Page images
PDF
EPUB

es denn klar einleuchtet, dass, wir möchten unseren Begriff drehen und wenden, wie wir wollen, wir, ohne die Anschauung zu Hülfe zu nehmen, vermittelst der blosen Zergliederung unserer Begriffe die Summe niemals finden könnten.

Eben so wenig ist irgend ein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Dass die gerade Linie zwischen zweien Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Grösse, sondern nur eine Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu, und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muss also hier zu Hülfe genommen werden, vermittelst deren allein die Synthesis möglich ist.

Einige andere Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen, sind zwar wirklich analytisch und beruhen auf dem Satze des Widerspruchs, sie dienen aber nur, wie identische Sätze, zur Kette der Methode und nicht als Principien, z. B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d. i. das Ganze ist grösser, als sein Theil. Und doch auch diese selbst, ob sie gleich nach blosen Begriffen gelten, werden in der Mathematik nur darum zugelassen, weil sie in der Anschauung können dargestellt werden. Was nun hier gemeiniglich glauben macht, als läge das Prädicat solcher apodiktischen Urtheile schon in unserem Begriffe, und das Urtheil sei also analytisch, ist blos die Zweideutigkeit des Ausdrucks. Wir sollen nämlich zu einem gegebenen Begriffe ein gewisses Prädicat hinzudenken, und diese Nothwendigkeit haftet schon an den Begriffen. Aber die Frage ist nicht, was wir zu dem gegebenen Begriffe hinzu denken sollen, sondern was wir wirklich in ihnen, obzwar nur dunkel denken, und da zeigt sich, dass das Prädicat jenen Begriffen zwar nothwendig, aber nicht unmittelbar, sondern vermittelst einer Anschauung, die hinzukommen muss, anhänge.

§. 3.

Anmerkung zur allgemeinen Eintheilung der Urtheile in analytische und synthetische.

Diese Eintheilung ist in Ansehung der Kritik des menschlichen Verstandes unentbehrlich, und verdient daher in ihr classisch zu sein; sonst wüsste ich nicht, dass sie irgend anderwärts einen beträchtlichen Nutzen hätte. Und hierin finde ich auch die Ursache, weswegen dogmatische Philosophen, die die Quellen metaphysischer Urtheile immer

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

2

nur in der Metaphysik selbst, nicht aber ausser ihr, in den reinen Vernunftgesetzen überhaupt suchten, diese Eintheilung, die sich von selbst darzubieten scheint, vernachlässigten, und wie der berühmte WOLF, oder der seinen Fusstapfen folgende scharfsinnige BAUMGARTEN den Beweis von dem Satze des zureichenden Grundes, der offenbar synthetisch ist, im Satze des Widerspruchs suchen konnten. Dagegen treffe ich schon in LOCKE'S Versuchen über den menschlichen Verstand einen Wink zu dieser Eintheilung an. Denn im vierten Buch, dem dritten Hauptstück, §. 9 u. f., nachdem er schon vorher von der verschiedenen Verknüpfung der Vorstellungen in Urtheilen und deren Quellen geredet hatte, wovon er die eine in der Identität oder Widerspruch setzt (analytische Urtheile), die andere aber in der Existenz der Vorstellungen in einem Subject (synthetische Urtheile), so gesteht er §. 10, dass unsere Erkenntniss (a priori) von der letzteren sehr enge und beinahe gar nichts sei. Allein es herrscht in dem, was er von dieser Art der Erkenntniss sagt, so wenig Bestimmtes und auf Regeln Gebrachtes, dass man sich nicht wundern darf, wenn Niemand, sonderlich nicht einmal HUME Anlass daher genommen hat, über Sätze dieser Art Betrachtungen anzustellen. Denn dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Principien lernt man nicht leicht von Anderen, denen sie nur dunkel obgeschwebt haben. Man muss durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen sein, hernach findet man sie auch anderwärts, wo man sie gewiss nicht zuerst würde angetroffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wussten, dass ihren eigenen Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt worden, aufzuspähen, wo es doch vorher Niemand sehen konnte.

Der Prolegomenen

allgemeine Frage:

Ist überall Metaphysik möglich?

§. 4.

