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widrig sei, wenn man, ohne sie im mindesten etwas Neues zu lehren, sie nur, wie Sokrates that, auf ihr eigenes Princip aufmerksam macht, und dass es also keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu wissen, was man zu thun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um weise und tugendhaft zu sein. Das liesse sich auch wohl schon zum voraus vermuthen, dass die Kenntniss dessen, was zu thun, mithin auch zu wissen jedem Menschen obliegt, auch jedes, selbst des gemeinsten Menschen Sache sein werde. Hier kann man es doch nicht ohne Bewunderung ansehen, wie das praktische Beurtheilungsvermögen vor dem theoretischen im gemeinen Menschenverstande so gar viel voraus habe. In dem letzteren, wenn die gemeine Vernunft es wagt, von den Erfahrungsgesetzen und den Wahrnehmungen der Sinne abzugehen, geräth sie in lauter Unbegreiflichkeiten und Widersprüche mit sich selbst, wenigstens in ein Chaos von Ungewissheit, Dunkelheit und Unbestand. Im Praktischen aber fängt die Beurtheilungskraft denn eben allererst an, sich recht vortheilhaft zu zeigen, wenn der gemeine Verstand alle sinnliche Triebfedern von praktischen Gesetzen ausschliesst. Er wird alsdann sogar subtil, es mag sein, dass er mit seinem Gewissen oder anderen Ansprüchen in Beziehung auf das, was recht heissen soll, chicaniren, oder auch den Werth der Handlungen zu seiner eigenen Belehrung aufrichtig bestimmen will, und, was das Meiste ist, er kann im letzteren Falle sich eben so gut Hoffnung machen, es recht zu treffen, als es sich immer ein Philosoph versprechen mag, ja ist beinahe noch sicherer hierin, als selbst der letztere, weil dieser doch kein anderes Princip als jener haben, sein Urtheil aber durch eine Menge fremder, nicht zur Sache gehöriger Erwägungen leicht verwirren und von der geraden Richtung abweichend machen kann. Wäre es demnach nicht rathsamer, es in moralischen Dingen bei dem gemeinen Vernunfturtheil bewenden zu lassen, und höchstens nur Philosophie anzubringen, um das System der Sitten desto vollständiger und fasslicher, imgleichen die Regeln derselben zum Gebrauche, (noch mehr aber zum Disputiren) bequemer darzustellen, nicht aber um selbst in praktischer Absicht den gemeinen Menschenverstand von seiner glücklichen Einfalt abzubringen und ihn durch Philosophie auf einen neuen Weg der Untersuchung und Belehrung zu bringen?

Es ist eine herrliche Sache um die Unschuld, nur ist es auch wiederum sehr schlimm, dass sie sich nicht wohl bewahren lässt und leicht

1 1ste Ausgabe: Gleichwohl.

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die sonst wohl

verführt wird. Deswegen bedarf selbst die Weisheit, mehr im Thun und Lassen, als im Wissen besteht, doch auch der Wissenschaft, nicht um von ihr zu lernen, sondern ihrer Vorschrift Eingang und Dauerhaftigkeit zu verschaffen. Der Mensch fühlt in sich selbst ein mächtiges Gegengewicht gegen alle Gebote der Pflicht, die ihm die Vernunft so hochachtungswürdig vorstellt, an seinen Bedürfnissen und Neigungen, deren ganze Befriedigung er unter dem Namen der Glückseligkeit zusammenfasst. Nun gebietet die Vernunft, ohne doch dabei den Neigungen etwas zu verheissen, unnachlasslich, mithin gleichsam mit Zurücksetzung und Nichtachtung jener so ungestümen und dabei so billig scheinenden Ansprüche, (die sich durch kein Gebot wollen aufheben lassen,) ihre Vorschriften. Hieraus entspringt aber eine natürliche Dialektik, d. i. ein Hang, wider jene strengen Gesetze der Pflicht zu vernünfteln und ihre Gültigkeit, wenigstens ihre Reinigkeit und Strenge in Zweifel zu ziehen und sie, wo möglich, unsern Wünschen und Neigungen angemessener zu machen, d. i. sie im Grunde zu verderben und um ihre ganze Würde zu bringen, welches denn doch selbst die gemeine praktische Vernunft am Ende nicht gut heissen kann.

