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Eine Stelle unter den kurzen Anzeigen des zwölften Stücks der Gothaischen Gel. Zeitung d. J., die ohne Zweifel aus meiner Unterredung mit einem durchreisenden Gelehrten genommen worden, nöthigt mir diese Erläuterung ab, ohne die jene keinen begreiflichen Sinn haben würde.

(Anmerkung des Verfassers zu der Ueber

schrift dieser Abhandlung.)

Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen mag, so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, ebensowohl, als jede andere Naturbegebenheit, nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt. Die Geschichte, welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief auch deren Ursachen verborgen sein mögen, lässt dennoch von sich hoffen, dass, wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Grossen betrachtet, sie einen regelmässigen Gang derselben entdecken könne; und dass auf die Art, was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwickelung der ursprjinglichen Anlagen derselben werde erkannt werden können. So scheinen die Ehen, die daher kommenden Geburten und das Sterben, da der freie Wille der Menschen auf sie so grossen Einfluss hat, keiner Regel unterworfen zu sein, nach welcher man die Zahl derselben zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen die jährlichen Tafeln derselben in grossen Ländern, dass sie ebensowohl nach beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigen Witterungen, deren Ereigniss man einzeln nicht vorherbestimmen kann, die aber im Ganzen nicht ermangeln, den Wachsthum der Pflanzen, den Lauf der Ströme und andere Naturanstalten in einem gleichförmigen ununterbrochenen Gange zu erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran, dass, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne und einer oft wider den andern ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen, und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde.

Da die Menschen in ihren Bestrebungen nicht blos instinctmässig, wie Thiere, und doch auch nicht, wie vernünftige Weltbürger, nach einem

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verabredeten Plane, im Ganzen verfahren, so scheint auch keine planmässige Geschichte, (wie etwa von den Bienen oder den Bibern,) von ihnen möglich zu sein. Man kann sich eines gewissen Unwillens nicht erwehren, wenn man ihr Thun und Lassen auf der grossen Weltbühne aufgestellt sieht; und bei hin und wieder anscheinender Weisheit im Einzelnen, doch endlich alles im Grossen aus Thorheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammengewebt findet; wobei man am Ende nicht weiss, was man sich von unserer auf ihre Vorzüge so eingebildeten Gattung für einen Begriff machen soll. Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als dass, da er bei Menschen und ihrem Spiele im Grossen gar keine vernünftige eigene Absicht voraussetzen kann, er versuche, ob er nicht eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken könne; aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan verfahren, dennoch eine Geschichte - nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei. Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden zu einer solchen Geschichte zu finden; und wollen es dann der Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie darnach abzufassen. So brachte sie einen KEPLER hervor, der die excentrischen Bahnen der Planeten auf eine unerwartete Weise bestimmten Gesetzen unterwarf; und einen NEWTON, der diese Gesetze aus einer allgemeinen Naturursache erklärte.

Erster Satz.

Alle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmässig auszuwickeln. Bei allen Thieren bestätigt dieses die äussere sowohl, als innere oder zergliedernde Beobachtung. Ein Organ, das nicht gebraucht werden soll, eine Anordnung, die ihren Zweck nicht erreicht, ist ein Widerspruch in der teleologischen Naturlehre. Denn wenn wir von jenem Grundsatze abgehen, so haben wir nicht mehr eine gesetzmässige, sondern eine zwecklos spielende Natur; und das trostlose Ungefähr tritt an die Stelle des Leitfadens der Vernunft.

Zweiter Satz.

Am Menschen, (als dem einzigen vernünftigen Geschöpf auf Erden,) sollten sich diejenigen Naturanlagen, die auf den Gebrauch seiner Vernunft abgezielt sind, nur in der Gattung, nicht aber im Individuum vollständig entwickeln. Die Vernunft in