Wäre Metaphysik, die sich als Wissenschaft behaupten könnte, wirk

lich, könnte man sagen: hier ist Metaphysik, die dürft ihr nur lernen, und

sie wird euch unwiderstehlich und unveränderlich von ihrer Wahrheit überzeugen; so wäre diese Frage unnöthig, und es bliebe nur diejenige übrig, die mehr eine Prüfung unserer Scharfsinnigkeit, als den Beweis von der Existenz der Sache selbst beträfe, nämlich: wie sie möglich sei, und wie Vernunft es anfange, dazu zu gelangen? Nun ist es der menschlichen Vernunft in diesem Falle so gut nicht geworden. Man kann kein einziges Buch aufzeigen, so wie man etwa einen EUKLID vorzeigt, und sagen: das ist Metaphysik, hier findet ihr den vornehmsten Zweck dieser Wissenschaft, das Erkenntniss eines höchsten Wesens und einer künftigen Welt, bewiesen aus Principien der reinen Vernunft. Denn man kann uns zwar viele Sätze aufzeigen, die apodiktisch gewiss sind und niemals bestritten worden; aber diese sind insgesammt analytisch und betreffen mehr die Materialien und den Bauzeug zur Metaphysik, als die Erweiterung der Erkenntniss, die doch unsere eigentliche Absicht mit ihr sein soll. (§. 2. lit. c.) Ob ihr aber gleich auch synthetische Sätze (z. B. den Satz des zureichenden Grundes) vorzeigt, die ihr niemals aus bloser Vernunft, mithin, wie doch eure Pflicht war, a priori bewiesen habt, die man euch aber doch gerne einräumt; so gerathet ihr doch, wenn ihr euch derselben zu eurem Hauptzwecke bedienen wollt, in so unstatthafte und unsichere Behauptungen, dass zu aller Zeit eine Metaphysik der anderen entweder in Ansehung der Behauptungen selbst oder ihrer Beweise widersprochen und dadurch ihren Anspruch auf daurenden Beifall selbst vernichtet hat. Sogar sind die Versuche, eine solche Wissenschaft zu Stande zu bringen, ohne Zweifel die erste Ursache des so früh entstandenen Skepticismus gewesen, einer Denkungsart, darin die Vernunft so gewaltthätig gegen sich selbst verfährt, dass diese niemals, als in völliger Verzweiflung an Befriedigung in Ansehung ihrer wichtigsten Absichten hätte entstehen können. Denn lange vorher, ehe man die Natur methodisch zu befragen anfing, befrug man blos seine abgesonderte Vernunft, die durch gemeine Erfahrung in gewisser Maasse schon geübt war; weil Vernunft uns doch immer gegenwärtig ist, Naturgesetze aber gemeiniglich mühsam aufgesucht werden müssen; und so schwamm Metaphysik oben auf, wie Schaum, doch so, dass, so wie der, den man geschöpft hatte, zerging, sich sogleich ein anderer auf der Oberfläche zeigte, den immer Einige begierig aufsammelten, wobei Andere, anstatt in der Tiefe die Ursache dieser Erscheinung zu suchen, sich damit weise dünkten, dass sie die vergebliche Mühe der Ersteren belachten.

Das Wesentliche und Unterscheidende der reinen mathematischen

Erkenntniss von aller anderen Erkenntniss a priori ist, dass sie durchaus nicht aus Begriffen, sondern jederzeit nur durch die Construction der Begriffe (Kritik S. 713)1 vor sich gehen muss. Da sie also in ihren Sätzen über den Begriff zu demjenigen, was die ihm correspondirende Anschauung enthält, hinausgehen muss; so können und sollen ihre Sätze auch niemals durch Zergliederung der Begriffe d. i. analytisch entspringen, und sind daher insgesammt synthetisch.

