässigten, und wie der berühmte WOLF, oder der seinen Fusstapfen folgende scharfsinnige BAUMGARTEN den Beweis von dem Satze des zureichenden Grundes, der offenbar synthetisch ist, im Satze des Widerspruchs suchen konnten. Dagegen treffe ich schon in LOCKE'S Versuchen über den menschlichen Verstand einen Wink zu dieser Eintheilung an. Denn im vierten Buch, dem dritten Hauptstück, §. 9 u. f., nachdem er schon vorher von der verschiedenen Verknüpfung der Vorstellungen in Urtheilen und deren Quellen geredet hatte, wovon er die eine in der Identität oder Widerspruch setzt (analytische Urtheile), die andere aber in der Existenz der Vorstellungen in einem Subject (synthetische Urtheile), so gesteht er §. 10, dass unsere Erkenntniss (a priori) von der letzteren sehr enge und beinahe gar nichts sei. Allein es herrscht in dem, was er von dieser Art der Erkenntniss sagt, so wenig Bestimmtes und auf Regeln Gebrachtes, dass man sich nicht wundern darf, wenn Niemand, sonderlich nicht einmal HUME Anlass daher genommen hat, über Sätze dieser Art Betrachtungen anzustellen. Denn dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Principien lernt man nicht leicht von Anderen, denen sie nur dunkel obgeschwebt haben. Man muss durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen sein, hernach findet man sie auch anderwärts, wo man sie gewiss nicht zuerst würde ange⚫troffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wussten, dass ihren eigenen Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzuspähen, wo es doch vorher Niemand sehen konnte.

Der Prolegomenen

allgemeine Frage:

Ist überall Metaphysik möglich?

§. 4.

Wäre Metaphysik, die sich als Wissenschaft behaupten könnte, wirk

lich, könnte man sagen: hier ist Metaphysik, die dürft ihr nur lernen, und

sie wird euch unwiderstehlich und unveränderlich von ihrer Wahrheit überzeugen; so wäre diese Frage unnöthig, und es bliebe nur diejenige übrig, die mehr eine Prüfung unserer Scharfsinnigkeit, als den Beweis von der Existenz der Sache selbst beträfe, nämlich: wie sie möglich sei, und wie Vernunft es anfange, dazu zu gelangen? Nun ist es der menschlichen Vernunft in diesem Falle so gut nicht geworden. Man kann kein einziges Buch aufzeigen, so wie man etwa einen EUKLID vorzeigt, und sagen: das ist Metaphysik, hier findet ihr den vornehmsten Zweck dieser Wissenschaft, das Erkenntniss eines höchsten Wesens und einer künftigen Welt, bewiesen aus Principien der reinen Vernunft. Denn man kann uns zwar viele Sätze aufzeigen, die apodiktisch gewiss sind und niemals bestritten worden; aber diese sind insgesammt analytisch und betreffen mehr die Materialien und den Bauzeug zur Metaphysik, als die Erweiterung der Erkenntniss, die doch unsere eigentliche Absicht mit ihr sein soll. (§. 2. lit. c.) Ob ihr aber gleich auch synthetische Sätze (z. B. den Satz des zureichenden Grundes) vorzeigt, die ihr niemals aus bloser Vernunft, mithin, wie doch eure Pflicht war, a priori bewiesen habt, die man euch aber doch gerne einräumt; so gerathet ihr doch, wenn ihr euch derselben zu eurem Hauptzwecke bedienen wollt, in so unstatthafte und unsichere Behauptungen, dass zu aller Zeit eine Metaphysik der anderen entweder in Ansehung der Behauptungen selbst oder ihrer Beweise widersprochen und dadurch ihren Anspruch auf daurenden Beifall selbst vernichtet hat. Sogar sind die Versuche, eine solche Wissenschaft zu Stande zu bringen, ohne Zweifel die erste Ursache des so früh entstandenen Skepticismus gewesen, einer Denkungsart, darin die Vernunft so gewaltthätig gegen sich selbst verfährt, dass diese niemals, als in völliger Verzweiflung an Befriedigung in Ansehung ihrer wichtigsten Absichten hätte entstehen können. Denn lange vorher, ehe man die Natur methodisch zu befragen anfing, befrug man blos seine abgesonderte Vernunft, die durch gemeine Erfahrung in gewisser Maasse schon geübt war; weil Vernunft uns doch immer gegenwärtig ist, Naturgesetze aber gemeiniglich mühsam aufgesucht werden müssen; und so schwamm Metaphysik oben auf, wie Schaum, doch so, dass, so wie der, den man geschöpft hatte, zerging, sich sogleich ein anderer auf der Oberfläche zeigte, den immer Einige begierig aufsammelten, wobei Andere, anstatt in der Tiefe die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, sich damit weise dünkten, dass sie die vergebliche Mühe der Ersteren belachten.

