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,Postulat" Gottes finnlos. Denn von einer Idee kann doch nicht erwartet werden, daß sie die Harmonie zwischen Tugend und Glück verwirklichen werde, sondern nur von einem wirk lichen Gott, der „im Regiment sißt“. Ebensowenig kann die Unsterblichkeit eine bloße „Idee“ sein, sie muß vielmehr als eine wirkliche Fortdauer der Seele nach dem Tode ihre fortgesette Annäherung an das Ideal des heiligen Willens und zugleich die Realisierung des höchsten Gutes möglich machen1.

8. Kants Freiheitslehre

Am ehesten könnte man noch annehmen, daß die Freiheit im Sinne der „wahren“, der sittlichen Freiheit lediglich als Idee, als Zielpunkt unseres moralischen Strebens zu denken sei, aber es wird sich zeigen, daß wir Kants Freiheitslehre nach ihrem ganzen Inhalt durchaus nicht lediglich von diesem Gesichtspunkt aus zu deuten vermögen.

Eine kurze Erörterung dieser Lehre möge ausgehen von einer Erklärung Kants in der „Grundlegung“ (S. 76 f.): „ ‚Nun behaupte ich, daß wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, notwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handle. Denn in einem solchen

1 Die Frage drängt sich hier auf, ob denn mit dem Tode die Sinnlichkeit und damit deren „Form", die Zeit, für uns aufhöre Einzelne Andeutungen Kants berechtigen uns zu der Annahme, daß er wohl an ein Fortleben der Seele im Bereich der sinnlichen Welt, etwa auf anderen Gestirnen, gedacht hat. (Vgl. Reininger a. a. D. S. 238.) Eine — geläuterte - Sinnlichkeit der Seele wäre ja auch Vorausseßung ihrer Beglückung (die ja in Befriedigung von „sinnlichen“ Neigungen bestehen muß).

Wesen denken wir uns eine Vernunft, die praktisch ist, das ist Rausalität in Ansehung ihrer Objekte hat. Nun kann man ich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein, in Ansehung ihrer Urteile, anderwärts her eine Penkung empfinge, denn alsdann würde das Subjekt nicht einer Vernunft, sondern einem Antrieb die Bestimmung der Urteilskraft zuschreiben. Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen, unabhängig von fremden Einflüssen, folgich muß sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines verünftigen Wesens von ihr selbst als frei angesehen werden.“

Die Vernunft würde nun von „fremden Einflüssen“ abSängig sein, wenn sie sich von naturhaften Antrieben in uns („sinnlichen Neigungen“ in der Sprache Kants) ihr Ziel vorschreiben ließe. Sie wäre dann „empirisch bedingt“, das Ziel des Wollens wäre dann „ein Gegenstand der bloßen Sinnlichkeit, des Angenehmen“, oder (nach seinem ganzen Umfang gedacht) die Glückseligkeit. Wahre Freiheit liegt nur da vor, wo die Vernunft rein aus sich heraus den Willen bestimmt; in diesem Falle ist das Willensziel das Gute. Diese wirkliche „praktische“ oder „moralische" Freiheit kann man „als Unabhängigkeit des Willens von jedem anderen, außer allein dem moralischen Gesetze, definieren.

In diesem Freiheitsbegriff liegt, nach der negativen Seite, die Unabhängigkeit von allen nicht der Vernunft selbst ange. hörigen Bestimmungsgründen, nach der positiven, das Bestimmtsein durch die innere Gesezmäßigkeit des vernünftigen Willens, das ist durch den kategorischen Imperativ. „Freiheit“, oder „der freie Wille“, in diesem positiven Sinne, „ist der durchaus sittlich bestimmte Wille“ (pr. V. 39). Ein solcher Wille

aber würde sich decken mit dem „heiligen“ Willen, der nac Kants ausdrücklicher Erklärung (pr. V. 99) für den Menscher immer unerreichbares Ideal bleibt.

Es muß nun aber auch unserem unheiligen, durch sinnlich Neigungen beeinflußten Willen Freiheit zugesprochen werden im Sinne der Fähigkeit, sich in der Richtung auf jenes Ideal zu entscheiden. So definiert gelegentlich Kant die Freiheit als „Vermögen des Menschen, die Befolgung seiner Pflichten ... gegen alle Macht der Natur zu behaupten1".

