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2. Wunder ist eine Begebenheit, deren Grund nicht in der Natur zu finden ist. Es ist entweder miraculum rigorosum, das in einem Dinge ausser der Welt (also nicht in der Natur) seinen Grund hat; oder miraculum comparativum, das zwar seinen Grund in einer Natur hat, aber in einer solchen, deren Gesetze wir nicht kennen; von der letztern Art sind die Dinge, die man den Geistern zuschreibt. Miraculum rigorosum ist entweder materiale, wo auch die Kraft, die das Wunder hervorbrachte, ausserhalb der Welt ist, oder formale, wo die Kraft zwar in der Welt, die Bestimmung derselben aber ausserhalb der Welt sich findet; z. B. wenn man das Austrocknen des rothen Meeres beim Durchgang der Kinder Israel für ein Wunder hielt, so ist es ein miraculum materiale, wenn man es für eine unmittelbare Wirkung der Gottheit ausgibt, hingegen ein miraculum formale, wenn man es durch einen Wind austrocknen lässt, der aber durch die Gottheit gesandt wurde.

Ferner ist das miraculum entweder occasionale, oder praestabilitum. Im ersten Falle nimmt man an, die Gottheit sei unmittelbar ins Mittel getreten; im andern aber lässt man die Begebenheit durch eine Reihe von Ursachen und Wirkungen hervorgebracht werden, die alle dieser einzigen Begebenheit wegen da sind.

3. Widerlegung des problematischen Idealismus.

Man theilt den Idealismus in den problematischen (den des CARTESIUS) und in den dogmatischen (den des BERKELEY). Der letzte leugnet das Dasein aller Dinge ausser dem des Behauptenden; der erste hingegen sagt blos, dass man dasselbe nicht beweisen könne. Wir wollen uns hier blos auf den problematischen Idealismus einschränken.

Der problematische Idealist gibt zu, dass wir Veränderungen durch unsern innern Sinn wahrnehmen, er leugnet aber, dass man darum auf das Dasein äusserer Gegenstände im Raum schliessen könne, weil der Schluss von einer Wirkung auf eine bestimmte Ursache nicht gültig sei.

Veränderung des innern Sinnes oder innere Erfahrung wird also von dem Idealisten zugegeben, und wenn man ihn daher widerlegen will, SO kann dies nicht anders geschehen, als dass man ihm zeigt, diese innere Erfahrung oder, welches einerlei ist, das empirische Bewusstsein meines Daseins setze äussere Wahrnehmung voraus,

Man muss hier das transscendentale und empirische Bewusstsein wohl unterscheiden; jenes ist das Bewusstsein Ich denke und geht aller Erfahrung vorher, indem es sie erst möglich macht. Dies transscendentale Bewusstsein liefert uns aber keine Erkenntniss unserer Selbst; denn Erkenntniss unserer Selbst ist die Bestimmung unseres Daseins in der Zeit, und soll dies geschehen, so muss ich meinen innern Sinn afficiren. Ich denke z. B. über die Gottheit nach und verbinde mit diesen Gedanken das transscendentale Bewusstsein, (denn sonst würde ich nicht denken können,) ohne mich mir dabei doch in der Zeit vorzustellen, welches geschehen müsste, wenn ich mir dieser Vorstellung durch meinen innern Sinn bewusst wäre. Geschehen Eindrücke auf meinen innern Sinn, so setzt dies voraus, dass ich mich selbst afficire, (ob es gleich uns unerklärbar ist, wie dies zugeht,) und so setzt also das empirische Bewusstsein das transscendentale voraus.

In unserm innern Sinn wird unser Dasein in der Zeit bestimmt und setzt also die Vorstellung der Zeit selbst voraus; in der Zeit aber ist die Vorstellung des Wechsels enthalten; Wechsel setzt etwas Beharrliches voraus, woran es wechselt und welches macht, dass der Wechsel wahrgenommen wird. Die Zeit selbst ist zwar beharrlich, aber sie kann allein nicht wahrgenommen werden; folglich muss es ein Beharrliches geben, woran man den Wechsel in der Zeit wahrnehmen kann. Dies Beharrliche können wir selbst nicht sein, denn wir sind eben als Gegenstand des innern Sinnes durch die Zeit bestimmt; es kann also das Beharrliche blos in dem, was durch den äussern Sinn gegeben wird, gesetzt werden. So setzt also Möglichkeit der innern Erfahrung Realität des äussern Sinnes voraus. Denn gesetzt, man wollte sagen, auch die Vorstellung des durch den äussern Sinn gegebenen Beharrlichen sei blos durch den innern Sinn gegebene Wahrnehmung, die nur durch die Einbildungskraft als durch den äussern Sinn gegeben vorgestellt wird, SO würde es doch überhaupt (wenn auch gleich nicht für uns) möglich sein müssen, sich derselben als zum innern Sinn gehörig bewusst zu werden, d. h. es würde möglich sein, den Raum sich als eine Zeit (nach einer Dimension) vorzustellen, welches sich selbst widerspricht. Es hat also der äussere Sinn Realität, weil ohne ihn der innere Sinn nicht möglich ist. Hieraus scheint zu folgen, dass wir unser Dasein in der Zeit immer nur im Commercio erkennen.

