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thematik in der reinen Anschauung darstellen, d. i. sie construiren, ohne welche, (weil sie nicht analytisch, nämlich durch Zergliederung der Begriffe, sondern synthetisch verfahren kann,) es ihr unmöglich ist, einen Schritt zu thun, so lange ihr nämlich reine Anschauung fehlt, in der allein der Stoff zu synthetischen Urtheilen a priori gegeben werden kann. Geometrie legt die reine Anschauung des Raums zum Grunde. Arithmetik bringt selbst ihre Zahlbegriffe durch successive Hinzusetzung der Einheiten in der Zeit zu Stande, vornehmlich aber reine Mechanik kann ihre Begriffe von Bewegung nur vermittelst der Vorstellung der Zeit zu Stande bringen. Beide Vorstellungen aber sind blos Anschauungen; denn wenn man von den empirischen Anschauungen der Körper und ihrer Veränderungen (Bewegung) alles Empirische, nämlich was zur Empfindung gehört, weglässt, so bleiben noch Raum und Zeit übrig, welche also reine Anschauungen sind, die jenen a priori zum Grunde liegen, und daher selbst niemals weggelassen werden können, aber eben dadurch, dass sie reine Anschauungen a priori sind, beweisen, dass sie blose Formen unserer Sinnlichkeit sind, die vor aller empirischen Anschauung, d. i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände vorhergehen müssen, und denen gemäss Gegenstände a priori erkannt werden können, aber freilich nur, wie sie uns erscheinen.

§. 11.

Die Aufgabe des gegenwärtigén Abschnitts ist also aufgelöst. Reine Mathematik ist, als synthetische Erkenntniss a priori, nur dadurch möglich, dass sie auf keine anderen, als blose Gegenstände der Sinne geht, deren empirischer Anschauung eine reine Anschauung (des Raums und der Zeit) und zwar a priori zum Grunde liegt, und darum zum Grunde liegen kann, weil diese nichts Anderes, als die blose Form der Sinnlichkeit ist, welche vor der wirklichen Erscheinung der Gegenstände vorhergeht, indem sie dieselbe in der That allererst möglich macht. Doch betrifft dieses Vermögen, a priori anzuschauen, nicht die Materie der Erscheinung, d. i. das, was in ihr Empfindung ist, denn diese macht das Empirische aus, sondern nur die Form derselben, Raum und Zeit. Wollte man im mindesten daran zweifeln, dass beide gar keine den Dingen an sich selbst, sondern nur blose ihrem Verhältnisse zur Sinnlichkeit anhängende Bestimmungen seien, so möchte ich gerne wissen, wie man es möglich finden kann, a priori, und also vor aller Bekanntschaft mit den Dingen, ehe sie nämlich uns gegeben sind, zu wissen, wie ihre Anschauung

beschaffen sein müsse, welches doch hier der Fall mit Raum und Zeit ist. Dieses ist aber ganz begreiflich, sobald beide für nichts weiter, als formale Bedingungen unserer Sinnlichkeit, die Gegenstände aber blos für Erscheinungen gelten; denn alsdenn kann die Form der Erscheinung d. i. die reine Anschauung allerdings aus uns selbst d. i. a priori vorgestellt werden.

§. 12.

Um etwas zur Erläuterung und Bestätigung beizufügen, darf man nur das gewöhnliche und unumgänglich nothwendige Verfahren der Geometer ansehen. Alle Beweise von durchgängiger Gleichheit zweier gegebenen Figuren, (da eine in allen Stücken an die Stelle der andern gesetzt werden kann), laufen zuletzt darauf hinaus, dass sie einander decken; welches offenbar nichts Anderes, als ein auf der unmittelbaren Anschauung beruhender synthetischer Satz ist, und diese Anschauung muss rein und a priori gegeben werden, denn sonst könnte jener Satz nicht für apodiktisch gewiss gelten, sondern hätte nur empirische Gewissheit. Es würde nur heissen: man bemerkt es jederzeit so, und er gilt nur so weit, als unsere Wahrnehmung bis dahin sich erstreckt hat. Dass der vollständige Raum, (der selbst keine Grenze eines anderen Raumes mehr ist), drei Abmessungen habe, und Raum überhaupt auch nicht mehr derselben haben könne, wird auf den Satz gebaut, dass sich in einem Punkte nicht mehr, als drei Linien rechtwinklicht schneiden können; dieser Satz aber kann gar nicht aus Begriffen dargethan werden, sondern beruht unmittelbar auf Anschauung, und zwar reiner a priori, weil er apodiktisch gewiss ist; dass man verlangen kann, eine Linie solle ins Unendliche gezogen (in indefinitum), oder eine Reihe Veränderungen (z. B. durch Bewegung zurückgelegte Räume) solle ins Unendliche fortgesetzt werden, setzt doch eine Vorstellung des Raumes und der Zeit voraus, die blos an der Anschauung hängen kann, nämlich sofern sie an sich durch nichts begrenzt ist; denn aus Begriffen könnte sie nie geschlossen werden. Also liegen doch wirklich der Mathematik reine Anschauungen a priori zum Grunde, welche ihre synthetischen und apodiktisch geltenden Sätze möglich machen, und daher erklärt unsere transscendentale Deduction der Begriffe im Raum und Zeit zugleich die Möglichkeit einer reinen Mathematik, die ohne eine solche Deduction, und ohne dass wir annehmen: alles, was unseren Sinnen gegeben werden mag, (den äusseren im Raume, dem inneren in der Zeit), werde von uns nur angeschaut, wie es uns erscheint, nicht wie