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Den Begriff der praktischen Freiheit im ersten Sinne könnte man nun lediglich als eine zielgebende Idee bezeichnen, der nichts Wirkliches entspreche; im zweiten Sinne aber muß der Freiheit irgendwie Wirklichkeit“ zugeschrieben werden und es fragt sich nun, ob und wie sie mit der Anerkennung der Naturkausalität vereinbar sei. Dies ist eine erkenntnistheoretische, eine „transzendentale" Frage. Ihrer Beant wortung dient der Begriff der „transzendentalen" Freiheit (r. V. 609). Kant erklärt sie als das Vermögen einer Ursache, „einen Zustand von selbst anzufangen“, das heißt: nicht genötigt durch einen zeitlich vorangehenden Vorgang, wie das für die Naturursachen gilt. Wäre alle Kausalität in der Sinnenwelt Naturkausalität, so würde jedes Geschehen durch ein anderes zeitlich vorangehendes bestimmt sein, mithin würde auch jede Handlung notwendig eintreten. Gäbe es also keine Freiheit im transzendentalen Sinne, so gäbe es auch keine praktische Freiheit, denn diese sezt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen, es doch habe geschehen sollen und seine Ur

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ache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkür eine Kausalität liege, unabhängig on jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach mpirischen Geseßen bestimmt ist, mithin eine Reihe von Bejebenheiten „ganz von selbst“ anzufangen (r. V.429). Augencheinlich handelt es sich bei dem Freiheitsproblem unter transzenentalem Gesichtspunkt nicht sowohl um die praktische Freiheit m ersten, als um die im zweiten Sinne. Denn daß wir uns die Idee eines „freien“, das heißt lediglich durch den kategorischen Imperativ bestimmten Willens bilden, das würde an sich noch aicht mit der Anerkennung der unbeschränkten Geltung der Naturkausalität im Widerspruch stehen, wohl aber entsteht ein solcher Widerspruch, wenn ein mit praktischer Freiheit ausgestatteter Wille als eine wirkliche Ursache angesehen wird.

Und hier nun ist der Punkt, an dem Kant das Ergebnis der erkenntnistheoretischen Untersuchung seiner Vernunftkritik einmünden läßt, in seine Ethik, wo sich zeigt, daß die ganze, weit- und tiefgreifende Erforschung der menschlichen Erkenntnis für ihn nicht Selbstzweck ist, sondern ihm nötig war, das Recht der schlichten Überzeugung zu sichern: wir sollen, also müssen wir auch können. Was ihm aber erlaubt, die Frage nach der Freiheit sowohl im praktischen wie im transzendentalen Sinne zu bejahen, das ist die grundlegende Unterscheidung der Sinnesund der Verstandeswelt und die damit gegebene Einsicht, daß wir die Gegenstände unserer Erfahrung nur erkennen, wie sie in unserer Sinnlichkeit erscheinen, nicht wie sie an sich sind. „Denn sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist Freiheit nicht zu retten. Alsdann ist Natur die vollständige und an sich

hinreichend bestimmende Ursache jeder Begebenheit, und die Bedingung derselben ist jederzeit nur in der Reihe der Erscheinungen enthalten, die samt ihrer Wirkung unter dem Naturgesehe notwendig sind. Wenn dagegen Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der Tat sind, nämlich nicht für Dinge an sich selbst, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Geseßen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind. Eine solche intelligible Ursache [das heißt: ein solcher, Grund der Erscheinung"] aber wird in Ansehung ihrer Kausalität nicht durch Erschei= | nungen bestimmt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen und so durch andere Erscheinungen bestimmt werden können. Sie ist also samt ihrer Kausalität außer der Reihe; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen ange troffen werden. Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Not wendigkeit der Natur angesehen werden; eine Unterscheidung, die, wenn sie im allgemeinen und ganz abstrakt vorgetragen wird, äußerst subtil und dunkel scheinen muß, die sich aber in der Anwendung aufklären ließ“ (r. V. 431). In dem Bemühen, diese Aufklärung zu schaffen, hat Kant dem Freiheitsproblem, sowohl in der Kritik der reinen wie der praktischen Vernunft, sehr ausführliche Erörterungen gewidmet (r. V. 368-374, 428-445; Proleg. § 53 [122 ff.], pr. V. 114 bis 129).

Er war sich dabei der ganzen Schwierigkeit des Problems bewußt. Er gibt einerseits rückhaltlos zu: soll „Erfahrung“ eine Erkenntnis des sinnlich Gegebenen, nach allgemeinen Gesetzen,

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