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bieten konnte, denn „Liebe als Neigung kann nicht geboten" werden, dagegen Liebe im Sinne eines Wohltuns aus Pflicht" (Gr. 399).

Weiter ergibt sich aus der Klärung des Begriffs eines "guten Willens" mit Hilfe des Pflichtbegriffs, daß der absolute, das heißt: eigentlich „sittliche“ Wert jenes Willens nicht in dem Gegenstand oder Inhalt des Wollens, auch nicht in seinen Wirkungen und Erfolgen liegt, sondern im „Prinzip des Willens“, das heißt in dem ausschlaggebenden Bestimmungsgrund. Dieses „Prinzip“ aber kann entweder, wie wir bereits wissen, das Pflichtbewußtsein oder die Neigung sein.

4. Der formale Charakter von Kants Ethik

Diese Erwägung führt uns auf einen weiteren, höchst umstrittenen Charakterzug der Kantischen Ethik, ihren „Formalismus".

Selbstverständlich bezweifelt Kant nicht, daß alles Wollen wesensnotwendig einen Gegenstand, einen Inhalt — nach Kants Ausdruck: eine „Materie" hat. Es wird eben immer ,,etwas" gewollt, eben das, was durch das Wollen verwirklicht werden soll. Wie kommen wir aber zu den „Gegenständen“ des Wollens? Durch unsere Neigungen. Sie stellen uns ja fortwährend dies oder jenes als begehrenswert (oder auch als zu vermeidend) dar. So bilden die Neigungen die von Natur sich in uns regenden „Triebfedern" unseres Wollens, aus ihnen stammt der Inhalt (die „Materie") unserer Ab sichten, Ziele und Zwecke.

Soll nun der gute Wille" nicht durch die Neigung,

sondern durch das Pflichtbewußtsein bestimmt werden, so ist damit gesagt, daß sein „Prinzip" (sein Bestimmungsgrund) nicht in der „Materie“ des Wollens, also nicht im Inhalt des Gewollten (noch weniger in dem wirklich Erreichten oder gar in zufälligen Folgen unseres Tuns) liegen kann. Wo kann es dann anders liegen als in einem „formalen“ Umstand, nämlich darin, daß wir aus Pflicht" wollen. „Formal" aber darf dieser Bestimmungsgrund deshalb heißen, weil er ja mit dem verschiedensten Inhalt sich verbinden kann. Wie in derselben Raumform (etwa einem Quadrat) die verschiedensten Farben als Inhalt auftreten können, so kann aus Pflichtbewußtsein heraus inhaltlich sehr Verschiedenes gewollt werden, graben oder hämmern, lehren oder hören, strafen oder helfen usw.

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Freilich auch die „Materie“ kann übereinstimmen und die "Form" verschieden sein. Eine Handlung gleichen Inhalts, zum Beispiel die Abfaffung einer Schrift, kann „aus Neigung“ oder „aus Pflicht“ erfolgen. Nur wenn sie die leßtere „Form“ trägt, hat sie fittlichen Wert.

Wir erkennen also schon hier, daß die immer wieder erhobene Klage, Kants Ethik als eine lediglich „formale“ sei inhaltsleer, ja nichtssagend, unbegründet ist. Ehe wir uns aber näher mit diesem Vorwurf auseinanderseßen, müssen wir noch mit Kant einen weiteren Gedankenschritt vorwärts zur Klärung des Wesens des Sittlichen tun. Vom Begriff des guten Willens" sind wir zu dem der Pflicht“ vor. geschritten; den letteren aber erläutert Kant mit Hilfe des „Gesetzes"-Begriffs. „Pflicht ist Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“ (Gr. 400).

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Wenn hier von „Notwendigkeit einer Handlung“ die

Rede ist, so ist damit nicht gemeint, daß eine Handlung mit Naturnotwendigkeit eintritt, vielmehr daß wir eine bestimmte Art des Handelns als moralisch „notwendig“, als sein sollend, als „Gesetz“ erkennen. Der Begriff des „Gesetzes" enthüllt fich Kant als der Kern des Pflichtbegriffs. Der Gedanke des Gesetzes flößt uns nach Kants Überzeugung ein ganz eigenartiges Gefühl ein, das sich von allen naturhaften Neigungen deutlich unterscheidet: das Gefühl der Achtung. „Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werte, der meiner Selbstliebe Abbruch tut. Also ist es etwas, was weder als Gegenstand der Neigung, noch der Furcht (weil es sich ja um einen positiven Wert handelt] betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich etwas Analogisches hat. Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Geseß, und zwar dasjenige, das wir uns selbst und doch als an sich notwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unseres Willens, und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit usw.), wovon jene uns das Beispiel gibt" (Gr. 401, A. [vgl. S. 88]).