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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es an sich selbst ist," zwar eingeräumt, aber keinesweges eingesehen werden könnte.

§. 13.

Diejenigen, welche noch nicht von dem Begriffe loskommen können, als ob Raum und Zeit wirkliche Beschaffenheiten wären, die den Dingen an sich selbst anhingen, können ihre Scharfsinnigkeit an folgendem Paradoxon üben, und wenn sie dessen Auflösung vergebens versucht haben, wenigstens auf einige Augenblicke von Vorurtheilen frei, vermuthen, dass doch vielleicht die Abwürdigung des Raumes und der Zeit zu blosen Formen unserer sinnlichen Anschauung Grund haben möge.

Wenn zwei Dinge in allen Stücken, die an jedem für sich nur immer können erkannt werden, (in allen zur Grösse und Qualität gehörigen Bestimmungen) völlig einerlei sind, so muss doch folgen, dass eins in allen Fällen und Beziehungen an die Stelle des andern könne gesetzt werden, ohne dass diese Vertauschung den mindesten kenntlichen Unterschied verursachen würde. In der That verhält sich dies auch so mit ebenen Figuren in der Geometrie; allein verschiedene sphärische zeigen, ohnerachtet jener völligen inneren Uebereinstimmung, doch eine solche im äusseren Verhältniss, dass sich eine an die Stelle der andern gar nicht setzen lässt, z. B. zwei sphärische Triangel von beiden Hemisphären, die einen Bogen des Aequators zur gemeinschaftlichen Basis haben, können völlig gleich sein, in Ansehung der Seiten sowohl, als Winkel, so dass an keinem, wenn er allein und zugleich vollständig beschrieben wird, nichts angetroffen wird, was nicht zugleich in der Beschreibung des andern läge, und dennoch kann einer nicht an die Stelle des andern (nämlich auf dem entgegengesetzten Hemisphär) gesetzt werden; und hier ist denn doch eine innere Verschiedenheit beider Triangel, die kein Verstand als innerlich angeben kann, und die sich nur durch das äussere Verhältniss im Raume offenbart. Allein ich will gewöhnlichere Fälle anführen, die aus dem gemeinen Leben genommen werden können.

Was kann wohl meiner Hand oder meinem Ohr ähnlicher, und in allen Stücken gleicher sein, als ihr Bild im Spiegel? Und dennoch kann ich eine solche Hand, als im Spiegel gesehen wird, nicht an die Stelle ihres Urbildes setzen; denn wenn dieses eine rechte Hand war, so ist jene im Spiegel eine linke, und das Bild des rechten Ohres ist ein linkes, das nimmermehr die Stelle des ersteren vertreten kann. Nun sind hier keine inneren Unterschiede, die irgend ein Verstand nur denken könnte; - und

dennoch sind die Unterschiede innerlich, so weit die Sinne lehren, denn die linke Hand kann mit der rechten, ohnerachtet aller beiderseitigen Gleichheit und Aehnlichkeit, doch nicht zwischen denselben Grenzen eingeschlossen sein, (sie können nicht congruiren;) der Handschuh der einen Hand kann nicht auf der andern gebraucht werden. Was ist nun die Auflösung? Diese Gegenstände sind nicht etwa Vorstellungen der Dinge, wie sie an sich selbst sind und wie sie der pure Verstand erkennen würde, sondern es sind sinnliche Anschauungen, d. i. Erscheinungen, deren Möglichkeit auf dem Verhältnisse gewisser an sich unbekannten Dinge zu etwas Anderem, nämlich unserer Sinnlichkeit beruht. Von dieser ist nun der Raum die Form der äusseren Anschauung, und die innere Bestimmung eines jeden Raumes ist nur durch die Bestimmung des äusseren Verhältnisses zu dem ganzen Raume, davon jener ein Theil ist, (dem Verhältnisse zum äusseren Sinne), d. i. der Theil ist nur durchs Ganze möglich, welches bei Dingen an sich selbst, als Gegenständen des blosen Verstandes niemals, wohl aber bei blosen Erscheinungen stattfindet. Wir können daher auch den Unterschied ähnlicher und gleicher, aber doch incongruenter Dinge (z. B. widersinnig gewundener Schnecken) durch keinen einzigen Begriff verständlich machen, sondern nur durch das Verhältniss zur rechten und linken Hand, welches unmittelbar auf Anschauung geht.