einem Geschöpfe ist ein Vermögen, die Regeln und Absichten des Gebrauchs aller seiner Kräfte weit über den Naturinstinct zu erweitern, und kennt keine Grenzen ihrer Entwürfe. Sie wirkt aber selbst nicht instinctmässig, sondern bedarf Versuche, Uebung und Unterricht, um von einer Stufe der Einsicht zur andern allmählig fortzuschreiten. Daher würde ein jeder Mensch unmässig lange leben müssen, um zu lernen, wie er von allen seinen Naturanlagen einen vollständigen Gebrauch machen solle; oder, wenn die Natur seine Lebensfrist nur kurz angesetzt hat, (wie es wirklich geschehen ist,) so bedarf sie einer vielleicht unabsehlichen Reihe von Zeugungen, deren eine der andern ihre Aufklärung überliefert, endlich ihre Keime in unserer Gattung zu derjenigen Stufe der Entwickelung zu treiben, welche ihrer Absicht vollständig angemessen ist. Und dieser Zeitpunkt muss wenigstens in der Idee des Menschen das Ziel seiner Bestrebungen sein, weil sonst die Naturanlagen grösstentheils als vergeblich und zwecklos angesehen werden müssten; welches alle praktische Principien aufheben, und dadurch die Natur, deren Weisheit in Beurtheilung aller übrigen Anstalten sonst zum Grundsatze dienen muss, am Menschen allein eines kindischen Spiels verdächtig machen würde.

Dritter Satz.

um

Die Natur hat gewollt, dass der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines thierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe, und keiner anderen Glückseligkeit oder Vollkommenheit theilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinct, durch eigene Vernunft verschafft hat. Die Natur thut nämlich nichts überflüssig und ist im Gebrauche der Mittel zu ihren Zwecken nicht verschwenderisch. Da sie dem Menschen Vernunft und darauf sich gründende Freiheit des Willens gab, so war das schon eine klare Anzeige ihrer Absicht in Ansehung seiner Ausstattung. Er sollte nämlich nun nicht durch Instinct geleitet, oder durch anerschaffene Kenntniss versorgt und unterrichtet sein; er sollte vielmehr alles aus sich selbst herausbringen. Die Erfindung seiner Bedeckung, seiner äusseren Sicherheit und Vertheidigung, (wozu sie ihm weder die Hörner des Stiers, noch die Klauen des Löwen, noch das Gebiss des Hundes, sondern blos Hände gab,) alle Ergötzlichkeit, die das Leben angenehm machen kann, selbst seine Einsicht und Klugheit, und sogar die Gutartigkeit seines Willens sollten gänzlich sein eigen Werk sein. Sie scheint sich hier in ihrer grössten Sparsamkeit selbst gefallen

KANT'S sämmtl. Werke. IV.

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zu haben, und ihre thierische Ausstattung so knapp, so genau auf das höchste Bedürfniss einer anfänglichen Existenz abgemessen zu haben, als wollte sie: der Mensch sollte, wenn er sich aus der grössten Rohigkeit dereinst zur grössten Geschicklichkeit, innerer Vollkommenheit der Denkungsart und, (so viel es auf Erden möglich ist,) dadurch zur Glückseligkeit emporgearbeitet haben würde, hievon das Verdienst ganz allein haben und es sich selbst nur verdanken dürfen; gleich als habe sie es mehr auf seine vernünftige Selbstschätzung, als auf ein Wohlbefinden angelegt. Denn in diesem Gange der menschlichen Angelegenheit ist ein ganzes Heer von Mühseligkeiten, die den Menschen erwarten. Es scheint aber der Natur darum gar nicht zu thun gewesen zu sein, dass er wohl lebe; sondern dass er sich so weit hervorarbeite, um sich, durch sein Verhalten, des Lebens und des Wohlbefindens würdig zu machen. Befremdend bleibt es immer hiebei, dass die älteren Generationen nur scheinen um der späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur zur Absicht hat, höher bringen könnten; und dass doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren, (zwar freilich ohne ihre Absicht,) gearbeitet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Antheil nehmenzu können. Allein so räthselhaft dieses auch ist, so nothwendig ist es doch zugleich, wenn man einmal annimmt : eine Thiergattung soll Vernunft haben, und als Klasse vernünftiger Wesen, die insgesammt sterben, deren Gattung aber unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwickelung ihrer Anlagen gelangen.

Vierter Satz.

Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonismus derselben in der Gesellschaft, sofern dieser doch am Ende die Ursache einer gesetzmässigen Ordnung derselben wird. Ich verstehe hier unter dem Antagonismus die ungesellige Geselligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hiezu liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften; weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwickelung seiner Naturanlagen fühlt.

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