Was ist das nun aber für ein Gesetz, das uns im Pflichtbewußtsein entgegentritt und das den eigentlichen Bestimmungsgrund (das „Prinzip“) des guten Willens bildet?

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Wie alles Wollen, so muß auch jedes Gesetz des Wollens einen bestimmten Inhalt, eine Materie" haben. Aber so wenig der materiale Inhalt beim Wollen, so wenig darf er bei der Anerkennung eines Gesetzes ausschlaggebend sein.

Denn dieser Inhalt stammt ja hier wie dort aus unserer ,,Neigung". Wenn beispielsweise jemand aus Neigung zum Wohlleben es sich zum „Geseß“ machte, jeden Genuß, der ihm erreichbar ist, zu kosten, möge das auch seiner Gesundheit, seiner Ehre, seinen Mitmenschen schaden, so wird man darin doch nicht einen „guten" Willen entdecken. Ja, Kant pflegt einen solchen Grundsaß des Handelns, den sich jemand infolge einer Neigung zur Richtschnur nimmt, gar nicht als „Gesetz“, sondern als „Maxime“ zu bezeichnen. „Marime“ gilt ihm so als „subjektives Prinzip" des Wollens, als die Norm des Verhaltens, sofern sie vom einzelnen Subjekt als einzelnem anerkannt wird (worin noch nichts über ihre objektive und damit allgemeine Geltung gesagt ist). „Praktisches Geseß “ (das heißt: Gesez des Handelns) nennt er dagegen „dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip [das ist: zur Richtschnur des Verhaltens] dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte" (Gr. 401).

Nunmehr, nachdem wir durch Vermittlung des Pflichtbegriffs die Beziehung zwischen dem Begriff des guten Willen und dem des Gesetzes hergestellt haben, dürfen wir sagen, daß der gute Wille derjenige ist, dessen Bestimmungsgrund in der reinen Achtung vor dem Gesez besteht.

Damit ist als kennzeichnendes Merkmal des sittlichen Handelns das herausgehoben, daß es gewollt wird, weil es einem Geseze entspricht, weil es als schlechthin sein sollend, als objektiv richtig erscheint. Dieses Merkmal ist „formal“, aber deshalb ist es nicht leer oder nichtssagend. Denn es bekundet doch offenbar eine ganz andere innere Verfassung, ob

ein Mensch nach den jeweils sich regenden Neigungen und da mit nach Willkür und Laune handelt, oder ob er bemüht ist, jeweils sich so zu verhalten, wie es ihm als in sich richtig, als sein sollend, kurz als „Gesetz“ einleuchtet (wobei natürlich durchaus nicht nur oder in erster Linie an Staatsgesetze zu denken ist, sondern an die Gebote unseres Gewissens und des sogenannten allgemeinen sittlichen Bewußtseins).

Diese Gebote sind nun freilich durchweg inhaltlich be stimmt; man denke etwa an die „zehn Gebote“. Aber bei ihrem verschiedenen Inhalt stimmen sie doch in dem formalen Umstand überein, daß sie ohne Rücksicht auf Neigung oder Abneigung der einzelnen Subjekte als objektiv gültige Vorschriften auftreten. Ebenso „formal“ ist der Umstand, von dem es abhängt, ob wir das Wollen gut nennen: dann werden wir dies tun, wenn dem Geseße aus „, reiner Achtung" vor ihm gehorcht wird, nicht „aus Neigung“, etwa aus Hoffnung auf Belohnungen oder sonstige erwünschte Folgen oder aus Furcht vor Strafe oder Schaden.

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Gerade durch diese viel gescholtene und oft mißverstandene "formale" Bestimmung des guten Willens gewinnt Kants Wesensbestimmung des Sittlichen eine umfassende Weite.

Inhaltlich betrachtet, weist ja das sittliche Bewußtsein bei den verschiedenen Völkern und zu den verschiedenen Zeiten zahlreiche und tiefgehende Unterschiede auf. Diese Tatsache (die oft noch in übertreibender Weise dargestellt wurde) hat immer wieder Anlaß gegeben zu der skeptischen Meinung, alles Sittliche sei lediglich „subjektiv“, „relativ“. Von „objektiver" Gültigkeit könne angesichts dieses Chaos von sittlichen Überzeugungen überhaupt nicht gesprochen werden.

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