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Zweites Hauptstück.

Metaphysische Anfangsgründe

der

Dynamik.

Erklärung 1.

Materie ist das Bewegliche, sofern es einen Raum erfüllt. Einen Raum erfüllen, heisst allem Beweglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen bestrebt ist. Ein Raum, der nicht erfüllt ist, ist ein leerer Raum.

Anmerkung.

Dieses ist nun die dynamische Erklärung des Begriffs der Materie. Sie setzt die phoronomische voraus, aber thut eine Eigenschaft hinzu, die sich als Ursache auf eine Wirkung bezieht, nämlich das Vermögen, einer Bewegung innerhalb eines gewissen Raumes zu widerstehen, wovon in der vorhergehenden Wissenschaft gar nicht die Rede sein musste, selbst nicht, wenn man es mit Bewegungen eines und desselben Punktes in entgegengesetzten Richtungen zu thun hatte. Diese Erfüllung des Raumes hält einen gewissen Raum von dem Eindringen irgend eines anderen Beweglichen frei, wenn seine Bewegung auf irgend einen Ort in diesem Raume hingerichtet ist. Worauf nun der nach allen Seiten gerichtete Widerstand der Materie beruhe und was er sei, muss noch untersucht werden. Soviel sieht man aber schon aus der obigen Erklärung, dass

die Materie hier nicht so betrachtet wird, wie sie widersteht, wenn sie aus ihrem Orte getrieben und also selbst bewegt werden soll, (dieser Fall wird künftig, als mechanischer Widerstand, noch in Erwägung kommen,) sondern wenn blos der Raum ihrer eigenen Ausdehnung verringert werden soll. Man bedient sich des Worts: einen Raum einnehmen, d. i. in allen Punkten desselben unmittelbar gegenwärtig sein, um die Ausdehnung eines Dinges im Raume dadurch zu bezeichnen. Weil aber in diesem Begriffe nicht bestimmt ist, welche Wirkung, oder ob gar überall eine Wirkung aus dieser Gegenwart entspringe, ob andern zu widerstehen, die hineinzudringen bestrebt sind, oder ob es blos einen Raum ohne Materie bedeute, sofern er ein Inbegriff mehrerer Räume ist, wie man von jeder geometrischen Figur sagen kann: sie nimmt einen Raum ein (sie ist ausgedehnt), oder ob wohl gar im Raume etwas sei, was ein anderes Bewegliche nöthigt, tiefer in denselben einzudringen (andere anzieht); weil, sage ich, durch den Begriff des Einnehmens eines Raumes dieses alles unbestimmt ist, so ist: einen Raum erfüllen, eine nähere Bestimmung des Begriffs: einen Raum einnehmen.

Lehrsatz 1.

Die Materie erfüllt einen Raum, nicht durch ihre blose Existenz, sondern durch eine besondere bewegende Kraft.

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Beweis.

Das Eindringen in einen Raum, (im Anfangsaugenblicke heisst solches die Bestrebung einzudringen,) ist eine Bewegung. Der Widerstand gegen Bewegung ist die Ursache der Verminderung, oder auch Veränderung derselben in Ruhe. Nun kann mit keiner Bewegung etwas verbunden werden, was sie vermindert oder aufhebt, als eine andere Bewegung ebendesselben Beweglichen in entgegengesetzter Richtung (phoronomischer Lehrsatz). Also ist der Widerstand, den eine Materie in dem Raum, den sie erfüllt, allem Eindringen anderer leistet, eine Ursache der Bewegung der letzteren in entgegengesetzter Richtung. Die Ursache einer Bewegung heisst aber bewegende Kraft. Also erfüllt die Materie ihren Raum durch bewegende Kraft, und nicht durch ihre blose Existenz.

Anmerkung.

LAMBERT und Andere nannten die Eigenschaft der Materie, da sie einen Raum erfüllt, die Solidität, (ein ziemlich vieldeutiger Ausdruck,) und wollen, man müsse sie an jedem Dinge, was existirt (Substanz), annehmen, wenigstens in der äusseren Sinnenwelt. Nach ihren Begriffen müsste die Anwesenheit von etwas Reellem im Raume diesen Widerstand schon durch seinen Begriff, mithin nach dem Satze des Widerspruchs bei sich führen und es machen, dass nichts Anderes in dem Raume der Anwesenheit eines solchen Dinges zugleich sein könne. Allein der Satz des Widerspruchs treibt keine Materie zurück, welche anrückt, um in einen Raum einzudringen, in welchem eine andere anzutreffen ist. Nur alsdann, wenn ich dem, was einen Raum einnimmt, eine Kraft beilege, alles äussere Bewegliche, welches sich annähert, zurückzutreiben, verstehe ich, wie es einen Widerspruch enthalte, dass in den Raum, den ein Ding einnimmt, noch ein anderes von derselben Art eindringe. Hier hat der Mathematiker etwas als ein erstes Datum der Construction des Begriffs einer Materie, welches sich selbst nicht weiter construiren lasse, angenommen. Nun kann er zwar von jedem beliebigen Dato seine Construction eines Begriffs anfangen, ohne sich darauf einzulassen, dieses Datum auch wiederum zu erklären; darum aber ist er doch nicht befugt, jenes für etwas aller mathematischen Construction ganz Unfähiges zu erklären, um dadurch das Zurückgehen zu den ersten Principien der Naturwissenschaft zu hemmen.