4. Ueber particuläre Providenz.

Wir können uns keine Einrichtung nach Zwecken als bei dem Zufälligen denken; folglich kann die göttliche Vorsehung sich nur beim Zufälligen beweisen, und es ist ungereimt, sie auf das Nothwendige auszudehnen. Es entsteht nun die Frage: sorgt Gott blos für das Allgemeine, oder auch für das Besondere? Wir nehmen die Frage in dem Sinn: hat Gott nur blos einen grossen allgemeinen Zweck, dem alles untergeordnet sein muss, oder hat er sich mehrere einzelne Zwecke vorgesetzt, die zusammengenommen einen Zweck ausmachen? Man muss die erste Frage bejahen, die andere verneinen; denn ich kann es mir nicht vorstellen, wie mehrere Zwecke zusammengenommen einen ausmachen; unsere Vernunft geht vielmehr den entgegengesetzten Weg und nimmt eins an, von dem sie auf mehrere heruntersteigt; dessen ungeachtet können mehrere Beschaffenheiten als zweckmässig gedacht werden, ohne jedoch wegen eines besondern Zweckes da zu sein. Alles, was in der Welt geschieht, muss zwar dem grossen alleinigen Zweck nicht entgegen sein; allein ich kann mir nicht vorstellen, dass es selbst wieder eines besondern Zweckes wegen da sei; denn nähme man das Letztere

an,

so würde man in grosse Verwirrung gerathen, weil nicht blos der Willkühr zu viel überlassen bleibt, sondern auch eine Sache um mehrerer Zwecke willen da sein würde, welches unmöglich ist, da ein Zweck den zureichenden Grund eines Dinges enthalten muss und ein Grund doch nicht mehr als zureichend sein kann. Z. B. die Luft ist zum Leben nothwendig; sieht man nun das Leben der Geschöpfe als den Zweck der Luft an, so wird dies als der zureichende Grund derselben gedacht. Die Luft dient aber auch zum Sprechen; doch muss man nicht sagen, das Sprechen sei der Zweck derselben; denn sonst würde sie zwei zureichende Gründe haben. Die Luft ist zum Sprechen zweekmässig; das heisst aber keineswegs, das Sprechen sei der Zweck der Luft, weil dies sagen würde, das Sprechen sei der zureichende Grund, weshalb die Luft geschaffen sei. Sehr oft meint man, es seien Dinge als Mittel zu Zwecken hervorgebracht, die offenbar blos mechanischen Ursprungs sind; z. B. wenn man sagt: der Continent ist Insel; er ist aber deshalb mit Meer umgeben, damit die Gemeinschaft unter den Menschen erleichtert werde, so begeht man gewiss einen Fehler, indem deutliche Spuren vorhanden sind, dass die jetzige Beschaffenheit der Erde eine blose Wirkung mechanischer UrWendet man ein, dass, wenn alles blos Mittel zu dem

sachen ist.

einen grossen Zwecke der Gottheit ist, es dadurch nothwendig gemacht wird, und also die Zufälligkeit z. B. der Schicksale der Menschen aufhört, so muss man bedenken, dass bei Gott der Unterschied zwischen möglich, wirklich und nothwendig wegfällt.

