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VORREDE.

Wenn das Wort Natur blos in formaler Bedeutung genommen wird, da es das erste innere Princip alles dessen bedeutet, was zum Dasein eines Dinges gehört,* so kann es so vielerlei Naturwissenschaften geben, als es specifisch verschiedene Dinge gibt, deren jedes sein eigenthümliches inneres Princip der zu seinem Dasein gehörigen Bestimmungen. enthalten muss. Sonst wird aber auch Natur in materieller Bedeutung genommen, nicht als eine Beschaffenheit, sondern als der Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen, d. i. die Sinnenwelt, mit Ausschliessung aller nicht sinnlichen Objecte, verstanden wird. Die Natur, in dieser Bedeutung des Worts genommen, hat nun, nach der Hauptverschiedenheit unserer Sinne, zwei Haupttheile, deren der eine die Gegenstände äusserer, der andere den Gegenstand des inneren Sinnes enthält, mithin ist von ihr eine zwiefache Naturlehre, die Körperlehre und Seelenlehre möglich, wovon die erste die ausgedehnte, die zweite die denkende Natur in Erwägung zieht.

Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein nach Principien geordnetes Ganze der Erkenntniss sein soll, heisst Wissenschaft, und da jene Principien entweder Grundsätze der empirischen oder rationalen Verknüpfung der Erkenntnisse in einem Ganzen sein können, so würde auch die Naturwissenschaft, sie mag nun Körperlehre oder Seelenlehre sein, in historische oder rationale Naturwissenschaft eingetheilt werden müssen, wenn nur nicht das Wort Natur, (weil dieses eine Ableitung des mannigfaltigen, zum Dasein der Dinge Gehörigen aus ihrem

* Wesen ist das erste innere Princip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört. Daher kann man den geometrischen Figuren, (da in ihrem Begriffe nichts, was ein Dasein ausdrückte, gedacht wird,) nur ein Wesen, nicht aber eine Natur beilegen.

inneren Princip bezeichnet,) eine Erkenntniss durch Vernunft von ihrem Zusammenhange nothwendig machte, wofern sie den Namen von Naturwissenschaft verdienen soll. Daher wird die Naturlehre besser in historische Naturlehre, welche nichts, als systematisch geordnete Facta der Naturdinge enthält (und wiederum aus Naturbeschreibung, als einem Klassensystem derselben nach Aehnlichkeiten, und Naturgeschichte, als einer systematischen Darstellung derselben in verschiedenen Zeiten und Oertern, bestehen würde), und Naturwissenschaft eingetheilt werden können. Die Naturwissenschaft würde nun wiederum entweder eigentlich oder uneigentlich so genannte Naturwissenschaft sein, wovon die erstere ihren Gegenstand gänzlich nach Principien a priori, die zweite nach Erfahrungsgesetzen behandelt.

Eigentliche Wissenschaft kann nur diejenige genannt werden, deren Gewissheit apodiktisch ist; Erkenntniss, die blos empirische Gewissheit enthalten kann, ist ein nur uneigentlich so genanntes Wissen. Dasjenige Ganze der Erkenntniss, was systematisch ist, kann schon darum Wissenschaft heissen, und, wenn die Verknüpfung der Erkenntniss in diesem System ein Zusammenhang von Gründen und Folgen ist, sogar rationale Wissenschaft. Wenn aber diese Gründe oder Principien in ihr, wie z. B. in der Chemie, doch zuletzt blos empirisch sind, und die Gesetze, aus denen die gegebenen Facta durch die Vernunft erklärt werden, blos Erfahrungsgesetze sind, so führen sie kein Bewusstsein ihrer Nothwendigkeit bei sich, (sind nicht apodiktisch-gewiss,) und alsdenn verdient das Ganze in strengem Sinne nicht den Namen einer Wissenschaft, und Chemie sollte daher eher systematische Kunst, als Wissenschaft heissen.