Erklärung 2.

Anziehungskraft ist diejenige bewegende Kraft, wodurch eine Materie die Ursache der Annäherung anderer zu ihr sein kann, (oder, welches einerlei ist, dadurch sie der Entfernung anderer von ihr widersteht.)

Zurückstossungskraft ist diejenige, wodurch eine Materie Ursache sein kann, andere von sich zu entfernen, (oder, welches einerlei ist, wodurch sie der Annäherung anderer zu ihr widersteht.) Die letzteren werden wir auch zuweilen treibende, so wie die ersteren ziehende Kräfte nennen.

ken.

Zusatz.

Es lassen sich nur diese zwei bewegenden Kräfte der Materie den-
Denn alle Bewegung, die eine Materie einer anderen eindrücken

kann, da in dieser Rücksicht jede derselben nur wie ein Punkt betrachtet wird, muss jederzeit als in der geraden Linie zwischen zweien Punkten ertheilt angesehen werden. In dieser geraden Linie aber sind nur zweierlei Bewegungen möglich: die eine, dadurch sich jene Punkte von einander entfernen, die zweite, dadurch sie sich einander nähern. Die Kraft aber, die die Ursache der ersteren Bewegung ist, heisst Zurückstossungs-, und die der zweiten, Anziehungskraft. Also können nur diese zwei Arten von Kräften, als solche, worauf alle Bewegungskräfte in der materiellen Natur zurückgeführt werden müssen, gedacht werden.

Lehrsatz 2.

Die Materie erfüllt ihre Räume durch repulsive Kräfte aller ihrer Theile, d. i. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder grössere ins Unendliche können gedacht werden.

Beweis.

Die Materie erfüllt einen Raum nur durch bewegende Kraft (Lehrsatz 1) und zwar eine solche, die dem Eindringen anderer, d. i. der Annäherung widersteht. Nun ist diese eine zurückstossende Kraft. (Erklärung 2.) Also erfüllt die Materie ihren Raum nur durch zurückstossende Kräfte, und zwar aller ihrer Theile, weil sonst ein Theil ihres Raumes (wider die Voraussetzung) nicht erfüllt, sondern nur eingeschlossen sein würde. Die Kraft aber eines Ausgedehnten vermöge der Zurückstossung aller seiner Theile ist eine Ausdehnungskraft (expansive). Also erfüllt die Materie ihren Raum nur durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft; welches das Erste war. Ueber jede gegebene Kraft muss eine grössere gedacht werden können; denn die, über welche keine grössere möglich ist, würde eine solche sein, wodurch in einer endlichen Zeit ein unendlicher Raum zurückgelegt werden würde, (welches unmöglich ist.) Es muss ferner unter jeder gegebenen bewegenden Kraft eine kleinere gedacht werden können, (denn die kleinste würde die sein, durch deren unendliche Hinzuthuung zu sich selbst eine jede gegebene Zeit hindurch keine endliche Geschwindigkeit erzeugt werden könnte, welches aber den Mangel aller bewegenden Kraft bedeutet.) Also muss unter einem jeden gegebenen Grad einer bewegenden Kraft immer noch ein kleinerer gegeben werden können; welches

das Zweite ist. Mithin hat die Ausdehnungskraft, womit jede Materie ihren Raum erfüllt, ihren Grad, der niemals der grösste oder kleinste ist, sondern über den ins Unendliche sowohl grössere, als kleinere können gefunden werden.

Zusatz 1.

Die expansive Kraft einer Materie nennt man auch Elasticität. Da nun jene der Grund ist, worauf die Erfüllung des Raumes, als eine wesentliche Eigenschaft aller Materie, beruht, so muss diese Elasticität ursprünglich heissen; weil sie von keiner andern Eigenschaft der Materie abgeleitet werden kann. Alle Materie ist demnach ursprünglich elastisch.

Zusatz 2.

Weil über jede ausdehnende Kraft eine grössere bewegende Kraft gefunden werden kann, diese aber auch jener entgegenwirken kann, wodurch sie alsdenn den Raum der letzteren verengen würde, den diese zu erweitern trachtet, in welchem Falle die erstere eine zusammendrückende Kraft heissen würde; so muss auch für jede Materie eine zusammendrückende Kraft gefunden werden können, die sie von einem jedem Raum, den sie erfüllt, in einen engeren Raum zu treiben vermag.

Erklärung 3.

Eine Materie durchdringt in ihrer Bewegung eine andere, wenn sie durch Zusammendrückung den Raum ihrer Ausdehnung völlig aufhebt.

Anmerkung.

Wenn in einem mit Luft angefüllten Stiefel einer Luftpumpe der Kolben dem Boden immer näher getrieben wird, so wird die Luftmaterie zusammengedrückt. Könnte nun diese Zusammendrückung so weit getrieben werden, dass der Kolben den Boden völlig berührte, (ohne dass das Mindeste von Luft entwischt wäre,) so würde die Luftmaterie durchdrungen sein; denn die Materien, zwischen denen sie ist, lassen keinen Raum für sie übrig,, und sie wäre also zwischen dem Kolben und Boden anzutreffen, ohne doch einen Raum einzunehmen. Diese Durchdringlichkeit der Materie durch äussere zusammendrückende Kräfte, wenn Jemand eine solche annehmen oder auch nur denken wollte, würde die

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