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und die eigentliche Bestimmung des Menschen zu sehen, entscheidet er sich gegen die sogenannte eudämonistische Ethik, die im Glück (Eudämonie) das höchste Ziel des menschlichen Strebens sieht und darum alle Sittlichkeit nur als Mittel für die Erreichung jenes Zieles schäßt1. Diese ethische Richtung war zur Zeit Kants geradezu herrschend, und sie hat auch nachher bis in die Gegenwart immer wieder Vertreter gefunden. Hätte sie recht, so würde auch der gute Wille nicht „ohne Einschränkung" für gut gehalten werden können; er würde nur dann wertvoll sein, wenn er sich als taugliches Mittel zur Erreichung unseres Glücks erwiese, wenn er angenehme und nüßliche Folgen hätte. Aber mag diese „, Erfolgsmoral" im praktischen Leben wie in der Ethik sich noch so breit machen, das unverfälschte sittliche Bewußtsein wird darin eine Verirrung sehen, es wird Kants Überzeugung beistimmen, daß im guten Willen selbst (der freilich nicht verwechselt werden darf mit einem bloßen, schwächlichen Wünschen) der höchste, der „absolute“ Wert ruhe. „Wenngleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich

Eudämonist ist nach Kant (Anthropologie § 2 Ak. VII 130) der, welcher „bloß im Nußen und der eigenen Glückseligkeit, nicht in der Pflichtvorstellung den obersten Bestimmungsgrund seines Willens sezt“. Besser hätte er hierfür wohl den Ausdruck „Hedonist" gebraucht (vom griechischen Hedone, das ist Lust). Denn die Eudämonie haben manche Philosophen nicht eigentlich als passives Genießen von Luft und Glück, sondern als vernunft. gemäße, wertvolle Aktivität gefaßt. „Glückseligkeit“ definiert Kant (r. V. 611) als „Befriedigung aller unserer Neigungen sowohl der Mannigfaltigkeit als dem Grade als auch der Dauer nach".

an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusehen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nichts von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille... übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. Die Nüßlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Wert weder etwas zusehen noch abnehmen."

Aber nicht nur deshalb lehnt Kant jene eudämonistische Lehre, die im Glück das oberste Ziel des Menschen erblickt, ab, weil sein sittliches Bewußtsein sich dagegen sträubt, sondern auch darum, weil er als tiefer Menschenkenner einsieht, daß wir um so weniger zur Glückseligkeit gelangen, je mehr wir sie bewußt erstreben. „In der Tat finden wir auch," so erklärt er, „daß, je mehr eine kultivierte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuß des Lebens und der Glückseligkeit abgibt, desto weiter der Mensch von der wahren Zufriedenheit abkomme."

Die Aufklärungszeit hatte in ihrem Optimismus meist vorausgeseßt, daß die Steigerung der Kultur auch zu einer Steigerung menschlichen Glückes führe, ja darin ihren eigentlichen Sinn finde. Dieser Voraussetzung war Rousseau scharf entgegengetreten, und unter seinem Einfluß waren jest gar manche zu der Anschauung gelangt, daß die Menschen mit all ihrem Kulturfortschritt „sich in der Tat nur mehr Mühseligkeit auf den Hals gezogen als an Glückseligkeit gewonnen hätten". Diese Meinung aber führte sie zu einer gewissen Abneigung gegen die Kultur und gegen die Vernunft als die kulturschaffende Macht. Sie beneideten wohl gar „den gemeineren Schlag der Menschen, welcher der Leitung des bloßen Naturinstinkts näher ist und der seiner Vernunft nicht viel Einfluß auf sein Tun und Lassen verstattet".

So begann der Optimismus des achtzehnten Jahrhunderts vielfach in einen ebenso einseitigen Pessimismus umzuschlagen. Kant überwindet diese beiden einseitigen und schiefen Weisen, den Wert des Lebens und der Kultur abzuschäßen, indem er die Wurzel aufdeckt, der sie beide entstammen. Es ist das eudämonistische Vorurteil: der Wert des menschlichen Daseins liege in seinem Ertrag an Glück, an Wohlsein. Schäßt man danach das Menschenleben ab, so werden tiefere Naturen in der Regel zu dem pessimistischen Gesamturteil gelangen, daß das Leben eigentlich keinen positiven Wert habe, daß es ein Geschäft sei, das in der Tat die Unkosten nicht lohne.