So wird also die gemeine Menschenvernunft nicht durch irgend ein Bedürfniss der Speculation, (welches ihr, so lange sie sich genügt, blose gesunde Vernunft zu sein, niemals anwandelt,) sondern selbst aus praktischen Gründen angetrieben, aus ihrem Kreise zu gehen und einen Schritt ins Feld der praktischen Philosophie zu thun, um daselbst, wegen der Quelle ihres Princips und richtigen Bestimmung desselben in Gegenhaltung mit den Maximen, die sich auf Bedürfniss und Neigung fussen, Erkundigung und deutliche Anweisung zu bekommen, damit sie aus der Verlegenheit wegen beiderseitiger Ansprüche herauskomme, und nicht Gefahr laufe, durch die Zweideutigkeit, in die sie leicht geräth, um alle ächte sittliche Grundsätze gebracht zu werden. Also entspinnt sich ebensowohl in der praktischen gemeinen Vernunft, wenn sie sich cultivirt, unvermerkt eine Dialektik, welche sie nöthigt, in der Philosophie Hülfe zu suchen, als es ihr im theoretischen Gebrauche widerfährt, und die erstere wird daher wohl ebensowenig, als die andere, irgendwo sonst, als in einer vollständigen Kritik unserer Vernunft, Ruhe finden.

Zweiter Abschnitt.

Uebergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten.

Wenn wir unsern bisherigen Begriff der Pflicht aus dem gemeinen Gebrauche unserer praktischen Vernunft gezogen haben, so ist daraus keineswegs zu schliessen, als hätten wir ihn als einen Erfahrungsbegriff behandelt. Vielmehr, wenn wir auf die Erfahrung vom Thun und Lassen der Menschen Acht haben, treffen wir häufige und, wie wir selbst einräumen, gerechte Klagen an, dass man von der Gesinnung, aus reiner Pflicht zu handeln, so gar keine sicheren Beispiele anführen könne, dass, wenngleich Manches dem, was Pflicht gebietet, gemäss geschehen mag, dennoch es immer noch zweifelhaft sei, ob es eigentlich aus Pflicht geschehe und also einen moralischen Werth habe. Daher es zu aller Zeit Philosophen gegeben hat, welche die Wirklichkeit dieser Gesinnung in den menschlischen Handlungen schlechterdings abgeleugnet und alles der mehr oder weniger verfeinerten Selbstliebe zugeschrieben haben, ohne doch deswegen die Richtigkeit des Begriffs von Sittlichkeit in Zweifel zu ziehen, vielmehr mit inniglichem Bedauren der Gebrechlichkeit und Unlauterkeit der menschlichen Natur Erwähnung thaten, die zwar edel genug sei, 1 sich eine so achtungswürdige Idee zu ihrer Vorschrift zu machen, aber zugleich zu schwach, um sie zu befolgen, nnd die Vernunft, die ihr zur Gesetzgebung dienen sollte, nur dazu braucht, um das Interesse der Neigungen, es sei einzeln, oder, wenn es hoch kommt, in ihrer grössten Verträglichkeit unter einander zu besorgen.

In der That ist es schlechterdings unmöglich, durch Erfahrung einen

1 1ste Ausgabe: ist.

einzigen Fall mit völliger Gewissheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmässigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe. Denn es ist zwar bisweilen der Fall, dass wir bei der schärfsten Selbstprüfung gar nichts antreffen, was ausser dem moralischen Grunde der Pflicht mächtig genug hätte sein können, uns zu dieser oder jener guten Handlung und so grosser Aufopferung zu bewegen; es kann aber daraus gar nicht mit Sicherheit geschlossen werden, dass wirklich gar kein geheimer Antrieb der Selbstliebe, unter der blosen Vorspiegelung jener Idee, die eigentliche bestimmende Ursache des Willens gewesen sei, dafür wir denn gerne uns mit einem uns fälschlich angemassten edleren Bewegungsgrunde schmeicheln, in der That aber selbst durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals völlig kommen hönnen, weil, wenn vom moralischen Werthe die Rede ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene inneren Principien derselben, die man nicht sieht.