Das Wesentliche und Unterscheidende der reinen mathematischen

Erkenntniss von aller anderen Erkenntniss a priori ist, dass sie durchaus nicht aus Begriffen, sondern jederzeit nur durch die Construction der Begriffe (Kritik S. 713)1 vor sich gehen muss. Da sie also in ihren Sätzen über den Begriff zu demjenigen, was die ihm correspondirende Anschauung enthält, hinausgehen muss; so können und sollen ihre Sätze auch niemals durch Zergliederung der Begriffe d. i. analytisch entspringen, und sind daher insgesammt synthetisch.

Ich kann aber nicht umhin, den Nachtheil zu bemerken, den die Vernachlässigung dieser sonst leichten und unbedeutend scheinenden Beobachtung der Philosophie zugezogen hat. HUME, als er den eines Philosophen würdigen Beruf fühlte, seine Blicke auf das ganze Feld der reinen Erkenntniss a priori zu werfen, in welchem sich der menschliche Verstand so grosse Besitzungen anmasst, schnitt unbedachtsamer Weise eine ganze und zwar die erheblichste Provinz derselben, nämlich reine Mathematik, davon ab, in der Einbildung, ihre Natur, und so zu reden ihre Staatsverfassung, beruhe auf ganz andern Principien, nämlich lediglich auf dem Satze des Widerspruchs, und ob er zwar die Eintheilung der Sätze nicht so förmlich und allgemein, oder unter der Benennung gemacht hatte, als es von mir hier geschieht, so war es doch gerade so viel, als ob er gesagt hätte: reine Mathematik enthält blos analytische Sätze, Metaphysik aber synthetische a priori. Nun irrte er hierin gar sehr, und dieser Irrthum hatte auf seinen ganzen Begriff entscheidend nachtheilige Folgen. Denn wäre das von ihm nicht geschehen, so hätte er seine Frage, wegen des Ursprungs unserer synthetischen Urtheile, weit über seinen metaphysischen Begriff der Causalität erweitert und sie auch auf die Möglichkeit der Mathematik a priori ausgedehnt; denn diese musste er ebensowohl für synthetisch annehmen. Alsdenn aber hätte er seine metaphysischen Sätze keinesweges auf blose Erfahrung gründen können, weil er sonst die Axiome der reinen Mathematik ebenfalls der Erfahrung unterworfen haben würde, welches zu thun er viel zu einsehend war. Die gute Gesellschaft, worin Metaphysik alsdenn zu stehen gekommen wäre, hätte sie wider die Gefahr einer schnöden Misshandlung gesichert, denn die Streiche, welche der letzteren zugedacht waren, hätten die erstere auch treffen müssen, welches aber seine Meinung nicht war, auch nicht sein konnte; und so wäre der scharfsinnige Mann in Betrachtungen gezogen worden, die denjenigen hätten ähnlich werden müssen, womit wir uns jetzt beschäftigen, die aber

1 Vgl. die Anmerkung zu S. 14.

durch seinen unnachahmlich schönen Vortrag unendlich würden gewonnen haben.

Eigentlich metaphysische Urtheile sind insgesammt synthetisch. Man muss zur Metaphysik gehörige von eigentlich metaphysischen Urtheilen unterscheiden. Unter jenen sind sehr viele analytisch, aber sie machen nur die Mittel zu metaphysischen Urtheilen aus, auf die der Zweck der Wissenschaft ganz und gar gerichtet ist, und die allemal synthetisch sind. Denn wenn Begriffe zur Metaphysik gehören, z. B. der von Substanz, so gehören die Urtheile, die aus der blosen Zergliederung derselben entspringen, auch nothwendig zur Metaphysik, z. B. Substanz ist dasjenige, was nur als Subject existirt etc., und vermittelst mehrerer dergleichen analytischen Urtheile suchen wir der Definition der Begriffe nahe zu kommen. Da aber die Analysis eines reinen Verstandesbegriffs, (dergleichen die Metaphysik enthält,) nicht auf andere Art vor sich geht, als die Zergliederung jedes anderen auch empirischen Begriffs, der nicht in die Metaphysik gehört, (z. B. Luft ist eine elastische Flüssigkeit, deren Elasticität durch keinen bekannten Grad der Kälte aufgehoben wird,) so ist zwar der Begriff, aber nicht das analytische Urtheil eigenthümlich metaphysisch; denn diese Wissenschaft hat etwas Besonderes und ihr Eigenthümliches in der Erzeugung ihrer Erkenntnisse a priori; die also von dem, was sie mit allen anderen Verstandeserkenntnissen gemein hat, muss unterschieden werden; so ist z. B. der Satz: alles, was in den Dingen Substanz ist, ist beharrlich, ein synthetischer und eigenthümlich metaphysischer Satz.

