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Wir mögen unsere Begriffe noch so hoch anlegen und dabei noch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahiren, so hängen ihnen doch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zum Erfahrungsgebrauche tauglich zu machen. Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen Sinn und Bedeutung verschaffen, wenn ihnen nicht irgend eine Anschauung, (welche zuletzt immer ein Beispiel aus irgend einer möglichen Erfahrung sein muss,) untergelegt würde? Wenn wir hernach von dieser concreten Verstandeshandlung die Beimischung des Bildes, zuerst der zufälligen Wahrnehmung durch Sinne, dann sogar die reine sinnliche Anschauung überhaupt weglassen; so bleibt jener reine Verstandesbegriff übrig, dessen Umfang nun erweitert ist und eine Regel des Denkens überhaupt enthält. Auf solche Weise ist selbst die allgemeine Logik zu Stande gekommen; und manche heuristische Methode zu denken liegt in dem Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes und der Vernunft vielleicht noch verborgen, welche, wenn wir sie behutsam aus jener Erfahrung herauszuziehen verständen, die Philosophie wohl mit mancher nützlichen Maxime, selbst im abstracten Denken bereichern könnte.

Von dieser Art ist der Grundsatz, zu dem der sel. MENDELSSOHN, so viel ich weiss, nur in seinen letzten Schriften (den Morgenstunden S. 165-66, und dem Briefe an LESSING'S Freunde S. 33 und 67) sich ausdrücklich bekannte; nämlich die Maxime der Nothwendigkeit, im speculativen Gebrauche der Vernunft, (welchem er sonst in Ansehung der Erkenntniss übersinnlicher Gegenstände sehr viel, sogar bis zur Evidenz der Demonstration zutraute,) durch ein gewisses Leitungsmittel, welches er bald den Gemeinsinn (Morgenstunden), bald die gesunde Vernunft, bald den schlichten Menschenverstand (an LESSING'S Freunde) nannte, sich zu orientiren. Wer hätte denken sollen, dass dieses Geständniss nicht allein seiner vortheilhaften Meinung von der Macht des speculativen Vernunftgebrauchs in Sachen der Theologie

so verderblich werden sollte, (welches in der That unvermeidlich war;) sondern dass selbst die gemeine gesunde Vernunft bei der Zweideutigkeit, worin er die Ausübung dieses Vermögens im Gegensatze mit der Speculation liess, in Gefahr gerathen würde, zum Grundsatze der Schwärmerei und der gänzlichen Entthronung der Vernunft zu dienen? Und doch geschah dieses in der Mendelssohn- und Jacobi'schen Streitigkeit, vornehmlich durch die nicht unbedeutenden Schlüsse des scharfsinnigen Verfassers der Resultate;* wiewohl ich keinem von beiden die Absicht, eine so verderbliche Denkungsart in Gang zu bringen, beilegen will, sondern des letzteren Unternehmung lieber als argumentum ad hominem ansehe, dessen man sich zur blosen Gegenwehr zu bedienen wohl berechtigt ist, um die Blöse, die der Gegner gibt, zu dessen Nachtheil zu benutzen. Andererseits werde ich zeigen, dass es in der That blos die Vernunft, nicht ein vorgeblicher geheimer Wahrheitssinn, keine überschwengliche Anschauung unter dem Namen des Glaubens, worauf Tradition oder Offenbarung, ohne Einstimmung der Vernunft, gepfropft werden kann, sondern, wie MENDELSSOHN standhaft und mit gerechtem Eifer behauptete, blos die eigentliche reine Menschenvernunft sei, wodurch er es nöthig fand und anpries, sich zu orientiren; obzwar freilich hiebei der hohe Anspruch des speculativen Vermögens derselben, vornehmlich ihr allein gebietendes Ansehen (durch Demonstration) wegfallen, und ihr, sofern sie speculativ ist, nichts weiter, als das Geschäft der Reinigung des gemeinen Vernunftbegriffs von Widersprüchen und die Vertheidigung gegen ihre eigenen sophistischen Angriffe auf die Maximen einer gesunden Vernunft übrig gelassen werden muss. Der erweiterte und genauer bestimmte Begriff des Sich-Orientirens kann uns behülflich sein, die Maxime der gesunden Vernunft, in ihren Bearbeitungen zur Erkenntniss übersinnlicher Gegenstände, deutlich darzustellen.