Ich kann aber nicht umhin, den Nachtheil zu bemerken, den die Vernachlässigung dieser sonst leichten und unbedeutend scheinenden Beobachtung der Philosophie zugezogen hat. HUME, als er den eines Philosophen würdigen Beruf fühlte, seine Blicke auf das ganze Feld der reinen Erkenntniss a priori zu werfen, in welchem sich der menschliche Verstand so grosse Besitzungen anmasst, schnitt unbedachtsamer Weise eine ganze und zwar die erheblichste Provinz derselben, nämlich reine Mathematik, davon ab, in der Einbildung, ihre Natur, und so zu reden ihre Staatsverfassung, beruhe auf ganz andern Principien, nämlich lediglich auf dem Satze des Widerspruchs, und ob er zwar die Eintheilung der Sätze nicht so förmlich und allgemein, oder unter der Benennung gemacht hatte, als es von mir hier geschieht, so war es doch gerade so viel, als ob er gesagt hätte: reine Mathematik enthält blos analytische Sätze, Metaphysik aber synthetische a priori. Nun irrte er hierin gar sehr, und dieser Irrthum hatte auf seinen ganzen Begriff entscheidend nachtheilige Folgen. Denn wäre das von ihm nicht geschehen, so hätte er seine Frage, wegen des Ursprungs unserer synthetischen Urtheile, weit über seinen metaphysischen Begriff der Causalität erweitert und sie auch auf die Möglichkeit der Mathematik a priori ausgedehnt; denn diese musste er ebensowohl für synthetisch annehmen. Alsdenn aber hätte er seine metaphysischen Sätze keinesweges auf blose Erfahrung gründen können, weil er sonst die Axiome der reinen Mathematik ebenfalls der Erfahrung unterworfen haben würde, welches zu thun er viel zu einsehend war. Die gute Gesellschaft, worin Metaphysik alsdenn zu stehen gekommen wäre, hätte sie wider die Gefahr einer schnöden Misshandlung gesichert, denn die Streiche, welche der letzteren zugedacht waren, hätten die erstere auch treffen müssen, welches aber seine Meinung nicht war, auch nicht sein konnte; und so wäre der scharfsinnige Mann in Betrachtungen gezogen worden, die denjenigen hätten ähnlich werden müssen, womit wir uns jetzt beschäftigen, die aber

1 Vgl. die Anmerkung zu S. 14.

durch seinen unnachahmlich schönen Vortrag unendlich würden gewonnen haben.

Eigentlich metaphysische Urtheile sind insgesammt synthetisch. Man muss zur Metaphysik gehörige von eigentlich metaphysischen Urtheilen unterscheiden. Unter jenen sind sehr viele analytisch, aber sie machen nur die Mittel zu metaphysischen Urtheilen aus, auf die der Zweck der Wissenschaft ganz und gar gerichtet ist, und die allemal synthetisch sind. Denn wenn Begriffe zur Metaphysik gehören, z. B. der von Substanz, so gehören die Urtheile, die aus der blosen Zergliederung derselben entspringen, auch nothwendig zur Metaphysik, z. B. Substanz ist dasjenige, was nur als Subject existirt etc., und vermittelst mehrerer dergleichen analytischen Urtheile suchen wir der Definition der Begriffe nahe zu kommen. Da aber die Analysis eines reinen Verstandesbegriffs, (dergleichen die Metaphysik enthält,) nicht auf andere Art vor sich geht, als die Zergliederung jedes anderen auch empirischen Begriffs, der nicht in die Metaphysik gehört, (z. B. Luft ist eine elastische Flüssigkeit, deren Elasticität durch keinen bekannten Grad der Kälte aufgehoben wird,) so ist zwar der Begriff, aber nicht das analytische Urtheil eigenthümlich metaphysisch; denn diese Wissenschaft hat etwas Besonderes und ihr Eigenthümliches in der Erzeugung ihrer Erkenntnisse a priori; die also von dem, was sie mit allen anderen Verstandeserkenntnissen gemein hat, muss unterschieden werden; so ist z. B. der Satz: alles, was in den Dingen Substanz ist, ist beharrlich, ein synthetischer und eigenthümlich metaphysischer Satz.

Wenn man die Begriffe a priori, welche die Materie der Metaphysik und ihr Bauzeug ausmachen, zuvor nach gewissen Principien gesammelt hat, so ist die Zergliederung dieser Begriffe von grossem Werthe; auch kann dieselbe als ein besonderer Theil (gleichsam als philosophia definitiva), der lauter analytische zur Metaphysik gehörige Sätze enthält, von allen synthetischen Sätzen, die die Metaphysik selbst ausmachen, abgesondert vorgetragen werden. Denn in der That haben jene Zergliederungen nirgend anders einen beträchtlichen Nutzen, als in der Metaphysik, d. i. in Absicht auf die synthetischen Sätze, die aus jenen zuerst zergliederten Begriffen sollen erzeugt werden.

[ocr errors]

Der Schluss dieses Paragraphs ist also: dass Metaphysik es eigentlich mit synthetischen Sätzen a priori zu thun habe, und diese allein ihren Zweck ausmachen, zu welchem sie zwar allerdings mancher Zergliederungen ihrer Begriffe, mithin analytischer Urtheile bedarf, wobei aber das

« PreviousContinue »