Eine rationale Naturlehre verdient also den Namen einer Naturwissenschaft nur alsdenn, wenn die Naturgesetze, die in ihr zum Grunde liegen, a priori erkannt werden und nicht blose Erfahrungsgesetze sind. Man nennt eine Naturerkenntniss von der ersteren Art rein; die von der zweiten Art aber wird angewandte Vernunfterkenntniss genannt. Da das Wort Natur schon den Begriff von Gesetzen bei sich führt, dieser aber den Begriff der Nothwendigkeit aller Bestimmungen eines Dinges, die zu seinem Dasein gehören, bei sich führt, so sieht man leicht, warum Naturwissenschaft die Rechtmässigkeit dieser Benennung nur von einem reinen Theil derselben, der nämlich die Principien a priori aller übrigen Naturerklärungen enthält, ableiten müsse und nur kraft dieses reinen Theils eigentliche Wissenschaft sei, imgleichen dass, nach Forde

rungen der Vernunft, jede Naturlehre zuletzt auf Naturwissenschaft hinausgehen und darin sich endigen müsse, weil jene Nothwendigkeit der Gesetze dem Begriffe der Natur unzertrennlich anhängt und daher durchaus eingesehen sein will; daher die vollständigste Erklärung gewisser Erscheinungen aus chemischen Principien noch immer eine Unzufriedenheit zurücklässt, weil man von diesen, als zufälligen Gesetzen, die blos Erfahrung gelehrt hat, keine Gründe a priori anführen kann.

Alle eigentliche Naturwissenschaft bedarf also einen reinen Theil, auf dem sich die apodiktische Gewissheit, die die Vernunft-in ihr sucht, gründen könne, und weil dieser, seinen Principien nach, in Vergleichung mit denen, die nur empirisch sind, ganz ungleichartig ist, so ist es zugleich von der grössten Zuträglichkeit, ja der Natur der Sache nach von unerlasslicher Pflicht in Ansehung der Methode, jenen Theil abgesondert und von dem andern ganz unbemengt, so viel möglich in seiner ganzen Vollständigkeit vorzutragen, damit man genau bestimmen könne, was die Vernunft für sich zu leisten vermag, und wo ihr Vermögen anhebt der Beihülfe der Erfahrungsprincipien nöthig zu haben. Reine Vernunfterkenntniss aus blosen Begriffen heisst reine Philosophie oder Metaphysik; dagegen wird die, welche nur auf der Construction der Begriffe, vermittelst Darstellung des Gegenstandes in einer Anschauung a priori, ihre Erkenntniss gründet, Mathematik genannt.

Eigentlich so zu nennende Naturwissenschaft setzt zuerst Metaphysik der Natur voraus; denn Gesetze, d. i. Principien der Nothwendigkeit dessen, was zum Dasein eines Dinges gehört, beschäftigen sich mit einem Begriffe, der sich nicht construiren lässt, weil das Dasein in keiner Anschauung a priori dargestellt werden kann. Daher setzt eigentliche Naturwissenschaft Metaphysik der Natur voraus. Diese muss nun zwar jederzeit lauter Principien, die nicht empirisch sind, enthalten, (denn darum führt sie eben den Namen einer Metaphysik,) aber sie kann doch entweder sogar ohne Beziehung auf irgend ein bestimmtes Erfahrungsobject, mithin unbestimmt in Ansehung der Natur dieses oder jenen Dinges der Sinnenwelt, von den Gesetzen, die den Begriff einer Natur überhaupt möglich machen, handeln, und alsdenn ist es der transscendentale Theil der Metaphysik der Natur; oder sie beschäftigt sich mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, dass ausser dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Princip zur Erkenntniss derselben gebraucht wird, z. B. sie legt den empirischen Begriff einer Materie, oder eines

denkenden Wesens zum Grunde und sucht den Umfang der Erkenntniss, deren die Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist,) und da muss eine solche Wissenschaft noch immer eine Metaphysik der Natur, nämlich der körperlichen oder denkenden Natur heissen, aber es ist alsdann keine allgemeine, sondern besondere metaphysische Naturwissenschaft, (Physik und Psychologie,) in der jene transscendentalen Principien auf die zwei Gattungen der Gegenstände unserer Sinne angewandt werden.