5. Vom Gebet.

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Dem Gebete andere als natürliche Folgen beizulegen ist thöricht und bedarf keiner ausführlichen Widerlegung; man kann nur fragen: ist nicht das Gebet seiner natürlichen Folgen wegen beizubehalten? Zu diesen natürlichen Folgen zählt man, dass durchs Gebet die in der Seele vorhandenen dunkeln und verworrenen Vorstellungen deutlicher gemacht, oder ihnen ein höherer Grad der Lebhaftigkeit ertheilt werde, dass es den Beweggründen zur Tugend dadurch eine grössere Wirksamkeit ertheilt u. s. w. Hierbei ist nun erstlich zu merken, dass das Gebet aus den angeführten Gründen doch nur subjectiv zu empfehlen ist; denn derjenige, welcher die vom Gebete gerühmten Wirkungen auf eine andere Weise erreichen kann, wird desselben nicht nöthig haben. Ferner lehrt uns die Psychologie, dass sehr oft die Auseinandersetzung eines Gedanken die Wirkung schwächt, welche derselbe, da er noch im Ganzen und Grossen vorhanden, wenn gleich dunkel und unentwickelt, hervorbrachte. Aber endlich ist auch bei dem Gebete Heuchelei; denn der Mensch mag nun laut beten, oder seine Ideen innerlich in Worte auflösen, so stellt er sich die Gottheit als etwas vor, das den Sinnen gegeben werden kann, da sie doch blos ein Princip ist, das seine Vernunft ihn anzunehmen zwingt. Das Dasein einer Gottheit ist nicht bewiesen, sondern es wird postulirt, und es kann also blos dazu dienen, wozu die Vernunft gezwungen war, es zu postuliren. Denkt nun der Mensch: wenn ich zu Gott bete, so kann mir dies auf keinen Fall schaden; denn ist er nicht, gut, so habe ich des Guten zuviel gethan; ist er aber, so wird es mir nützen; so ist diese Prosopopöia Heuchelei, indem beim Gebet vorausgesetzt werden muss, dass derjenige, der es verrichtet, gewiss überzeugt. ist, dass Gott existirt. Daher kommt es auch, dass derjenige, welcher schon grosse Fortschritte im Guten gemacht hat, aufhört zu beten; denn Redlichkeit gehört zu seinen ersten Maximen; - ferner, dass diejenigen, welche man beten findet, sich schämen. In den öffentlichen Vorträgen an das Volk kann und muss das Gebet beibehalten werden, weil es wirklich

nun

506 Ueber d. Moment der Geschwindigkeit im Anfangsaugenblicke d. Falls.

rhetorisch von grosser Wirkung sein und einen grossen Eindruck machen kann, und man überdies in den Vorträgen an das Volk zu ihrer Sinnlichkeit sprechen und sich zu ihnen so viel wie möglich herablassen muss.

6. Ueber das Moment der Geschwindigkeit im Anfangsaugenblicke des Falls.

Man kann nicht sagen, ein Körper habe im Anfangsaugenblicke des Falls eine gewisse Geschwindigkeit und könne deren verschiedene haben; z. B. eine andere auf der Oberfläche der Sonne, eine andere auf der Oberfläche der Erde, sondern man kann ihm blos eine verschiedene Tendenz zur Bewegung beilegen. Man kann die Wahrheit dieses Satzes auf folgende Art darthun.

Es sei AB eine gewisse Zeit und ein Körper habe in derselben durch den Fall eine Geschwindigkeit BK erlangt; man mache BKKC oder BC=2BK, so wird derjenige Körper, welcher durch den Fall in der Zeit AB die Geschwindigkeit BC erlangt, im Anfangsaugenblicke ein doppelt so grosses Moment der Geschwindigkeit haben müssen. Man kann aber diese Momente nicht selbst schon Geschwindigkeit nennen; denn gesetzt, dies ginge an, so sei AD ein unendlich kleiner Theil der Zeit AB; dann ist für BK, DE, und für BC, DF das Moment; und DF=2 DE. Nimmt man nun AG=2AD, so wird, da AD: AG=DE:GH, GH= 2 DE und also GH=DF sein. Da ein Körper nicht eher eine Geschwindigkeit DF erlangen kann, bis er alle kleinern (hier also DE) durchgegangen ist, so wird eine gewisse Zeit dazu gehören, um DF zu erhalten. Das soll aber nicht sein, eben weil man DF als Moment betrachtet. Man muss daher das Moment der Geschwindigkeit nicht schon selbst als Geschwindigkeit betrachten, sondern blos als das Bestreben, einem Körper eine gewisse Geschwindigkeit mitzutheilen; nicht als extensive, sondern als intensive Grösse, die aber den Grund der extensiven Grösse enthält. Man darf aber auch nicht sagen, das Moment der Geschwindigkeit sei Null, weil sonst durch die Summirung derselben keine endliche Grösse entstehen würde.

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