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Grund da, ihre ausführliche Bearbeitung von dem allgemeinen System der Metaphysik abzutrennen und sie als ein besonderes Ganze systematisch darzustellen. Denn wenn es erlaubt ist, die Grenzen einer Wissenschaft nicht blos nach der Beschaffenheit des Objects und der specifischen Erkenntnissart desselben, sondern auch nach dem Zwecke, den man mit der Wissenschaft selbst zum anderweitigen Gebrauche vor Augen hat, zu zeichnen, und sich findet, dass Metaphysik so viel Köpfe bisher nicht darum beschäftigt hat und sie ferner beschäftigen wird, um Naturkenntnisse dadurch zu erweitern, (welches viel leichter und sicherer durch Beobachtung, Experiment und Anwendung der Mathematik auf äussere Erscheinungen geschieht,) sondern um zur Erkenntniss dessen, was gänzlich über alle Grenzen der Erfahrung hinausliegt, von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zu gelangen; so gewinnt man in Beförderung dieser Absicht, wenn man sie von einem, zwar aus ihrer Wurzel sprossenden, aber doch ihrem regelmässigen Wuchse nur hinderlichen Sprösslinge befreit, diesen besonders pflanzt, ohne dennoch dessen Abstammung aus jener zu verkennen und sein völliges Gewächs aus dem System der allgemeinen Metaphysik wegzulassen. Dieses thut der Vollständigkeit der letzteren keinen Abbruch und erleichtert doch den gleichförmigen Gang dieser Wissenschaft zu ihrem Zwecke, wenn man in allen Fällen, wo man der allgemeinen Körperlehre bedarf, sich nur auf das abgesonderte System derselben berufen darf, ohne jenes grössere mit diesem anzuschwellen. Es ist auch in der That sehr merkwürdig, (kann aber hier nicht ausführlich vor Augen gelegt werden,) dass die allgemeine Metaphysik in allen Fällen, wo sie Beispiele (Anschauungen) bedarf, um ihren reinen Verstandesbegriffen Bedeutung zu verschaffen, diese jederzeit aus der allgemeinen Körperlehre, mithin von der Form und den Principien der äusseren Anschauung hernehmen müsse, und, wenn diese nicht vollendet darliegen, unter lauter sinnleeren Begriffen unstät und schwankend herumtappe. Daher die bekannten Streitigkeiten, wenigstens die Dunkelheit in den Fragen über die Möglichkeit eines Widerstreits der Realitäten, die der intensiven Grösse u. a. m., bei welchen der Verstand nur durch Beispiele aus der körperlichen Natur belehrt wird, welches die Bedingungen sind, unter denen jene Begriffe allein objective Realität, d. i. Bedeutung und Wahrheit haben können. Und so thut eine abgesonderte Metaphysik der körperlichen Natur der allgemeinen vortreffliche und unentbehrliche Dienste, indem sie Beispiele (Fälle in Concreto) herbeischafft, die Begriffe und Lehrsätze der letzteren (eigentlich der Transscen

dentalphilosophie) zu realisiren, d. i. einer blosen Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen.

Ich habe in dieser Abhandlung die mathematische Methode, wenngleich nicht mit aller Strenge befolgt, (wozu mehr Zeit erforderlich gewesen wäre, als ich darauf zu verwenden hätte,) dennoch nachgeahmt, nicht um ihr durch ein Gepränge von Gründlichkeit besseren Eingang zu verschaffen, sondern weil ich glaube, dass ein solches System deren wohl fähig sei und diese Vollkommenheit auch mit der Zeit von geschickterer Hand wohl erlangen könne, wenn durch diesen Entwurf veranlasst, mathematische Naturforscher es nicht unwichtig finden sollten, den metaphysischen Theil, dessen sie ohnedem nicht entübrigt sein können, ihrer allgemeinen Physik als einen besonderen Grundtheil zu behandeln und mit der mathematischen Bewegungslehre in Vereinigung zu bringen.

NEWTON sagt in der Vorrede zu seinen mathematischen Grundlehren der Naturwissenschaft, (nachdem er angemerkt hatte, dass die Geometrie von den mechanischen Handgriffen, die sie postulirt, nur zweier bedürfe, nämlich eine gerade Linie und einen Zirkel zu beschreiben:) die Geometrie ist stolz darauf, dass sie mit so Wenigem, was sie anderwärts hernimmt, so viel zu leisten vermag. * Von der Metaphysik könnte man dagegen sagen: sie steht bestürzt, dass sie mit so Vielem, als ihr die reine Mathematik darbietet, doch nur so wenig ausrichten kann. Indessen ist doch dieses Wenige etwas, das selbst die Mathematik in ihrer Anwendung auf Naturwissenschaft unumgänglich braucht, die sich also, da sie hier von der Metaphysik nothwendig borgen muss, auch nicht schämen darf, sich mit ihr in Gemeinschaft sehen zu lassen.

* Gloriatur geometria, quod tam paucis principiis aliunde petitis tam multa praestet. Newton Princ. Phil. Nat. Math. Praefat.

Erstes Hauptstück.

Metaphysische Anfangsgründe

der

Phoronomie.

Erklärung 1.

Materie ist das Bewegliche im Raume. Der Raum, der selbst beweglich ist, heisst der materielle oder auch der relative Raum; der, in welchem alle Bewegung zuletzt gedacht werden muss, (der mithin selbst schlechterdings unbeweglich ist,) heisst der reine oder auch absolute Raum.

Anmerkung 1.