Wenn man die Begriffe a priori, welche die Materie der Metaphysik und ihr Bauzeug ausmachen, zuvor nach gewissen Principien gesammelt hat, so ist die Zergliederung dieser Begriffe von grossem Werthe; auch kann dieselbe als ein besonderer Theil (gleichsam als philosophia definitiva), der lauter analytische zur Metaphysik gehörige Sätze enthält, von allen synthetischen Sätzen, die die Metaphysik selbst ausmachen, abgesondert vorgetragen werden. Denn in der That haben jene Zergliederungen nirgend anders einen beträchtlichen Nutzen, als in der Metaphysik, d. i. in Absicht auf die synthetischen Sätze, die aus jenen zuerst zergliederten Begriffen sollen erzeugt werden.

Der Schluss dieses Paragraphs ist also: dass Metaphysik es eigentlich mit synthetischen Sätzen a priori zu thun habe, und diese allein ihren Zweck ausmachen, zu welchem sie zwar allerdings mancher Zergliederungen ihrer Begriffe, mithin analytischer Urtheile bedarf, wobei aber das

Verfahren nicht anders ist, als in jeder anderen Erkenntnissart, wo man seine Begriffe durch Zergliederung blos deutlich zu machen sucht. Allein die Erzeugung der Erkenntniss a priori sowohl der Anschauung, als Begriffen nach, endlich auch synthetischer Sätze a priori, und zwar im philosophischen Erkenntnisse, machen den wesentlichen Inhalt der Metaphysik aus.

Ueberdrüssig also des Dogmatismus, der uns nichts lehrt, und zugleich des Skepticismus, der uns gar überall nichts verspricht, auch nicht einmal den Ruhestand einer erlaubten Unwissenheit, aufgefordert durch die Wichtigkeit der Erkenntniss, deren wir bedürfen, und misstrauisch durch lange Erfahrung in Ansehung jeder, die wir zu besitzen glauben, oder die sich uns unter dem Titel der reinen Vernunft anbietet, bleibt uns nur noch eine kritische Frage übrig, nach deren Beantwortung wir unser künftiges Betragen einrichten können: ist überall Metaphysik möglich? Aber diese Frage muss nicht durch skeptische Einwürfe gegen gewisse Behauptungen einer wirklichen Metaphysik, (denn wir lassen jetzt noch keine gelten,) sondern aus dem nur noch problematischen Begriffe einer solchen Wissenschaft beantwortet werden.

In der Kritik der reinen Vernunft bin ich in Absicht auf diese Frage synthetisch zu Werke gegangen, nämlich so, dass ich in der reinen Vernunft selbst forschte, und in dieser Quelle selbst die Elemente sowohl, als auch die Gesetze ihres reinen Gebrauchs nach Principien zu bestimmen suchte. Diese Arbeit ist schwer und erfordert einen entschlossenen Leser, sich nach und nach in ein System hinein zu denken, was noch nichts als gegeben zum Grunde legt, ausser die Vernunft selbst, und also, ohne sich irgend auf ein Factum zu stützen, die Erkenntniss aus ihren ursprünglichen Keimen zu entwickeln sucht. Prolegomena sollen dagegen Vorübungen sein; sie sollen mehr anzeigen, was man zu thun habe, um eine Wissenschaft, wo möglich, zur Wirklichkeit zu bringen, als sie selbst vortragen. Sie müssen sich also auf etwas stützen, was man schon als zuverlässig kennt, von da man mit Zutrauen ausgehen und zu den Quellen aufsteigen kann, die man noch nicht kennt, und deren Entdeckung uns nicht allein das, was man wusste, erklären, sondern zugleich einen Umfang vieler Erkenntnisse, die insgesammt aus den nämlichen Quellen entspringen, darstellen wird. Das methodische Verfahren der Prolegomenen, vornehmlich derer, die zu einer künftigen Metaphysik vorbereiten sollen, wird also analytisch sein.

Es trifft sich aber glücklicher Weise, dass, ob wir gleich nicht an

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