Sich orientiren heisst, in der eigentlichen Bedeutung des Worts: aus einer gegebenen Weltgegend, (in deren vier wir den Horizont eintheilen,) die übrigen, namentlich den Aufgang zu finden. Sehe ich nun die Sonne am Himmel und weiss, dass es nun die Mittagszeit ist, so weiss ich Süden, Westen, Norden und Osten zu finden. Zu diesem Behufe bedarf ich aber durchaus das Gefühl eines Unterschiedes an meinem

* JACOBI Briefe über die Lehre des SPINOZA. Breslau 1785. JACOBI wider MENDELSSOHN'S Beschuldigung betreffend die Briefe über die Lehre des SPINOZA. Leipzig 1786. Die Resultate der Jacobi'schen und Mendelssohn'schen Philosophie; kritisch untersucht von einem Freiwilligen. Ebendas.

eigenen Subject, nämlich der rechten und linken Hand. Ich nenne es ein Gefühl, weil diese zwei Seiten äusserlich in der Anschauung keinen merklichen Unterschied zeigen. Ohne dieses Vermögen, in der Beschrei-· bung eines Zirkels, ohne an ihm irgend eine Verschiedenheit der Gegenstände zu bedürfen, doch die Bewegung von der Linken zur Rechten von der in entgegengesetzter Richtung zu unterscheiden, und dadurch eine Verschiedenheit in der Lage der Gegenstände a priori zu bestimmen, würde ich nicht wissen, ob ich Westen dem Südpunkte des Horizonts zur Rechten oder zur, Linken setzen, und so den Kreis durch Norden und Osten bis wieder zu Süden vollenden sollte. Also orientire ich mich geographisch bei allen objectiven Datis am Himmel doch nur durch einen subjectiven Unterscheidungsgrund; und wenn in einem Tage durch ein Wunder alle Sternbilder zwar übrigens dieselbe Gestalt und ebendieselbe Stellung gegen einander behielten, nur dass die Richtung derselben, die sonst östlich war, jetzt westlich geworden wäre, so würde. in der nächsten sternhellen Nacht zwar kein menschliches Auge die geringste Veränderung bemerken und selbst der Astronom, wenn er blos auf das, was er sieht, und nicht zugleich was er fühlt, Acht gäbe, würde sich unvermeidlich desorientiren. So aber kommt ihm ganz natürlich das zwar durch die Natur angelegte, aber durch öftere Ausübung gewohnte Unterscheidungsvermögen durchs Gefühl der rechten und linken Hand zu Hülfe, und er wird, wenn er nur den Polarstern ins Auge nimmt, nicht allein die vorgegangene Veränderung bemerken, sondern sich auch ungeachtet derselben orientiren können.

Diesen geographischen Begriff des Verfahrens sich zu orientiren, kann ich nun erweitern und darunter verstehen: sich in einem gegebenen Raum überhaupt, mithin blos mathematisch orientiren. Im Finsteren orientire ich mich in einem mir bekannten Zimmer, wenn ich nur einen einzigen Gegenstand, dessen Stelle ich im Gedächtniss habe, anfassen kann. Aber hier hilft mir offenbar nichts, als das Bestimmungsvermögen der Lagen nach einem subjectiven Unterscheidungsgrunde; denn die Objecte, deren Stelle ich finden soll, sehe ich gar nicht; und hätte Jemand mir zum Spasse alle Gegenstände, zwar in derselben Ordnung unter einander, aber links gesetzt, was vorher rechts war, so würde ich mich in einem Zimmer, wo sonst alle Wände ganz gleich wären, gar nicht finden können. So aber orientire ich mich bald durch das blose Gefühl eines Unterschiedes meiner zwei Seiten, der rechten und der linken. Eben das geschieht, wenn ich zur Nachtzeit auf mir sonst bekannten

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