Ich behaupte aber, dass in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist. Denn nach dem Vorhergehenden erfordert eigentliche Wissenschaft, vornehmlich der Natur, einen reinen Theil, der dem empirischen zum Grunde liegt und der auf Erkenntniss der Naturdinge a priori beruht. Nun heisst etwas a priori erkennen, es aus seiner blosen Möglichkeit erkennen. Die Möglichkeit bestimmter Naturdinge kann aber nicht aus blosen Begriffen erkannt werden; denn aus diesen kann zwar die Möglichkeit des Gedankens, (dass er sich selbst nicht widerspreche,) aber nicht des Objects, als Naturdinges, erkannt werden, welches ausser dem Gedanken (als existirend) gegeben werden kann. Also wird, um die Möglichkeit bestimmter Naturdinge, mithin um diese a priori zu erkennen, noch erfordert, dass die dem Begriffe correspondirende Anschauung a priori gegeben werde, d. i. dass der Begriff construirt werde. Nun ist die Vernunfterkenntniss durch Construction der Begriffe mathematisch. Also mag zwar eine reine Philosophie der Natur überhaupt, d. i. diejenige, die nur das, was den Begriff einer Natur im Allgemeinen ausmacht, untersucht, auch ohne Mathematik möglich sein, aber eine reine Naturlehre über bestimmte Naturdinge (Körperlehre und Seelenlehre) ist nur vermittelst der Mathematik möglich, und da in jeder Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen wird, als sich darin Erkenntniss a priori befindet, so wird Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft enthalten, als Mathematik in ihr angewandt werden kann.

So lange also noch für die chemischen Wirkungen der Materien auf einander kein Begriff ausgefunden wird, der sich construiren lässt, d. i. kein Gesetz der Annäherung oder Entfernung der Theile angeben lässt, nach welchem etwa in Proportion ihrer Dichtigkeiten u. dgl. ihre Bewegungen sammt ihren Folgen sich im Raume a priori anschaulich machen und darstellen lassen, (eine Forderung, die schwerlich jemals erfüllt werden wird,) so kann Chemie nichts mehr, als systematische Kunst oder Experimentallehre, niemals aber eigentliche Wissenschaft werden, weil

die Principien derselben blos empirisch sind und keine Darstellung a priori in der Anschauung erlauben, folglich die Grundsätze chemischer Erscheinungen ihrer Möglichkeit nach nicht im mindesten begreiflich machen, weil sie der Anwendung der Mathematik unfähig sind.

Noch weiter aber, als selbst Chemie, muss empirische Seelenlehre jederzeit von dem Range einer eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft entfernt bleiben, erstlich, weil Mathematik auf die Phänomene des inneren Sinnes und ihre Gesetze nicht anwendbar ist, man müsste denn allein das Gesetz der Stetigkeit in dem Abflusse der inneren Veränderungen desselben in Anschlag bringen wollen, welches aber eine Erweiterung der Erkenntniss sein würde, die sich zu der, welche die Mathematik der Körperlehre verschafft, ohngefähr so verhalten würde, wie die Lehre von den Eigenschaften der geraden Linie zur ganzen Geometrie. Denn die reine innere Anschauung, in welcher die Seelenerscheinungen construirt werden sollen, ist die Zeit, die nur eine Dimension hat. Aber auch nicht einmal als systematische Zergliederungskunst oder Experimentallehre kann sie der Chemie jemals nahe kommen, weil sich in ihr das Mannigfaltige der inneren Beobachtung nur durch blose Gedankentheilung von einander absondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und beliebig wiederum verknüpfen, noch weniger aber ein anderes denkendes Subject sich unseren Versuchen, der Absicht angemessen, von uns unterwerfen lässt, und selbst die Beobachtung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alterirt und verstellt. Sie kann daher niemals etwas mehr, als eine historische, und, als solche, so viel möglich systematische Naturlehre des inneren Sinnes, d. i. eine Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissenschaft, ja nicht einmal psychologische Experimentallehre werden; welches denn auch die Ursache ist, weswegen wir uns zum Titel dieses Werks, welches eigentlich die Grundsätze der Körperlehre enthält, dem gewöhnlichen Gebrauche gemäss des allgemeinen Namens der Naturwissenschaft bedient haben, weil ihr diese Benennung im eigentlichen Sinne allein zukommt und also hiedurch keine Zweideutigkeit veranlasst wird.

Damit aber die Anwendung der Mathematik auf die Körperlehre, die durch sie allein Naturwissenschaft werden kann, möglich werde, so müssen Principien der Construction der Begriffe, welche zur Möglichkeit der Materie überhaupt gehören, vorangeschickt werden; mithin wird eine vollständige Zergliederung des Begriffs von einer Materie überhaupt zum Grunde gelegt werden müssen, welches ein Geschäft der reinen

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