Da in der Phoronomie von nichts, als Bewegung geredet werden soll, so wird dem Subject derselben, nämlich der Materie, hier keine andere Eigenschaft beigelegt, als die Beweglichkeit. Sie selbst kann also so lange auch für einen Punkt gelten, und man abstrahirt in der Phoronomie von aller innern Beschaffenheit, mithin auch der Grösse des Beweglichen, und hat es nur mit der Bewegung und dem, was in dieser als Grösse betrachtet werden kann (Geschwindigkeit und Richtung), zu thun. - Wenn gleichwohl der Ausdruck eines Körpers hier bisweilen gebraucht werden sollte, so geschieht es nur, um die Anwendung der Principien der Phoronomie auf die noch folgenden bestimmteren Begriffe der Materie gewissermassen zu anticipiren, damit der Vortrag weniger abstract und fasslicher sei.

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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Anmerkung 2.

Wenn ich den Begriff der Materie nicht durch ein Prädicat, was ihr selbst als Object zukommt, sondern nur durch das Verhältniss zum Erkenntnissvermögen, in welchem mir die Vorstellung allererst gegeben werden kann, erklären soll, so ist Materie ein jeder Gegenstand äusserer Sinne, und dieses wäre die blos metaphysische Erklärung derselben. Der Raum aber wäre blos die Form aller äusseren sinnlichen Anschauung, (ob ebendieselbe auch dem äusseren Object, das wir Materie nennen, an sich selbst zukomme, oder nur in der Beschaffenheit unseres Sinnes bleibe, davon ist hier gar nicht die Frage.) Die Materie wäre im Gegensatz der Form das, was in der äusseren Anschauung ein Gegenstand der Empfindung ist, folglich das eigentlich Empirische der sinnlichen und äusseren Anschauung, weil es gar nicht a priori gegeben werden kann. In aller Erfahrung muss etwas empfunden werden, und das ist das Reale der sinnlichen Anschauung; folglich muss auch der Raum, in welchem wir über die Bewegungen Erfahrung anstellen sollen, empfindbar, d. i. durch das, was empfunden werden kann, bezeichnet sein, und dieser, als der Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung und selbst ein Object derselben, heisst der empirische Raum. Dieser aber, als materiell, ist selbst beweglich. Ein beweglicher Raum aber, wenn seine Bewegung soll wahrgenommen werden können, setzt wiederum einen anderen erweiterten materiellen Raum voraus, in welchem er beweglich ist, dieser ebensowohl einen andern und so forthin ins Unendliche.

Also ist alle Bewegung, die ein Gegenstand der Erfahrung ist, blos relativ; der Raum, in dem sie wahrgenommen wird, ist ein relativer Raum, der selbst wiederum, und vielleicht in entgegengesetzter Richtung, in einem erweiterten Raume sich bewegt, mithin auch die in Beziehung auf den ersteren bewegte Materie in Verhältniss auf den zweiten Raum ruhig genannt werden kann; und diese Abänderungen des Begriffs der Bewegungen gehen mit der Veränderung des relativen Raumes so ins Unendliche fort. Einen absoluten Raum, d. i. einen solchen, der, weil er nicht materiell ist, auch kein Gegenstand der Erfahrung sein kann, als für sich gegeben annehmen, heisst etwas, das weder an sich, noch in seinen Folgen (der Bewegung im absoluten Raum) wahrgenommen werden kann, um der Möglichkeit der Erfahrung willen annehmen, die doch jederzeit ohne ihn angestellt werden muss. Der absolute Raum ist an

sich nichts und gar kein Object, sondern bedeutet nur einen jeden andern relativen Raum, den ich mir ausser dem gegebenen jederzeit denken kann, und den ich nur über jeden gegebenen ins Unendliche hinausrücke, als einen solchen, der diesen einschliesst und in welchem ich den ersteren als bewegt annehmen kann. Weil ich den erweiterten, obgleich immer noch materiellen Raum nur in Gedanken habe und mir von der Materie, die ihn bezeichnet, nichts bekannt ist, so abstrahire ich von dieser, und er wird daher wie ein reiner, nicht empirischer und absoluter Raum vorgestellt, mit dem ich jeden empirischen vergleichen und diesen in ihm als beweglich vorstellen kann, der also jederzeit als unbeweglich gilt. Ihn zum wirklichen Dinge zu machen, heisst die logische Allgemeinheit irgend eines Raumes, mit dem ich jeden empirischen als darin eingeschlossen vergleichen kann, in eine physische Allgemeinheit des wirklichen Umfanges verwechseln, und die Vernunft in ihrer Idee missverstehen.

Schliesslich merke ich noch an, dass, da die Beweglichkeit eines Gegenstandes im Raum a priori und ohne Belehrung durch Erfahrung nicht erkannt werden kann, sie von mir eben darum in der Kritik der reinen Vernunft auch nicht unter die reinen Verstandesbegriffe gezählt werden konnte, und dass dieser Begriff, als empirisch, nur in einer Naturwissenschaft, als angewandter Metaphysik, welche sich mit einem durch Erfahrung gegebenen Begriffe, obwohl nach Principien a priori, beschäftigt, Platz finden könne.

Erklärung 2.

Bewegung eines Dinges ist die Veränderung der äusseren Verhältnisse desselben zu einem gegebenen Raum.

Anmerkung 1.

Vorher habe ich dem Begriffe der Materie schon den Begriff der Bewegung zum Grunde gelegt. Denn da ich denselben selbst unabhängig vom Begriffe der Ausdehnung bestimmen wollte, und die Materie also auch in einem Punkte betrachten könnte, so durfte ich einräumen, dass man sich daselbst der gemeinen Erklärung der Bewegung als Veränderung des Orts bediente. Jetzt, da der Begriff einer Materie allgemein, mithin auch auf bewegte Körper passend, erklärt werden soll, so reicht jene Definition nicht zu. Denn der Ort eines jeden Körpers ist

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