Man kann auch denen, die alle Sittlichkeit als bloses Hirngespinnst einer durch Eigendünkel sich selbst übersteigenden menschlichen Einbildung verlachen, keinen gewünschteren Dienst thun, als ihnen einzuräumen, dass die Begriffe der Pflicht, (so wie man sich auch aus Gemächlichkeit gerne überredet, dass es auch mit allen übrigen Begriffen bewandt sei,) lediglich aus der Erfahrung gezogen werden mussten; denn da bereitet man jenen einen sichern Triumph. Ich will aus Menschenliebe einräumen, dass noch die meisten unserer Handlungen pflichtmässig seien; sieht man aber ihr Dichten und Trachten näher an, so stösst man allenthalben auf das liebe Selbst, was immer hervorsticht, worauf, und nicht auf das strenge Gebot der Pflicht, welches mehrmalen Selbstverleugnung erfordern würde, sich ihre Absicht stützt. Man braucht auch eben kein Feind der Tugend, sondern nur ein kaltblütiger Beobachter zu sein, der den lebhaftesten Wunsch für das Gute nicht sofort für dessen Wirklichkeit hält, um (vornehmlich mit zunehmenden Jahren und einer durch Erfahrung theils gewitzigten, theils zum Beobachten geschärften Urtheilskraft) in gewissen Augenblicken zweifelhaft zu werden, ob auch wirklich in der Welt irgend wahre Tugend angetroffen werde. Und hier kann uns nichts vor dem gänzlichen Abfall von unseren Ideen der Pflicht bewahren und gegründete Achtung gegen ihr Gesetz in der Seele erhalten, als die klare Ueberzeugung, dass, wenn es auch niemals Handlungen gegeben habe, die aus solchen reinen Quel

len entsprungen wären, dennoch hier auch davon gar nicht die Rede sei, ob dies oder jenes geschehe, sondern die Vernunft für sich selbst und unabhängig von allen Erscheinungen gebiete, was geschehen soll, mithin Handlungen, von denen die Welt vielleicht bisher noch gar kein Beispiel gegeben hat, an deren Thunlichkeit sogar der, so alles auf Erfahrung gründet, sehr zweifeln möchte, dennoch durch Vernunft unnachlasslich geboten seien, und dass z. B. reine Redlichkeit in der Freundschaft um nichts weniger von jedem Menschen gefordert werden könne, wenn es gleich bis jetzt gar keinen redlichen Freund gegeben haben möchte, weil diese Pflicht als Pflicht überhaupt, vor aller Erfahrung, in der Idee einer den Willen durch Gründe a priori bestimmenden Vernunft liegt.

Setzt man hinzu, dass, wenn man dem Begriffe von Sittlichkeit nicht gar alle Wahrheit und Beziehung auf irgend ein mögliches Object bestreiten will, man nicht in Abrede ziehen könne, dass sein Gesetz von so ausgebreiteter Bedeutung sei, dass es nicht blos für Menschen, sondern alle vernünftige Wesen überhaupt, nicht blos unter zufälligen Bedingungen und mit Ausnahmen, sondern schlechterdings nothwendig gelten müsse; so ist klar, dass keine Erfahrung, auch nur auf die Möglichkeit solcher apodiktischen Gesetze zu schliessen, Anlass geben könne. Denn mit welchem Rechte können wir das, was vielleicht nur unter den zufälligen Bedingungen der Menschheit gültig ist, als allgemeine Vorschrift für jede vernünftige Natur, in unbeschränkte Achtung bringen, und wie sollen Gesetze der Bestimmung unseres Willens für Gesetze der Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt und, nur als solche, auch für den unsrigen gehalten werden, wenn sie blos empirisch wären und nicht völlig a priori aus reiner, aber praktischer Vernunft ihren Ursprung nähmen?

Man könnte auch der Sittlichkeit nicht übler rathen, als wenn man sie von Beispielen entlehnen wollte. Denn jedes Beispiel, was mir davon vorgestellt wird, muss selbst zuvor nach Principien der Moralität beurtheilt werden, ob es auch würdig sei, zum ursprünglichen Beispiele,1 d. i. zum Muster zu dienen, keinesweges aber kann es den Begriff derselben zu oberst an die Hand geben. Selbst der Heilige des Evangelii muss zuvor mit unserem Ideal der sittlichen Vollkommenheit verglichen werden, ehe man ihn dafür erkennt; auch sagt er von sich selbst: was nennt ihr mich, (den ihr sehet,) gut; Niemand ist gut (das Urbild des Guten).

1 1ste Ausgabe: ächten Beispiele.

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