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,,Diese kleinen Aufsätze theilte KANT dem Professor KIESEWETTER während seines zweimaligen Aufenthaltes (zuerst im Jahre 1788/89 und dann 1791) in Königsberg mit. KIESEWETTER hatte die Erlaubniss von KANT erhalten, einen Tag um den andern die Vormittagsstunden von 11 bis 12 Uhr bei ihm zuzubringen. Die Zeit wurde zu Unterredungen über philosophische Gegenstände, zu Erklärungen schwieriger Stellen in KANT'S Schriften, zu Beantwortung von Fragen verwandt, die KIESEWETTER Vorlegte, oder auch solcher, deren Beantwortung KANT in der vorhergegangenen Stunde als einen Gegenstand des Nachdenkens vorgeschlagen hatte. Dabei geschah es mehrere Male, dass KANT eigene kleine Aufsätze dem KIESEWETter mit nach Hause gab, um sie vorher für die nächste Unterredung durchzulesen. Oftmals theilte auch KANT nach längerer Besprechung eines Gegenstandes in der darauf folgenden Stunde den Inhalt seiner Behauptungen schriftlich mit. Zu solchen Aufsätzen gehören die hier zuerst durch den Druck mitgetheilten, von denen einige . . . in späteren Druckschriften mehr ausgeführt sind, aber dennoch im ersten Entwurf durch die lebhafte Frische der Gedanken ihr besonderes Interesse für die öffentliche Mittheilung besitzen. Ich lasse sie hier in der von KIESEWETTER bereits 1808 handschriftlich gemachten Reihenfolge abdrucken. Die Mittheilung derselben verdanke ich der zuvorkommenden Gewogenheit des Geheimen-Legationsraths VARNHAGEN von Ense.“

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F. W. SCHUBERT in J. KANT's sämmtl. W. herausgegeben v. K. ROSENKRANZ U. F. W. SCHUBERT Th. XI., Abth. 1. S. 260.

1. Beantwortung der Frage: ist es eine Erfahrung, dass wir denken ?

Eine empirische Vorstellung, deren ich mir bewusst bin, ist Wahrnehmung; das, was ich zu der Vorstellung der Einbildungskraft vermittelst der Auffassung und Zusammenfassung (comprehensio aesthetica) des Mannigfaltigen der Wahrnehmung denke, ist die empirische Erkenntniss des Objects, und das Urtheil, welches eine empirische Erkenntniss ausdrückt, ist Erfahrung.

Wenn ich mir a priori ein Quadrat denke, so kann ich nicht sagen, dieser Gedanke sei Erfahrung; wohl aber kann dieses gesagt werden, wenn ich eine schon gezeichnete Figur in der Wahrnehmung auffasse, und die Zusammenfassung des Mannigfaltigen derselben vermittelst der Einbildungskraft unter dem Begriff des Quadrats denke. In der Erfahrung und durch dieselbe werde ich vermittelst der Sinne belehrt; allein wenn ich ein Object der Sinne mir blos willkührlich denke, so werde ich von demselben nicht belehrt und hänge bei meiner Vorstellung in nichts vom Objecte ab, sondern bin gänzlich Urheber derselben.

Aber auch das Bewusstsein, einen solchen Gedanken zu haben, ist keine Erfahrung; eben darum, weil der Gedanke keine Erfahrung, Bewusstsein aber an sich nichts Empirisches ist. Gleichwohl aber bringt dieser Gedanke einen Gegenstand der Erfahrung hervor oder eine Bestimmung des Gemüths, die beobachtet werden kann, sofern es nämlich durch das Denkungsvermögen afficirt wird; ich kann daher sagen: ich habe erfahren, was dazu gehört, um eine Figur von vier gleichen Seiten und rechten Winkeln so in Gedanken zu fassen, dass ich davon die Eigenschaften demonstriren kann. Dies ist das empirische Bewusstsein der Bestimmung meines Zustandes in der Zeit durch das Denken; das Denken selbst, ob es gleich auch in der Zeit geschieht, nimmt auf die Zeit gar nicht Rücksicht, wenn die Eigenschaften einer Figur gedacht werden.

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Aber Erfahrung ist, ohne Zeitbestimmung damit zu verbinden, unmöglich, weil ich dabei passiv bin und mich nach der formalen Bedingung des innern Sinnes afficirt fühle.