Das war ja auch das Ergebnis Schopenhauers, der so gern sich als den „achten Nachfolger Kants“ rühmt. Aber gerade hier zeigt sich, wie anfechtbar dieser Anspruch ist. Sein Pessimismus wurzelt nämlich in dem von Kant abgewiesenen Vorurteil, daß das Glück das höchste Ziel des Menschenlebens sei. Weil er aber an der Erreichung dieses Zieles verzweifelt, spricht er dem Leben wirklichen Wert ab.

Man weiß, wie stark der Pessimismus Schopenhauers in seiner packenden und überredenden Darstellung gewirkt hat und noch wirkt. Und doch war dieser eudämonistische Pessimismus Schopenhauers bereits in seiner Grundvoraussetzung durch Kant widerlegt, lange ehe Schopenhauers Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung" (1819) erschien. Wenn Kant recht hat in seiner Überzeugung, daß der höchste Wert nicht das Glück sei, sondern der gute Wille, und daß darum auch der Wert jedes Menschenlebens nicht in erster Linie danach zu bemessen sei, wieviel Glück es gebracht, sondern in welchem Grade,guter Wille' in ihm wirklich geworden sei

und es gestaltet habe, so ist damit die eudämonistische Wertbemessung des Lebens und der darauf sich gründende Pessimismus von vornherein abgetan. Daß aber bei diesem Gegensat das Recht auf seiten Kants sei, darf nicht zuletzt damit begründet werden, daß Kants Bewertung des Lebens auch die des allgemeinen sittlichen Bewußtseins ist.

Also nicht deshalb ist der Mensch mit Vernunft ausgestattet, damit er glücklich werde, sondern damit er den guten Willen in sich hervorbringe (vgl. S. 117).

Hier will Kant natürlich nicht sagen, daß Glück keinen Wert habe, oder daß es sittlich verwerflich sei, wenn der Mensch für sein Glück sorge und freudig und dankbar genieße, was ihm an Glück zuteil werde. Er will nur feststellen, daß für den sittlich gesinnten Menschen das Glück nicht das oberste Ziel seines Schäßens und Strebens sein darf. Ihm muß vielmehr in erster Linie am Herzen liegen, daß er das Gute wolle und tue, und niemals darf er sein Glück, seinen Vorteil erstreben auf Kosten des Guten, im Widerspruch mit seinem Gewissen. Es bleibt also bei aller Anerkennung auch des Glücks und seines Wertes dabei: Der gute Wille ist der oberste und insofern der „absolute", der uneingeschränkt geltende Wert.

3. Pflicht und Neigung

Die Schäßung des guten Willens als obersten Wertes lebt schon in dem „natürlichen gesunden Verstand“; sie braucht nicht erst dem Menschen gelehrt zu werden. Die Philosophie hat nur die Aufgabe, den Begriff des guten Willens zu klären. Zu diesem Zweck zieht Kant den Begriff der

Pflicht heran. Îndem er das Verhältnis dieser beiden Begriffe untersucht, kommt er zu dem Ergebnis: guter Wille ist dann vorhanden, wenn nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht (das heißt: aus Pflichtbewußtsein)" gewollt und gehandelt wird.

"

Den Weg Kants zu diesem viel angefochtenen Ergebnis müssen wir noch näher verfolgen. Er scheidet zunächst alle menschlichen Handlungen in pflichtwidrige und pflichtgemäße. Von den ersteren können wir absehen, denn bei ihnen kommt gar nicht in Frage, „ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da sie dieser sogar widerstreiten" (wobei Kant wohl lediglich an ein bewußt pflichtwidriges Handeln denkt).

Unter den pflichtgemäßen Handlungen gibt es solche, zu denen wir durch Neigung mittelbar oder unmittelbar getrieben. werden. Bei den ersteren läßt sich leicht unterscheiden, ob sie aus Pflicht oder aus mittelbarer Neigung, das heißt: aus selbstsüchtiger Absicht geschehen. So kann zum Beispiel ein Kaufmann seine Kunden ehrlich bedienen, nicht weil er eine unmittelbare Neigung zu ihnen hätte, oder weil er aus Pflichtbewußtsein grundsäßlich ehrlich wäre, sondern aus der eigennüßigen Absicht, den guten, ihm selbst Gewinn bringenden Ruf seines Geschäftes zu erhalten und zu fördern.

Schwerer ist es zu unterscheiden, ob eine pflichtmäßige Handlung „aus Pflicht“ oder „aus Neigung“ geschehen sei, wo der Handelnde auch eine unmittelbare Neigung zu ihr hat. Zum Beispiel: „Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche so teilnehmend gestimmte Seelen, daß sie, auch ohne einen anderen Beweggrund der Eitelkeit oder des Eigennußes, ein inneres Vergnügen daran finden,

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