Anmerkung I.

Die reine Mathematik, und namentlich die reine Geometrie kann nur unter der Bedingung allein objective Realität haben, dass sie blos auf Gegenstände der Sinne geht, in Ansehung deren aber der Grundsatz feststeht: dass unsere sinnliche Vorstellung keinesweges eine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art sei, wie sie uns erscheinen. Daraus folgt, dass die Sätze der Geometrie nicht etwa Bestimmungen eines blosen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie, und also nicht mit Zuverlässigkeit auf wirkliche Gegenstände könnten bezogen werden, sondern dass sie nothwendiger Weise vom Raume, und darum auch von allem, was im Raume angetroffen werden mag, gelten, weil der Raum nichts Anderes ist, als die Form aller äusseren Erscheinungen, unter der uns allein Gegenstände der Sinne gegeben werden können. Die Sinnlichkeit, deren Form die Geometrie zum Grunde legt, ist das, worauf die Möglichkeit äusserer Erscheinungen beruht; diese also können niemals etwas Anderes enthalten, als was die Geometrie ihnen vorschreibt. Ganz anders würde es sein, wenn die Sinne die Objecte vorstellen müssten, wie sie an

sich selbst sind. Denn da würde aus der Vorstellung vom Raume, die der Geometer a priori mit allerlei Eigenschaften desselben zum Grunde legt, noch gar nicht folgen, dass alles dieses sammt dem, was daraus gefolgert wird, sich gerade so in der Natur verhalten müsse. Man würde den Raum des Geometers für blose Erdichtung halten und ihm keine objective Gültigkeit zutrauen; weil man gar nicht einsieht, wie Dinge nothwendig mit dem Bilde, das wir uns von selbst und zum voraus von ihnen machen, übereinstimmen müssten. Wenn aber dieses Bild, oder vielmehr diese formale Anschauung die wesentliche Eigenschaft unserer Sinnlichkeit ist, vermittelst deren uns allein Gegenstände gegeben werden, diese Sinnlichkett aber nicht Dinge an sich selbst, sondern nur ihre Erscheinungen vorstellt, so ist ganz leicht zu begreifen und zugleich unwidersprechlich bewiesen: dass alle äussere Gegenstände unserer Sinnenwelt nothwendig mit den Sätzen der Geometrie nach aller Pünktlichkeit übereinstimmen müssen, weil die Sinnlichkeit durch ihre Form äusserer Anschauung (den Raum), womit sich der Geometer beschäftigt, jene Gegenstände als blose Erscheinungen selbst allererst möglich macht. Es wird allemal ein bemerkungswürdiges Phänomen in der Geschichte der Philosophie bleiben, dass es eine Zeit gegeben hat, da selbst Mathematiker, die zugleich Philosophen waren, zwar nicht an der Richtigkeit ihrer geometrischen Sätze, sofern sie blos den Raum beträfen, aber an der objectiven Gültigkeit und Anwendung dieses Begriffs selbst und aller geometrischen Bestimmungen desselben auf Natur zu zweifeln anfingen, da sie besorgten, eine Linie in der Natur möchte doch wohl aus physischen Punkten, mithin der wahre Raum im Objecte aus einfachen Theilen bestehen, obgleich der Raum, den der Geometer in Gedanken hat, daraus keineswegs. bestehen kann. Sie erkannten nicht, dass dieser Raum in Gedanken den physischen d. i. die Ausdehnung der Materie selbst möglich mache; dass dieser gar keine Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, sondern nur eine Form unserer sinnlichen Vorstellungskraft sei; dass alle Gegenstände im Raume blose Erscheinungen, d. i. nicht Dinge an sich selbst, sondern Vorstellungen unserer sinnlichen Anschauung seien, und da der Raum, wie ihn sich der Geometer denkt, ganz genau die Form der sinnlichen Anschauung ist, die wir a priori in uns finden und die den Grund der Möglichkeit aller äusseren Erscheinungen (ihrer Form nach) enthält, diese nothwendig und auf das Präciseste mit den Sätzen des Geometers, die er aus keinem erdichteten Begriff, sondern aus der subjectiven Grundlage aller äusseren Erscheinungen, nämlich der

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