Das Bewusstsein, wenn ich eine Erfahrung anstelle, ist Vorstellung meines Daseins, sofern es empirisch bestimmt ist, d. i. in der Zeit. Wäre nun dieses Bewusstsein wieder selbst empirisch, so würde dieselbe Zeitbestimmung wiederum als unter den Bedingungen der Zeitbestimmung meines Zustandes enthalten müssen vorgestellt werden. müsste also noch eine andere Zeit gedacht werden, unter der (nicht in der) die Zeit, welche die formale Bedingung meiner innern Erfahrung ausmacht, enthalten wäre. Also gäbe es eine Zeit, in welcher und mit welcher zugleich eine gegebene Zeit verflösse, welches ungereimt ist. Das Bewusstsein aber, eine Erfahrung anzustellen oder auch überhaupt zu denken, ist ein transscendentales Bewusstsein, nicht Erfahrung.

Anmerkungen zu diesem Aufsatz.

Die Handlung der Einbildungskraft, einem Begriff eine Anschauung zu geben, ist exhibitio. Die Handlung der Einbildungskraft, aus einer empirischen Anschauung einen Begriff zu machen, ist comprehensio.

Auffassung der Einbildungskraft, apprehensio aesthetica. Zusammenfassung derselben, comprehensio aesthetica (ästhetisches Begreifen); ich fasse das Mannigfaltige in eine ganze Vorstellung und so bekommt sie eine gewisse Form.

2. Ueber Wunder.

Es kann weder durch ein Wunder, noch durch ein geistiges Wesen in der Welt eine Bewegung hervorgebracht werden, ohne eben so viel Bewegung in entgegengesetzter Richtung zu wirken, folglich nach Gesetzen der Wirkung und Gegenwirkung der Materie; denn widrigenfalls würde eine Bewegung des Universi im leeren Raum entspringen.

Es kann aber auch keine Veränderung in der Welt, (also kein Anfang jener Bewegung) entspringen, ohne durch Ursachen in der Welt nach Naturgesetzen überhaupt bestimmt zu sein, also nicht durch Freiheit oder eigentliche Wunder; denn weil nicht die Zeit die Ordnung der Begebenheiten bestimmt, sondern umgekehrt die Begebenheiten, d. i. die

Erscheinungen nach dem Gesetze der Natur (der Causalität) die Zeit bestimmen, so würde eine Begebenheit, die unabhängig davon in der Zeit geschähe oder bestimmt wäre, einen Wechsel in der leeren Zeit voraussetzen, folglich die Welt selbst in der absoluten Zeit ihrem Zustande nach bestimmt sein.

Anmerkungen.

1. Man kann die Wunder eintheilen in äussere und innere, d. h. in Veränderungen der Erscheinung für den äussern und in die für den innern Sinn. Jene geschehen im Raume, diese in der Zeit. Wären Wunder im Raume möglich, so wäre es möglich, dass Erscheinungen geschehen, bei denen nicht Wirkung und Gegenwirkung gleich gross sind. Alle Veränderungen im Raume sind nämlich Bewegungen. Eine Bewegung aber, die durch ein Wunder hervorgebracht werden soll, deren Ursache soll nicht in den Erscheinungen zu suchen sein. Das Gesetz der Wirkung und Gegenwirkung aber beruht darauf, dass Ursache und Wirkung zur Sinnenwelt (zu den Erscheinungen) gehören, d. i. im relativen Raum vorgestellt werden; da dies nun bei den Wundern im Raume von der Ursache nicht gilt, so werden sie auch nicht unter dem Gesetz der Wirkung und Gegenwirkung stehen. Wird nun durch ein Wunder eine Bewegung gewirkt, so wird, da sie nicht unter dem Gesetz der Wirkung und Gegenwirkung steht, durch sie das centrum gravitatis der Welt verändert werden, d. i. mit andern Worten, die Welt würde sich im leeren Raume bewegen; eine Bewegung im leeren Raume ist aber ein Widerspruch; sie wäre nämlich die Relation eines Dinges zu einem Nichts; denn der leere Raum ist eine blose Idee.

Auf eine ähnliche Art wird bewiesen, dass es keine Wunder in Ansehung der Erscheinungen in der Zeit geben kann. Eine Erscheinung in der Zeit ist nämlich ein Wunder, wenn die Ursache derselben nicht in der Zeit gegeben werden kann, nicht unter den Bedingungen derselben steht. Da aber allein dadurch, dass beide, Ursache und Wirkung, zu den Erscheinungen gehören, die letztere in der relativen Zeit bestimmt werden kann, so wird dies bei einer Wirkung, die durch ein Wunder hervorgebracht wird, nicht geschehen können, weil ihre. Ursache nicht zu den Erscheinungen gehört. Es wird also eine übernatürliche Begebenheit nicht in der relativen, sondern in der absoluten (leeren) Zeit bestimmt sein. Eine Bestimmung in der leeren Zeit ist ein Widerspruch, weil zu einer jeden Relation zwei Correlata gegeben werden müssen.

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